Wir alle warten dauernd irgendwo auf irgendetwas – vor einer Ampel, bei einer Behörde, im Wartezimmer des Arztes, an der Kasse, in der Telefon-Warteschleife. Warten gehört zum Alltag, ist Teil unseres oft kurzatmigen, gehetzten Lebens. Kaum jemand wartet gern, lässt sich Zeit stehlen in einer auf Leistung und Mobilität getrimmten Gesellschaft.
Warten ist ambivalent. Vorfreude (auf Weihnachten, den Urlaub, einen Besuch) hat mit Warten zu tun. Andererseits kann Warten(lassen) Ausdruck eines Machtgefälles sein. Zögerliches Abwarten jedoch erhöht die Schwelle zum Tun. Lange Warteschlangen vor Geschäften in der ehemaligen DDR zeugten von nicht funktionierender "sozialistischer Planwirtschaft" und den unerfüllten Konsumwünschen der Bürger. Vieles, worauf man früher lange warten musste, ist im Zeitalter des Internets nur einen Mausklick weit entfernt. Muss man Warten heute noch lernen? Ist es eine aussterbende Kulturtechnik?
Zum Leben im Kloster gehört Warten – und zwar von Anfang an. Wer in eine Gemeinschaft eintreten will, wartet auf den vereinbarten Eintrittstag, dann auf die Einkleidung mit dem Ordensgewand, schließlich auf die Erlaubnis, Gelübde ablegen zu dürfen. "Nimm mich auf, o Herr, […] und lass mich in meiner Erwartung nicht scheitern", singen benediktinische Mönche und Nonnen am Tag ihrer Bindung an Gott und die monastische Kommunität (RB 58,21).
Menschliche Beziehungen können an vergötzender Übererwartung sterben. Auch im Kloster müssen Idealvorstellungen und überzogene Erwartungen an die Gemeinschaft als Ganze, die Oberen, die Mitbrüder und -schwestern realistisch in Schach gehalten werden.
Das Leben im Kloster ist österlich geprägt. Benedikt lädt in seiner Ordensregel dazu ein, "in Freude und Sehnsucht das heilige Osterfest zu erwarten" (RB 49,7) – das jährliche und das ewige Osterfest, das kein Ende mehr hat. Aber auch Alltagserwartungen prägen das Leben von Benediktinerinnen und Benediktinern. Die altbekannte "Goldenen Regel" lautet: "Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen" (Mt 7,12; Lk 6,31). Oder negativ gewendet: "Was du selbst nicht erleiden möchtest, das tu auch keinem anderen an" (RB 4,9; 61,14; 70,7). Benedikt ermahnt insbesondere den mit vielen Befugnissen ausgestatteten Klosterökonom, die Mitbrüder nicht unnötig warten zu lassen, wenn es gilt, ihnen das festgesetzte Maß an Speise und Trank zu geben (RB 31,16).
Menschliche Beziehungen können jedoch an vergötzender Übererwartung sterben. Auch im Kloster müssen Idealvorstellungen und überzogene Erwartungen an die Gemeinschaft als Ganze, die Oberen, die Mitbrüder und -schwestern realistisch in Schach gehalten werden. Benedikts nüchterner Wirklichkeitssinn sieht beispielsweise am Beginn des frühmorgendlichen Gebets das Warten auf schläfrige Nachzügler vor (RB 13,2; 43,4). Liebe holt Menschen selbst dort ab, wo sie noch nicht sind. Sie kann warten. Es ist Zeichen einer wertschätzenden Gesprächskultur, wenn sich das Zuhören von Mönchen und Nonnen nicht im ungeduldigen Warten zwischen zwei eigenen Redebeiträgen erschöpft (RB 3,4). Zudem gilt es, den rechten Augenblick abzuwarten, um Fragen und Probleme miteinander zu besprechen (RB 68,1-2). Warten kann kreatives Potential freisetzen. Es geht nicht um eine falsche Ruhigstellung, sondern um die Kunst des Sich-Zeitlassens, Sich-Besinnens in der Erwartung, dass sich die Dinge in angemessener Weise ordnen und klären.
Offenes Gespanntsein
Benediktiner und Benediktinerinnen sind Gottsucher, sind Menschen, die aus einer großen Lebenserwartung heraus leben. Warten verändert den Wartenden. Es schärft die Wahrnehmung, wird zu einem Erwarten – Gottes, seines Geistes, seiner Gegenwart. Das Schon und Noch-Nicht gehören zusammen: Gottsuche und das Leben in der Gegenwart Gottes. Es ist ein offenes Gespanntsein ohne die Angst vor Erfahrungen, die nicht zu den eigenen Erwartungen passen.
"Niemand besitzt Gott so, dass er nicht mehr auf ihn warten müsste. Und doch kann niemand auf Gott warten, der nicht wüsste, dass Gott schon längst auf ihn gewartet hat", bekannte Dietrich Bonhoeffer. Benediktinerinnen und Benediktiner wissen, dass ihr Leben auf Gott zuläuft, dass sie in ihrem Suchen und Vorangehen immer schon Erwartete sind. Liebende Erwartung wird so zum Kern ihrer Lebenspraxis. Das spüren nicht zuletzt Menschen, die auch in unserer Zeit in Benediktinerklöster kommen – wo sie erwartet und willkommen geheißen werden (RB 66,2; 53,3.16.22).