Hören liegt im Trend. Nicht nur Musik wir zum ständigen Begleiter. Auch Hörbücher und Podcasts haben Konjunktur. Überall trifft man Leute mit verstöpselten Ohren – an der Supermarktkasse, vor dem Check-in-Schalter, in der U-Bahn, auf dem Fahrrad oder beim Joggen im Park. Smartphones mit großem Speichervolumen und (kabellose) earbuds ermöglichen Bewegungsfreiheit und Unabhängigkeit von der Audioquelle. Auch zu Hause im Sessel oder beim Kochen, Fensterputzen und Wäschebügeln kann man sich jederzeit akustisch unterhalten lassen.
Zuhören ist jedoch auch zu einer verbreiteten Form sozialen Rückzugs geworden. Kopfhörer oder Ohrstöpsel in auffälligen Farben signalisieren: "Stör mich nicht; siehst du nicht, dass ich gerade höre?!" Der Audiomarkt greift ins Privatleben ein, in Beziehungen, Lebens- und Konsumgewohnheiten von Menschen. Lebensstile individualisieren sich. Nicht wenige ziehen sich auf das zurück, was sie selbst (hören) wollen. Doch wer nicht mehr hinhört, gehört bald nirgendwo mehr hin!
Schleichend, aber unübersehbar, macht sich auch in anderen Bereichen soziale Isolation breit. Einsamkeit ist inzwischen zu einem Politikum geworden – weit über die Corona-Pandemie mit ihren Ausgangs- und Kontaktsperren, ihrem verordneten Rückzug hinaus. England und Japan haben schon vor Jahren ein Einsamkeitsministerium eingerichtet. In Deutschland gibt es in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ein "Kompetenznetz Einsamkeit" (KNE) und das Programm "Zusammenhalt stärken - Menschen verbinden" (ZuMe), das aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF Plus) finanziert wird.
Der Anspruch Gottes
"Höre!" – das erste Wort der Benediktsregel – ist Weckruf und Lebensprogramm. Mönche und Nonnen versuchen, ihr Leben unter den Anspruch Gottes zu stellen. "Höre […] auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat", schreibt Benedikt im Prolog zu seiner Regel. Es gilt, im alltäglichen Geräuschwirrwarr das herauszufiltern und aufzunehmen, das Menschen persönlich und unbedingt angeht.
Mönche und Nonnen üben ein solches Hören ein: Sie hören auf Gott, auf sein Wort, das ihnen im Gottesdienst oder beim persönlichen Bibellesen begegnet. Sie hören auf die Mitbrüder und -schwestern, auf die Angestellten, mit denen sie zusammenarbeiten, auf die Menschen, die an die Pforte klopfen, sich telefonisch mit verschiedenen Anliegen melden oder als Gäste einige Tage im Kloster verbringen, um Stille und/oder ein geistliches Gespräch zu suchen. Die tägliche spirituelle, aber auch tagesaktuelle Tischlesung während der gemeinsamen Mahlzeiten hilft benediktinischen Mönchen und Nonnen, aufmerksam die Zeichen der Zeit wahrzunehmen. Hören braucht Offenheit, einen (Empfangs-)Raum und eine Haltung, in der Dinge von außen eintreten können, eine Leerstelle vorfinden und einen Platz bekommen. Hörende lassen Andere und Anderes bei sich eintreten. Sie lassen sich etwas sagen, nehmen es sich gewissermaßen "zu Herzen", horchen und – gehorchen in der Tatsprache christlichen Glaubens und sozialer Verantwortung.