Es hat nie ein Christentum ohne Kirche gegeben. Es hat nie eine Universalkirche ohne Partikularkirchen gegeben. überall, wo die Eucharistie gefeiert wird, ist auch die katholische Kirche ganz und ungeteilt gegenwärtig. Der Bischof des unbedeutendsten Marktfleckens ist in dieser Hinsicht nach einer Aussage des heiligen Hieronymus dem Bischof von Rom ebenbürtig. Andererseits hat es auch nie autonome Partikularkirchen gegeben, die sich nachträglich föderativ zu einer Universalkirche verbunden hätten, so wenig wie die zwölf von Jesus erwählten Jünger sich nachträglich selbst zusammengeschlossen haben. In der Vielfalt ihrer Verwirklichungen ist die Kirche fundamental nur eine. In der Vielfalt seiner Glieder ist das Bischofskollegium fundamental eines. Diese Wahrheiten werden oft ins Gedächtnis gerufen. Vor allem seit dem letzten Konzil sind sie Gegenstand einer Reihe ausgezeichneter Darlegungen geworden. Deshalb habe ich nicht die Absicht, mich dabei aufzuhalten. Ich möchte lediglich in einem ersten Teil einige Punkte betreffs der Idee der Kollegialität präzisieren, die mir nicht unwichtig scheinen, ebenso wie über die Beziehung, die sie mit der Idee der Bischofskonferenzen unterhalten kann. Sodann soll die Rolle des Petrusnachfolgers als Band des Bischofskollegiums und als Mittelpunkt der katholischen Einheit herausgehoben werden, wie sie sich aus dem Evangelium ergibt, bevor wir zum Schluss einige neue Tendenzen oder Anregungen über dieses Thema untersuchen.
Die Idee der Kollegialität
Wenn man heute auf allen Meinungsforen unermüdlich sich auf die Idee der Kollegialität beruft, ist es so sicher, dass sie immer recht verstanden wird? Man ist weit davon entfernt. In recht vielen Geistern ist sie entstellt, weil man sie nach fertigen Modellen konzipiert, die man der Geschichte der menschlichen Gesellschaften oder den Idealen unserer Zeit entnimmt. Selbst das Wort »Kollegium« darf nicht im Sinne des römischen oder mittelalterlichen Rechts genommen werden, wie es durch unsere modernen Enzyklopädien popularisiert wird. Das Kollegium oder die Körperschaft oder der Ordo der Bischöfe ist nicht eine Gruppierung von Assoziierten, die alle gleich wären und nur als Gesamtheit handeln könnten; es wird auch nicht erst durch die tatsächliche Versammlung seiner Mitglieder konstituiert. Es ist wie das Zweite Vatikanum deutlich lehrt, in dem Sinne zu verstehen, den ihm die kirchliche Überlieferung gibt, die auf die Realitäten des Urchristentums gegründet ist. Während seines irdischen Lebens sonderte Jesus eine kleine Gruppe von Jüngern aus, die von da ab eindeutig von allen übrigen unterschieden waren. Er »machte aus ihnen die Zwölf«, oder »er machte sie zu den Zwölfen«, sagt Markus in der Formel, in der man einen konstituierenden Akt sehen kann. Lassen wir hier den reichen, historischen, kosmischen und eschatologischen Symbolismus dieser Zahl beiseite. Halten wir lediglich fest, dass das Bischofskollegium in all dem, was es an übertragbarem hat, dem Kollegium der Zwölfe nachfolgt. Die Geschichte der ersten christlichen Generationen ist für uns voller Dunkelheiten. Aber die seltenen Dokumente, die uns über die Lage der Kirchen gegen Ende des ersten und zu Beginn des zweiten Jahrhunderts unterrichten, zeigen uns überall jene Männer, die das bischöfliche Amt im Bewusstsein des apostolischen Ursprungs dieses Amtes ausüben, das zugleich den Vorsitz ihrer eigenen Kirche und eine aktive Sorge für die anderen Kirchen verbindet. Niemand zeigt das Bedürfnis, diese Situation durch irgendein Plädoyer zu rechtfertigen. Und nirgendwo, weder in der Frühzeit noch lange danach, entdeckt man die geringste Spur einer diesbezüglichen Kontestation.
So wenig, wie das Kollegium der Zwölf existiert das Kollegium der Bischöfe nur zeitweise. Es ist ebenso sehr eine ständige wie eine unteilbare Realität. Und in diesem doppelten Sinn ist es universell. Es hat daher nichts gemein mit der Regierung einer Versammlung, noch weniger mit einem System von nationalen oder regionalen Partikularversammlungen, so sehr die Geschichte der Kirche auch viele solche oft sehr nützlichen Versammlungen gekannt hat. Als eine dauernde Wirklichkeit »ist es nie im Zustand der Arbeitslosigkeit«. Seine Kohäsion manifestiert sich auf verschiedene Weisen, insbesondere durch die Weisen gegenseitigen Austausches, den Bischöfe oder Bischofsgruppen im Namen ihrer Kirchen untereinander pflegen, Formen des Austausches, die früher sehr häufig waren und von denen man bedauern kann, dass sie heute kaum noch in Übung sind. Aber seine wesentlichste Wirksamkeit vollzieht sich Tag für Tag durch die schlichte Tatsache, dass jeder Bischof in seiner eigenen Kirche den gleichen Glauben lehrt und dort die gleiche grundlegende Disziplin aufrechterhält, die die anderen Bischöfe in ihrer Kirche wahren. Hier ist das verwirklicht, was die moderne Theologie unter »ordentlichem Lehramt« versteht. Nicht jeder für sich, sondern als Gesamtheit besitzen, wie Irenäus sagt, die Bischöfe jenes »Charisma veritatis certum«, das sie von den Aposteln geerbt haben.
Wenn die Situation es erfordert oder nahelegt, kann das Kollegium in außerordentlicher Weise tätig werden: Dies ist das ökumenische Konzil. Ein solches hat nicht vor dem vierten Jahrhundert stattgefunden, und die Liste der nachfolgenden ist kurz. Aber für gewöhnlich kontrolliert und regelt das Bischofskollegium durch die einmütige Unterweisung seiner Mitglieder, die über die Räume und Zeiten verteilt sind, das Leben der christlichen Gemeinde.
Jeder Akt, den ein Bischof setzt, kann und muss kollegial genannt werden, wenn er universale Tragweite hat und im Schoß der Gemeinschaft ausgeübt wird. Wie man aus zahlreichen Beispielen sieht, »hatten die Bischöfe der alten Zeiten ein waches Bewusstsein ihrer Verantwortlichkeiten gegenüber der Gesamtkirche«. Dieses Bewusstsein einer universalen Verpflichtung konnte sich in gewissen Epochen verdunkeln. Es hat aber niemals vollständig gefehlt. Sehr lebendig war es bei den französischen Bischöfen des vergangenen Jahrhunderts, die durch den Mund von Bischof Dupanloup erklärten: »Wer könnte denn eine so niedrige und unwürdige Meinung von dem katholischen Episkopat haben, dass er meinte, alle Sorge und Besorgnis müsste auf die genauen Grenzen jeder Diözese beschränkt sein?« Als ein Irenäus bei Papst Viktor zugunsten der Orientalen und des Kirchenfriedens im Osterfeststreit intervenierte, oder als ein Cyrill von Alexandrien versuchte, wie sich Papst Coelestin ausdrückt, seinem Kollegen Nestorius zu Hilfe zu kommen, indem er ihm die Hand seines Magisteriums reichte, um auf diese Weise vielen anderen zu helfen, war die Aktion dieser beiden Bischöfe eminent kollegial, das heißt kraft des Prinzips der Kollegialität vollzogen.
