Dieser Mann ist ein Phänomen: Frank Berzbach schreibt für den Playboy und fürs "Jesuiten Magazin". Er lässt sich berühren von Ikonen der Pop-Kultur wie Patti Smith, Nick Cave oder Johnny Cash – aber eben auch von theologischen Großdenkern wie Romano Guardini oder Karl Rahner. Die hört und liest er, um sein Leben zu verfeinern. Es geht ihm um Lebenskunst.
Frank Berzbach schreibt Sätze, die mir schlagartig klarmachen, wonach ich seit Jahren suche: "Ich mache, in einer verborgenen Variante, den Alltag zum Kloster und mich zu einem inneren Mönch." Er eröffnet neue Perspektiven, einen neuen Blick auf die Welt. Sein jüngstes Buch "Die Kunst zu glauben. Eine Mystik des Alltags" war für mich ein Rettungsanker. Oder weniger pathetisch: Ich habe mehrere Wochen lang morgens vor dem Aufstehen beim ersten Kaffee immer nur wenige Seiten daraus gelesen – in der Hoffnung, so die Lektüre verlängern zu können. Es ist ein sehr persönliches Buch. Deswegen erstmal was zur Person.
Berzbach ist kein Streber. Er kennt die krummen Wege. Er ist nicht einer von jenen, die in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus aufgewachsen sind, ein humanistisches Gymnasium besucht haben, dann von der Schulbank in den Hörsaal gewechselt sind und nach einem Theologie-Studium im kirchlichen Dienst arbeiten. Berzbach hat die Mittlere Reife gemacht, hat Technischer Zeichner gelernt, in der Psychiatrie seinen Zivildienst gemacht und als DJ, Buchhändler oder als Fahrradkurier gearbeitet. Er weiß, was das für ein Geschenk für einen wie ihn ist: der "zweite Bildungsweg".
1971 bei Nümbrecht im Bergischen Land geboren, haben seine Eltern – Mutter: Hausfrau und Mutter, Vater: Arbeiter, Techniker, Vater – ihn schon an die katholische Kirche herangeführt. Als Erwachsener entfremdete er sich. Als er sich wieder dem christlichen Glauben näherte und für sich klärte, er komme ohne nicht voran, gab es niemand, mit dem er darüber sprechen konnte. Freunde, Bekannte, Kolleginnen – alle kirchenfern oder antikirchlich. Er hat sich dennoch vertieft und immer weiter vertieft. Lesend. Dann kam er in Kontakt mit der "Via Integralis" – ein spiritueller Weg, "wo Zen und christliche Mystik sich begegnen", wie es auf ihrer Webseite heißt.
Die Suche nach dem "Mönch in mir"
Heute unterrichtet Berzbach an der Technischen Hochschule Köln – und zwar Literaturpädagogik und Philosophie. Und er schreibt. Über Engel, "von denen manche Bus fahren." Oder über "Zwischenleben. Unterwegs in vollen Zügen." Das jüngste Buch des Schriftstellers ist bereits im August 2023 erschienen. "Die Kunst zu glauben. Eine Mystik des Alltags" ist kein systematisches Buch. Es ist eher ein spirituelles Tagebuch. Da lässt uns jemand teilhaben an seiner Durchdringung spiritueller Traditionen. Und zwar im Stil des 'Beginners'. Er weiß, wie schwer es die mystischen Strömungen lange hatten – in allen Religionen, auch in der römisch-katholischen Kirche – und er lässt sich ein.
Um auch ein paar Schwachstellen zu nennen, rein subjektiv: Es gibt ein paar Abgrenzungen kirchenpolitischer und politischer Natur, die wohlfeil erscheinen und sich den Lesern in 70 Jahren nicht mehr erschließen werden. Oder auch in 80. Ich bin zuversichtlich, dass dieses Buch dann noch gelesen wird. Etwa, wenn von "Amtskirche" gesprochen wird. Ich könnte das nicht mehr. Es klingt für mich zu sehr nach Achtziger- oder Neunzigerjahren.
Was dies bei Weitem überwiegt: Frank Berzbach schenkt uns am Ende seines Buches eine Literaturliste, die viel mehr ist als eine Literaturliste. Er überschreibt sie auch so: "Meine religiösen Lektüren". Da ich diesem Autor, der in der "Kunst zu glauben", sein Herz öffnet, vertraue, werde ich, sofern es mir vergönnt ist, möglichst viel von dem, was ich in dieser Liste finde, lesend verinnerlichen. Gerade auch jene Autorinnen und Autoren der Vergangenheit, die mir immer näher kommen, an die ich mich aber bisher nicht getraut habe: Teresa von Ávila und Alfred Delp oder Meister Eckhart. Und wie sie alle heißen.
Dass Berzbachs "religiöse Lektüren" eine deutliche Schlagseite haben, ist nicht zu übersehen. Und zwar in Richtung Ordensfrauen und -männer. Es sind die Klöster der Vergangenheit und Gegenwart, die Berzbach zur spirituellen Heimat wurden – und auch mir werden auf der Suche nach dem "Mönch in mir".
Da wirkt Berzbach wie ein Freund und Bruder im Geiste. So der Eindruck bei der Lektüre dieses edel gestalteten Buches. Ein Buch, das belegt, dass Bücher über Spiritualität, Glaube, Theologie nicht aussehen müssen wie Bücher über Spiritualität, Glaube, Theologie. Der Einband scheint golden zu glänzen. Aber es ist kein billiger Glanz. Ein indirekter Glanz. Als strahlte dieses Buch von innen. Wie eine Ikone strahlt, die jahrzehntelang Weihrauch und Kerzen und Licht geatmet hat, das aus einer ganz anderen Quelle strömt. Ein schönes Buch, das ich immer wieder gern zur Hand nehme.
