Die vierzigtägige Vorbereitungszeit auf Ostern beginnt mit einem ausdrucksstarken Ritual. Während die Gläubigen ein Aschenkreuz auf die Stirn gezeichnet bekommen, werden sie an ihre Vergänglichkeit erinnert: "Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst." (vgl. Gen 3, 19) In der alten Liturgie wurde unmittelbar vor Auflegung der Asche eine Oration gesprochen, die den archaischen Ritus vor dem Hintergrund biblischer Erfahrung deutet: "Allmächtiger ewiger Gott, Du hast den Niniviten, die in Sack und Asche Buße taten, Verzeihung und Rettung geschenkt; lass uns gnädig ihr Verhalten so nachahmen, dass wir wie sie Vergebung erlangen." Gott zeigt Mitleid mit den Bewohnern von Ninive, weil sie auf das Wort des Propheten Jona hören, öffentlich Buße tun und sich von ihren bösen Taten abwenden. Die Fastenzeit ruft die Gläubigen dazu auf, es den Niniviten gleichzutun und ebenso umzukehren.
Der Aschermittwoch ist das Eingangstor zur Quadragesima, wie die vierzigtägige Buß- und Fastenzeit im liturgischen Sprachgebrauch genannt wird. Im Unterschied zum Advent verfügt sie über eine feste Anzahl von Tagen und dauert damit jedes Jahr gleich lang. Ihr Beginn fällt auf einen Mittwoch, da die sechs Fastensonntage nicht zur eigentlichen Quadragesima gezählt werden.
Die vorösterliche Bußzeit zeichnet sich durch liturgische Nüchternheit aus. Der Schmuck in den Kirchen wird ebenso reduziert, wie allzu festliche Musik in den Gottesdiensten. Das Gloria und der Hallelujaruf entfallen. Der allgemeine Bußcharakter kommt in der liturgischen Farbe Violett zum Ausdruck. Die Fastenvorschriften selbst wurden seit dem Zweiten Vatikanum massiv gelockert. Heute ist lediglich der Aschermittwoch und Karfreitag ein strenger Fast- und Abstinenztag.
In Sack und Asche
Die Atmosphäre der Quadragesima wird historisch gesehen von zwei Gruppen geprägt: den Büßern und den Taufbewerbern. In der Alten Kirche wurden überwiegend Erwachsene getauft. Bei schweren Sünden wie Mord, Ehebruch oder Glaubensabfall kam es zum Ausschluss aus der Gemeinde. Es bestand lediglich eine einmalige Möglichkeit der Rekonziliation, die an ein öffentliches Bußverfahren gebunden war. Ursprünglich war der Beginn des Bußverfahrens situationsbedingt; die feierliche Wiederversöhnung erfolgte am Gründonnerstagmorgen. Ab Mitte des 7. Jahrhunderts ist jedoch der Mittwoch vor dem ersten Fastensonntag als Eröffnung der Büßerliturgie bezeugt. Den Büßern überreichte man ein Bußgewand. Die Asche wurde ursprünglich nur an die Büßer ausgeteilt. Mit dem Wegfall des öffentlichen Bußverfahrens seit dem Frühmittelalter ging die Bedeutung des Aschermittwochs jedoch nicht verloren. Vielmehr bekam der Tag eine neue Funktion, indem der Ritus der öffentlichen Buße in seiner breiten Symbolik auf die ganze Gemeinde übertragen wurde. Seit Ende des 11. Jahrhunderts ist in Rom die Aschenausteilung an alle Gläubigen belegt.
Die Übertragung des Büßerstatus auf die gesamte Gemeinde hat sich tief in die Liturgie eingeschrieben. Während der "Sack" seine liturgische Bedeutung verlor, dreht sich fortan alles um die Asche und ihre Symbolik. Endlichkeit und Hinfälligkeit des menschlichen Lebens wurde liturgisch mit dem Gedanken der Sünde und Strafe verbunden. Zu Asche werden bedeutete nicht nur Vergänglichkeit des eigenen Lebens, sondern auch Strafe für begangene Sünden.
