Der Heilige Benedikt versteht das Kloster als eine "Schule" (RB Prol. 45). Was für eine "Schule" soll das sein? Am besten lässt sich erkennen, mit welcher Art von Schule man es zu tun hat, wenn man einen Blick auf das Curriculum, den Lehrplan oder das Lehrprogramm, wirft. Von seinem lateinischen Ursprung bedeutet curriculum soviel wie "Lauf" oder "Wettlauf". Und das benediktinische Curriculum macht diesem ursprünglichen Wortsinn alle Ehre: "Jetzt müssen wir laufen!" schreibt Benedikt im Prolog seiner Ordensregel (RB Prol. 44). Das Kloster – eine Sportschule?
Benedikt nennt das Kloster eine "Schule für den Dienst des Herrn", und dieser Dienst erfordert in der Tat eine gewisse Sportlichkeit, zuerst, aber nicht nur im übertragenen Sinn. Es ist bemerkenswert, wie häufig Begriffe aus dem Wortfeld "Laufen" in der Benediktregel vorkommen und in welchen Zusammenhängen sie begegnen: Laufen, Eilen, (Nach)jagen, Schnelligkeit – um die wichtigsten zu nennen.
Die Wettlauf-Metaphorik spielt schon bei Paulus eine bedeutende Rolle. Den Christen in Korinth legt er nahe, sie sollen "so laufen, dass sie den Siegespreis gewinnen".
Warum hat es Benedikt so eilig? Für ihn steht fest, dass unser Leben ein Ziel hat, zu dem wir bestimmt sind: die Gemeinschaft mit Gott in seinem Reich. Mit dem Apostel Paulus teilt Benedikt die Vorstellung, dass wir dieses Ziel nicht automatisch erreichen, sondern aktiv darauf zugehen müssen, und zwar von dem Augenblick an, da wir unsern Glauben ernst nehmen. Die Wettlauf-Metaphorik spielt deshalb schon bei Paulus eine bedeutende Rolle. Den Christen in Korinth legt er nahe, sie sollen "so laufen, dass sie den Siegespreis gewinnen" (vgl. 1 Kor 9,24). Und von sich selbst – als Vorbild für die Gemeinde – sagt er: "Ich laufe nicht wie einer, der ziellos läuft" (1 Kor 9,26), sondern: "Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus." (Phil 3,14).
Christsein: Kein Rückzug in die Komfortzone
Viele Menschen sehnen sich heute nach Ruhe, nach einer Atempause, nach Entschleunigung des Lebens. Benedikt jedoch fordert auf: "Lauft, solange ihr das Licht des Lebens habt" (RB Prol. 13). Das klingt nach Anstrengung. Richtig ist, dass Christsein keinen Rückzug in die Komfortzonen des Lebens bedeuten kann. Wenn wir das christliche Leben als einen "Lauf" verstehen, dann ist dieser Lauf weder von der Angst getrieben, man könne das Ziel nicht erreichen, noch ist er ein gehetzter Wettlauf gegen die Zeit, und er ist schon gar kein sinnloses Hin- und Her-Rennen. Die Motivation, aus der die "Dynamik", das "Tempo" und die Ausdauer des christlichen Lebens kommen, ist die Erfahrung der Liebe Gottes, auf die wir mit unserem Leben antworten. Deshalb charakterisiert Benedikt den "Läufer" so: "Er läuft in unsagbarem Glück der Liebe den Weg der Gebote Gottes" (RB Prol 49).
Diese christliche Grundhaltung, die Benedikt – und Paulus ja auch schon – mit der Läufermetaphorik beschreibt, wirkt sich auf die ganz konkreten Lebensvollzüge aus, und da ist Benedikt ganz und gar unmetaphorisch. Dazu drei Beispiele: Zum Gottesdienst sollen die Brüder "in größter Eile" kommen, ohne Zwischenstopp, ohne sich von etwas anderem aufhalten oder ablenken zu lassen (vgl. RB 22,6; 43,1). Es geht um Konzentration und Fokussierung auf das, was im monastischen Leben das Wichtigste ist. Ein Auftrag von einem Oberen innerhalb der Gemeinschaft soll "schnell" akzeptiert und "sofort" erledigt werden (vgl. RB 5,2-4); es ist kein Raum für Prokrastination vorgesehen. Und einem Gast, der ins Kloster kommt, soll man "in dienstbereiter Liebe entgegeneilen" (vgl. RB 53,3). Menschen werden nicht in der Warteschleife abgestellt.
Für Benedikt ist es aber auch sehr wichtig zu betonen, dass nicht nur wir Menschen auf Gott zulaufen, sondern dass er selbst mit göttlicher Eile uns entgegenkommt.
Und ja, Benedikt weiß, dass die Zeit unseres irdischen Lebens begrenzt ist. Dass er auffordert loszulaufen, ist ein Zeichen für die hohe Wertschätzung der Zeit, die uns auf dieser Welt geschenkt ist. Wir sollten jeden Augenblick als quality time wahrnehmen, weil er die Chance bietet, tiefer in die Wirklichkeit des Reiches Gottes einbezogen zu werden, das bereits "mitten unter uns" (Lk 17,21) ist. Schließlich ist der Weg, auf dem wir laufen, nicht irgendein Weg, sondern der Weg, der zugleich die Wahrheit und das Leben ist (vgl. Joh 14,6). Für Benedikt ist es aber auch sehr wichtig zu betonen, dass nicht nur wir Menschen auf Gott zulaufen, sondern dass er selbst mit göttlicher Eile uns entgegenkommt. Jede benediktinische Gebetszeit wird deshalb mit dem Psalmwort eröffnet: "Gott, komm mir zu Hilfe, Herr, eile mir zu helfen." (Ps 70,2)