Berzbach ist im Gespräch ganz bei sich, hält sich an nichts anderem fest als an seinem Buch. Das liegt vor uns – nicht geöffnet. Aber es öffnet sich etwas, während wir reden.
Und so bin ich etwas nervös, bevor ich diesen Bruder im Geiste zum Gespräch im Deutschlandfunk treffe. Manchmal ist es ja so: Künstler sind anders als ihr Werk. Wir sind halt gebrochene Menschen und können anders sein als das, was unsere Musik, unsere Kunst, unser Denken verspricht. Und dann steht er da: Frank Berzbach. Wir fahren in die 15. Etage. Es ist ein Wintertag. Berzbach trägt Hemd und Sakko. All die Tattoos, die im Sommer zu sehen wären, sind nun verhüllt. Nicht so die auf den Händen. Auf dem Zeigefinger: ein Kreuz. Mittelfinger: ein Herz. Ringfinger: ein Anker. Kleiner Finger: ein Fisch. Also: Glaube, Liebe, Hoffnung und ein bisschen mehr.
Wir gehen ins Studio. Berzbach ist im Gespräch ganz bei sich, hält sich an nichts anderem fest als an seinem Buch. Das liegt vor uns – nicht geöffnet. Aber es öffnet sich etwas, während wir reden. Er, der gern mit dem Füller schreibt und der Schreibmaschinen liebt, macht aber auch mit dem iPhone ein Foto im Studio, um es später zu posten. Er ist ganz und gar Zeitgenosse, aber einer, der das Brot mit einem Kreuzzeichen segnen möchte, wenn er es aufschneidet. Und er ist einer, der, sofern er alleine isst, für sich ein Tischgebet spricht. "Weil ich dann anders esse."
Wenn ich das nächste Mal auf St. Pauli in Hamburg, im Glockenbachviertel in München oder in Moabit in Berlin in einer coolen Bar bin, dann werde ich die Frauen und Männer, die ein bisschen so aussehen wie Frank Berzbach anders sehen. Ich werde mich fragen, ob auch sie diese Sehnsucht verspüren nach dem, was viele G*tt nennen. So wie Berzbach.
"Das Unerhörte ist ein Geräusch"
Vielleicht sind auch sie – wie Berzbach – mal in der Bruder-Klaus-Kapelle in Mechernich-Wachendorf gewesen, am Rande eines kleinen Dorfes in der Voreifel. Vielleicht haben auch diese Hipster, wie es früher mal hieß, diese Feld-Kapelle aus Beton gesehen. Sie steht wie ein Turm im Feld. Wer sie jemals betreten hat, kommt anders raus. Frank Berzbach ist ergriffen von der Baukunst des Schweizer Architekten Peter Zumthor – und von Nikolaus von Flüe, dem diese Kapelle gewidmet ist. Ein Landwirt hat den Pritzker-Preis-Träger Zumthor für dieses Projekt gewinnen können. Eine private Initiative.
Frank Berzbach besucht diesen Ort. Mit dem berühmten Gebet des Nikolaus von der Flüe im Herzen.
Mein Herr und mein Gott,
nimm alles mir,
was mich hindert zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir,
was mich führet zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir
und gib mich ganz
zu eigen dir.
"Was mich hindert …" In dieser Kapelle zieht es den Blick nach oben. Am Ende des dunklen Raumes: eine Öffnung zum Himmel. Frank Berzbach deutet diesen Raum so: Der "Blick auf eine Öffnung des Himmels ist der Blick auf die offen stehenden Türen unserer eigenen Kammern. Wir laufen herum, aber über uns ist noch etwas. Der Horizont verdunkelt sich, aber über uns zeigt sich noch etwas Licht. Wir fühlen uns manchmal gefangen. Aber wir sind, gottesebenbildlich, frei. (…) Im schwarzen Raum der Bruder-Klaus-Kapelle kann man die Anwesenheit der Rezitative fühlen, sie ist ein materialisierter Nachklang seiner täglichen Gebete. Vor über 500 Jahren hat ein Schweizer seine Worte gesprochen, die Schallwellen werden leiser, aber es gibt homöopathische Dosen, sublime Erinnerungen an diese Worte. Manches scheint nie zu verklingen. Noch heute wird das Gebet des Bruder Klaus gesprochen. Es hallt gegen die schwarzen Betonwände der Kapelle, ein Klang, eine Melodie. Gott ist unsichtbar, aber in mir war immer das Wissen: Er ist hörbar. Das Unerhörte ist ein Geräusch."
Berzbach gelingt es, den Glutkern seines religiösen Erlebens zu teilen. In einer Sprache und in einem Gestus, der nicht nach Instagram oder TikTok klingt. Fast möchte man sagen: Old school ist das neue Cool.
Berzbach gelingt es, den Glutkern seines religiösen Erlebens zu teilen. In einer Sprache und in einem Gestus, der nicht nach Instagram oder TikTok klingt. Fast möchte man sagen: Old school ist das neue Cool. Aber das klingt nach Werbespruch. Vielleicht sagt das reale Leben mehr. Er und seine Partnerin beginnen den Tag nicht wie Medien-Junkies, sondern mit einem Tee im Bett, mit einer Seite einer Schallplatte (also dieses runde Ding auf Schallplattenspielern) und mit den Herrnhuter Losungen. Für die, die nicht googeln wollen: Die Losungen gehen zurück auf die Herrnhuter Brüdergemeine und sind eine Sammlung von kurzen Bibeltexten. Also erst Patti Smith, Bach oder John Coltrane; dann Paulus, Lukas oder Johannes. Womöglich gibt es das wirklich: eine Mystik des Alltags.