Auch wenn die katholische Kirche ihren Frieden mit der Demokratie als Staatsform gemacht hat, unterscheidet sich ihre eigene Verfassung doch deutlich von modernen Demokratien. Kritiker sehen in der katholischen Kirche eine Art absoluter Monarchie. Zwar haben sich die römischen Bischöfe seit dem Mittelalter durchaus als Monarchen mit dem Anspruch auch auf weltliche Macht verstanden. Doch die katholische Kirche hat eine Verfassung sui generis, die mit den bekannten Staatsformen nur bedingt vergleichbar ist. Von ihrer episkopalen (bischöflichen) Verfassung her ist sie weder eine Demokratie noch eine Monarchie oder Autokratie.
Christus ist der Souverän der Kirche
Bei der Kirche handelt es sich um eine zugleich unsichtbare und sichtbare Gemeinschaft. Sie ist "Leib Christi" und "Volk Gottes", mit bischöflicher Leitungsstruktur auf ortskirchlicher wie universalkirchlicher Ebene. Ihr Souverän ist nicht wie in der Demokratie ein Volk, sondern Jesus Christus, Haupt und Herr der Kirche. Zwar besteht in der Kirche "eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi", wie es das Zweite Vatikanische Konzil sagt (LG 32), die im Taufpriestertum (1 Petr 2,9f.) begründet ist (can. 208 CIC/1983). Doch die Leitung der Kirche, die in und aus Teilkirchen besteht (LG 23), liegt bei den Nachfolgern der Apostel, dem Kollegium der Bischöfe und dem Bischof von Rom (LG 22). Sacra potestas, Leitungs- beziehungsweise Jurisdiktionsgewalt, kommt in der katholischen Kirche ausschließlich geweihten Amtsträgern zu (can. 127, § 1–2 CIC/1983), an erster Stelle den Bischöfen.
Das Konzil hat die Rolle des Volkes Gottes gestärkt und mit der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe eine Aufwertung des Bischofsamtes gegenüber dem Primat des Papstes vorgenommen. Der Papst kann nicht losgelöst vom Kollegium der Bischöfe regieren, zudem ist er gebunden an die Lehre der Kirche und ihre Verfassung iure divino (göttlichen Rechts).
Die katholische Kirche besitzt keine formelle Verfassungsurkunde, ihre historisch gewachsene Struktur wird von den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie des "Codex Iuris Canonici" und des "Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium" (den beiden kirchlichen Gesetzbüchern) beschrieben. Danach ist die Kirche communio Ecclesiarum (Gemeinschaft der Kirchen), communio fidelium (Gemeinschaft der Gläubigen) und communio hierarchica (hierarchische Gemeinschaft).
Kein Konzil zuvor hat sich so ausführlich zur Verfassung der Kirche geäußert wie das Zweite Vatikanische Konzil, das man ein "Konzil der Kirche über die Kirche" genannt hat. Das Konzil hat die Rolle des Volkes Gottes gestärkt und mit der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe eine Aufwertung des Bischofsamtes gegenüber dem Primat des Papstes vorgenommen. Der Papst regiert in dieser Verfassung nicht als absoluter Souverän. In der Ausübung seiner Macht ist er begrenzt. Er kann nicht losgelöst vom Kollegium der Bischöfe regieren, zudem ist er gebunden an die Lehre der Kirche und ihre Verfassung iure divino (göttlichen Rechts).
Die Kirche demokratisieren?
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sieht sich die katholische Kirche vermehrt mit der Forderung nach einer nachholenden Demokratisierung konfrontiert. Sie gehört auch zur Agenda des "Synodalen Weges" von Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Der Synodalbeschluss "Macht und Gewaltenteilung in der Kirche" (3. Februar 2022) fordert eine "Inkulturation der katholischen Kirche in die demokratisch geprägte freiheitlich-rechtsstaatliche Gesellschaft". Wie in der Gesellschaft müsse auch in der Kirche die Demokratie als "Lebensform" etabliert werden. Michael Seewald hat die auf John Dewey zurückgehende Unterscheidung zwischen Demokratie als way of life und Demokratie als Herrschaftsform aufgegriffen: Auch in der Kirche müssten demokratische Normen wie Gleichheitsprinzip, Mehrheitsprinzip, Kontrollprinzip und Normbindungsprinzip gelten, mag die Kirche auch keine "simple Kopie des demokratischen Staates" sein (Dogma, Recht und demokratische Prinzipien, in: Georg Essen u.a. [Hg.], Semper Reformanda. Das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschafen auf dem Prüfstand, Freiburg 2023, 363-378, 376).
