Jesus Christus – weder Weisheitslehrer noch WertegarantRomano Guardinis Klarheit der Unterscheidung

Wer die Frage nach Gott mit philosophisch-ethischen oder zeitgeistig gefärbten Versatzstücken vermengen oder beantworten möchte, hat diese Frage und den mit ihr verbundenen Ernst nicht verstanden.

Jesus Christus
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Im Jahr 1929 hatte Romano Guardini die Textsammlung "In Spiegel und Gleichnis" abgeschlossen. Im Sommer 1932 entschloss sich der sensible Theologe zur Publikation des Buches, in dem Meditationen zu den Evangelien und zu einer biblisch fundierten Spiritualität verwoben sind mit Berichten aus Italien und feinsinnigen Naturbetrachtungen. Etliche Beiträge waren in Zeitschriften zuvor veröffentlicht worden, darunter auch "Geistiges und Geistliches" in "Die Schildgenossen", in der Ausgabe Juli/August im Jahr 1928 (zitiert wird im Folgenden aus: Romano Guardini: In Spiegel und Gleichnis, 2., neubearbeitete Auflage, Mainz 1932, 98-100).

Guardini beobachtet, begibt sich auf Denk- und Glaubenswege und zeigt die Spannweite von Geistigem und Geistlichem auf, dies auch in ständiger Rücksicht auf seine Zeit. Immer wieder wendet er sich der Gottesfrage zu. Suchen Menschen, damals und heute, nach dem Antlitz des Herrn? Oder sehnen sie sich nach einem moralischen Vorbild?

Christusbilder kursieren, zu jener Zeit, aber auch heute, etwa die Nobilitierung von Philosophen. Jesus von Nazareth genoss Bewunderung, auch wenn er nicht Bewunderern gesucht hatte. Doch die hohe Wertschätzung hatte Tradition. Immanuel Kant etwa empfahl 1794 eine "Religion des guten Lebenswandels" (Kant, Die Religion innerhalb der Grenze der bloßen Vernunft, B 62) und erkannte in Jesus Christus den idealen Menschen, die Verkörperung des Sittengesetzes. Ansonsten verblieb er im Konjunktiv und wählte eine symbolische Deutung, denn er formulierte die Annahme, dass ein "wahrhaftig göttlich gesinnter Mensch", der "gleichsam vom Himmel auf die Erde herabgekommen" sei und "durch Lehre, Lebenswandel und Leiden das Beispiel eines Gott wohlgefälligen Menschen an sich gegeben hätte" (Kant, B 78 f.).

1957 dann ordnete der Philosoph Karl Jaspers in dem vielfach gelesenen Band "Die großen Philosophen" Jesus Christus den "maßgebenden Menschen" zu, gleichen Ranges wie Buddha, Konfuzius oder Sokrates, eine menschliche, geistige und charismatische Ausnahmeerscheinung, säkular entrückt in den Olymp der moralischen Vorbilder erhoben. Oder einfach nur verkannt? Jesus wird als eine Person vorgestellt, mit dessen Leben und Lehre jeder kulturell und geistig interessierte Mensch sich beschäftigen sollte. Doch er wird – natürlich nicht – als der Sohn Gottes gezeigt, der die frohe Botschaft verkündet, Wunder getan und ganz einfach zu dem aufgerufen hat, was alles andere als einfach ist: "Folge mir nach!"

Guardini wusste 1928, dass sich Suchende nicht nach einem sittlich vorbildlichen Menschen leidenschaftlich ausstrecken, der ihnen ein Beispiel für ihren anständigen Lebenswandel und eine gute Gesinnung geben soll. Wer heute die Frage nach Gott auch theologisch oder pastoral mit philosophisch-ethischen oder zeitgeistig gefärbten Versatzstücken vermengen oder beantworten möchte, hat diese Frage und den mit ihr verbundenen Ernst nicht verstanden – und wird den Suchenden die Antwort nicht geben können, von der doch alles abhängt.

Der Name Jesu lässt sich vereinnahmen, nicht nur von theologischer Seite.

Im Kulturchristentum, damals wie heute, wird Jesus Christus scheinbar geehrt, aber faktisch verkleinert, auf einen geistvollen Weisheitslehrer, ja auf einen bloßen biederen Tugendbold oder auf den Garanten der sogenannten christlichen Werte.

Der Name Jesu lässt sich vereinnahmen, nicht nur von theologischer Seite. Auch Publizisten wie Franz Alt verfassten Bestseller über ihn. Der damalige Fernsehmoderator erkor Jesus im Jahr 1989 zum "ersten neuen Mann" und schrieb ihm feminine Züge zu. Er traf damit den Nerv des zeitgenössischen Lesepublikums, aber nicht des Evangeliums. Rund 30 Jahre später äußert sich die an der US-amerikanischen Yale University lehrende protestantische Theologin Linn Tonstad über den queeren Jesus, denn "die Vorstellung, dass Jesus menschlich und göttlich zugleich ist – das sei queer, weil so die Kategorien Mensch und Gott gesprengt, ja Grenzen überschritten werden".

