Der heilige Benedikt stellt im Prolog seiner Regel mit dem Psalm 34 die Frage: "Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?" (RB Prol 15) Er fährt fort: "Wenn du das hörst und antwortest: 'Ich', dann sagt Gott zu dir: "Willst du wahres und unvergängliches Leben, …" (RB Prol 16). Programmatisch dazu am Anfang und am Ende der Benediktsregel die Bestimmung, an wen diese Einladung zum klösterlich gefassten Weg des Lebens gilt: "wer immer du bist" (RB Prol 1,3; 73,8).
Dieser individuelle Zugang ist Erbe und bleibt Auftrag des Mönchtums. Zu Recht ist die Gemeinschaft eines der wichtigsten Charakteristika benediktinischen Lebens. Wenn wir uns in den Klöstern aber hauptsächlich damit beschäftigen, wie Gemeinschaftsleben und die zeitgemäße Anpassung der Arbeitsbereiche gelingen, gerät die Suche des Einzelnen und seine Einsamkeit vor Gott zu sehr in den Hintergrund. Die Gefahr ist dann, dass wir völlig in dem aufgehen, was wir für andere tun und sein sollen.
Das Mönchtum bringt eine grundlegende Dimension unseres Lebens zur Geltung: Wir stehen allein vor Gott. Bei den Wüstenvätern heißt es: "Wenn ein Mensch nicht dahin gelangt, dass er in seinem Herzen spricht: ‚Ich allein und Gott sind in der Welt‘, dann wird er keine Ruhe finden." Papst Gregor der Große beschreibt Benedikt denn auch als einen, der nach einem mühsamen und konfliktreichen Prozess – Mönche wollten ihn als postulierten Abt vergiften – bei sich war: "Allein, unter den Augen Gottes, wohnte er in sich selbst (Solus … habitavit secum)."
Der Mönch in mir
Monachus bezeichnet einen Menschen, der allein lebt. Damit ist ein Gestus des Lebens angesprochen, der jeden betrifft: Wir stehen allein vor Gott. Die Einzigartigkeit und "All-einigkeit" des Menschen vor Gott atmet etwas Befreiendes. Fruchtbare Einsamkeit! Wenn der Wiener Publizist und passionierte Athos-Pilger Heinz Nußbaumer seinem Buch den Titel "Der Mönch in mir" gegeben hat, dann knüpft er besonders an dieser menschlichen Ursehnsucht an. Dementsprechend deutet der Benediktiner Mauritius Wilde in seinem neuen Buch die Lebensbeschreibung Gregor des Großen über den hl. Benedikt existentiell für alle ("Wer immer du bist!") und gibt der Publikation den Titel: "Der Mönch in dir. Ein Weg zu Gelassenheit und Loslassen".
Die benediktinische Haltung trachtet danach, Menschsein und irdisches Leben auf Gott hin zusammenzuhalten. Insofern der Mönch bei sich ist, kann er auch empfindsam für die anderen sein und sich in seinem ganzen Tun und Denken auf Gott beziehen.
Das Leben des Mönchs soll zum Ort werden, wo sich Himmel und Erde berühren. So kann das Kloster versinnbildlichen, dass Gott jedem Menschen eine Wohnung bereitet hat; jede Person ist geradezu diese Wohnung Gottes auf Erden. Da der Schöpfer Originale liebt, soll der Mensch sich seine Wohnung auf Erden mithilfe der irdischen Möglichkeiten ausstatten, wie es Klöster über die Jahrhunderte in beeindruckender Weise vermögen.
Die benediktinische Haltung trachtet danach, Menschsein und irdisches Leben auf Gott hin zusammenzuhalten. Insofern der Mönch bei sich ist, kann er auch empfindsam für die anderen sein und sich in seinem ganzen Tun und Denken auf Gott beziehen. Der klösterliche Lebenswandel (conversatio morum) soll den Mönch dazu führen, vor Gott und den Menschen ein wahrhaftiges Dasein auszugestalten, in sich zu stehen und von da aus zu wirken.
Das Kloster ist in erster Linie ein pastoraler Ort, der dem Einzelnen Raum gibt, Gott zu suchen. Das ist heute attraktiv, und wir Mönche verdanken diese Wiederentdeckung nicht zuletzt den vielen Menschen, die – trotz oder gerade wegen einer zunehmenden Säkularisierung und Entchristlichung ihres Umfeldes – in unsere Klöster kommen. Ihre Erfahrung, die eine immerwährende Sehnsucht bleibt, zeigt: Wer in sich gesammelt ist, steigt über sich selbst hinaus. In der kosmischen Turmvision kurz vor seinem Tod sieht Benedikt denn auch in der Schau Gottes die Welt wie in einem einzigen Sonnenstrahl vereinigt.