Der Ambo ist nicht nur Ort der Verkündigung, sondern auch Schauplatz kirchlicher Konflikte. Eine Faschingspredigt in Baden-Baden sorgt für Ärger, der Pfarrer muss gehen, die Gemeinde fühlt sich verlassen. Ist der Streit ein Zeichen von Verfall – oder doch von Lebendigkeit? Ein Kommentar.

Jüngst musste ein Pfarrer in Baden-Baden seine Kanzel räumen. Der Auslöser: eine Faschingspredigt in Form eines revanchistischen Witzgedichts. Der Pfarrer hatte darin Gemeindemitglieder aufs Korn genommen, die sich über den als "bunt" und "frech" geltenden Geistlichen bei dessen Chef in Freiburg i.Br. beklagt hatten. Die Betroffenen fühlten sich vorgeführt und beschwerten sich abermals. Das habe nun dazu geführt, dass Pfarrer Matthias Koffler "geschasst" wurde, wie es in der Bild-Zeitung hieß. In einem Statement der Erzdiözese war hingegen zu lesen, Herr Pfarrer habe selbst geäußert, dass er sich zunächst nicht mehr "in der Lage sieht, Gottesdienste zu halten und seelsorgerliche Termine wahrzunehmen". Klingt sehr nach Boomer-Stress.

Schaut man sich den Vorgang etwas näher an, zeigt sich die defätistische Haltung einer Kirche, die nicht weiß, was sie will und sich von oben her "im Stich gelassen" fühlt. Natürlich fehlt, wie bei vielen ähnlichen Vorfällen, auch nicht die herrliche Melodramatik; sagt etwa ein Gemeindemitglied mit badischem Akzent: "Wir waren total geschockt darüber, wie mit uns an der Basis umgegangen wird. Uns wird die kirchliche Heimat genommen." Rücktritt von 10 der 13 Mitglieder des Gemeinderats. Der örtliche Pastoralreferent äußert über seinen Chef: "Ich bin noch nie vorher spirituell so inspiriert worden wie durch Matthias Koffler." Im Ordinariat gibt man sich derweil diskret, distinktiv und diplomatisch. 

Der Knatsch und handfeste Beef, den man kontinuierlich aus der aufgewiegelten Christenheit Südwestdeutschlands hört, hat Unterhaltungswert. Ebenfalls in die Bild-Zeitung schaffte es zuletzt ein Streit um die Freiburger Dommusik. Ohnehin sind schäumende Baden-Württemberger eine Klasse für sich, sei es bei den "Querdenken"-Protesten oder bei Stuttgart 21.

Eingeschnappter Spätkatholizismus

Wir leben in der Epoche des eingeschnappten Spätkatholizismus. Immer etwas brüskiert. Wegen jeder Kleinigkeit enttäuscht oder "befremdet." Sich nichts sagen und bieten lassen (müssen/wollen). Stets ein bisschen (protestantisch) bockig. Wegen allem mit sich im Unreinen, selbst wenn am Kirchenschiff die Plakette mit dem Umweltengel hängt und wenn der Herr Kaplan zum Einkaufen sein Sackerl selbst mitbringt. Soll doch mal jemand sagen, die Kirchengemeinde und ihre Hirten seien kein Ebenbild einer verbohrten Gesellschaft, die so ziellos geworden ist, dass sie sich in tausend Scharmützeln selbst zerfleischt und sich in permanenten Empörungen ergeht.

Jeder Skandal ist immerhin ein Zeichen dafür, dass sich hier noch Menschen aufeinander beziehen, auch wenn die Bezugnahme negativ bis pathologisch ist.

Andererseits: Jeder Skandal ist immerhin ein Zeichen dafür, dass sich hier noch Menschen aufeinander beziehen, auch wenn die Bezugnahme negativ bis pathologisch ist. Solange gestritten wird, ist das Christentum noch lebendig. Taufe und Tumult.

Es ist kein Zufall, dass sich Kirchenskandale gern an Predigten entzünden. Der Ambo wird zum Stein des Anstoßes. Der Ambo ist nicht nur Ort von Antlitz und Stimme, augenblickliches Erglänzen des Subjekts im Kult, hier bildet sich Kolorit und Temperament des Gottesdienstes. Die Ambonen stellen neben Altar und Tabernakel, wie man wohl sagt, erhöhte Örtchen dar. Prädestiniert dazu, Kristallisationspunkt dessen zu sein, was an der Institution Kirche glänzt oder kriselt. Im Südwesten Kenias wird Fr. Ogalo wegen der Verwendung von Hip-Hop und Rap beim Predigen suspendiert. Ein gewisser Fr. Seán Sheehy wird wiederum in Neuseeland zum Skandal, als er gegen "die Sünde des Transgenderismus" wettert.

Cool bleiben

Am Ambo stehen Männer, die nur aufgrund ihres Amtes zu einer Gemeinde sprechen. Das gefällt nicht allen. Ihre Qualifikation ist institutionell vermittelt. Ihre Legitimität ist sakramental gestiftet. Ihre Funktion ist liturgisch festgelegt. Sie soll bilden, belehren, inspirieren. Ihr Auftrag ist ministerial, das heißt, dienstlich, das heißt, dienend. Ihre sprechende Macht wäre – Konjunktiv – geschuldet der Entscheidungsmächtigkeit des Augenblicks (Buber). Dazu gehört auch Empathie. Leider sind nicht alle Prediger Propheten und schlimmer noch: Oft sind sie nicht einmal wirkungsvolle Redner. Es ist eine Überforderung. Darum: cool bleiben!

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