Auf den ersten Blick scheint das Dokument "Der Bischof von Rom" des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen die katholischen Ostkirchen nur am Rande zu betreffen. Ihnen sind nur 3 der insgesamt 181 Nummern gewidmet, wie auch eine Stelle im angehängten Vorschlag der Plenarversammlung des Dikasteriums mit dem Titel "Auf dem Weg zur Ausübung des Primats im 21. Jahrhundert".
Das neue Dokument hat vor allem die ökumenischen Beziehungen im Blick. Demgegenüber ist die Communio zwischen der Lateinischen Kirche und den – insgesamt mehr als 20 mit Rom verbundenen – katholischen Ostkirchen ein grundlegendes Element katholischer Ekklesiologie, selbst wenn sich dabei noch gewisse Fragen1 stellen. Der rechtliche Status und das Verhältnis dieser Kirchen zum Papst ist aber klar. Im entsprechenden Gesetzbuch Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) findet sich auch ein Abschnitt über Papst und Bischofskollegium als oberste Autorität der Kirche (cc. 42-54 CCEO), der sich praktisch nicht von den Bestimmungen des für die lateinische Kirche geltenden Gesetzbuches Codex Iuris Canonici (CIC) unterscheidet.
Dennoch spielen die katholischen Ostkirchen im neuen Vatikan-Papier eine Rolle. So werden ihre Identität, ihre Autonomie und ihre synodalen Strukturen gewürdigt (130). Auch werden sie im Licht der Ökumene betrachtet, wenn es heißt, dass das Verhalten Roms ihnen gegenüber auch ein Zeichen der Glaubwürdigkeit gegenüber der Orthodoxie sei.
Die Befürchtung, dass Kirchen angesichts strukturell verankerter römischer Dominanz absorbiert werden könnten, ist ja historisch betrachtet nicht ganz unberechtigt. Als Angehöriger einer katholischen Ostkirche stimme ich auch der Aussage zu, dass das heutige Verhältnis zwischen Rom und den katholischen Ostkirchen für die Orthodoxie und die orientalischen Kirchen kein Modell für die künftige Communio sein kann. Der CCEO bindet die katholischen Ostkirchen in nicht wenigen Bereichen an Entscheidungen des römischen Stuhls und kontrolliert diese in einer Weise, die weiter über das hinausgeht, was das Dekret des Zweiten Vaticanums über die katholischen Ostkirchen "Orientalium Ecclesiarum" (OE) als das Recht des Bischofs von Rom bezeichnet hatte, "in Einzelfällen einzugreifen" (OE 9).
Das neue Dokument verweist gerade auch in diesem Zusammenhang auf das Ökumenismusdekret "Unitatis Redintegratio" (UR) des Zweiten Vatikanischen Konzils, wonach sich östliche Kirchen nach ihren eigenen Grundsätzen richten dürfen, was auch "ein Objekt einer erneuerten ökumenischen Reflexion werden" (UR 16) könnte. Es geht ja gerade um eine neue Art, den Papstprimat auszuüben, in der die Selbstständigkeit und die Rechte der orthodoxen Kirchen anerkannt werden.
Das Schreiben geht außerdem kritisch auf das Phänomen des sogenannten "Uniatismus" ein (131). Bemerkenswert ist die Feststellung, dass "das historische Phänomen des 'Uniatismus' von der gegenwärtigen Realität der katholischen Ostkirchen unterschieden werden sollte, die – bedingt durch ihren sui iuris-Status in der katholischen Kirche – ein spezifisches Paradigma einer 'Einheit in Verschiedenheit' darstellen, indem sie ihre Autonomie innerhalb synodaler Strukturen beibehalten" (175). Damit gehen die positiven ekklesiologischen Aussagen deutlich über das im Dokument von Balamand von 1993 genannte "Existenzrecht" (3) hinaus.
Weder "Brücken" noch "gestohlene Kirchen"
Dies ist folgerichtig, wenn man berücksichtigt, dass die katholischen Ostkirchen gemäß OE 3 der lateinischen Kirche an Würde gleichgestellt wird. Immer mehr setzt sich die Auffassung durch, dass sie weder als "Brücken" noch als "gestohlene Kirchen" zu betrachten sind.
Katholische Ostkirchen können zu einer differenzierteren Sicht kirchlicher Vollmacht beitragen und der Spannung zwischen petrinischer Autorität und Katholizität als Communio gestalterisch begegnen.
Das Zweite Vatikanum hat betont, dass Ostkirchen Träger legitimer Vielfalt im Bereich der Liturgie, des Kirchenrechts, der Spiritualität wie auch der Theologie sind (UR 17). Zudem zeigt die jüngere historische Aufarbeitung der Geschichte von Kirchenunionen, dass das konfessionalistische Blockdenken "katholisch – orthodox" fragwürdig ist. Es führte dazu, den katholischen Ostkirchen eine Zwitterstellung einzuräumen oder sie als Anomalien zu betrachten.
