"Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben" – es ist schlecht um die Welt bestellt, wenn ein solches Wort notwendig ist. Es war schlecht um die Welt bestellt, als der Prophet Jeremia dieses Wort als Gotteswort geprägt hat (Jer 29,11). Es ist auch heute um die Welt schlecht bestellt, gerade dort, wo dieses Wort zuerst aufgeschrieben worden ist: mitten in Israel, mitten in einem kriegerischen Nahen Osten, mitten in einer Landschaft aus Schreien.
Es ist aber gut um die Welt bestellt, wenn Gott durch einen Menschen sagt: "Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben." Damals war es gut für Israel: Es hat – das wissen wir heute – ein Jenseits von Tod und Verderben, von Deportation und Ausbeutung gegeben. Ist es auch heute gut für Israel? Das wissen wir nicht. Aber nach Gottes Willen muss es so sein – das sagt der christliche Glaube, der im Juden Jesus den Messias der Völker erkennt. Dann aber muss dieser Glaube auch das Handeln derer bestimmen, die seinen Namen tragen: in Solidarität mit Israel, in der Hoffnung auf einen Frieden im Heiligen Land, der allen zugutekommt.
Wie kann dieses Versprechen gehalten, wie kann diese Verheißung eingelöst, wie dieser Auftrag erfüllt werden?
Die Deportierten werden heimkehren
Der erste Schritt heute: die Stimme der Hoffnung wider alle Hoffnung im Buch des Propheten Jeremia wahrnehmen.
Jeremia hat von der Zukunft und der Hoffnung in einen Brief geschrieben, den er von Jerusalem aus an seine Landsleute nach Babylon gesandt hat. Dorthin waren sie deportiert worden. Im 7. Jahrhundert vor Christus hatten Truppen des Königs Nebukadnezar Jerusalem unter ihre Gewalt zu bringen begonnen und all die kalkulierten Grausamkeiten begangen, die zu einer terroristischen Kriegsführung damals wie heute gehören: Verwüstung, Vergewaltigung, Verschleppung. Noch ist das Schlimmste nicht vorüber – aber Jeremia denkt schon über das katastrophale Ende hinaus. In seinem Brief mutet er den Verbannten zu, nicht Rachegelüste zu pflegen, sondern "das Beste" der Stadt zu suchen: im Exil, das für siebzig Jahre ihre Heimat sein werde. In seinem Brief macht der Prophet aber auch Hoffnung auf eine neue Zukunft im Land der Verheißung: in Israel. Er vertröstet nicht, aber er tröstet.
Um dieser Zukunft und Hoffnung willen setzt sich Jeremia in seinem Brief kritisch mit denen auseinander, die in Jerusalem das Sagen haben. Viele haben immer noch nicht verstanden, was die Stunde geschlagen hat. Sie vertrauen falschen Propheten, die sie in Sicherheit wiegen. Aber Jeremia sieht schärfer und weiter: Die Zerstörung der Stadt wird sich noch fortsetzen; das Leid der Menschen wird noch größer werden – weil die Verantwortlichen die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Kluge Politik hätte es verhindern können, ist der Prophet überzeugt. Aber weil man Gott für die eigene Sache vereinnahmt, wird es zur Katastrophe kommen.
In der "Trostrolle", die im Prophetenbuch direkt auf den Brief folgt (Jer 30-31), beschreibt Jeremia sub specie Dei, was er auf Jerusalem zukommen sieht. Entscheidend ist die Heilszusage: Gott wird seinen Bund erneuern. Die Deportierten werden heimkehren können, die Stadt wird neu aufgebaut, wenn auch auf einem Schutthügel von Kriegstrümmern; der Palast wird wieder an seinem Platz stehen. Nicht fremde Völker werden über Israel herrschen, sondern Israel wird über sein politisches Schicksal selbst bestimmen können.