Die Bischofskonferenzen und die persönliche Sorge jedes Bischofs für die Gesamtkirche
Über ihre eindeutige partikuläre Nützlichkeit, ja über ihre praktische Notwendigkeit hinaus können die verschiedenen mehr oder weniger institutionalisierten Bischofsversammlungen, die sich nach Regionen, Nationen oder Provinzen zusammenfinden, viel dazu beitragen, bei ihren Mitgliedern den kollegialen Sinn zu entwickeln, indem sie sie daran gewöhnen, über ihre Partikularkirche hinaus zu blicken und gemeinsam zu arbeiten. Sie können auch die Rolle einer Schaltstelle spielen im Hinblick auf ein organisches und schnelleres Einvernehmen des Gesamtepiskopats.
Als gelegentliche oder als regelmäßige, zumeist auch als hierarchisch geordnete, haben sich diese Art von Versammlungen in der Kirche vor allem seit dem dritten Jahrhundert entwickelt. Niemals hat sich ein einheitlicher Typus solcher Versammlungen herausgebildet. Heute ist im lateinischen Abendland der normale Typ jener der »Bischofskonferenzen«. Allmählich in verschiedenen Ländern unter dem Druck der Verhältnisse eingeführt, ist er durch das letzte Konzil sanktioniert worden. Diese Konferenzen können in mancherlei Hinsicht die Aktivität des Kollegiums fördern, zum Beispiel indem sie jene Mitglieder ihrer Konferenz bestimmen, die an der römischen Synode teilnehmen sollen. Man kann diese Bischofskonferenzen soweit mit gutem Recht »eine der möglichen Varianten der Kollegialität« nennen, als diese durch ihre Vermittlung »Teilverwirklichungen« findet, die auf die Gesamtheit bezogen sind. Indes ist die bischöfliche Kollegialität in ihrem vollen, auf die Schrift gegründeten Sinn wie jene der Zwölf entweder universell, oder sie existiert überhaupt nicht – anderseits aber ist ein kollektiver Akt nicht ohne weiteres schon ein kollegialer Akt. Umgekehrt ist, wie eben gesagt, jeder Akt, der kollegial genannt zu werden verdient, nicht notwendig ein kollektiver Akt. Hier liegen zwei verschiedene Begriffe vor.
Man muss sich hier vor einer Verwirrung hüten, die durch die theologische Ignoranz einer Großzahl von Journalisten gefördert wird, wie auch durch weltliche Neigungen unserer Epoche zu kollektiven Regierungsformen. Infolge dieser Konfusion ist seit einigen Jahren die Idee der bischöflichen Kollegialität im Gesamtbewusstsein sehr eng mit dem Gedanken der Bischofskonferenzen sowie jeglicher überdiözesanen Organisation verbunden worden, wenn sie nicht überhaupt in ihr aufgegangen ist. Von daher neigen manche paradoxerweise dazu, sie als eine Verminderung der Rolle des Bischofs zu verstehen. Dies auf Grund einer Anwendung des allgemeinen Gesetzes, wonach das Individuum vor dem Kollektiv verblasst, während im Gegenteil das wahre kollegiale Bewusstsein eine vermehrte und auf das Universelle ausgerichtete Aktivität der Person verlangt. So läuft man Gefahr, die theologische Wirklichkeit ihres Wesens zu berauben, indem man sie in Soziologie untergehen lässt.
Der erste Zweck der Bischofskonferenzen ist praktischer Natur, und ihre Wirksamkeit ist an ihren begrenzten Charakter gebunden. Ihre Arbeit als solche konstituiert für gewöhnlich nicht schon eine Ausübung der Kollegialität. Umso mehr gilt dies von der Tätigkeit der Kommissionen und der verschiedenen Büros und Sekretariate, die sie sich einrichten. Das hat Msgr. Onclin, dessen kanonistische Fachkunde anerkannt ist, sehr klar dargelegt. Dasselbe erhellt aus den Konzilstexten, aus »Lumen Gentium» wie aus »Christus Dominus«. Im Letzteren ist der Gesichtspunkt wesentlich pragmatisch. »Lumen Gentium« aber kennt keinerlei lehramtliche Zwischeninstanz zwischen der Partikularkirche und der Gesamtkirche. Es hieße eine ausgezeichnete, eminent nützliche, aber durchaus kontingente Institution verderben, wenn man sie mehr oder weniger mit der des Bischofskollegiums gleichsetzen würde. Statt Ausübung der Kollegialität zu fördern, käme man dann dahin, sie einzuengen und vielleicht sie lahmzulegen.
Im Übrigen soll man nicht vergessen, dass die besten Systeme ihre Grenzen haben. Eine zu stark vorangetriebene Organisation regionaler Gruppierungen von Bischöfen birgt die Gefahr in sich, der Initiative jedes einzelnen Bischofs zu schaden, ihn in Spezialaufgaben zu absorbieren, die ihn den Laien oder Priestern seiner Diözese entfremden, ihn manchmal in seinem wesentlichen Dienst lähmen, ja selbst in ihm das Bewusstsein seiner persönlichen Verpflichtungen sowohl gegenüber der Katholizität wie hinsichtlich der Leitung seiner eigenen Diözese ersticken können. Was in solchem Fall das Übergewicht erhält, ist eine unpersönliche, anonyme Leitung, die eine wuchernde Bürokratie hervortreibt. Schon allein dadurch wird die Unterweisung abstrakt, ihr Ton wird neutral, ohne menschliche Wärme, und der Gläubige erkennt die Stimme seines Hirten nicht mehr. Wie man unlängst gewisse Bischöfe tadeln konnte, wenn sie vor ihren eigenen Verantwortlichkeiten flohen und hinter einer römischen Kongregation Deckung suchten, so könnte man fürchten, dass manche dahin kommen, ihren Verantwortlichkeiten heute ebenso und noch mehr auszuweichen, indem sie hinter irgendeiner Kommission Deckung suchen. Die Versuchung ist hier sogar noch stärker, weil der Druck unmittelbarer ist. Jacques Maritain erinnerte neulich daran, dass keine noch so feine Subtilität theologischer oder, wie man heute sagt, pastoraler Ordnung verschleiern könnte, wie sehr seine Aussage trifft: Wenn der Hirte »in irgendeiner Form, nicht de jure, wohl aber de facto, der ausführende Agent einer Kommission wird, ist dann nicht seine Sendung als Nachfolger der Apostel und die evangelische Überlieferung selbst verletzt«?