Ohne die problematische Unionsgeschichte und ihre negativen Auswirkungen auf andere Schwesterkirchen leugnen zu wollen, stehen katholische Ostkirchen für die gelebte Möglichkeit, östliches Erbe und Communio mit dem Bischof von Rom miteinander zu vereinbaren. Innerkirchlich können katholische Ostkirchen damit zu einer differenzierteren Sicht kirchlicher Vollmacht beitragen und der Spannung zwischen petrinischer Autorität und Katholizität als Communio gestalterisch begegnen.
Synodale Inspirationen
In diesem Sinne heißt es auch im eingangs erwähnten Vorschlag der Generalversammlung des Dikasteriums, dass "viele synodale Institutionen und Praktiken der katholischen Ostkirchen die lateinische Kirche inspirieren" (18) könnten.
Tatsächlich besitzen katholische Ostkirchen, die zumindest mit einer Metropolitanstruktur ausgestattet sind, eine bischöflich besetzte Synode als oberstes und ordentliches Leitungsorgan mit gesetzgebender Vollmacht. In (quasi-)patriarchalen Kirchen wählt die Synode – innerhalb des Territoriums der Kirche – die Bischöfe, Rom kann aber Kandidaten verhindern. Daneben existieren als Konvente bezeichnete Beratungsorgane zur Unterstützung bestimmter Autoritäten. Sie setzen sich aus Klerikern, Ordensangehörigen und Laien zusammen und drücken die Teilhabe aller Getauften an der Sendung der Kirche aus.
Der Vergleich zwischen dem lateinischen CIC und dem ostkirchlichen Pendant CCEO zeigt, dass die Spielräume der Subsidiarität, Synodalität und Autonomie zwischen der päpstlichen und der ortsbischöflichen Ebene in Gesetzgebung und Praxis bei Weitem nicht ausgeschöpft sind. Der Synthese-Bericht der 16. ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode vom Oktober 2023 befasst sich mit ostkirchlicher Kritik an der Tatsache, dass die Autorität ihrer Ersthierarchen und Synoden außerhalb ihres eigenen Gebietes stark beschränkt ist, während sich die lateinische Kirche weltweit nach gleichen territorialen Regeln entfalten kann (6). Die Erstreckung der Jurisdiktion in die Diaspora ist nun Gegenstand von Beratungen.
Auch die Komplementarität unterschiedlicher, aber gleichwertiger theologische Ansätze wird nicht genügend beachtet, wenn etwa von ostkirchlichen Theologinnen und Theologen bei der "Professio fidei" das westliche "filioque" abverlangt wird. Indem die katholischen Ostkirchen ein eigenständiges theologisches Profil besitzen, stellen sie teils ein Gegenüber der lateinischen Kirche dar, während sie in anderen Zusammenhängen den orthodoxen bzw. orientalischen Kirchen als Teil der katholischen Gemeinschaft gegenüberstehen. Zwischen diesen Rollen ist die Unterscheidung oft nicht festgelegt.
Ostkirchen können innerkatholisch dazu beitragen, die Diskrepanz zwischen Glaubensinhalten und deren Formulierung nicht als Mangel, sondern als einen "locus theologicus" wahrzunehmen, der mithelfen kann, theologische Vielfalt als Bereicherung wahrzunehmen.
Gerade weil Ökumene ein nach vorn hin offener Prozess ist, bleibt die Frage nach festen Elementen katholischer Identität spannend. Ostkirchen können innerkatholisch dazu beitragen, die Diskrepanz zwischen Glaubensinhalten und deren Formulierung nicht als Mangel, sondern als einen "locus theologicus" wahrzunehmen, der mithelfen kann, theologische Vielfalt als Bereicherung wahrzunehmen. Katholische Ostkirchen in innerkatholische Diskussionen einzubeziehen, erscheint daher begrüßenswert.
Genügend Arbeitsaufträge
Das Dokument "der Bischof von Rom" hat mit seinem Mut zur Diskussion der Gestalt des päpstlichen Amtes deutlich gemacht, dass jede Kirche, die diesen Namen verdient, einen ekklesiologisch hinreichenden, aber nie erschöpfenden Fundus an Tradition bietet und auf die Communio mit den Schwesterkirchen angewiesen ist. In diesem ökumenischen Prozess haben auch katholische Ostkirchen ihren Platz. Die 2019 ins Leben gerufene Orthodox - Eastern Catholic Dialogue Group hat den Wunsch nach neuen Dialogformaten bereits aufgegriffen.
Das Dokument "Der Bischof von Rom" bietet mit seiner Flexibilität und Weite genügend Arbeitsaufträge für den weiteren innerkatholischen und ökumenischen Dialog, aber auch Stoff für die am 14. und 15. November 2024 geplante Wiener Konferenz "The Place of the Eastern Catholic Churches in the Communio Ecclesiarum and their Relation with the Roman Catholic Church in the Perspective of the Dialogue with Orthodoxy", veranstaltet vom Fachbereich Theologie und Geschichte des Christlichen Ostens, der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien) und der Ukrainischen Katholischen Universität (Lviv).