Archäologie befasst sich ganz wesentlich mit Gräbern. Ein bisschen Nekrophilie gehört also für den Archäologen zur Grundmotivation. Je weiter man zu den materiellen Hinterlassenschaften der Menschheit zurückgeht, desto wichtiger werden Gräber. Der Grund ist einfach: Gräber sind die erstrangigen Zeugnisse einer religiös und kulturell begabten Menschheit. Sie sind die frühesten "Erinnerungsorte" (lieux de mémoire) der Menschheit. Gräber sind unverletzlich, und sie bewegen sich nicht von der Stelle. Darum haften sich an sie Erinnerungen mit einer jahrhundertelangen Haltbarkeitsdauer.
Die Menschen kommen zu ihnen, an bestimmten Tagen, und so werden Gräber zu bombenfesten Orten der Erinnerung. Der Ur-Ort der Erinnerung ist in jeder illiteraten, auf mündlichen Traditionen basierenden Gesellschaft nun einmal das Grab, nicht ein Buch, nicht ein Haus, nicht ein Symbol, sondern das Grab, dessen Authentizität die immer und immer wieder vor Ort von der Familie erzählte Geschichte des Verstorbenen verbürgt.
Das Grab Christi ist keine Nebensächlichkeit, keine nette Parabel für irgendeine Art des Fortlebens, vielmehr ist es zentrales Element der christlichen Botschaft.
Deshalb ist Anfang und Ende der Archäologie das Grab. Und was wäre österlicher? Das Epizentrum des Christentums ist das leere Grab in Jerusalem, in das man den Gekreuzigten hineingelegt hatte. Man hat in der theologischen Wissenschaft gern über diesen unaufgeklärten Mummenschanz die Nase gerümpft. Archäologen haben solche Berührungsängste nicht: Das Grab in der Jerusalemer Grabeskirche ist ein materielles Faktum, das niemand wegtheologisieren kann. Es ist ein lieux de mémoire par excellence. Nicht zufällig gibt es gleich vier Berichte über das leere Grab in den vier Evangelien. Der protestantische Gelehrte Hans von Campenhausen hat ein epochales Heftchen "Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab" geschrieben (1958). Schon der Titel verrät, dass er kein Freund gnostischer Verflüchtigung ist, sondern von "Ereignis" und "Grab" spricht.
Das Grab Christi ist keine Nebensächlichkeit, keine nette Parabel für irgendeine Art des Fortlebens, vielmehr ist es zentrales Element der christlichen Botschaft. Denn alles im Leben Jesu lief genau auf dieses Grab hinaus. Jesus selbst kündigt an, das Prophetenschicksal in Jerusalem erleiden zu wollen (Lk 18,31-33). Damit meint er aber nichts anderes, als in Jerusalem getötet zu werden, wie es bereits den anderen Propheten ergangen ist, die dann respektable Gräber erhielten, die von den Juden aufgesucht, verehrt und vorgezeigt werden. So zeigte man dort etwa die Gräber der Propheten Jesaja und Sacharja, aber auch Davids und Huldas (Mt 23,29-37).
Mehr noch: die Gräber der ermordeten Propheten in Jerusalem und etwa auch die Gräber der Patriarchen in Hebron sind für die Pharisäer Zeugnisse für die Auferstehung (Mt 22,31-32). Jesus teilt mit dieser jüdischen Richtung den Glauben an die Auferstehung. Die Gräber der Propheten sind also nicht einfach eine Frage des Respekts gegenüber den Toten, sondern Orte der Auferstehung, gleichsam monumentalisierte Auferstehungshoffnung, und das schon zur Zeit Jesu selbst.
Das Grab ist leer!
Das alles muss man einbeziehen, wenn man über das leere Grab Christ spricht. Christus wurde gemordet wie die anderen Propheten vor ihm. Ihm wurde ein respektables Grab zur Verfügung gestellt, wie den anderen Propheten vor ihm. Und genauso waren seine Jünger selbstverständlich darauf eingestellt, das Grab ihres Martyrerpropheten Jesus aufzusuchen und in Ehren zu halten, dort die Erinnerung an seinen Tod zu pflegen.
Aber es kam anders. Am Ostermorgen finden die Frauen das Grab leer: Er ist auferstanden, er lebt! Diese Botschaft verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Man darf annehmen, dass das Osternarrativ genau hier, bei den Versammlungen am Grab Christi, seinen Anfang nahm und dort verankert blieb. Die Gläubigen haben diesen Ort aufgesucht und sich von den Zeugen, nicht zuletzt Petrus, erzählen lassen, was es mit diesem Ort auf sich hatte und wo jetzt der war, der dort gelegen hatte. In solchen Versammlungen hatten die vier Berichte vom leeren Grab ihren "Sitz im Leben".
Petrus, der erste Auferstehungszeuge und privilegierte Apostel, predigt denn auch am jüdischen Pfingstfest in Jerusalem mit deutlichen Worten: Das Grab des David könnt ihr bis auf den heutigen Tag aufsuchen, aber ihr könnt nicht hineingehen, denn David liegt drin und ihr würdet euch verunreinigen. Aber das Grab des auferstandenen Messias ist leer, und ihr könnt hineingehen, denn dieses Grab hat die Verwesung nicht geschaut und ist somit rein (Apg 2,22-32)!
Petrus, der so sehr auf das leere Grab seines Herrn weist, geht nach Rom, um die Botschaft der Auferstehung auch dort zu verkünden. Nach seinem Martyrium wird nun auch sein eigenes Grab am Vatikan zum unverrückbaren Ort der Erinnerung und zum monumentalen Zeugnis für die Auferstehung
Dieser Petrus, der so sehr auf das leere Grab seines Herrn weist, geht nach Rom, um die Botschaft der Auferstehung auch dort zu verkünden. Nach seinem Martyrium wird nun auch sein eigenes Grab am Vatikan zum unverrückbaren Ort der Erinnerung und zum monumentalen Zeugnis für die Auferstehung: zu jenem "Siegesdenkmal", das schon um 200 der Kirchenmann Gaius erwähnt und das man noch heute in den Grotten von Sankt Peter besichtigen kann.