Die Liturgie des Hochfestes Mariä Aufnahme in den Himmel ist durchzogen vom Motiv der Lade des Herrn, die nach Jerusalem in den Tempel hinaufgebracht wird oder gar schon ganz oben im Himmel zu sehen ist. Damit parallelisiert die Liturgie Maria mit der Bundeslade, wie ja auch die Lauretanische Litanei die Muttergottes als Foederis Arca anruft. Die erste Lesung der Vigilmesse stammt aus 1 Chr 15-16:
"David berief ganz Israel nach Jerusalem, um die Lade des HERRN an den Ort zu bringen, den er für sie hergerichtet hatte. Er ließ die Nachkommen Aarons und die Leviten kommen. Die Leviten hoben die Lade Gottes mit den Tragstangen auf ihre Schultern, wie es Mose auf Befehl des HERRN angeordnet hatte. Den Vorstehern der Leviten befahl David, sie sollten ihre Stammesbrüder, die Sänger, mit ihren Instrumenten, mit Harfen, Zithern und Zimbeln, aufstellen, damit sie zum Freudenjubel laut ihr Spiel ertönen ließen. Man trug die Lade Gottes in das Zelt, das David für sie aufgestellt hatte, setzte sie an ihren Platz in der Mitte des Zeltes und brachte Brand- und Heilsopfer vor Gott dar. Als David mit dem Darbringen der Brand- und Heilsopfer fertig war, segnete er das Volk im Namen des HERRN." (1Chr 15,3-4.15-16; 16,1-2)
Auf die Chroniklesung folgt der Psalm 132,6-14:
"Siehe, wir hörten von seiner Lade in Efrata, fanden sie im Gefilde von Jáar. / Lasst uns hingehen zu seiner Wohnung, uns niederwerfen am Schemel seiner Füße! … / Der HERR hat David Treue geschworen, nicht wird er von ihr lassen: / Einen Spross deines Leibes * will ich setzen auf deinen Thron. / Denn der HERR hat den Zion erwählt, ihn begehrt zu seinem Wohnsitz: / Das ist für immer der Ort meiner Ruhe, hier will ich wohnen, ich hab ihn begehrt."
Die dazugehörige Antiphon ist Vers 8 aus demselben Psalm: "Steh auf, HERR, zum Ort deiner Ruhe, du und deine machtvolle Lade!"
Die erste Lesung des Hochamts am Tage stammt aus Offb 12-13:
"Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet, und in seinem Tempel wurde die Lade seines Bundes sichtbar. Ein anderes Zeichen erschien am Himmel, und siehe, ein Drache, groß und feuerrot, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und mit sieben Diademen auf seinen Köpfen. Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab. Der Drache stand vor der Frau, die gebären sollte; er wollte ihr Kind verschlingen, sobald es geboren war. Und sie gebar ein Kind, einen Sohn, der alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird. Und ihr Kind wurde zu Gott und zu seinem Thron entrückt."(Offb 11,19a; 12,1.3-5)
Was war die Bundeslade?
In Ex 25-31 ordnet Gott gegenüber Mose an, die Israeliten sollten ihm ein Begegnungszelt bauen, in dem Gott sein Volk bei der Liturgie in Audienz empfangen kann. In Ex 25,10-22 stehen die Anordnungen für die Bundeslade:
"Sie sollen eine Lade aus Akazienholz machen, zweieinhalb Ellen lang, anderthalb Ellen breit und anderthalb Ellen hoch! Überzieh sie mit purem Gold, innen und außen sollst du sie überziehen. Bring daran ringsherum eine Goldleiste an! … Steck die Stangen durch die Ringe an den Seiten der Lade, so dass man die Lade damit tragen kann. … In die Lade sollst du das Bundeszeugnis legen, das ich dir gebe. Verfertige auch eine Sühneplatte aus purem Gold, zweieinhalb Ellen lang und anderthalb Ellen breit! Mach zwei Kerubim aus getriebenem Gold, und arbeite sie aus den beiden Enden der Sühneplatte heraus! Arbeite einen Kerub aus dem einen Ende heraus und einen anderen Kerub aus dem anderen Ende; aus der Sühneplatte arbeitet die Kerubim heraus, an ihren beiden Enden. Die Kerubim sollen die Flügel nach oben ausbreiten, mit ihren Flügeln die Sühneplatte beschirmen, und sie sollen ihre Gesichter einander zuwenden; der Sühneplatte sollen die Gesichter der Kerubim zugewandt sein. Setze die Sühneplatte oben auf die Lade, und in die Lade leg das Bundeszeugnis, das ich dir gebe. Ich werde dir dort begegnen und dir über der Sühneplatte zwischen den beiden Kerubim, die auf der Lade des Bundeszeugnisses sind, alles sagen, was ich dir für die Israeliten auftragen werde."
Ein Tempel ist im Altertum der Palast eines Gottes. In vorderorientalischen Tempeln stand im Adyton eine Statue des Gottes oder der Göttin. In Israels bildlosem Kult war das nicht möglich. Darum stand im Allerheiligsten des mosaischen Zeltes wie später im Salomonischen Tempel keine Statue, sondern ein leerer Thron. Die Bundeslade ist ein Kerubenthron, auf dem Gott den Mose zur Audienz empfängt. Keruben sind Sphingen, geflügelte Wesen in Menschen- oder Tiergestalt (Ez 10; Offb 4,7-9). Der Gott Israels heißt auch "der auf den Kerubim thront" (2Sam 6,2; Ps 80,2; 99,1). Die Lade ist "der Schemel seiner Füße" (Ps 99,5; 132,7). In altorientalischen Tempeln wurden internationale Vertragsurkunden zu Füßen der Gottesstatue niedergelegt. In Israels Tempel wird die Urkunde des Bundes zwischen Gott und seinem Volk, die Dekalogtafeln, in der Lade deponiert.
