Moralische MogelpackungDas Vatikan-Papier zur Segnung homosexueller Paare

Die Erklärung "Fiducia supplicans" präsentiert eine Scheinlösung, die fast niemanden zufriedenstellt. Sie verschärft eine Doppelmoral, die schon bislang der Glaubwürdigkeit der Kirche sehr geschadet hat. Normative Probleme lassen sich nicht durch "pastorale Lösungen" klären.

Paar
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Es ist eine beliebte Strategie, die Bedeutung einer bislang bestehenden Grenze genau in dem Moment noch einmal zu beschwören, in dem man sich anschickt, sie zu überschreiten. Was in der politischen Rhetorik vielleicht noch hinnehmbar erscheint, das verbietet sich in den Bereichen der Moral und der Religion, die in besonderem Maße auf begriffliche Klarheit, Stringenz der Argumentation und persönliche Vertrauenswürdigkeit der Akteure angewiesen sind.

Wendet man diese Kriterien auf die Erklärung "Fiducia supplicans" (FS) an, die das Dikasterium für die Glaubenslehre am 18.12.2023 veröffentlicht hat, dann stellt sich rasch Ernüchterung ein. Die hier vorgelegte Position ist in sich widersprüchlich und hält einer seriösen moraltheologischen Überprüfung nicht stand.

Dies ist selbst dann ausdrücklich zu betonen, wenn man das Ziel des Textes in Gestalt einer besseren pastoralen Integration von Personen in "irregulären" oder gleichgeschlechtlichen Beziehungen bejaht und für richtig erachtet. Die zur Erreichung dieses Zieles angewandten Mittel gleichen jedoch bei näherer Betrachtung einer moraltheologischen Mogelpackung, die einerseits die Kontinuität der Lehre betont, andererseits aber die traditionellen lehramtlichen Bestimmungen de facto unterläuft.

Von entscheidender Bedeutung ist dabei nicht der Begriff der "Ehe", sondern das normative Urteil, demzufolge insbesondere "homosexuelle Handlungen in sich nicht in Ordnung sind" (Persona humana 8) und "gegen das natürliche Sittengesetz" verstoßen (KKK Nr. 2357).

Es erfolgt eine faktische Kehrtwende, die jedoch davor zurückschreckt, die zur ihrer Legitimation notwendigen normativen Korrekturen vorzunehmen.

Nachdem Papst Franziskus 2016 im nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" noch jeder Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der sakramentalen Ehe eine deutliche Absage erteilt und das Responsum ad dubium des Glaubensdikasteriums vom 22. Februar 2021 erklärt hatte, dass es "nicht erlaubt [ist], Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (…) einschließen", erfolgt nun eine faktische Kehrtwende,  die jedoch davor zurückschreckt, die zu ihrer eigenen Legitimation notwendigen normativen Korrekturen vorzunehmen.

Sind die Empfänger des Segens unzurechnungsfähig?

Die jetzt eröffnete "Möglichkeit der Segnung von Paaren in irregulären Situationen und von gleichgeschlechtlichen Paaren, deren Form von den kirchlichen Autoritäten nicht rituell festgelegt werden darf, um keine Verwechslung mit dem dem Ehesakrament eigenen Segen hervorzurufen", soll nämlich nur für diejenigen gelten, "die sich als mittellos (…) erkennen und nicht die Legitimation ihres eigenen Status beanspruchen, sondern darum bitten, dass alles, was in ihrem Leben und ihren Beziehungen wahr, gut und menschlich gültig ist, durch die Gegenwart des Heiligen Geistes bereichert, geheilt und erhöht wird" (FS 31). Die Problematik dieser Argumentation besteht nicht allein darin, dass sie den potenziellen Segensempfängern eine Intention abverlangt, die ihrem eigenen Selbstverständnis in der Regel völlig fremd sein dürfte.

Noch viel besorgniserregender sind zwei weitere Argumente, die Papst Franziskus in seiner am 3.10.2023 veröffentlichten persönlichen Antwort auf die "Dubia" (Anfragen) einer Gruppe von fünf Kardinälen bemühte, um die einschlägigen Segenshandlungen zu legitimieren. Indem er zum einen dazu auffordert, "Menschen, deren Schuld oder Verantwortung durch verschiedene Faktoren, die die subjektive Zurechenbarkeit beeinflussen, gemildert werden kann, nicht einfach als 'Sünder' zu behandeln", spricht er den Betroffenen, die sich gewöhnlich sehr bewusst für ihre jeweilige Lebensform entschieden haben, zumindest indirekt die persönliche volle Zurechnungsfähigkeit ab. Zum anderen beschwört er ein eigentümliches Verständnis "pastoraler Klugheit", das nicht auf die situativ angemessene Erfüllung bestehender Normen ausgerichtet ist, sondern deren gezielte Übertretung rechtfertigen soll.

Der ausdrückliche Hinweis, dass solche Klugheitsentscheidungen ihrerseits "nicht notwendig zur Norm werden" müssen (FS 37), bleibt jedoch insofern moraltheologisch unbefriedigend, als er vor der Lösung des normativen Grundproblems kapituliert und eine pastorale Scheinlösung offeriert, die am Ende niemanden zufriedenstellt: Die Progressiven nicht, weil die hier angebotene außerliturgische Segenshandlung ein erhebliches neues Diskriminierungspotential in sich birgt und eine für menschenrechtswidrig erachtete Grundnorm bestehen lässt. Und die Konservativen nicht, weil die inflationäre Beschwörung von "Sondersituationen" verklausuliert eine Praxis gutheißt, die in Widerspruch zu den offiziellen Normen der Kirche steht und damit eine kirchliche Doppelmoral verschärft, die ihre Glaubwürdigkeit schon heute ernsthaft gefährdet.

An diesem Eindruck ändert auch die Pressemitteilung mit Erläuterungen des Glaubensdikasteriums vom 4. Januar 2024 nichts, die angesichts der kritischen Stimmen aus der Weltkirche beschwichtigend erklärt, bei dem neu angedachten "Segen im Sinne pastoraler Annahme" handele es sich lediglich um "Segnungen von einer Dauer weniger Sekunden, ohne Ritual und Benediktionale", für deren Erteilung der Priester "keine Bedingungen" stelle und "auch nichts über das Intimleben dieser Menschen erfahren" wolle. Da es sich hier nicht um die selbstverständlich jederzeit mögliche Segnung Einzelner, sondern um die von einem Amtsträger vorgenommene kirchliche Segnung von Partnern handelt, die in einer offiziell von der Kirche als moralisch illegitim beziehungsweise "irregulär" qualifizierten Beziehung leben, vermögen diese Hinweise das Grundproblem kaum aus der Welt zu schaffen.  

Es steht daher zu befürchten, dass die Erklärung "Fiducia supplicans" wegen der aussichtslosen Strategie, normativ-doktrinäre Probleme durch sogenannte "pastorale Lösungen" klären zu wollen, am Ende genau jenes Vertrauen verspielt, das sie eigentlich zurückgewinnen wollte.

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