Im Zuge der Liturgiereform rückte die alte Spendeformel "Memento homo, quia pulvis es, et in pulverem reverteris" in die zweite Reihe. Als erste Wahl sieht das Messbuch nun einen neutestamentlichen Schriftvers aus dem Markusevangelium vor: "Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium" (Mk 1, 15). Mit diesem Appell zur Umkehr beginnt Jesus nach vierzig Tagen in der Wüste seine Verkündigung in Galiläa. Damit wird zwar eine mögliche Engführung auf Vergänglichkeit und Sünde vermieden, insgesamt fehlt es der neuen Formel jedoch an der nötigen "existenziellen Dringlichkeit", wie Alex Stock es in seiner Poetischen Dogmatik formuliert.
Stock interpretiert den Ascheritus als kollektives Trauerritual "über die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins, jedes einzelnen, der nach vorn kommt, um es sich auf den Kopf zusagen und zeichnen zu lassen: Memento, homo …" Als Gewährsmann führt er Karl Rahner an, der in seinem "Kleinen Kirchenjahr" den Aschermittwoch ganz vom Staub der Asche her versteht, ihn aber als großes memento mori et vivere deutet: "Wenn uns (…) gesagt wird: 'Gedenke, dass du Staub bist!' Dann ist uns auch gesagt, dass wir Brüder des Fleischgewordenen sind, dann ist uns alles gesagt: Nichtigkeit, die erfüllt ist von der Unendlichkeit, Tod, der des Lebens schwanger geht, Vergeblichkeit, die erlöst, Staub, der Gottes Leib ist, in Ewigkeit." Bei Rahner tritt der lange dominierende Gedanke von Buße und Sünde im Rahmen seiner Inkarnationstheologie zugunsten einer Aussöhnung mit der eigenen Vergänglichkeit zurück.
Wer bis zur Osternacht auch "körperlich" fastet, kann die Freude der Osternacht eindringlicher nachvollziehen.
Liturgie und Askese waren lange Zeit ein unzertrennliches Paar, das seit Jahrzehnten immer weiter auseinanderdriftet. Die Trennung kann einerseits als Befreiung von überkommenen Formen der (körperlichen) Kasteiung und Abschütteln eines religionsgeschichtlichen Ballastes verstanden werden. Andererseits geht damit eine entscheidende Verbindung zwischen Liturgie und Leben verlorenen. Versteht man den Aschermittwoch und die darauffolgende Fastenzeit von der Feier der Osternacht her, kommt dem Fasten eine wichtige Rolle zu. Im Zusammenhang mit der Taufvorbereitung und Tauferneuerung bedeuten Fasten oder geeignete Ersatzformen nichts anderes als ein Sterben mit Christus, aus dem ein intensiveres Leben mit ihm hervorgeht. Wer bis zur Osternacht auch "körperlich" fastet, kann die Freude der Osternacht eindringlicher nachvollziehen und sich am eucharistischen Tisch des Herrn nähren. Fasten in diesem Sinn verstanden, ist ein Einüben in das Paschamysterium Christi und damit in die Grunderfahrung von Ostern, dem geheimnisvollen (mysterium) Übergang (paschale) vom Tod zum Leben.
Eingangs wurde das Buch Jona als ein möglicher Gründungsmythos der vierzigtägigen Fastenzeit gedeutet. Gleich zweimal verweisen die Evangelien auf die exemplarische Umkehr der Bewohner von Ninive (Mt 12,41 u. Lk 11,29-32). Dieses Motiv wird auch in der jüdischen Tradition aufgegriffen, in der Jona am Jom Kippur, dem großen jüdischen Versöhnungsfest, als Beispiel für die befreiende Kraft der Umkehr vorgetragen wird. Das Markusevangelium bringt darüber hinaus die Walfisch-Episode mit Jesu Begräbnis und Auferstehung in Verbindung (Mt 12,40): "Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Innern der Erde sein." Die Pointe der Parabel manifestiert sich im letzten Vers, der als rhetorische Frage an die Leser formuliert ist: "Soll ich da nicht Mitleid haben mit Ninive, der großen Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die zwischen rechts und links nicht unterscheiden können – und außerdem so viel Vieh?" (Jona 4, 11b). Wenn Gott selbst Ninive, als Inbegriff der gottlosen und wankelmütigen Stadt, sein Erbarmen zusichert, dann wird er sich auch den heutigen Menschen zuwenden.