Anders entscheiden"Keiner folge dem Willen des eigenen Herzens"

In der Kirche herrscht Streit. Ist es möglich, ohne Rechthaberei und Parteienkämpfe Entscheidungen zu treffen? Vielleicht lässt sich auch für diese Frage etwas aus der Ordensregel der Benediktiner lernen. Sie verbietet den Mönchen und Nonnen öffentliche Auseinandersetzungen mit ihren Oberen.

Mauritius Wilde
© privat

Die Auseinandersetzungen zwischen der katholischen Kirche in Deutschland und Rom haben mir eine Passage aus der Benediktsregel in den Sinn kommen lassen. Sie ist eine der vielen, die für heutige Ohren verstörend klingen: Man solle mit seinem Oberen nicht öffentlich streiten. "Keiner folge im Kloster dem Willen des eigenen Herzens, und niemand nehme sich heraus, gegen den Abt frech oder außerhalb des Klosters in Opposition zu treten.“ (RB 3,8–9). Es hat lange gebraucht, bis ich begriff, warum Benedikt das hier sagt: Er will weniger die Macht des Abtes festigen (das vielleicht auch) als den einzelnen Mönch schützen! Vielleicht kann man das besser nachvollziehen, wenn wir uns einmal vorstellen, wie es ist, wenn wir uns mit unserem eigenen Chef öffentlich streiten. Das sollte man lieber lassen, hat er doch das Sagen über unseren Arbeitsplatz und unser Gehalt. Es sei denn, wir holen uns Unterstützung zum Beispiel gewerkschaftlicher Art.

Ein Kloster ist hierarchisch organisiert. Das steht nicht im Widerspruch zu den zahlreichen demokratischen und synodalen Elementen, ohne die der Orden nicht 1500 Jahre überlebt hätte: der Abt wird gewählt; er hat einen gewählten Rat, an dessen Entscheidungen er (heutzutage zum Beispiel in Finanzfragen, nicht aber in Personalfragen) gebunden ist; alle fünf Jahre gibt es eine Kanonische Visitation, in der in geheimer Abstimmung gefragt wird, ob der Abt noch das Vertrauen seiner Mönche genießt oder nicht. Und dennoch bleibt die Struktur hierarchisch. Das aber hat weniger organisatorische als theologische Gründe, wie Benedikt sagt: „Denn der Gehorsam, den man den Oberen leistet, wird Gott dargebracht, er hat ja gesagt: Wer Euch hört, hört mich“ (RB 5,15).

In Verbindung bleiben

Nun ist es nicht so, dass Benedikt nicht wüsste, wie schwer dieser Gehorsam sein kann. Er hat ein eigenes Kapitel in seiner Regel vorgesehen für den Fall, dass man glaubt, eine Anordnung nicht befolgen zu können (RB 68). Ein derartiger Konflikt kann ja im Mönch Frustration, Wut, Enttäuschung oder auch Trauer auslösen. Benedikt will nicht, dass jemand traurig ist in seinem Kloster. Am Ende aber soll er gehorchen, darauf vertrauend, dass dadurch der Wille Gottes geschieht. Und das selbst dann, wenn der Abt einmal nicht Recht haben sollte, womit Benedikt ebenfalls rechnet (RB 4,61)! Es scheint ihm darum zu gehen, dass man zusammenbleibt, als Gemeinschaft, mit dem Oberen, der von ihr gewählt wurde. Der Ordensvater sagt, die Mönche seien „in aufrichtiger und demütiger Liebe ihrem Abt zugetan“ (RB 72,10). Man soll also versuchen in Verbindung zu bleiben, ohne dass man die eigene Befindlichkeit und Meinung leugnen muss.

Das alles ist in unserer demokratisch geordneten Gesellschaft nicht leicht nachvollziehbar. Nicht nur dass „Gehorsam“, eines der benediktinischen Gelübde, sowohl dem Begriff als auch dem Inhalt nach kaum eine Rolle spielt, wir sind gewohnt, als Volk unsere Regierenden zu kontrollieren, so wie die Besucher in der transparenten Kuppel des Reichstages spazieren und auf ihre Politiker heruntergucken können. Auch das öffentliche Streiten sind wir gewohnt, es gehört konstitutiv zu unserer Demokratie dazu. Das Parlament bietet dafür einen klaren, definierten Rahmen und die Medien helfen dabei.

Die Klostergemeinschaft ist in erster Linie eine geistliche Gemeinschaft, daher werden auch alle praktischen Entscheidungen nicht ausschließlich, aber vor allem als geistliche verstanden.

Die Klostergemeinschaft aber ist in erster Linie eine geistliche Gemeinschaft, daher werden auch alle praktischen Entscheidungen nicht ausschließlich, aber vor allem als geistliche verstanden. Das Geistliche prägt auch die Beziehungen und die Rollen. Es geht in der eingangs zitierten Regel also nicht nur darum, dass eine Gemeinschaft generell besser funktioniert, wenn sie nach außen hin geschlossen auftritt, sondern darum, dass man aufeinander hört und eingeht, um zu finden, was der Heilige Geist will. Es ist eine Gnade, wenn man dabei das Parteienbilden, das Rechthaben und das Kämpfen lassen kann. Das ist möglich im Vertrauen auf einen, der größer ist als wir alle zusammen. Mir scheint, wir könnten bei den genannten Auseinandersetzungen in der Kirche weiterkommen, wenn wir diesen geistlichen Aspekt mehr beachten würden.

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