Allerdings öffnet Jeremia die Augen nicht nur für das kommende Heil, sondern auch für das Unheil, das ihm vorausgeht. Israel wird durch ein Tal der Tränen gehen. Es wird Gewalt und Zerstörung geben. Was Jeremia beschreibt, ist entsetzlich. Aber nicht der Text ist das Problem, sondern die Realität, für die der Prophet Worte findet, damit sie nicht verdrängt wird. Die Feinde Israels müssen vernichtend geschlagen werden, sonst werden sie nicht davon ablassen, Tod und Verderben über das Volk zu bringen. Die härteste Einsicht aber, die Jeremia den Seinen zumutet: dass die Führer Israels selbst die größten Feinde Israels sind. Weil sie nicht mit Gott rechnen, sondern die Warnung des Propheten in den Wind schlagen, gefährden sie das Leben der Geiseln in Babylon und verspielen die Zukunft für Israel.
"In ihrem Frieden liegt euer Frieden"
Der zweite Schritt heute: mit den Worten Jeremias die aktuelle Situation wahrnehmen, in Israel und im Gaza-Streifen und im Westjordanland.
Am 7. Oktober des vergangenen Jahres, einem hohen jüdischen Feiertag, überfielen Terrorkommandos der islamistischen Hamas aus dem Gazastreifen Israel. Tausende Israelis kamen zu Tode, hunderte wurden in Geiselhaft genommen: ein Gemetzel aus politischem Hass, eiskalt geplant, aufgeladen mit religiösem Eifer. Die Augen der Weltöffentlichkeit richten sich seitdem auf die militärische Antwort Israels: auf Luftschläge, Vertreibungen und Embargos. Tatsächlich ist es richtig, das Völkerrecht einzuklagen. Auch bei der Selbstverteidigung darf es keine Kriegsverbrechen geben.
Die aktuelle Krise der Demokratie in Israel sollte ausgenutzt werden. Eine mögliche Annäherung zwischen Israel und arabischen Staaten sollte unterbunden werden. Die politischen Dimensionen der Auseinandersetzung sind global. Die Wurzeln reichen tief in die Vergangenheit – dorthin, woher auch die Hoffnung auf Zukunft kommt.
Aber Dreierlei darf nicht vergessen werden: 1. Der Radikalismus der Hamas ist nicht besiegt, es kommt immer wieder zu Gewalt gegen israelische Zivilisten. 2. Die Menschen im Gaza-Streifen sind selbst in der Geiselhaft der Hamas, aus der sie sich mit eigener Kraft nicht befreien können. 3. Die Menschen, die in Israel demonstrieren, fordern von ihrer Regierung, dass sie sich zuerst für die Befreiung der verschleppten Geiseln einsetzt – und dann werden Neuwahlen sein. Israel ist eine Demokratie, die einzige im Nahen Osten.
Der Hamas-Anschlag war Terror gegen Israel und gegen die Juden auf der ganzen Welt. Die aktuelle Krise der Demokratie in Israel sollte ausgenutzt werden. Eine mögliche Annäherung zwischen Israel und arabischen Staaten sollte unterbunden werden. Die politischen Dimensionen der Auseinandersetzung sind global. Die Wurzeln reichen tief in die Vergangenheit – dorthin, woher auch die Hoffnung auf Zukunft kommt.
Jeremia ruft den ins Exil Verbannten zu: "Suchet der Stadt Bestes und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Frieden liegt euer Frieden" (Jer 29,7). Jeremia denkt an Babylon. Was wäre, wenn man bei diesem Wort heute auch an Gaza und Rafa denken würde, an Khan Yunes und Ramallah? Dass es Frieden in Gerechtigkeit und Sicherheit für Tel Aviv und Jerusalem geben soll – das bezweifeln nur die Fanatiker, die mit der Parole "From the River to the Sea" dem "Judenstaat" ein Ende bereiten wollen. Jeremia sieht den Zusammenhang zwischen Jerusalem und Babylon. Heute kann der Friedensschluss nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern gedacht werden. Er muss die ganze Region erfassen, Kairo, Teheran und Riad eingeschlossen – mit Washington, Moskau und Peking im Hintergrund.
Wie wenig Friedensillusionen helfen und wie hart der Weg durch den Krieg hindurch ist: Jeremia hat es vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren mit seinen dunklen Visionen gezeigt. Aber er hat das Licht seiner Prophetie auf die Zukunft und Hoffnung gelegt: Mit Gott ist sie zu finden, damals wie heute.