Diese Feststellung stimmt bis auf den Wortlaut mit einer Bemerkung überein, die kurz zuvor Dom Emmanuel Lanne für die alte Tradition über die Beziehung des Bischofs zu verschiedenen Versammlungen, an denen er teilnehmen kann, gemacht hat: »Der Bischof jeder Kirche bleibt allein verantwortlich für seine Gemeinde ... Jede Kirche hat sozusagen ihre eigene Typologie, für die der Bischof letztlich nur vor Gott verantwortlich ist.«
Anderseits lehrt uns eine universelle Erfahrung hinreichend, dass die nationalen Organismen abwechselnd Agenten der Öffnung und der Selbstverschließung sein können. Was den Orient angeht, ist die Teilung der Kirche in derlei Organismen und die administrative Zentralisation in jedem von ihnen von mehr als einem orthodoxen Theologen mit Nachdruck gebrandmarkt worden. Dies ist für uns eine Warnung. Im Übrigen handelt es sich hierbei weniger um eine Frage der Struktur als des Geistes, und unter seiner extremen Form um eine mögliche Gefahr. Aber um auch dieser Gefahr radikal auszuweichen, kann man sich nie genug an die wesentlich universale Natur des kollegialen Bandes und der Sorge erinnern, die jeder Bischof kraft dieses Bandes persönlich für die universale Kirche haben muss.
Die Rolle des Nachfolgers Petri als Band des Bischofskollegiums
Das kollegiale Band verbindet jede Partikularkirche mit allen anderen Kirchen, jedes Kirchenhaupt mit allen andern, da alle zusammen solidarisch verantwortlich sind für die »Überlieferung Christi«. Und im Innern dieses universalen Netzes, aus dem sich die einzige »Kirche Gottes« zusammensetzt, existiert ein Zentrum, ein »verpflichtender Orientierungspunkt«: Die Partikularkirche von Rom, die der Nachfolger Petri leitet, der »Erste« der Zwölf, gemäß dem Ausdruck des Matthäus. Die Kirche ist nach den Worten von Markus und Lukas grundlegend »Petrus und die, die mit ihm sind«. Der Bischof von Rom ist der, »der die Einmütigkeit in der Körperschaft der Bischöfe bewahrt«. Er ist das lebendige Band nicht nur unter allen Hirten, die gegenwärtig auf Erden sind, sondern, was man allzu leicht vergisst, »zwischen der gegenwärtigen Kirche und der Kirche der Apostel«. Als Nachfolger des Erst- und Hauptzeugen Jesu sichert er die Einheit in der gegenwärtigen Kirche, »indem er über ihre lebendige Kontinuität mit der Kirche aller Zeiten wacht«.
Es ist hier weder der Ort, auf die komplexen Probleme einzugehen, die sich der Theologie durch die Stellung des Petrus im Bischofskollegium und in der Kirche stellen, noch ist es nötig, die Nuancen des Ausdrucks zu untersuchen, die man anwenden muss, um diesen analogielosen Fall so weit es geht anzunähern. Sagen wir nur, dass es sich für Petrus und für den, der ihm nachfolgt, um eine einzigartige Prärogative handelt, und dass die Verkennung dieser einzigartigen Prärogative, ganz gleich in welchem Jahrhundert und in welcher Situation man lebt, grundsätzlich die Leugnung der Kirche wäre, so wie Jesus Christus sie gewollt hat.
Möhler sprach eine sehr richtige Einsicht aus, als er in seiner Symbolik schrieb: »Soll der Episcopat eine in sich geschlossene, wie innerlich, so auch äußerlich verbundene Einheit bilden, um alle Gläubigen zu einem wahren Gesammtleben, welches die katholische Kirche so dringend fordert, zu vereinigen, so bedarf er selbst einer Mitte, durch deren Dasein Alle zusammen gehalten und fest verknüpft werden.«
Indes, unser Glaube ist nicht auf ein solches Argument gegründet. Wladimir Solowjow hat geschrieben: »Alle Überlegungen zugunsten einer zentralen Gewalt der universalen Kirche hätten in unseren Augen nur sehr mittelmäßigen Wert, wenn sie bloße Vernunftgründe wären. Aber sie stützen sich auf ein gott-menschliches Faktum, das sich uns trotz aller gekünstelten Interpretationen aufdrängt, durch die man es unterdrücken möchte.« Anderseits ist es klar, dass es immer der Geist Gottes ist, der »die Struktur der Kirche stärkt und in ihr die Eintracht aufrecht erhält«. Aber wir wissen auch, dass Gott für sein Heilswerk sich Menschen assoziieren wollte und wir haben nichts zu ändern und fallen zu lassen, sondern einfach das zu empfangen, was zu diesem Zweck eingesetzt wurde und wofür das Neue Testament Zeugnis gibt.
Im Anhang zum Johannes-Evangelium »bringt Simon Petrus, der unter den Zwölfen auch im Evangelium selbst hervorragt (Joh 1, 42; 6, 68ff.; 13; 18; 20, 1ff.), in einer symbolischen Szene dem Auferstandenen in seinem Netz die Fische zu (Joh 21,10 f.). Jesus aber übergibt ihm feierlich die Herde zur Weide (21, 14ff.). Die Kirche ist eine. Und sie ist die Kirche des Petrus. Der auferstandene Jesus hat ihm (inmitten der Zwölf) die Ernte und den Fischzug und die Weide übertragen.«
Diese Zeilen von Heinrich Schlier finden im Voraus ein Echo in den beiden schönen Versen von Charles Peguy: »Und wir sind gefangen im Netz des Petrus – denn Jesus hat es nach uns ausgeworfen.«
»Die Art und Weise, wie die Bischöfe von Rom gesprochen und gehandelt haben, zeigt, dass sie sich verantwortlich wussten gegenüber der ganzen Kirche für die Hinterlage, die sie von Petrus her erhalten hatten.« Und ebenso »hat man auch außerhalb Roms in den ersten Jahrhunderten dieses Prinzip ihrer Autorität nie in Zweifel gezogen«.
