Was jeden Menschen angehtJean Daniélou und die anstößige Wahrheit des Glaubens

In einer Zeit, in der Religion oft auf persönlichen Geschmack und ethische Impulse reduziert wird, kann es zur heilsamen Irritation werden, sich mit Jean Daniélou (1905-1974) zu beschäftigen. Der französische Theologe begriff den Glauben als endgültige Wahrheit und rief dazu aus, ihn entschlossen zu verkündigen.

Kreuz und Abendhimmel
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Christenmenschen kennen eine Frage, die nicht selten sogar ernst gemeint ist: "Woran glaubst du?" Welche Antwort schuldet ein katholischer Christ, nach medialer Wahrnehmung also ein kirchensteuerzahlendes Mitglied einer hierzulande skandalgeplagten Institution, seinen Mitmenschen? Muss er sich sympathisch äußern, nachdenklich, weltoffen und allzeit dialogbereit? Sollte der Christ, ganz besonders der Katholik, in gebotener Distanz zu den Kirchenoberen, sogleich ein seriöses Reformbewusstsein zeigen und zugleich die christlichen Werte beschwören, eine Ethik des guten Lebens, garniert mit biblischen Sentenzen und gefälliger Lebensweisheit, empfehlen? Genügt im Alltag ein behutsam christlich imprägniertes "Seid nett zueinander!"?

Oder soll der Christ sich nicht nur Christ nennen, sondern wirklich Christ sein, vielleicht etwas wagen und ganz einfach mit Jean Daniélou antworten: "Das Christentum ist nicht eine Philosophie neben anderen, sondern die endgültige Wahrheit über die Bestimmung des Menschen." Entschiedene Gedanken wie diese machen sicher auch Gläubige heute sprachlos, könnten aber Ungläubige und Agnostiker interessieren. Daniélou fährt fort: "Bedeutet für uns das Christentum dies auch wirklich? Und kommt die wenig überzeugende Art, wie wir es im Leben verwirklichen, nicht vielleicht daher, dass wir den Glauben in Wahrheit doch nicht besitzen?"

In der unmittelbaren Vorkonzilszeit, nämlich 1961, formuliert der französische Jesuit, Professor am Pariser Institut Catholique und von Paul VI. zum Kardinal erhobene Gelehrte und zugewandte Seelsorger, dessen geistlichen Beistand Studenten ebenso wie Prostituierte zu schätzen wussten, Worte wie diese. Die deutsche Ausgabe von "Das Ärgernis der Wahrheit" (die Zitate entstammen diesem Band, übersetzt von J. Hasenfuß und E. Markert, erschienen im Paul Pattloch Verlag, Aschaffenburg 1965) findet eine interessierte Leserschaft heute nur noch in gut sortierten Antiquariaten. In der reformfreudigen Kirchenprovinz Deutschland ist Daniélou heute ein Unbekannter.

Die einzigartige Verantwortung des Christen

Gegen das moderne Kulturchristentum, in dem vielleicht noch ein "christliches Empfinden" besteht, setzt der Theologe die Wahrheit des Glaubens, verbunden mit dem notwendigen Anspruch der beherzten Verkündigung, durch Zeugnis und Beispiel: "Ist Christus auferstanden oder nicht? Wenn er auferstanden ist, so ist das für alle Menschen von absolutem Interesse. Es handelt sich nicht um eine mythische Vorstellung, sondern um ein geschichtliches Ereignis und darum, zu wissen, ob dieses Ereignis tatsächlich eingetreten ist. Wenn ich hiervon nicht überzeugt bin, habe ich nicht den Glauben." Der Christ heute trägt eine "einzigartige Verantwortung", die darin liegt, das "wesentliche Ereignis der Geschichte der Menschheit" kundzutun, dass "keine Revolution, kein wissenschaftlicher Fortschritt jemals etwas von auch nur annähernd gleicher Tragweite wird hervorbringen können wie die Auferstehung Jesu Christi".

Hat nicht, so fragt mancher vom Zeitgeist beflügelte Mitmensch, jede Epoche ihre eigenen Antworten? Ist die "Zeit der Dogmatismen" nicht vorüber? Daniélou widerspricht, scharf und ungeschmeidig, vielleicht erfüllt von einer katholischen Klarheit, die in der Welt als bloße Sturheit aufgefasst werden könnte.

Doch die Wahrheit werde, so Daniélou, gehasst oder ironisiert, auch unter jenen, die sich noch Christen nennen. Das "Bewusstsein vom nur Relativen" triumphiere als geistvolle Fortschrittsidee. Hat nicht, so fragt mancher vom Zeitgeist beflügelte Mitmensch, jede Epoche ihre eigenen Antworten? Ist die "Zeit der Dogmatismen" nicht vorüber? Daniélou widerspricht, scharf und ungeschmeidig, vielleicht erfüllt von einer katholischen Klarheit, die in der Welt als bloße Sturheit aufgefasst werden könnte. Weil die Wahrheit nicht beliebig sei, müsse von ihr gesprochen werden, unbedingt.

Wer der Wahrheit misstraut, besinnt sich auf das denkende Subjekt, das sein Ich, seine Privatmeinungen ins Zentrum rückt und zum Maßstab erhebt, außerstande, "einem anderen als sich selbst zu vertrauen". Kursieren nicht so viele Lügen heute? Wem soll man da noch Glauben schenken, wenn nicht sich selbst? Daniélou bestreitet nicht, dass es Lügen gebe, aber er schreibt klärend, wahrhaft aufklärend: "Viele Lügen bedeuten keineswegs, dass es keine Wahrheit gibt."

