Ich habe mir Illusionen gemachtDank Jan Loffeld habe ich verstanden, dass es in der Kirchenkrise keine einfachen Antworten gibt

Sowohl die "Kulturkriege" als auch die Anpassung an den "Zeitgeist" werden den Säkularisierungsprozess nicht aufhalten. "Konservative" und "Progressive" täuschen sich über die Ursachen der Säkularisierung. Das Vorwort zur tschechischen Ausgabe von "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt".

Lichtstrahl in einer Kuppel
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Ich halte Jan Loffelds Buch für die wertvollste und eindringlichste soziologisch-theologische Reflexion über die anhaltenden Veränderungen der religiösen Szene, die in diesem Jahrhundert geschrieben wurde. Es sollte Pflichtlektüre sein, vor allem für alle, die sich in christlichen Kirchen engagieren.

Wenn wir bekräftigen, dass der erste Schritt auf dem Weg der synodalen Erneuerung des Christentums die Bereitschaft ist, Vorurteile und Illusionen aufzugeben und auch kritischen Stimmen aufmerksam zuzuhören, denen wir oft nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben, dann ist dieses Buch eines von denen, die man sorgfältig studieren muss. Für viele von uns, die wir uns um den Zustand der Kirche, der Seelsorge und der Theologie sorgen, wird dieses Zuhören nicht angenehm sein. Beim Lesen habe ich nicht nur viele Notizen, sondern auch meine Eindrücke vom Text niedergeschrieben. Nach den ersten Kapiteln schrieb ich über das Buch: provokante, unangenehme Lektüre. Und am Ende: eine bittere, aber befreiende Wahrheit.

Nach der Lektüre dieses Buches musste ich mir eingestehen, dass ich in bestimmten Dingen Illusionen unterworfen war, die der Autor enthüllt und überwindet.

Der deutsche Autor zitiert an manchen Stellen anerkennend meine Bücher; es ist klar, dass wir uns in unserer fachlichen Kompetenz und in unserer Forschung und pastoralen Erfahrung nahestehen. Ich muss jedoch zugeben, dass viele seiner Analysen für mich gleichzeitig aufschlussreich und bereichernd waren, und manche von ihnen haben mich darüber hinaus dazu gebracht, einige meiner Meinungen und Meinungen mit überzeugenden Argumenten zu revidieren; nach der Lektüre dieses Buches musste ich mir eingestehen, dass ich in bestimmten Dingen Illusionen unterworfen war, die der Autor enthüllt und überwindet.

Schluss mit dem Wunschdenken

Jan Loffeld zeigt schonungslos, dass die Krise der zeitgenössischen religiösen Szene viel tiefer ist, als wir es uns bisher vorgestellt haben und als wir bereit waren, zuzugeben. Es zeigt, dass viele unserer Rezepte und Pläne zu ihrer Überwindung eher auf unserem Wunschdenken beruhen als auf dem Mut, die Realität mit ihren Schatten und Paradoxien zu akzeptieren. So kann ich mir gut vorstellen, dass viele Leserinnen und Leser, die wie ich um Hoffnung und Kraft ringen, angesichts schwerwiegender Krisenphänomene in den Kirchen nicht aufzugeben und im Dienst durchzuhalten, über dieses Buch wütend und empört sein werden. Ich gebe zu, dass ich die witzigen, sarkastischen Bemerkungen des Autors über den Teil der Kirche, den ich auch gerne kritisiere, genossen habe, dass es mir aber gar nicht so leicht gefallen hat, die Berechtigung seiner ebenso harschen Kritik an den mir nahestehenden Meinungen und Positionen zu erkennen. Ich denke, wenn ich nicht (vor relativ kurzer Zeit) im Rahmen von Synodenversammlungen und "Gesprächen im Geist" gelernt hätte, meine eigene Perspektive "in Klammern" zu setzen, still und geduldig darüber nachzudenken, wie Gottes Geist uns durch "die anderen" ansprechen kann, deren Perspektive und Erfahrungen (und damit ihre Meinungen) völlig anders sind als ich, hätte ich dieses Buch wahrscheinlich nicht zu Ende lesen können. Am Ende habe ich es mehrmals aufmerksam gelesen, darüber nachgedacht und mit anderen darüber diskutiert. Erst dann habe ich dankbar die sehr ermutigende und befreiende Begegnung mit dem Autor gewürdigt, der in einem weiten Zusammenhang, ohne Ausschmückungen, Illusionen und Selbstzensur, die Krise des zeitgenössischen kirchlichen Christentums sieht, der billige Antworten und Rezepte ablehnt, ehrlich zugibt, dass er auf manche Fragen keine Antworten hat, aber dennoch durch sein eigenes Beispiel zu einer treuen, beharrlichen und kreativen Suche nach ehrlichen Antworten und praktischen Lösungen anregt.

Es wäre ein großes Missverständnis, die nüchterne Sicht des Autors auf die aktuellen Tendenzen der religiösen Entwicklung als Defätismus oder gar als Aufruf zum Rückzug der Christen zu betrachten.

