Mit Georgia Meloni beim FriseurWie eine Kopfmassage in Rom meine Fantasie anregte

Ein Friseurbesuch wird zur Begegnung der besonderen Art: Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, kleiner als gedacht, im rosa Hosenanzug und gesprächig wie eine Markthändlerin. Doch was sagt man zur mächtigsten Frau Italiens, wenn man die Gelegenheit zum Plausch hat?

Friseurstuhl
© Unsplash

Neulich traf ich Georgia Meloni beim Friseur. Wie immer, wenn man einen Star aus Film und Fernsehen im wirklichen Leben trifft, war auch sie kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte, noch kleiner. Ihr blonder Schopf ragte kaum über die Sitzlehne des breiten, mit Kunstleder bezogenen Friseurstuhls. Ich hatte sie an der Farbe ihres Hosenanzugs erkannt – sattes Zahnfleischrosa, ihre Lieblingsfarbe.

Einmal in der Woche lasse ich mir bei Marco e Stefano fachmännisch die Haare föhnen. Das machen die Damen der römischen Gesellschaft so. Der kleine Salon liegt etwas versteckt in der Nähe der Via della Scrofa, unweit des Pantheons, ungefähr dort, wo sich einst Caravaggio eine blutige Nase holte und heute ein paar Meter weiter die Fratelli d’Italia, die parteipolitischen Geschwister Melonis, ihren Parteisitz haben.

Die Frisöre sind entweder Vater und Sohn oder aber Lebensgefährten mit einem stattlichen Altersunterschied. Einerseits sehen sie sich in ihrer Massivität ähnlich, andererseits trägt Marco eine Menge bunter Armreifen und glitzernder Halsketten, die irgendwie nicht zum Image eines italienischen Familienvaters passen wollen. Die zwei Hünen haben eine Haarwaschtechnik etabliert, der ich noch nie untergekommen bin. Es handelt sich um eine Art Schaumfrottage, bei der das Hirn in Schwingung gerät, eine rigorose Schädelmassage mit Reinheitsgarantie. Großartig! Gern würde ich sie mal fragen, warum sie keine Männer in ihrem Salon verschönern, doch ich traue mich nicht. Entgegen allen Vorurteilen, die besagen, Italiener im Allgemeinen und Friseure im Speziellen seien ausgesprochen redefreudig, sind die beiden ganz große Schweiger.

Marco legte gerade noch Giorgias Pferdehaar in sanfte Botticelli-Wellen und Stefano gab meiner Frisur den letzten Pfiff mit der Rundbürste, als ich mir schon ausmalte, wie ich die Ministerpräsidentin gleich an der Kasse abpassen und sie in einen kleinen Plausch verwickeln würde.

Meloni allerdings plauderte fröhlich vor sich hin. Ihre kräftige Stimme drang sogar noch im Heißluftorkan zu mir durch. Il presidente habe das Organ eines Fischweibs, behauptet man. Mich erinnerte ihre Stimme aber eher an die Gemüsehändlerin Barbara vom Campo de' Fiori, die sich immer zu unserem Hund herunterkniet, um sich von ihm das Gesicht ablecken zu lassen.

Marco legte gerade noch Giorgias Pferdehaar in sanfte Botticelli-Wellen und Stefano gab meiner Frisur den letzten Pfiff mit der Rundbürste, als ich mir schon ausmalte, wie ich die Ministerpräsidentin gleich an der Kasse abpassen und sie in einen kleinen Plausch verwickeln würde. Für ein unverbindliches Schwätzchen ist man hier im Süden schließlich immer zu haben. Nur was wollte ich ihr erzählen? Ich konnte mich schwerlich als glühende Verehrerin ausgeben.

Furba, mit diesem Wort beschreiben meine italienischen Freunde, allesamt keine Meloni-Anhänger, eine ihrer Haupteigenschaften. Ich kenne keinen, der sie nicht für außergewöhnlich schlau, für strategisch klug hält. Die Wogen der Entrüstung nach ihrer Ernennung haben sich längst so gründlich geglättet, als hätte Stefano sie mit seinem Glätteisen bearbeitet. Im europäischen Vergleich geht es der italienischen Wirtschaft nicht schlecht, Meloni strahlt Zuversicht aus, radikale Ansichten äußert sie in der Öffentlichkeit keine. Ein politisches Thema würde sich also zur Eröffnung der chiaccherata nicht anbieten.

Da fiel mir etwas ein. So wie ich sie einschätzte, könnte es ihr gefallen, dass mein Vater seine Erstgeborene nach der Tochter des Duce benannt hatte: Edda. Er behauptete, Edda Ciano nach dem Krieg einmal bei einem Pferderennen kennengelernt zu haben. Als wir Ende der Siebziger eine Romreise unternahmen, rief sie nachts mehrfach im Hotel an und beschimpfte meinen Vater, der sie plötzlich nicht mehr sehen und mit ihr ausgehen wollte, als valigia di lacrima – als Tränenkoffer. 

Heute glaube ich, dass er sich die Affäre mit ihr bloß ausgedacht hatte. Im Erfinden von Geschichten war er groß, mit der Wahrheit nahm er es nie so genau. Ich bin meinem Vater ähnlich, wird behauptet. Auch er hätte die sympathische Gemüseverkäuferin von hinten bestimmt nur zu gern für Giorgia Meloni gehalten und nachher allen erzählt, wie er einmal die italienische Ministerpräsidentin beim Friseur traf. Sono Giorgia, hätte sie sich ihm vorgestellt. Sehr charmant sei sie gewesen, hätte ihn für sein gutes Italienisch gelobt und den Rest, den er noch dazu dichtete, hatte er aus der Presse.

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