Die Bischofssynode soll kein Parlament sein
Während man in den Pontifikaten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. die Kirche vor allem als Communio (Gemeinschaft) verstanden und beschrieben hat, trat mit dem Pontifikat von Papst Franziskus das Prinzip der Synodalität in den Vordergrund. Im Jahr 1965 errichtete Papst Paul VI. die Bischofssynode als weltkirchliches Beratungsorgan. In seiner Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Bischofssynode (17. Oktober 2015) nennt Franziskus die Synodalität eine "konstitutive Dimension der Kirche". Und in einer synodalen Kirche sei die Bischofssynode "der sichtbarste Ausdruck einer Dynamik der Gemeinschaft, die alle kirchlichen Entscheidungen inspiriert".
Mit der Apostolische Konstitution "Episcopalis communio" (15. September 2018) hat Franziskus neue Regelungen für die Bischofssynode in Kraft gesetzt, die dem Gremium einen ganz neuen Charakter gegeben haben. Zwar soll die Bischofssynode eine "wesenhaft bischöfliche Einrichtung" bleiben, aber nicht mehr "losgelöst von den übrigen Gläubigen". Man kann allerdings fragen, ob es sich bei einer Synode, auf der neben den Bischöfen auch Laien Stimmrecht haben, noch um einen coetus episcopalis (eine bischöfliche Versammlung) handelt (can. 342 CIC). Kardinal Walter Kasper hat im COMMUNIO-Interview von einem "Paradigmenwechsel" im Verständnis der Bischofssynode gesprochen. Ein Parlament ist aus der Bischofssynode nicht geworden. Franziskus hat auch immer wieder auf den Unterschied zwischen kirchlicher Synodalität und parlamentarischem System hingewiesen. Diese Frage stellt sich vor allem ausgehend vom klassischen Synodenmodell der katholischen Ostkirchen und der Kirchen der Orthodoxie.
Bei der von Franziskus einberufenen Bischofssynode zur Synodalität (2023/2024) haben Laien wie Bischöfe allerdings nur konsultatives (beratendes) Stimmrecht. Die Synode fasst keine rechtswirksamen Beschlüsse. Allerdings könnte ihr der Papst gemäß can. 343 CIC jederzeit auch "Entscheidungsgewalt" (potestas deliberativa) übertragen – gemeint ist die Kompetenz, auf der Grundlage von Beratungen Beschlüsse hinsichtlich Disziplin und Lehre der Kirche zu fassen. Bislang hat aber kein Papst davon Gebrauch gemacht. Aufgrund des veränderten Charakters der Bischofssynode würde die Übertragung einer potestas deliberativa dazu führen, dass mit der Synode gleichsam ein dritter Träger universalkirchlicher Jurisdiktion neben dem Bischofskollegium und dem Papst entstehen würde, was mit den Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in LG 22 kaum vereinbar wäre. Daher wird es wohl auch in Zukunft beim ausschließlich konsultativen Stimmrecht der Mitglieder der Synode bleiben.
Eine ganz andere Vorstellung von Synodalität der Kirche als Papst Franziskus hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Schon in seinem Papier "Synodalität. Stukturprinzip kirchlichen Handelns" (19. November 2016) forderte das Komitee, Beratungen müssten nach dem Konzept der deliberativen Demokratie immer "in ergebnisoffenen kommunikativen Prozessen" erfolgen, wobei eine Partizipation von Laien nicht ausreiche. Für synodale Prozesse seien vielmehr "demokratische Strukturen" zu implementieren. Der Synodalbeschluss "Macht und Gewaltenteilung in der Kirche" hat sich die Forderung nach einer Demokratisierung der Kirche zu eigen gemacht. Der Vizepräsident des Zentralkomitees, der Neutestamentler Thomas Söding, verschleiert in seiner Antwort auf das Interview von Kardinal Kasper, dass der Synodale Weg im Unterschied zum synodalen Prozess ein parlamentarisches Konzept kirchlicher Synodalität verfolgt.
Diskussionen in engen Grenzen
Die Befürchtung, die Synode zur Synodalität sei die "Büchse der Pandora" zur Demokratisierung der Kirche (Kardinal Raymond Leo Burke und andere), war unbegründet. In kleinen round table-Gesprächen tauschten sich Bischöfe zusammen mit ausgewählten Laien über vorab festgelegte Themen aus.