Christen fühlen sich verpflichtet, immerzu gesprächsbereit zu sein und durch Glaubenszeugnisse niemanden zu verletzen. Erinnert sei an die deutschen Bischöfe, die am 20. Oktober 2016 vor dem Besuch der al-Aqsa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg ihr Pektorale, ihr Brustkreuz ablegten. Warum nur? Aus Rücksicht, Demut oder lauter Liebenswürdigkeit? Um des interreligiösen Dialoges willen? Daniélou, der Ökumeniker und Freund der Begegnung zwischen den Religionen, hätte energisch widersprochen: "Die Art und Weise, wie sich die meisten von uns verhalten, muss bei den anderen den Eindruck erwecken, als hätten wir den Glauben nicht." Die Tatsache, "dass es religiöse Menschen in allen Religionen gibt, besagt keineswegs, dass alle Religionen gleich sind."

Die Kirche "hat die Pflicht, ständig allen Menschen das zu sagen, was jeden Menschen ohne Ausnahme angeht". Tut sie das nicht mehr, erübrigt sich jeder Dialog der Religionen, denn: "Wir predigen nicht unsere Ideen." Der Glaube, so Daniélou, muss bekannt, die Wahrheit des Glaubens muss bekanntgemacht werden: "Denn, wenn wir es aussprechen, dann handelt es sich nicht nur um eine persönliche Meinung, bei der uns genieren können, sie anderen aufzudrängen, sondern vielmehr um eine Tatsache, die sich uns aufzwingt, ob es uns nun passt oder nicht, ob sie uns in den Gewohnheiten unseres Denkens stört oder ob sie ihnen entspricht, ob wir in ihr Trost finden oder ob sie im Gegenteil unseren Wünschen, unser Leben nach eigenem Ermessen zu regeln, zuwiderläuft."

Der Glaube als Ärgernis

Gott störe ungemein, vor allem "Denkgewohnheiten" und "Pläne", jeden Einzelnen, aber in dem vergeblichen Bemühen, seinem Willen zu entsprechen, "lerne ich ihn erkennen": "Schließlich aber wird er mich lehren, ihn zu lieben, damit ich meinen Willen dem seinen zu beugen suche."

Jean Daniélou mahnt, sich an der "Wirklichkeit Gottes", also an Jesus Christus zu orientieren, nicht an fluiden Meinungen oder gar an einem interreligiösen oder ökumenischen Minimalkonsens. Er ist felsenfest, nämlich auf Christus vertrauend, von einem überzeugt: "Wenn alle Christen beten und suchen, so wird Gott vollenden, was der Mensch nicht vollenden kann."

Daniélou aber fragt sich, ob Christen nicht oft den Eindruck erweckten, sie seien dem Christentum verbunden wie einem nützlichen Weltbild, nicht aber der Wahrheit, dem "einzigen Sinn des menschlichen Daseins". Der Glaube an den dreifaltigen Gott sei eine "ernste Sache", bedeute, was "absolut als ein Ärgernis" erscheine, dass Gott in die menschliche Existenz eingreift: "Christ sein besagt also glauben, dass es mitten unter uns ein göttliches Wirken gibt und dass dieses göttliche Wirken alle irdischen Maßstäbe überschreitet."

Treue zum Evangelium kann niemals Untreue gegenüber der Kirche bedeuten.

Darf ein kritisch-reflektierter Zeitgenosse heute also ein gläubiger Katholik sein? "Man ist deshalb Katholik, weil man überzeugt ist, dass der katholische Glaube die Wahrheit ist. Ob mir das nun passt oder nicht, ob es mir nun gefällt oder nicht, ob es mir bequem oder im Gegenteil unbequem ist, ich bin verpflichtet, es auszusprechen – für mich und für die anderen." Die unverbrüchliche Treue zur Kirche ist – Jean Daniélou war eben auch darin ein echter Theologe des Zweiten Vatikanischen Konzils – unverhandelbar: "Das Christentum ruht auf zwei Grundpfeilern: dem Evangelium und der Kirche. Die Kirche muss sich stets auf das Evangelium berufen, aber das Evangelium muss auch stets in der Kirche gelebt werden. Treue zum Evangelium kann niemals Untreue gegenüber der Kirche bedeuten. Die wahre, einzig berechtigte Reform zieht ihre Kraft aus der Liebe zur Kirche und leidet darunter, die Kirche nicht so vollkommen zu sehen wie Christus sie haben wollte. Sie kann sich aber in keinem Augenblick von der Kirche trennen."

Wer zu Christus steht, der stützt seine Existenz und sein Denken im Glaubensakt auf das "Wort des menschgewordenen Gottes", vorbehaltlos und unwiderruflich: "Wenn ich ihm nicht glauben kann, wem soll ich dann überhaupt noch glauben?" Das Zeugnis für Christus und seine Kirche erfordert Mut und schenkt auch Gelassenheit. Wer sich gläubig an den Herrn bindet, der öffnet sich für die Wahrheit, die das Leben trägt und hält, in Zeit und Ewigkeit.

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