Bereits im Jahr 95 oder 96, als der Apostel Johannes wohl noch lebte, obwohl für Korinth Ephesus viel näher lag als Rom und obwohl die Kirche von Korinth selbst von einem Apostel gegründet war, interveniert die Kirche Roms durch den Clemens-Brief mit einer ruhigen und festen Autorität bei dieser Kirche von Korinth, um deren innere Angelegenheiten zu ordnen: »Wenn irgendwelche Leute dem, was wir ihnen von Gott her sagen, nicht gehorchen, sollen sie wissen, dass sie sich in Fehler und erhebliche Gefahren begeben.« »Man wird bemerken«, sagt der orthodoxe Theologe Nikolas Afanassieff, »dass die römische Kirche es nicht für nötig hielt, ihre Intervention in irgendeiner Weise zu rechtfertigen; sie zweifelte nicht daran, dass ihr Vorrang ohne Diskussion akzeptiert würde.« Und so geschah es auch: Der Verweis wird ehrfürchtig hingenommen. Gegen das Jahr 170 wird Dionysius von Korinth an den Papst Soter schreiben, dass man noch immer den Clemensbrief in den liturgischen Versammlungen lese; man wird dies noch jahrhundertelang in verschiedenen Gegenden des Orients und des Okzidents tun. Man hat sich oft bemüht, die Tragweite eines solchen Zeugnisses zu entkräften, wie auch der Zeugnisse eines Ignatius von Antiochien, Irenäus von Lyon usf. Hier wurde, hat man gesagt, nur ein faktischer Primat ausgeübt, Rom habe viel später versucht, daraus einen Rechtsprimat zu machen, indem es daraus das, was ein Kritiker »einen Mythos der Rechtfertigung« genannt hat, herstellte. Das sei die späte Fabrikation der berühmten Stelle Matthäus 16,18: eines Textes, der mit Evidenz, so erklärte man, den römischen Primat begründe, weil Rom ihn zu diesem Zweck redigiert habe. Als die These der Interpolation unhaltbar geworden war, verlor der Text plötzlich seine Klarheit: Er sollte nun nichts Genaues mehr zugunsten von Petrus bedeuten. Einige objektivere Exegeten haben indes dort die Rolle des Fundaments anerkannt, die Petrus durch Jesus zugewiesen wurde, aber sie widersetzen sich dem Gedanken, dass hierin Petrus einen Nachfolger haben könnte. Wenn aber Jesus, wie der reformierte Theologe Jean-Jacques von Allmen bemerkt, in Lukas 22 fernerhin sagt: »Ich habe gebetet, dass dein Glaube nicht wanke und du deine Brüder stärkest«, so vertraut er ihm diese Aufgabe »im Zusammenhang der Eucharistie« an, das heißt, »im Rahmen dessen, dem Jesus Dauer verleihen wollte bis zu seiner Wiederkunft«. So haben wir allen Grund, mit Jacques Guillet in seinem neuesten Buch über Jesus zu sagen: »Die Kirche ist schon in Caesarea da. Schon da spricht sie, schon da erhält sie all ihre Autorität von Jesus in der Bestärkung, die er Petrus gibt ... So war die Kirche an ihrer Quelle, so bleibt sie über alle Jahrhunderte ... «
Im Übrigen ist es normal zu denken, dass, falls nichts Gegenteiliges gesagt wird, die Einheit der Partikularkirchen untereinander jene Einheit widerspiegeln muss, die die Apostel untereinander verband. »Aus diesem Grunde«, so schließt von Allmen, »erscheint mir der Primat der Kirche von Rom biblisch fest begründet.« Es könnte wohl sein, so vertraut er seinem Leser an, »dass die Art von Schreck, der uns reformierte Theologen alle packt, wenn wir sehen, dass wir um das Problem der apostolischen Sukzession nicht herumkommen, daher stammt, dass wir bewusst oder unbewusst fühlen: wenn es eine apostolische Sukzession gibt, so gibt es in dieser Sukzession auch eine spezifisch petrinische Sukzession«. Nicht weniger deutlich, ja noch deutlicher als die mündlichen Zeugnisse, die uns freilich nicht fehlen, spricht das alltägliche Leben der Kirche. Was man für die ersten Jahrhunderte davon rekonstruieren kann, zeigt uns den Bischof von Rom in seiner doppelten Rolle als Mittelpunkt und als Schiedsrichter: »Das ist eines unserer Synodalgesetze«, stellte zum Beispiel der hl. Avit von Vienne fest, »dass wir in allem, was die Situation der Kirche berührt, falls sich ein Zweifel erhebt, Rekurs an dem großen Bischof der römischen Kirche nehmen, so wie die Glieder des Leibes sich ihrem Haupt unterordnen.« Selbst in Zeiten, da sich von Seiten des Orients verschiedene Einsprüche erheben, weiß man, dass für die schwierigen Dinge dies das Gesetz des Heiles ist. So schrieb darüber der Patriarch von Konstantinopel an Papst Hormisdas: »Beim Apostolischen Stuhl wird die katholische Religion immer unverletzt bewahrt.«
Man kennt die Entwicklungen, zu denen alle möglichen Umstände im Papsttum geführt haben. Man kennt alle Missbräuche, deren die Geschichte es beschuldigen kann. Weniger gern erinnert man sich heute der unabsehbaren Wohltaten, die sich aus ihm auch für den christlichen Okzident ergeben haben. Newman, in seiner Weitherzigkeit hellsichtiger als viele Kritiker, die nur die Kehrseite der Medaillen zu sehen vermögen, hat nichtsdestoweniger zugegeben, dass es lächerlich wäre, ein Heimweh nach dieser Vergangenheit zu nähren. Worum es allein geht – aber diese Sache ist von vitalem Interesse –, ist die Aufrechterhaltung der Rolle des Nachfolgers des Petrus in seiner authentischen Kraft, die »Form der Einheit« der Nachfolger der Apostel zu verwirklichen. Durch Reflexionen über die Lehre wie durch praktische Reformen oder Neuerungen muss immer das eine gesucht werden, eine innigere Gemeinschaft zwischen dem Bischof von Rom und seinen Brüdern im Episkopat. Gewisse Dezentralisationen können dabei angebracht sein; sie liegen in der Logik der Anordnungen des Konzils und sind auch schon weithin verwirklicht. Sie werden zu einer erneuerten Vitalität der Kirchen beitragen – unter der Bedingung freilich, niemals als eine Lockerung des Bandes der Einheit verstanden zu werden. Der fruchtbaren Aktivität einer Partikularkirche wäre am wenigsten durch einen Rückzug auf sich selbst oder durch eine Abstandnahme gegenüber dem Zentrum gedient. Eine solche Haltung trüge im Gegenteil nur dazu bei, sie unfruchtbar zu machen.
Die wichtigsten Initiativen wie die größte administrative Autonomie sind so weit entfernt, mit der ständigen Sorge der katholischen Einheit unvereinbar zu sein, dass sie vielmehr in ihrem dauernden Bezug auf Petrus jene Sicherheit finden, deren sie bedürfen. Und gerade in dieser Rückbeziehung findet jede einzelne Kirche den Schutz ihrer Unabhängigkeit angesichts von weltlichen Pressionen aller Art. Gerade das Papsttum, das in den ersten Jahrhunderten jener Epoche, die man mit einer erschreckenden Simplifizierung die konstantinische Ära nennt, hat die Unabhängigkeit der Kirche und ihres Glaubens aufrechterhalten. Man sagt manchmal, die Gefahren staatlicher Eingriffe, die eine Stärkung des Papsttums für die Verteidigung der christlichen Freiheit notwendig gemacht hätten, gehörten der Vergangenheit an. Die Kirche sei nie freier gewesen als heute. Dies ist eine recht optimistische Sicht. Der Druck der Nationalismen und das Anwachsen der totalitären Staaten sind Tatsachen des gegenwärtigen Jahrhunderts, und selbst in den Gegenden, wo die Kirche in ihrer Beziehung zu den öffentlichen Gewalten frei ist, ist sie gar vielen Abhängigkeiten von verschiedenen gesellschaftlichen Kräften und der Tyrannei der »öffentlichen Meinung« ausgesetzt. Was gewisse Leute uns als Empfinden und Ausdruck des christlichen Volkes ausgeben möchten, ist oft nichts weiter als die neue Form eines weltlichen Drucks, einer bedrohlichen Macht, die sich aller Mittel »psychologischer Aktion« bedient. Was für Entstellungen des Glaubens, der Ethik und des christlichen Empfindens haben hier ihren Ursprung! Welch grausame Ohnmacht oft genug für die Bischöfe, sich von Banden, die sie am Handeln hindern, zu befreien, – selbst, wenn sie nicht in die Schlingen fallen, die ihnen eine raffinierte Kombinationskunst legt! In solcher Gefährdung, die alle Tage lauert, ist die Rückbeziehung auf Petrus ein Licht und eine Stütze.