In seinen berühmten Briefen aus dem Gefängnis kritisierte Dietrich Bonhoeffer Christen, die glaubten, sie müssten ihre Zuhörer davon überzeugen, dass sie schwach, sündig und unglücklich seien, bevor sie ihre frommen Heilsrezepte auspacken können. Er forderte die Prediger auf, damit aufzuhören, wie Voyeure nach menschlichen Schwächen und Sünden zu schnüffeln, sondern den Mut zu zeigen, den Menschen in ihrem Glück, ihrer Gesundheit und ihren Stärken die Hand zu reichen. Jan Loffeld fordert die Christen von heute auf: "Erkennen wir an, dass Menschen ohne Religion ein sinnvolles und glückliches Leben führen können. Machen wir uns oder anderen nichts vor, dass wir wichtig und unentbehrlich sind, dass wir ein Monopol auf ein erfülltes Leben haben. Wir sind nur eines der Angebote, die wir heute ansprechen und wahrscheinlich auch in Zukunft an eine Minderheit richten werden."

Es wäre jedoch ein großes Missverständnis, die nüchterne Sicht des Autors auf die aktuellen Tendenzen der religiösen Entwicklung als Defätismus oder gar als Aufruf zum Rückzug der Christen zu betrachten. Die Tatsache, dass wir dieses Monopol auf das Heil nicht haben, bedeutet keineswegs, dass wir nutzlos sind und uns zurückziehen sollten. Es ist gerade eine selbstkritische und demütige Kirche, die sich ohne Berechnung künftiger "Erfolge" und Einflüsse hingibt, glaubwürdig sein und auf die Herausforderungen des Evangeliums antworten kann, die ihrem Herrn und Meister in seiner Kenosis (Selbsthingabe, Selbstentäußerung) authentisch folgen kann.

Der Autor ist nicht nur Soziologe, sondern auch Theologe. Sein Buch zeichnet sich durch eine tiefe und fruchtbare Verbindung von Perspektive und Kompetenz eines Soziologen und eines Theologen aus. Sein Glaube und seine Hoffnung manifestieren sich nicht in frommen Phrasen, sondern gerade in seinem Realismus und seiner Demut als Mut zur Wahrheit. Einige von Loffelds Ideen – vor allem die Analogie zwischen dem Prozess der Aufarbeitung des unaufhaltsamen Prozesses der Säkularisierung und dem Verlust ihrer einstigen gesellschaftlichen Bedeutung und dem Prozess der Versöhnung der Sterbenden – erinnerten mich an die Überlegungen meines Lehrers, des tschechischen Theologen Ota Mádr, aus seinem Essay "Modus moriendi ecclesiae" (Wie die Kirche stirbt).

Wo ist der Fehler?

Die jüngsten Befunde eines stetigen Rückgangs der Zahl der Kirchgänger in unserem Land haben selbst jene Kirchenführer ein wenig nervös gemacht, die entgegen den Tatsachen lange Zeit notorisch den Krisenzustand geleugnet und die Säkularisierungstendenzen als etwas angesehen haben, das nur die Kirchen im Westen betrifft. Jetzt können sie nicht übersehen, dass die Gläubigen in unserem Land ständig abwandern ("mit den Füßen abstimmen") und dass sich der Prozess der Säkularisierung in den "katholischen Ländern", in Polen und in der Slowakei, noch beschleunigt. Nun fragen wir gemeinsam: "Wo ist der Fehler?"

Loffeld zeigt, dass auch dort, wo die materiellen und menschlichen Ressourcen der Kirche groß sind, auch dort, wo gebildete, fromme und tätige Priester selbstlos arbeiten und wo die Öffentlichkeit die karitative und ähnliche soziale Tätigkeit der Kirche schätzt, die Kirchen nicht aufhören, leer zu werden.

Basierend auf einer soliden Analyse empirischer Daten widerlegt Loffelds Buch einige der Ideen, die ich bis vor Kurzem geteilt habe – insbesondere die sogenannte "Optimierungsthese" (übermäßiges Vertrauen auf den Effekt der "Verbesserung der Kirche"). Loffeld zeigt, dass auch dort, wo die materiellen und menschlichen Ressourcen der Kirche groß sind, auch dort, wo gebildete, fromme und tätige Priester selbstlos arbeiten und wo die Öffentlichkeit die karitative und ähnliche soziale Tätigkeit der Kirche schätzt, die Kirchen nicht aufhören, leer zu werden.

Warum sich "Konservative" und "Progressive" täuschen

Der Autor zeigt nüchtern die Fehler sowohl der "Konservativen" als auch der "Progressiven" auf. Kirchen werden nicht gefüllt sein, wenn die Kirche heute so tut, als sei sie Vergangenheit, als die Kirchen noch voller Gläubiger waren; die Nachahmung vergangener Zeiten und der Retro-Katholizismus werden die Vergangenheit nicht zurückbringen. Auch ein "identitäres" Religionsverständnis, ein Bündnis fundamentalistischer Strömungen mit Nationalismus und Populismus, ist nicht der Ausweg aus der Krise. Wer aber vielleicht erwartet, dass sich die Kirchen dann (und nur dadurch) füllen werden, wenn die Kirche den Pflichtzölibat für Priester abschafft, wenn sie Frauen zum Priester weiht und gleichgeschlechtliche Paare heiratet, der irrt ebenfalls.

