"Da stockt doch jedem der Atem"Auf Du und Du mit Gott?

Es mehren sich die Stimmen, die sich gegen ein allzu harmloses Gottesbild wenden. Sie fordern, die Heiligkeit und das Mysterium Gottes wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Eine Tagung des Kardinal Walter Kasper Instituts in Vallendar widmete sich indes der Gottesfreundschaft. Wie lässt sich beides zusammendenken?

Johannesminne, um 1310; Klosterkirche Heiligkreuztal
Johannesminne, um 1310; Klosterkirche Heiligkreuztal© Andreas Praefcke/Wikimedia Commons/gemeinfrei

Dass Gott kein netter Opa ist, kein Kumpel oder hilfreicher Onkel, der alles verzeiht, dass er nicht nur barmherzig, sondern auch gerecht ist, dass er fordernd ist und schaudern macht, dass seine Ratschlüsse unbegreiflich sind, dass er sich entzieht und zulässt, dass Menschen leiden – dass also das christliche Gottesbild mit dem Kinderausdruck "lieber Gott" nur unzureichend erfasst ist – das ist eine These, die in den letzten Jahren im Zentrum einiger populärer Bücher stand: "Gott ist unbequem" von Ulrich Lehner erschien 2019, "Gott ist nicht nett" von Heiner Wilmer, dem heutigen Bischof von Hildesheim, kam 2013 heraus und "Gott braucht dich nicht" von Esther Maria Magnis 2012. "Gott ist schrecklich. Gott brüllt. Gott schweigt. Gott scheint abwesend. Und Gott liebt in einer Radikalität, vor der man sich fürchten kann", schreibt Magnis in dem Buch, das inzwischen in zahlreiche Sprachen übersetzt wird.

Gottesvergiftung?

Es ist die Gegenreaktion auf eine Gegenreaktion. Um sich von dem als toxisch und erdrückend empfundenen Gottesbild der traditionellen kirchlichen Verkündigung abzusetzen, hat eine ganze Generation von Theologen und Predigern das Bild des menschenfreundlichen Gottes gezeichnet, aus dem alles Fremdartige und Fordernde getilgt war. Als wir in den Neunzigerjahren im Religionsunterricht Auszüge aus Tilman Mosers "Gottesvergiftung" von 1976 lasen, hatte ich keine Ahnung, wovor dort eigentlich die Rede war: Den angstmachenden Gott, von dem Moser dort sprach, kannte ich kaum. Von Gottes Zorn und von göttlichen Strafen hatte mir beinahe nie jemand gepredigt.

Auch Papst Franziskus – Jahrgang 1936 – spricht mit Vorliebe von der Barmherzigkeit Gottes, ja, von seiner "Zärtlichkeit" und sagt, Gott sei in den Menschen "verliebt". Dass diese Rhetorik eines Tages eine Korrektur erfahren wird, liegt auf der Hand. Es wird ein Papst kommen, der das unergründliche Geheimnis Gottes in den Mittelpunkt seiner Verkündigung stellt, der von Gott spricht, der sich im brennenden Dornbusch offenbart und im Traum von einer Himmelsleiter, von Gott, zu dem man nur durch ein enges Tor und über einen schmalen Weg gelangt.

Und doch gehört es zum Wesen der christlichen Religion, dass der Mensch zu diesem Gott, zum unendlichen, allmächtigen, allwissenden, unveränderlichen Schöpfer der Welt in eine Beziehung treten kann, die als "Freundschaft" charakterisiert wird. "Da stockt doch jedem der Atem", sagt Markus Schulze, Pallottinerpater und Professor für Dogmatik an der "Vinzenz Pallotti University" in Vallendar.

Schulze sprach bei einem Symposion des Kardinal Walter Kasper Instituts in Vallendar über "Freundschaft mit Gott bei Thomas von Aquin" – und machte zu Beginn seines Vortrages deutlich, dass die Vorstellung etwas Schwindelerregendes hat: Die Differenz zwischen Gott und Menschen sei so groß – wie könne es da irgendeine Form von unio, von Vereinigung zwischen beiden geben?