Jesus Christus als Stichwortgeber

Der Name des Herrn wird dabei kulturell angeeignet und instrumentalisiert für noch so ehrenwerte Antidiskriminierungsbemühungen, das Evangelium ebenso. Doch Christi Worte, die Wahrheit des Glaubens und damit des dreifaltigen Gottes Wirklichkeit stehen auch quer zu queeren Theorien, die den Namen Jesu für ihre Zwecke nutzen wollen.

Der moralphilosophisch interessierte, ethisch affine Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini schreibt 1928: "Christi Worte sind keine natürlichen, ethischen Einsichten, welche die folgenden Zeiten vor die Aufgabe stellten, über sie hinauszukommen, sondern aus Gott kommende, wirkende Wirklichkeiten." Seine Klarheit der Unterscheidung verdeutlicht, dass Jesu Botschaft Anstoß erregt, als Zumutung erscheint und Widerspruch weckt. Wer die Worte der Heiligen Schrift, so Guardini, nicht mehr so genau nehme, wie sie dort stünden, der löse sie vom "Mund des Herrn" ab, wandle sie um in eine "allgemeine Ethik" oder verflüchtige sie in eine unbestimmte Religiosität.

Die Konstrukteure der Postmoderne betten die Botschaft Jesu in ein postmodernes Ethos oder als religiös imprägniertes Element für die Theorien der Diversität heute ein. Der menschgewordene Gott wird damit auf einen Stichwortgeber reduziert. Zu nehmen seien die Worte des Herrn nach Guardini indessen als "Weisung und Gabe von anderswoher".

Doch möchte sich ein Mensch von heute zu Jesus Christus, zu dem Sohn des lebendigen Gottes, gekreuzigt, begraben und auferstanden von den Toten, bekennen? Guardini sieht wohl, dass auch klug philosophiert wird. Auch erfahren Menschen mit dem Herzen, biblisch verstanden: als Person, mit Vernunft und Gefühl, wie schwer es sein kann, sich an die geschichtliche Gestalt Jesu und damit an dessen Botschaft zu binden – und möchten ihn, den vielfach Instrumentalisierten, umgehen und vermeiden. Gesucht werde dann oft eine Abstraktion, ein "Gott an sich", und zugleich werde "jede Bindung als Fessel der religiösen Bewegung; als eine Einengung der Freiheit des Göttlichen und eine Verkümmerung der Gottesfülle" empfunden. Das Bemühen bleibt ernsthaft, aber es nimmt neue, andere Formen an. Der Begriff Gott wird noch genannt, auch Formen des Betens finden statt, aber der Name Gottes wird ausgespart. Dann verweist der Theologe auf eine mögliche, möglicherweise unvermeidliche Erfahrung im Gebet, ein Moment der Irritation, das er in die von innen her aufsteigende, vielleicht von oben her eingegebene Frage kleidet: "Stimmt es denn mit dem, was du da anredest?"

Der betende Mensch hält inne. Die erstrebte spirituelle Vertiefung ist im selben Augenblick erschüttert. Ein Wort, das über alle Worte hinausreicht, wird plötzlich gegenwärtig: "Ich meine den, den Jesus meint, wenn er sagt: 'Mein Vater'." Jeder unbestimmte, auch der philosophische Glaube löst sich auf. Dann, und nur dann, so Guardini, wächst das Verständnis darum, dass es gefährlich sei, Gott ohne Jesus zu suchen.

Romano Guardini wählt für die Situation des existenziellen Ernstes nicht geistreiche, sondern geisterfüllte Worte wie von Feuer, wenn er den christlichen Glauben trennt von weltlichem Biedersinn, hohen philosophischen Gedanken und jeglichen Formen einer unbestimmten Religiosität, ebenso von allen vielleicht säkular noch so sympathisch anmutenden Gottes- und Christusbildern. 

Weiterhin legt er dar: "Ebenso wie es Augenblicke gibt, innere Bewegungen, ein Gegenüber mit – nun, was es auch immer sei, Gedanke oder Wirklichkeit – da kommt, wiederum aus dem tiefsten Instinkt der anima christiana, der es um ihre Existenz geht, eine bestimmte Gebärde: Man macht das Kreuz! Zeichen der Scheidung, der Wehr, der Stellungnahme für Leben und Tod." Es geht aufs, es geht ums Ganze. Der gläubige Mensch bekreuzigt sich, unmittelbar, eine Geste, nahezu wie aus dem Nichts kommend, scheinbar instinktiv, vielleicht intuitiv. So sagt Guardini: "'Es ist kein anderer Name, in dem uns gegeben ist, selig zu werden, als der Name Jesus', und kein anderes Zeichen als das Kreuz. Hier scheidet sich, ohne eine mögliche Vermittlung, das Christentum von aller freischwebenden Religiosität."

Romano Guardini wählt für die Situation des existenziellen Ernstes nicht geistreiche, sondern geisterfüllte Worte wie von Feuer, wenn er den christlichen Glauben trennt von weltlichem Biedersinn, hohen philosophischen Gedanken und jeglichen Formen einer unbestimmten Religiosität, ebenso von allen vielleicht säkular noch so sympathisch anmutenden Gottes- und Christusbildern. Hier ist die Scheidelinie deutlich, ja unmissverständlich markiert – und "jede Vermittlung", damit auch jede Form der säkularen Relativierung werden ausgeschlossen.

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