Wer kennt ihn nicht, den sogenannten "grauen Alltag": stets dieselben Abläufe, Verpflichtungen, Besorgungen, Begegnungen. Zur Eintönigkeit des immer gleichen Trotts gesellen sich Grauzonen im menschlichen Miteinander, das bleierne Gefühl, nur eine "graue Maus" zu sein, die in der Masse verschwindet, oder Hilflosigkeit angesichts von "grauen Eminenzen" im Team, unsichtbaren, einflussreichen Strippenziehern hinter den Kulissen.
"Graue Theorien" ohne praktische Evidenz nerven wie das Asphaltgrau täglich zu passierender Straßen, das Nebelgrau der Smogwand, das Steingrau uniformer Häuserfassaden und Hochhaussilhouetten, das Beton- und Stahlgrau der Industrielandschaften mit ihren Kränen, Bürotürmen und den rauchgrauen Abgasfahnen aus gewaltigen Schornsteinen. Ein nahezu allgegenwärtiges Grau – öde, monoton, fad, unoriginell, phantasie-, stimmungs-, spannungs-, farb- und reizlos – wirkt zu allen Jahreszeiten novembrisch-trist, bedrückend, lähmend. Es beraubt die Dinge ihrer Strahlkraft, überzieht sie mit einem "Grauschleier". Grau ist nicht nur eine Mischung aus Schwarz und Weiß. Es verleibt sich vielmehr alle Farben ein!
Grau ist nur der Klosterkater
Und im Kloster? Ist das Leben dort nicht auch uniform und monoton? Immerhin tragen alle Mönche und Nonnen die gleiche Kleidung, und der Tagesablauf ist streng geregelt. Und doch sind Benediktinerinnen und Benediktiner "Farbdissidenten". Klösterliche Gemeinschaften sind bunt. In den scheinbar einheitlichen schwarzen Habiten stecken sehr unterschiedliche Menschen – dicke und dünne, große und kleine, junge und alte. Voneinander verschiedene Herkunfts- und Glaubensgeschichten, Berufsausbildungen und Kompetenzen, Charaktere, Temperamente, Talente, Bedürfnisse, Ansichten und Ideen kommen in einem Kloster zusammen.
Doch es sind nicht allein Pluralität, viele Gemeinschaftsfeste und das weit über die Klostermauern hinausreichende Engagement der Mönche und Nonnen, die für Buntheit im Alltag sorgen. Benediktinische Ordensleute beherrschen vielmehr die Kunst der Gestaltung von Zeit-Räumen. Mit der durchdachten Strukturierung des Tages ist der häufige Wechsel von Ort und Tätigkeit verbunden. Dem Rhythmus der Natur, der Alternation von Tag und Nacht, der menschlichen Bedürftigkeit im Spannungsfeld von Arbeit und Ruhe, Einsamkeit und Gemeinschaft, Schweigen und Reden werden im Kloster unterschiedliche Zeiten und Räume zugeordnet: die eigene Zelle, der Statio-Gang, der Kapitelsaal, die Kirche, das Refektorium, der Rekreationsraum, die verschiedenen Arbeitsstätten, das Gästehaus. Eucharistiefeier und Stundengebet unterbrechen immer wieder die klösterlichen Arbeitsabläufe. Alltag und Fest sind unlösbar miteinander verbunden. Mönche und Nonnen folgen dem liturgischen Festkreis des Jahres mit seinen unterschiedlichen (Klang-)Farben. Im Zentrum steht das Weiß von Ostern, das sich bricht in die bunte Farbigkeit des Regenbogens – dem Bundeszeichen zwischen Gott und Mensch und dem Symbol der gemeinsamen Gottsuche der Brüder und Schwestern. Schon wer nur einige Tage als Gast im Kloster mitlebt, bemerkt, dass hier die Farbregler auf bunt gestellt sind. Grau ist höchstens der Klosterkater.