EskalationWas tun, wenn andere sich streiten?

Unterstützung in Konflikten geschieht nicht immer uneigennützig. Das gilt in der Weltpolitik genauso wie im Mikrokosmos des Klosters.

Mauritius Wilde
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Die Konflikte und Kriege dieser Tage lassen einen oft sprach- und ratlos zurück. Was kann man tun, wie kann man helfen – außer zu beten? Die Benediktiner sind dafür bekannt, dass sie den Frieden in ihren Gemeinschaften suchen. Wenn man so eng zusammenlebt und es Konflikte gibt, leiden irgendwie alle mit, und das Leben ist nicht mehr schön. Nun gibt es weder ein Geheimrezept noch einfache Lösungen in solchen Fällen, aber ein Zitat aus der Benediktsregel kommt mir in den Sinn, das gleichermaßen schwierig wie verstörend klingt: "Man sorge vor, dass im Kloster auf keinen Anlass hin ein Mönch sich herausnimmt, so aufzutreten, als wäre er Verteidiger oder Beschützer eines anderen, wie nahe sie als Blutsverwandte sich auch stehen mögen." (RB 69,1) Man soll sich also in bestehende Konflikte nicht einmischen, egal, wie gut es gemeint ist oder wie sehr es durch eine besondere Beziehung motiviert sein mag. Der Satz wirkt vor allem dann ungerecht, wenn man dabei an einen Konflikt mit dem Oberen selbst denkt, oder an eine Auseinandersetzung zwischen einem Schwächeren und einem Stärkeren – müssen wir dann nicht aus christlicher Nächstenliebe dem Schwächeren beistehen?

Abtprimas Jeremias Schröder hat darauf hingewiesen, dass die Norm vor dem Hintergrund der Völkerwanderungszeit zu verstehen ist, in der sie entstanden ist: Sippen- und Blutverwandtschaft sollten im Kloster keine Rolle spielen. Die Vorschrift ist aber auch ein Mittel gegen ungebremste Empörungsbereitschaft, so der Abtprimas: Wer für einen Dritten kämpft, ist versucht, seinem Furor freuen Lauf zu lassen.

Stellvertreterkonflikte

Benedikt will jedenfalls vermeiden, dass im Kloster Parteiungen und Cliquen entstehen. Die Erfahrung zeigt, dass solche die Konflikte eher verstärken, statt beheben. So wird es immer schwieriger, Lösungen zu finden. Der Begriff "Mönch" bedeutet ursprünglich "der allein ist" (griechisch monachos), der für sich (mit Gott) allein steht. Die Regel könnte also auch besagen, dass Benedikt es jedem zutraut, für sich selbst zu sprechen und unter Umständen für sich selbst zu kämpfen. Dass er es jedem zutraut, dass Gott auf seiner Seite ist, wenn es um die Wahrheit und die Gerechtigkeit geht. Denn es ist nicht immer so, dass der scheinbar Stärkere gewinnt. David besiegt Goliath, weil er den lebendigen Gott an seiner Seite hat.

Ein syrischer Mitbruder, der aus Aleppo stammt, sagte mir neulich, dass aus seiner Sicht der Konflikt in seinem Land ein Stellvertreterkonflikt sei. Die Großmächte trügen auf ihrem Rücken ihre Spannungen und Interessen in seinem Land aus. Was als "Helfen", "Unterstützen" oder "Verteidigen" getarnt sei, sei in Wahrheit ein Durchsetzenwollen der eigenen Interessen. Aus der Zeit des Kalten Krieges kennen wir zahlreiche Stellvertreterkriege in vielen Teilen der Welt, und auch heute leiden bestimmte Regionen unter den Interessen der großen Mächte.

Die Benediktsregel könnte zu einer Reflexion anregen, wie selbstlos unsere eigene Einmischung eigentlich ist und ob wir einen Konflikt nicht bisweilen noch schlimmer machen und ihn verstärken, wenn wir uns an ihm beteiligen.

Natürlich kann man die Benediktsregel aus dem Mikrokosmos Kloster nicht einfach auf die globalen Zusammenhänge übertragen. Und selbstverständlich gibt es nicht nur das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung, sondern auch unterlassene Hilfeleistung als Strafbestand. Die Benediktsregel jedoch könnte zu einer Reflexion anregen, wie selbstlos unsere eigene Einmischung eigentlich ist und ob wir einen Konflikt nicht bisweilen noch schlimmer machen und ihn verstärken, wenn wir uns an ihm beteiligen.

Gott hat sich entschieden eingemischt. Er hat sich mit Jesus offensichtlich in die Menschheitsgeschichte eingemischt. Er hat sich auf die Seite der Schwachen gestellt, der Kinder, der Kranken, der Ausgegrenzten. Aber es gab einen Unterschied: Jesus hat nie sein eigenes Interesse verfolgt, sondern nur das der anderen und das seines Vaters. Er hat zur Umkehr aufgerufen und den Menschen ihre Verantwortung und Freiheit gelassen. Am Ende ist er selbst für sie ans Kreuz gegangen. Das war seine Form der Solidarität.

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