In dieser selben Rückbeziehung findet auch jede Kirche oder Kirchengruppe die Sicherung ihrer Persönlichkeit, wie dies heute so stark die jungen Christenheiten Afrikas spüren. Und die gleiche unmittelbare Verbindung mit Rom wahrt am wirksamsten die katholische Treue immer dann, wenn eine innere Krise sie auf die Probe stellt. Dann ist die persönliche Intervention Petri entscheidend. Hier wiederum spricht die Geschichte beredt. Man erinnere sich nur an den Protest des Diakons Hilarius, des Legaten des hl. Leo, 449 gegen die Entscheidungen der großen Versammlung von Ephesus, die den Namen »Räubersynode« erhalten hat. Die Situationen waren nicht so selten, wo »die Gläubigen eine Orientierung in der Lehre sehr nötig hatten, weil die Unterweisung ihrer Bischöfe nicht hinreichend klar war«. Man konnte sich sogar fragen, »ob nicht gerade die Bischöfe selbst es nötig hatten, durch ihr Haupt, den Nachfolger des Petrus, bestärkt, zu werden, sowohl um selbst sich zu kräftigen und von daher imstande zu sein, mit aller Sicherheit zu predigen wie um ihre Lehrautorität den Gläubigen gegenüber zu stützen«.
Einige neuere Tendenzen
Drei Tendenzen zeichnen sich in gewissen Gegenden seit einiger Zeit ab, gestützt von einer intensiven Propaganda. Falls sie sich durchsetzen sollten, würden sie das katholische Gleichgewicht der Einheit in der Verschiedenheit gefährden, die von Jesus durch den Bezug auf Petrus garantiert wird. Ich werde sie beschreiben, so wie ich sie sehe, ohne das Verlangen, den Menschen zu gefallen, und in dem einzigen Wunsch, für meinen kleinen Teil unserer Kirche zu dienen.
1. Lockerung der Bande jeder Partikularkirche mit dem Zentrum
Die erste Tendenz geht dahin, mehr durch eine Reihe von Nichtachtungen als durch erklärte Gegendispositionen die Bande jeder Einzelkirche mit dem Zentrum zu lockern. Sie beruft sich aber sehr zu Unrecht auf die Idee der Kollegialität. Nach einigen soll sich diese Kollegialität nur in dem Maße aktualisieren und bestätigen können, wie sie dem Papst einen Teil seiner Autorität raubt, wie sie ihn auf Distanz hält, indem sie es unterlässt, auf ihn zu hören wie auch ihn zu informieren, es vermeidet, ihn zu sekundieren, indem sie ihn überhaupt nicht mehr erwähnt, außer vielleicht in einem gelegentlichen Gebet. Es gibt eine gewisse Affektation, alles zu ignorieren, was »von Rom« kommt oder angeblich von dort kommt. Es gibt eine Prätention, die der Prätention des sogenannten, einst heftig befeindeten »Kurialismus« als sein Gegenstück nur zu genau entspricht. Sie ahmt ihn nach, indem sie sich, sei es auch nur in kleinen Dingen, bei jener »Anforderung der Rechte« oder bei jener »Ekklesiologie der Macht« inspiriert, gegen die genau das Zweite Vatikanum reagiert hat.
Sollte man in einer solchen Haltung, wie manche glauben, eine Wiederbelebung des Gallikanismus sehen? Das hieße vielleicht ihr zu viel Ehre erweisen. Der Unterschied läge nicht darin, dass der alte kirchliche Gallikanismus sich oft mit einem politischen, durch den Nationalstaat gestützten Gallikanismus vermischte, denn es kann da noch einen merkwürdigen nationalen Partikularismus bei den heftigsten Gegnern des Nationalismus und selbst des Staates geben, der die Nation repräsentiert. Vielmehr besaß der alte Gallikanismus eine Lehre, er stand in einer Tradition; er hing an ehrwürdigen Gewohnheiten, er drückte sich in einer vielleicht etwas strengen, aber soliden Kultur aus und konnte sich auf illustre Namen berufen. Hier dagegen steht man vor einer pubertären Reaktion, vor einer undurchdachten und wurzellosen Ideologie, vor einer mickerigen Kritik, vor einer Selbstbezogenheit ohne Größe. Trotz einiger oberflächlicher großer Gebärden sollte man lieber von einem gewissen »Provinzialismus« sprechen.
In der Tat wird die Entfremdung gegenüber dem Zentrum, die von einem ganz lokalen Verständnis des kollegialen Bandes ausgeht, zugleich – trotz der mitunter täuschenden Worte – zu einer Tendenz, die Bande der universalen Kollegialität aufzulösen. In Rom, dem Zentrum der Katholizität, fließt heute natürlicherweise die durch das letzte Konzil ausgelöste immense Arbeit des Forschens und der Neuausrichtung auf dem Gebiet der Liturgie, des Rechtes, der Theologie und der Pastoral im Hinblick auf die erwünschte Erneuerung zusammen. Von Rom also fließt die mehr oder weniger provisorische Frucht all dieser Arbeit zurück. Sie ist gewiss nicht immer voll ausgereift. Sie aber von vornherein als »römisch« zurückzuweisen, ist zumindest ein Irrtum, unter dessen Deckung man sich isoliert. Wenn in einer bestimmten Region die Bischöfe vor denen zurückweichen, die sie darin bedrängen, würden sie ihre eigene Kirche dessen berauben, was das allgemeine Wohl für alle Gläubigen sein muss. Wenn sie sich umgarnen ließen, so nähmen sie eine ähnliche Haltung gegenüber dem Papsttum selbst ein, und sie würden, wie man richtig geschrieben hat, ihren eigenen Halt unterhöhlen.