Sowohl die "Kulturkriege" als auch die Anpassung an den "Zeitgeist" werden den Säkularisierungsprozess nicht aufhalten. "Konservative" und "Progressive" täuschen sich über die Ursachen der Säkularisierung. Deswegen werden auch die Strategien, die sie vorschlagen, nicht die erhofften Veränderungen bewirken.

Die Kirchen sind heute nicht mehr von militantem Atheismus bedroht, der "klassische Atheist" ist heute viel schwerer zu finden, anders als im 19. oder 20. Jahrhundert. Der Feind der Religion ist heute nicht einmal die "Wissenschaft" und der moderne Atheismus (der übrigens "aus der Mode gekommen" ist), sondern der postmoderne "Apatheismus". Kein Kampf gegen die Religion, sondern Gleichgültigkeit.

Die Ursachen der Säkularisierung unterscheiden sich aber auch deutlich von denen, die atheistische Religionskritiker meinen, die sie im Geiste der Ideologien der Aufklärung als "Sieg des Fortschritts", als "Triumph der wissenschaftlichen Rationalität über die religiöse Rückständigkeit" interpretierten. Wer heute die Kirchen verlässt, konvertiert nicht zur "Wissenschaft" (und schon gar nicht zur marxistisch-leninistischen "wissenschaftlichen Weltanschauung"), sondern meist zur Esoterik oder zum konsumistischen ideenlosen Materialismus.

Die Kirchen sind heute nicht mehr von militantem Atheismus bedroht, der "klassische Atheist" ist heute viel schwerer zu finden, anders als im 19. oder 20. Jahrhundert. Der Feind der Religion ist heute nicht einmal die "Wissenschaft" und der moderne Atheismus (der übrigens "aus der Mode gekommen" ist), sondern der postmoderne "Apatheismus". Kein Kampf gegen die Religion, sondern Gleichgültigkeit. Eine wachsende Zahl von Menschen stellt einfach nicht die Fragen, die die Kirchen zu beantworten gewohnt sind.

Für mich persönlich war es schwierig, jene Kapitel zu lesen, in denen der Autor auf der Grundlage empirischer Untersuchungen nachweist, dass unter den "Nones" (Menschen ohne Religionszugehörigkeit) die Zahl der Suchenden zugunsten der wachsenden Zahl der Gleichgültigen abnimmt. Es fällt mir nicht leicht zuzugeben, dass meine eigene umfangreiche positive Erfahrung mit vielen spirituell suchenden Menschen in einem stark säkularisierten Land wohl ein Minderheitenphänomen einer gewissen "Blase" ist, die vielleicht nicht lange anhält. Die Säkularisierung hat, wie die Religion, viele Formen, und die beiden Phänomene werden wahrscheinlich dauerhaft zusammenleben. Beide Phänomene werden sich jedoch ändern.

Eine bestimmte Art von Religion stirbt an Gleichgültigkeit, aber es entstehen neue Formen von ihr, neue Formen der Säkularisierung und neue Formen des Zusammenlebens. Das Einzige, was wir realistischerweise erwarten können, ist eine immer größere Pluralität unserer Zivilisation. Was das Christentum von morgen verstärkt praktizieren muss, ist die anspruchsvolle "Kunst der geistlichen Unterscheidung", wie Papst Franziskus im Rahmen der synodalen Erneuerung davon spricht. Dazu gehört auch der Verzicht auf Illusionen und allzu einfache Interpretationsschemata – und dieses Buch bietet dafür sehr nützliche Werkzeuge.

Der Zweck eines Vorworts besteht nicht darin, die gesamte Struktur der Argumentation des Autors zu enthüllen. Ich möchte jedoch sinngemäß zitieren, was ich für die Kernaussage des ganzen Buches halte:  Eine fundamentale Transformation, wie sie das Christentum derzeit zumindest in Europa erlebt, direkt (wieder) mit einem Drehen an bestimmten Stellschrauben zu beantworten, wäre unterkomplex und würde vermutlich alte Frustrationserfahrungen wachrufen. Der grundlegende Wandel, den wir derzeit in Europa erleben, kann nicht durch eine Intervention von außen oder ein Fingerschnippen überbrückt werden. Trotzdem sollten wir uns einer Diskussion aussetzen, die die Perspektiven ein wenig neu justieren und Prioritäten neu ordnen könnte. Es ist sicherlich auch eine Revision dogmatischer Annahmen und Themen erforderlich, die wir hoffentlich zu einem anderen Zeitpunkt und auf andere Weise weiterentwickeln werden. Erwartet keine präzise Formulierung großer theologischer Thesen oder "Anwendungen" oder eine umfassende Berücksichtigung der praktischen Konsequenzen. Aber eines ist klar: "Das Christentum hat zweifellos eine Zukunft, aber wahrscheinlich eine ganz andere, als wir es uns heute vorstellen und planen können."

© Tomáš Halík; first published by Portál, s. r. o., 2025

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