Freundschaft beinhalte zwangsläufig ein Element der Gegenseitigkeit, der mutualitas. Gegen Petrus Lombardus, der die Gottesliebe im Menschen mit einem direkten Einwirken des Heiligen Geistes gleichsetze, unterstreiche Thomas, dass der Mensch imstande sei, Gott etwas Eigenes von sich zu geben – ansonsten gäbe es keine wirkliche Gegenseitigkeit.

Der unfassbare, unbegreifliche Gott begibt sich mit den Menschen, seinen Geschöpfen, in einen vertrauten Austausch.

Thomas behandelt die Frage, ob die Gottesliebe eine Freundschaft sei, utrum caritas sit amicitia, im zweiten Teil des zweiten Buches seiner "Summa theologiae". Die Sichtweise des Petrus Lombardus kritisiert Thomas darin so:

"Wer aber genau zusieht, der wird finden, dass diese Ansicht die Liebe vielmehr herabsetzt. Denn geht die Bewegung der heiligen Liebe so vom Geiste des Menschen aus, dass dieser in Bewegung ist, rein kraft des Anstoßes vonseiten des Heiligen Geistes und in keiner Weise selbst, von seinem Inneren aus, als Prinzip dieser Bewegung dasteht, so wäre dies, wie wenn ein Stein von außen her in Bewegung gesetzt würde. Das ist aber gegen den Wesenscharakter des Freiwilligen, wo das Prinzip im Innern des handelnden Wesens sein muss. Lieben also wäre nach dieser Ansicht nichts Freiwilliges; und es wäre dies ein Widerspruch, dass die Liebe ihrem Wesen nach ein Akt des Willens ist."

Die Gnade überwältigt nicht

Der Mensch liebt Gott aus freien Stücken. "Das Eigene des Menschen wird nie übersprungen", "Gott will auf das Votum des Menschen angewiesen sein", so Schulze, seine Gnade überwältigt nicht; der Mensch hat die Fähigkeit zur participatio. Der unfassbare, unbegreifliche Gott begibt sich mit den Menschen, seinen Geschöpfen, in einen vertrauten Austausch, er redet sie an "wie Freunde" und "verkehrt mit ihnen", wie es zu Beginn der Dogmatischen Konstitution "Dei Verbum" (DV) des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt:

"Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): dass die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4). In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen." (DV 2)

In Vallendar verwies die Eichstätter Pastoraltheologin Katharina Karl auf diese einschlägige Belegstelle des jüngeren Lehramts, die zeigt, dass der freundschaftliche Verkehr Gottes mit den Menschen seine Grundlage in der Fleischwerdung des göttlichen Wortes hat: Es ist der in Jesus Christus menschgewordene Gott, der seine Jünger in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums als Freunde bezeichnet. Allerdings, so Karl, sei der Freundschaftsbegriff auch missbrauchsanfällig; unter dem Deckmantel einer "Freundesgemeinschaft" könne die Kirche zum vermeintlich "elitären Club" werden.

Von derlei Bedenken unbeeindruckt zeigte sich in Vallendar Kardinal Kasper, der die Freundschaft als "A und O des Christentums" bezeichnete. Die Zweideutigkeiten, von der alle menschlichen Freundschaften zwangsläufig beeinträchtigt würden, seien in der Freundschaft Jesu überwunden; von dorther sah Kasper gar das Potenzial zu einer "universalen Freundschaft aller Menschen". Den Teilnehmern des Symposions legte der 91-jährige Kardinal das Bild einer Skulptur des frühen 14. Jahrhunderts aus dem Kloster Heiligkreuztal ans Herz: Der Lieblingsjünger ruht an der Brust des Meisters.

Vom brennenden Dornbusch zu diesem tröstlichen Bild der Nähe und des Vertrauens ist es in der Tat ein weiter Weg. Aber das Staunen über "die unsagbare Ungeheuerlichkeit, dass die absolute Gottheit selber nackt und bloß in unsere enge Kreatürlichkeit hineinstürzt", wie es Karl Rahner in seinem letzten Vortrag kurz vor seinem Tod ausdrückte, darf einem darüber nicht vergehen.

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