Vor fast hundertfünfzig Jahren sprach Möhler aus Erfahrung, als er auf die »innige Verbindung zwischen der Achtung vor dem Papst und dem Gemeinschaftsgeist« hinwies. Die Schwächung des ersten bringt bald, so sagte er, eine Bedrohung für den zweiten mit sich. Wie viele andere ältere und jüngere Beispiele könnte man denen hinzufügen, die er anführt! Ich möchte nur nochmals den hl. Avitus von Vienne zitieren. Er war in Konflikt mit seinem Kollegen Caesarius von Arles um den Primat von Gallien geraten und musste zu seinem großen Missfallen erleben, dass Papst Symmachus den Konflikt zugunsten des Caesarius entschied. Einige Monate danach verteidigte er trotzdem mit Energie im Namen des ganzen gallischen Episkopats die Sache des römischen Primats gegen italienische Bischöfe, die der politischen Macht allzu ergeben waren. »Wenn der Bischof von Rom in Frage gestellt wird, wenn sein Stuhl erschüttert wird, dann gerät nicht ein Bischof, sondern der ganze Episkopat ins Wanken.«
In einer Zeit der Ruhe und geistlichen Gesundheit bräuchte man sich nicht über eine Tendenz aufzuregen, deren Äußerungen zumindest bei den verantwortlichen Leitern noch einigermaßen harmlos sind. Man könnte sie als ein vorübergehendes Fieber deuten, das durch die ungeschickte Explosion eines Gefühls wiedergefundener Freiheit entstand. Zu einer Stunde aber, da eine weltweite Krise das Innere der Kirche selbst so heftig schüttelt, können die Folgen einer solchen Geistesverfassung viel weiter führen, als viele von denen ahnen, die sie propagieren. Sie führt ein Ferment der Zersetzung dort ein, wo der Zusammenhalt im Hinblick auf den unvermeidlichen geistlichen Kampf am nötigsten wäre. Nichts wird jedenfalls besser die Bedrohung, die sie mit sich bringt, bannen, als sich sehr klar und entschieden ins Bewusstsein zu rufen, was an der Struktur der Kirche das Wesentliche ist: die Gemeinschaft jeder Partikularkirche, sei sie mit andern gruppiert oder nicht, mit dem Hirten der Kirche von Rom, dem universalen Hirten und Mittelpunkt der katholischen Einheit.
2. Appell zu einer häufigeren Abhaltung eines Konzils
Die zweite Tendenz, von der ich sprach, nimmt in einer Reihe von Reformthesen und Reformprojekten Gestalt an. Auch sie gibt vor, die Idee der bischöflichen Kollegialität praktisch zu fördern, indem sie auf die eine oder andere Art die päpstliche Autorität zurückbindet. Ich möchte als Beispiel zwei dieser Projekte anführen. Ob es sich dabei um eine alte, wieder aufgewärmte Idee oder um eine neue Erfindung handelt, ihre Förderer möchten in ihr – man fragt sich warum – das Allheilmittel sehen, wodurch das Heil der Kirche sichergestellt würde, indem es ihr den Weg des Fortschritts öffnet.
Da ist vor allem der Ruf nach einer häufigeren Abhaltung von Konzilien. Bereits 1870 erinnerten sich einige Bischöfe des vielberufenen Konzilsdekrets von Konstanz wie auch eines Votums einiger italienischer Prälaten in Trient, die verlangt hatten, dass man die periodische Abhaltung ökumenischer Konzilien festsetze. Damit wollte man, ohne die konziliaristische Doktrin anzunehmen, das konziliaristische System in der Praxis anwenden, das zur Zeit des großen abendländischen Schismas manche bezaubert hatte. Aber dieses System hatte keinerlei Rückhalt in der Tradition. »Die Theologen, die das Konzil zu einer regelmäßigen Einrichtung machen möchten«, schreibt Msgr. Philips, »täuschen sich. Seiner Natur nach ist es viel eher ein Ereignis als eine Institution.« Der Rapport, den neulich die ökumenische Kommission »Katholizität und Apostolizität« veröffentlicht hat, erklärt in ähnlicher Weise, dass die Konzilien »sporadische Manifestationen« sind. Dom Grea sagte unlängst weise: »Die katholische Kirche kann nicht durch häufige Abhaltung von ökumenischen Konzilien die Welt erschüttern.«
Im Übrigen wagte der kühnste von denen, die 1870 diese periodische Wiederkehr von Konzilien wünschten, Bischof Strossmayer, nur einen Rhythmus von zwanzig Jahren vorzuschlagen. Heute möchten manche, dass die Bischofssynode, die durch Paul VI. eingesetzt wurde, sich in eine Art Konzil umbildete und dadurch gegen den Buchstaben und Geist ihrer Einsetzung das reguläre Organ des Magisteriums des universalen Episkopats würde. Solange die Synode, so meinen sie, eine bloß beratende Rolle habe, werde die Kollegialität nicht voll realisiert sein. Hier liegt, so denken wir, ein doppeltes Missverständnis vor.
Die Synode ist ein Ausdruck, man kann sogar sagen, sie ist heute der markanteste Ausdruck des Bischofskollegiums. Aber einerseits zeigt die Entscheidung, die im Oktober 1969 getroffen wurde, die Synode alle zwei Jahre zu versammeln, mit Evidenz, dass es sich weder im Geist des Papstes noch in dem der versammelten Bischöfe darum handeln konnte, in Missachtung der ganzen Tradition und jeder gesunden Vernunft das Äquivalent eines alle zwei Jahre abzuhaltenden Konzils einzuführen. Und weder der Papst noch die Bischöfe verstanden gewiss die volle Ausübung der bischöflichen Kollegialität lediglich unter den Formen der Konziliarität; sie hatten nicht den Text vergessen, für den sie gestimmt und den sie vor fünf Jahren promulgiert hatten und den so viele improvisierte Theologen überhaupt nie gelesen zu haben scheinen. Wenn anderseits einige Leute den Papst dadurch zwingen wollten, die Dekrete irgendwelcher Majorität auszuführen, dann müsste man sie daran erinnern, dass selbst im Fall eines ökumenischen Konzils es niemals angeht, den Papst und die übrigen Bischöfe einander entgegenzusetzen, erst recht nicht den ersteren den zweiten zu unterwerfen.
3. Wahl des Papstes durch eine Delegation des universalen Episkopats
Unser zweites Beispiel: Ohne Zweifel findet man im Gesagten nicht, was man sucht, denn aus einem ähnlichen Bestreben, die Kollegialität wirksamer zu machen, schlägt man vor, den Papst durch eine Delegation des universalen Episkopats zu wählen. Ist es wirklich das, worauf man hinauswill? Hieße das nicht wohl oder übel aus dem Papst eine Art Superbischof ohne örtliche oder zeitliche Wurzeln zu machen, einen konstitutionellen Souverän oder Präsidenten einer Kirche, die wie ein Abklatsch irgendeines modernen Staates konzipiert wäre? Wäre der Erwählte dann noch einfach der Bischof von Rom und als solcher der Erbe der Sendung Petri? Die Frage kann wenigstens gestellt werden, und es scheint nicht, dass sie unter all ihren Aspekten schon erwogen worden ist. »Die Wahl des souveränen Pontifex«, so meinte Dom Grea, »gehört so ausschließlich der römischen Kirche, dass keine Versammlung, kein Konzil, selbst nicht ein ökumenisches, sich an ihre Stelle setzen dürfte.« In der Tat hat 1963, soweit wir wissen, niemand ernsthaft den Gedanken geäußert, der Nachfolger Johannes’ XXIII. könnte durch das Konzil ernannt werden.