So ist die Bundeslade zugleich der Thron des unsichtbaren Gottes und der Behälter des Wortes Gottes. Wo immer sie hingetragen wird, macht sie Gott gegenwärtig. David brachte die Lade nach Jerusalem hinauf (2Sam 6; 1Chr 15-16) und Salomo stellte sie im Allerheiligsten des Tempels auf (1Kön 8,1-13). Bei der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier 587 v. Chr., ging der Tempel in Flammen auf (2Kön 25,9). Seither ist die Lade verschollen (Jer 3,16). Im Zweiten Tempel, den der Davididenprinz Serubbabel (1Chr 3,19; Mt 1,12f., Lk 3,27) nach dem Babylonischen Exil des Volkes Israel baute (Esr 3-6), war das Allerheiligste leer. Diese Leere stellte in den Augen der griechischen und römischen Philosophen die völlige Unabbildbarkeit des Gottes Israels, seine Transzendenz besser und vollkommener dar als alle Götterstatuen der Heiden.
Johannes hüpft vor Jesus
Das Evangelium vom Hochamt des Tages ist aus Lk 1:
"In diesen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Juda. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Und es geschah, als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, in dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ. … Und Maria blieb etwa drei Monate bei ihr; dann kehrte sie nach Hause zurück." (Lk 1,39-45.56)
Lukas zitiert in dieser Perikope zunächst Gen 25, die Erzählung von den Zwillingen in Rebekkas Bauch, nach der Septuagintafassung:
"Gott aber erhörte ihn [Isaak], und Rebekka seine Frau empfing in ihrem Leib. Die Kinder in ihr hüpften aber … und sie ging, um beim Herrn nachzufragen. Und der Herr sprach zu ihr: Zwei Völker sind in deinem Leib, … und der Größere wird dem Kleineren dienen." (Gen 25,21-23)
Rebekkas Zwillinge Esau und Jakob, die Stammväter der Völker Edom und Israel, "hüpften" gegeneinander (griech. skirtáō). Gott teilt der Mutter mit, der Ältere müsse dem Jüngeren dienen. Indem Lukas das zitiert und sagt, Johannes der Täufer sei bei der Begegnung mit Jesus im Leibe seiner Mutter "gehüpft", drückt er aus: Der ältere Johannes wird und will dem jüngeren Jesus dienen: "Er muss wachsen, ich aber geringer werden" (Joh 3,30). Zugleich aber drückt das "Hüpfen" bei Lukas auch Freude aus (Lk 1,44; 6,23). Der Täufer huldigt Jesus freudig.
Bei der Übertragung der Lade nach Jerusalem hatte David vor ihr, dem Gottesthron, getanzt:
"Und David tanzte mit ganzer Hingabe vor dem Herrn her. … Als die Lade des Herrn in die Davidstadt kam, schaute Michal, Sauls Tochter, aus dem Fenster, und als sie sah, wie der König David vor dem Herrn hüpfte und tanzte, verachtete sie ihn in ihrem Herzen." (2Sam 6,14.16)
Die Septuaginta benutzte hier nicht das seltene Verbum skirtáō. Lukas zitiert diese Stelle also nicht. Aber 120 Jahre nach Lukas, als neue griechische Übersetzungen des Alten Testaments entstanden (Aquila, Symmachus, Theodotion), schrieb Symmachus an dieser Stelle skirtōnta, Michal sah "den hüpfenden" König David (PG 16/1, 45). Der noch ungeborene Johannes hüpft vor dem ankommenden Jesus, dem Logos, der noch im Mutterschoß Mariens war, wie einst David vor der Lade hüpfte vor Freude. David tanzte vor dem Thron der Anwesenheit Gottes, der in seinem Inneren das Wort Gottes, die Dekalogtafeln barg.
Die philosophisch denkenden Griechen und Römer bewunderten die vollkommene Bildlosigkeit des Gottes Israels im leeren Allerheiligsten. Theologie muss auch philosophisch sein. Aber Gebet und Gottesdienst sind nicht philosophisch, sondern poetisch und feiernd.
Martin Heidegger schrieb einst über den Gott der Philosophen: "Zu diesem Gott kann der Mensch weder beten, noch kann er ihm opfern. Vor der Causa sui kann der Mensch weder aus Scheu ins Knie fallen, noch kann er vor diesem Gott musizieren und tanzen" (Gesamtausgabe 11, 70).
Hymnische Marienverehrung ist nichts für prosaische Gemüter, sondern für davidgleiche Lyriker, Sänger und Tänzer.
Gottesdienst ist Poesie, Musik und Kunst. Davids Hüpfen vor der Lade, das Michal verachtet, ist Ausdruck eines liebenden poetischen Gemüts. Johannes' Hüpfen vor der Jesus in sich tragenden Maria ist Überschwang und Huldigung. Hymnische Marienverehrung ist nichts für prosaische Gemüter, sondern für davidgleiche Lyriker, Sänger und Tänzer.