Christen sind keine Antisemiten – und keine Islamhasser
Der dritte Schritt heute: die Demokratie stärken, hierzulande und weltweit, den Antisemitismus bekämpfen, hierzulande und weltweit, den Frieden zu stiften, hierzulande und weltweit.
In einer WhatsApp um Weihnachten herum erinnerte mich ein jüdischer Freund an das Matthäusevangelium mit der Geschichte von Kindermord in Bethlehem und fragte, die Soldaten des Herodes wie die Terroristen der Hamas-im Blick: "Wen haben sie gesucht?" Tatsächlich: Was der Evangelist zitiert, um Worte für das unaussprechliche Leid zu finden, steht bei Jeremia: "Horch! In Rama ist Wehklage und bitteres Weinen zu hören. Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen wegen ihrer Kinder, denn sie sind nicht mehr."
Das Echo dieser Klage im Weihnachtsevangelium lässt bitter aufstoßen, wie oft die Worte des Propheten Jeremia im Christentum antijüdisch ausgelegt worden sind: Der Neue Bund sei nur für die Christen; der Alte Bund sei durch die Schuld der Juden zerbrochen. Gottes Strafe komme zu Recht über die "ungläubigen Juden" – nur die Christen würden Gnade erfahren.
Dieser Antijudaismus hat durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder Pogrome befeuert, ganz ähnliche Gräuel wie jene am 7. Oktober. Es ist die Aufgabe der Christen, diese Wut, dieses Ressentiment, diesen Hochmut im eigenen Herzen zu überwinden – und in der Öffentlichkeit Flagge zu zeigen, wenn der Hass auf Israel erneut sein Haupt erhebt.
Das Echo, das Rahels Klage im Weihnachtsevangelium auslöst, erinnert daran, dass Juden und Christen religiöse Geschwister sind – in einer großen Familie von Gotteskindern, zu denen auch die Muslime gehören. Am 7. Oktober sind wieder Juden zu Opfern gemacht worden – und sollten es bleiben. Sie sind es nicht geblieben, sondern haben das Heft des Handelns in die Hand genommen. Was ist von den Christen verlangt?
Eine Antwort ist nötig – spirituell, programmatisch und politisch.
Spirituell: Es braucht ein neues Gebet der Solidarität mit Israel an der Klagemauer. Nicht nur an jener in Jerusalem. Ja, es kann kein Gebet gegen andere sein, sonst wird die Sendung Israels, Segen für alle Völker zu sein, beschädigt. Aber es muss ein Gebet der Zukunft und Hoffnung für Jerusalem sein. Sonst gibt es keinen Frieden im Heiligen Land.
Programmatisch: Was am 7. Oktober geschehen ist, trifft auch die Kirche ins Mark – und wenn nicht, verrät sie Jesus. Der Antisemitismus in Deutschland greift die Geschwister der Christen an. Die Juden müssen wissen, wer an ihrer Seite steht. Sie müssen auch wissen, dass die Christen gegen den Hass auf den Islam einstehen – tun sie es nicht, bekämpfen sie nicht den Religionskrieg, der droht.
Die katholische Kirche ist eine Weltkirche. Sie hat mit dem Papst einen Sprecher. Er muss ein Bote des Friedens werden. Ein Brief ist nicht genug. Ein Besuch wäre schon besser. Befreiend wäre ein Wort, das die Solidarität mit Israel, den Respekt vor dem Islam und die Achtung des Völkerrechts verbindet.
Politisch: Es braucht gewiss die stille Diplomatie. Es braucht aber auch die öffentliche Stimme der Vernunft aus dem Geist des Glaubens heraus. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche. Sie hat mit dem Papst einen Sprecher. Er muss ein Bote des Friedens werden. Ein Brief ist nicht genug. Ein Besuch wäre schon besser. Befreiend wäre ein Wort, das die Solidarität mit Israel, den Respekt vor dem Islam und die Achtung des Völkerrechts verbindet. Die Christen im Heiligen Land brauchen Schutz. Sie werden ihn nicht finden, wenn es keinen Frieden in Gerechtigkeit und Freiheit gibt.
"Auf, lasst uns hinaufpilgern nach Zion zum Herrn, unserem Gott", ruft der Prophet Jeremia. Es ist wieder höchste Zeit, ihm zu folgen.