Vielleicht könnte die Behauptung des Dom Grea zu absolut erscheinen angesichts der Tatsache, die er selbst erwähnt, dass die Formen der Wahl zum römischen Stuhl bereits vielerlei Wandlungen durchgemacht haben und dass das gegenwärtige Kardinalskollegium nur noch ziemlich fiktiv die römische Kirche repräsentieren kann. Dieser Einwand ist nicht ohne Wahrheitsgehalt. Indes muss man auch beachten, dass es sich nicht um die bloße, streng umgrenzte Diözese von Rom handelt. Gewohnheitsgemäß versammelten sich, wenn ein Bischof zum Sterben kam, die Bischöfe der Nachbardiözesen, um seinen Nachfolger zu wählen und zu weihen. Nun aber umfasst das Kardinalskollegium noch heute die Bischöfe der sogenannten »suburbikarischen« Diözesen, ein Titel, der nicht für alle fiktiv ist. Anderseits bietet die Ausdehnung dieses Kollegiums auf Bischöfe der ganzen Welt den Vorteil, in der Praxis eine Wahl sicherzustellen, die willigere Zustimmung finden kann, ohne daraus eine Prinzipienfrage zu machen. Man muss im Übrigen wohl zugeben, dass es in jeder sich entwickelnden und dauerhaften Institution unvermeidlich ist, dass die Situationen nicht auch manche Anomalie mit sich bringen. Soll man aber abschneiden, was noch von einem ursprünglichen Band übrigbleibt, selbst wenn dieser Rest teilweise nur noch symbolisch ist? Wozu? Im Namen welchen Prinzips?
Die Wahl sollte, so sagt man uns, »durch einen wahrhaft repräsentativen Rat der Kirche« vollzogen werden. »Repräsentativ für die verschiedenen Nationen, die verschiedenen Mentalitäten, die verschiedenen Altersstufen.« Übergehen wir diese letzten Worte, die eher absonderlich klingen ... Woher aber hat man dieses Postulat der »Repräsentation« genommen? Hat es das geringste Fundament in der Tradition? Wurde Petrus durch die Elf gewählt? Hat irgendeiner seiner Nachfolger sein Erbe durch eine derartige Wahl an getreten? Hat Clemens von Rom den Korinthern gesagt, er spreche zu ihnen mit Autorität, weil er von den verschiedenen Kirchen gewählt worden sei? Wenn man uns zeigen könnte, dass die Art der Papstwahl, die einst »repräsentativ« war, es heute nicht mehr ist, dann wäre es klar, dass man sie ändern müsste, um sie von neuem der Tradition anzupassen. Dies abzulehnen, wäre bornierter Konservatismus. Aber der Fall liegt keineswegs so. Für die Wahl eines Papstes prinzipiell diese Repräsentation der universalen Kirche zu reklamieren, hieße das nicht, den Sinn verfälschen und dahin tendieren, den Erwählten als eine Art Delegierten zu verstehen? Wir sagen nicht, dass eine solche Art der Wahl unmöglich ist. Hieße das aber nicht in jedem Fall, sich erhebliche Freiheiten nicht nur in Hinsicht auf die kirchliche Tradition, sondern auch in Bezug auf das Evangelium anmaßen?
Man wird sich deshalb nicht wundern, dass ein Vorschlag, der den unterscheidenden Charakter Petri kaum zu respektieren weiß, starke Vorbehalte erweckt hat. Ist das nicht ein Versuch, die Konstitution der Kirche den weltlichen Gewohnheiten anzupassen, statt sie von ihrer eigentlichen Ursprünglichkeit her neu zu beleben? Zeigt sich in diesem Vorschlag nicht ein vor herrschendes Verlangen nach einer (höchst zweifelhaften) Effizienz statt nach einer vertieften Treue? Man wird sich deshalb über die lebhaften Reaktionen nicht wundern, die dieser Vorschlag bei den orientalischen Kirchen hervorgerufen hat.
In der Tat, abgesehen von einigen blinden Geistern, die es überall gibt, empfinden die wichtigsten Wortführer der Orthodoxie keine Schwierigkeit, in der Kirche eine gewisse Präeminenz des Bischofs von Rom zuzugeben. Mehrere von ihnen verstehen auch besser deren Notwendigkeit, da sie bei sich selbst den empfindlichen Mangel eines gemeinsamen Zentrums feststellen, einen Mangel, dem auch die vergeblichen Versuche nicht abhelfen können, die auf moderne Theorien einer obersten kollektiven Macht gegründet sind. Sie anerkennen gern den Wert der alten Zeugnisse an und sehen einmütig »in Rom die erstgeborene Kirche und das universale Zentrum der Einsgesinntheit der Kirchen«. »Nur im Feuer der Polemik« – sagt einer von ihnen – »kann man diese Zeugnisse, ihren Konsens und ihre Bedeutung leugnen.« Für sie war der berühmte Canon 28 von Chalcedon, der insinuiert, der Primat des alten Rom sei ihm nicht vom Apostel zugekommen, sondern von seiner weltlichen Größe, nichts anderes als ein Text des politischen Opportunismus. Wenn sie diesen Primat auch nicht in Rechtsform ausdrücken wollen, lehnen sie es indes ab, jenen ihrer Historiker zu folgen, die die Tragweite der traditionellen Bezeugungen des Primats systematisch heruntergespielt haben. Zurückhaltend gegenüber der Idee einer »obersten Gewalt«, sind sie dies ebenso gegenüber der Idee einer »einfachen Präsidentschaft, die in demokratischen oder parlamentarischen Formen konzipiert wäre«. Stark unterstreichen sie, dass der Primat, der an einen genau bestimmten Sitz gebunden ist, nichts irgendeiner Art von Repräsentation verdankt. Um wieviel mehr würden sie sich weigern, einen Superbischof anzuerkennen, der durch eine Repräsentation allein (oder fast allein) der westlichen Kirchen eingesetzt würde! Das Projekt, das man uns als dringlich für das Wohl der Kirche vorlegt, würde ohne Zweifel allein dadurch, dass man es in Erwägung zöge, ein erhebliches Hindernis für die ökumenische Sache sein. Hat man darüber hinreichend nachgedacht?
Die Interventionen des Apostolischen Stuhles
Die Formen der Intervention des Apostolischen Stuhles haben im Laufe der Jahrhunderte stark variiert. Das ist das Gesetz jeder großen Institution von Dauer. Es geht nicht darum, irgendeine dieser Formen als absolute Norm hinzustellen, ebenso wenig wie Akten verschiedener Natur unter Vernachlässigung der gebräuchlichen Kriterien die gleiche Tragweite zuzuschreiben. So war es kein Beitrag zur Stärkung der päpstlichen Autorität, alle Enzykliken als unfehlbar hinzustellen, wie das mehrere Theologen getan haben. Die Frequenz der Interventionen hat nicht weniger variiert als ihre Form.
Man kann sich darüber freuen, dass die modernen Kommunikationsmittel, die dazu beitragen, die Gedanken in alle Bereiche zu streuen, es dem Haupt der Kirche gestatten, sich häufiger mit der Gesamtheit der Gläubigen zu unterhalten und ihnen eine konkrete, den Bedürfnissen der Stunde angepasste Unterweisung zu übermitteln. Man kann auch denken, dass in einer Welt, die zum ersten Mal ihre Einheit versteht – allerdings eine Einheit, die kaum mehr ist als ein immenses Chaos –, eine vermehrte Aktivität des universalen Hirten sehr geeignet ist, die geistige Einheit des katholischen Universums irgendwie zu besiegeln und die Gläubigen durch Appelle wie etwa durch die Rede Pauls VI. vor den Vereinten Nationen oder die Enzyklika »Populorum progressio« auf die neuen Aufgaben hin zu orientieren, die sich ihnen heute auf Weltebene stellen. Bei der Durchführung dieser Aufgaben ist es im Übrigen normal, dass Repräsentanten der ganzen Kirche, Bischöfe, Priester und Laien beigezogen werden. So wird es ja auch in der Praxis gehandhabt. Aber auf der andern Seite wäre es wünschbar, dass eine bessere Anwendung der Subsidiarität dazu beitrüge, die Notwendigkeit häufiger oder gewichtiger Interventionen vom Zentrum her zu reduzieren. Wenn die Gesamtheit der Hirten mit echter Sorgfalt ihre Aufgaben als Lehrmeister und Hüter des Glaubens wahrnehmen, wenn die lokalen Initiativen hinreichend erwogen werden, um die nötigen Anpassungen sicherzustellen und die christliche Vitalität unter den unaufhörlich sich ändernden Daseinsbedingungen zu erhalten, hat der universale Hirte weniger Anlass zu intervenieren. Der gegenwärtige Prozess der Dezentralisierung kann so das innere Leben der Kirchen auch wieder kräftigen, vorausgesetzt freilich, dass nicht neue exzessive Zentralisation auf der Ebene der Nationen eingeführt wird. Immerhin lassen sich nicht alle geschichtlich gewachsenen Verhältnisse über den Haufen werfen. Keine vitale Institution lässt sich willkürlich manipulieren, und es ist illusorisch anzunehmen, man könne den Fluss der Entwicklung stromaufwärts zurückleiten, man kann es so wenig wie durch Absägen der Eiche in Bodenhöhe die Energie der Eichel wiederfinden. Wenn man also um die christliche Einheit besorgt ist, muss man, so scheint mir, in der versammelten Kirche der Zukunft erhebliche Unterschiede der Leitung voraussehen, und zwar mindestens so große wie in den Jahrhunderten, die dem Schisma zwischen Orient und Okzident vorausgingen. Aber die wesentliche Prärogative Petri wird bleiben.
Den Bischof von Rom auf irgendeine Weise verpflichten zu wollen, sich stets an die andern Bischöfe zu wenden, um von ihnen den Weg der Treue zu erfahren, hieße die Konstitution der Kirche und ihre traditionelle Praxis auf den Kopf stellen. In der Antike hatte das Papsttum noch nicht jene Entwicklungen genommen, die eine lange Geschichte mit unvorhersehbaren Zwischenfällen ihm auferlegen sollte. Seine Autorität war noch nicht mit der Präzision juridischer Ausdrücke definiert. Die Kommunikationsschwierigkeiten verhinderten eine gewisse Art der Einheit, die der jugendliche Elan der Kirchen auch weniger notwendig machte. Aber in jedem Disziplinar- oder Glaubensfall wussten alle, dass man sich in letzter Instanz an den Apostolischen Stuhl wenden musste.
Der hl. Augustin bietet uns dafür ein vollkommenes Beispiel. Er war gewiss kein unbedeutender und passiver Bischof. Seinem energischen Handeln ist der Rückgang des donatistischen Schismas zu verdanken. Man kennt diesbezüglich das stolze Wort des Possidius: »Seit langem lag die Kirche in Afrika am Boden, verführt oder unterdrückt: Dank Augustinus begann sie mit Gottes Hilfe ihr Haupt wieder zu erheben.« Seine Bücher trugen überallhin das Licht. Der Orient erhielt sie in Übersetzungen. Überallhin erstreckte sich seine Wachsamkeit. Aufgrund von Briefen, die ihn über die pelagianischen Umtriebe im Orient unterrichteten, tritt er entschlossen in den Kampf gegen die neue Häresie. Er regt die Konzilien von Karthago und Mileve an. Er richtet an Papst Innozenz ein gedrängtes Memorandum, das vier seiner Kollegen unterzeichnen. So bahnt sich zwischen Rom und den Afrikanern ein häufiger Austausch an. Seiner kollegialen Verpflichtung bewusst, sieht Augustin nicht weniger klar, dass allein die Intervention Roms die Affäre lösen kann. Innozenz antwortet mit drei Reskripten. Seine Sentenz ist eindeutig klar: »Jeder Zweifel ist behoben«, kann Augustin seinem Volke sagen.
»Die Reskripte sind vom Apostolischen Stuhl gekommen, die Sache ist erledigt; es möge dem Himmel gefallen, dass der Irrtum sein Ende nehme!« Aber zwei Monate später stirbt Innozenz. Der Pelagianer Coelestius eilt nach Rom, er prellt die Leute, indem er vorgibt, den Reskripten Innozenz’ anzuhangen; die römische Synode lässt sich umgarnen; der neue Papst Zosimus zögert. Die Afrikaner drängen. Zosimus veröffentlicht schließlich eine »Tractoria«, in der er den Entscheid Innozenz’ bestätigt, und der Episkopat der ganzen Welt unterschreibt sie.
Trotz der extremen Verschiedenheit der Fälle, der unabsehbaren Vielfalt der Dispute, Konsultationen oder Intrigen, war der wesentliche Prozess immer schon so beschaffen. Er war genau das Gegenteil dessen, was viele heute anstreben. Offensichtlich kam nicht alle Initiative von Rom. Oft waren die römischen Päpste »kluge und ruhige« Männer, die nichts brüskieren wollten. Und doch hat Augustin richtig gesehen: nichts konnte ohne Rom zum Ziele kommen. Wenn eine schwere Krise eintrat, suchte nicht der Bischof von Rom eine Majorität, um sich auf sie zu stützen: Es waren die Bischöfe, zahlreich oder nicht, mächtig oder nicht, wirksam durch kollegiale Bande geeint oder nicht, die sich an ihren Bruder in Rom wandten, um seine Entscheidung anzurufen. Denn das ist vor allem in seiner unveränderlichen Einfachheit das Charisma, das Amt, der Dienst des Petrus.
Der Text erschien erstmals in COMMUNIO 1 (1972), Heft 4, 324-340.