Wer erwartet hatte, man würde, wie beim deutschen Synodalen Weg, im Plenum über Themen wie Zölibat, Homosexualität oder Frauenpriestertum debattieren, sah sich enttäuscht. Und so enthält der "Synthese-Bericht" der ersten Sitzungsperiode der Synode auf weite Strecken nicht mehr als bekannte Überlegungen zur Synodalität der Kirche. Bezüglich des Zölibats heißt es nur, man habe über seine Bedeutung für den priesterlichen Dienst gesprochen sowie über Schwierigkeiten des priesterlichen Zölibats in verschiedenen kirchlichen und kulturellen Kontexten. Zur Debatte um die Priesterweihe von Frauen äußert sich das Bericht überhaupt nicht. Zum Diakonat der Frau heißt es, man müsse prüfen, ob ein solcher mit der Tradition und Einheit des Weihesakraments vereinbar sei. Das Thema Homosexualität findet im Synthese-Bericht keine explizite Erwähnung. Es ist nur allgemein von Personen die Rede, die sich aufgrund ihrer Identität und Sexualität an den Rand gedrängt oder von der Kirche ausgeschlossen fühlen. Es wird gefordert, ihnen mit Respekt zu begegnen und ihre Würde zu achten.
Ein neuer Papalismus
Die Bischofssynode betrachtet Franziskus offensichtlich nicht als Ort, Fragen der Lehre und Disziplin zu beraten. Der Papst zieht es vor, sich dazu selbst – und zwar außerhalb der Synode – zu äußern. So kann die Synode aber nicht die Dynamik einer Gemeinschaft entfalten, von der Franziskus sagt, dass sie alle kirchlichen Entscheidungen inspiriert. Zwar kommt dem Papst in Fragen der Lehre und Disziplin eine besondere Autorität zu; der römische Bischof ist im Kollegium der Bischöfe nach katholischem Verständnis mehr als ein primus inter pares (Erster unter Gleichen).
Der Papst verfügt aber nicht über absolute Souveränität. Im Umfeld von Franziskus gibt es freilich Anzeichen für einen neuen Papalismus, von dem man glaubte, er gehöre der Vergangenheit an. So spricht Kardinal Victor Manuel Fernández, der neue Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, dem Papst ein einzigartiges Charisma der Wahrheit zu und fordert alle Bischöfe auf, dem Papst zu folgen. Doch der Bischof von Rom besitzt weder eine besondere Inspiration noch hat er Zugang zu einer Offenbarung, die nur ihm zuteil wurde.
Debatte über Zölibat und Frauenpriestertum?
Durch eine Reihe von Stellungnahmen von Franziskus und von hochrangigen Mitgliedern der römischen Kurie scheint der Rahmen festgelegt, innerhalb dessen die Beratungen der Bischofssynode bei der zweiten Sitzungsperiode im kommenden Herbst stattfinden. Während sich Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin zu Beginn des Pontifikats von Franziskus noch offen für eine Debatte über die Zölibatsverpflichtung für Priester aussprach, erklärte er im vergangenen Dezember, dass der Zölibat zum Kern der priesterlichen Identität gehöre, weil jeder Priester sich Jesus Christus angleichen müsse: "Der Priester ist zölibatär, und er will es sein, weil Jesus es war, ganz einfach". Damit erhebt Parolin den Zölibat, der kein Dogma ist, gleichsam zu einem Wesenselement des priesterlichen Dienstamtes.“ Dagegen sprach sich vor einigen Tagen Charles Scicluna, Erzbischof von Malta und stellvertretender Sekretär im Dikasterium für die Glaubenslehre, dafür aus, den verpflichtenden Zölibat für katholische Priesters des römischen Ritus aufzugeben.
Das Nein zum amtlichen Priestertum der Frau hat Franziskus in den letzten Jahren zwar mehrfach bekräftigt und dabei betont, dass beim Frauenpriestertum – anders als bei der Frage des Zölibats – die Lehre und nicht nur die Disziplin betroffen sei. Allerdings lässt Franziskus in seiner Antwort auf die von fünf Kardinälen vorgebrachten Dubia, die im Vorfeld der ersten Sitzung der Bischofssynode publiziert wurden, Raum für einen Revisionsvorbehalt. Denn, so Franziskus, es sei nicht geklärt, wie verbindlich eine definitive Entscheidung in Fragen des Glaubens wie in "Ordinatio sacerdotalis" (1994) ist, da es sich um keine formelle dogmatische Definition (ex cathedra-Entscheidung) handelt.
Segen für homosexuelle Paare ohne Beratung im Vorfeld
Bei der Frage der Homosexualität hatte der Papst schon in seiner Antwort auf die Dubia die Möglichkeit von pastoralen Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare erwähnt, allerdings dürfe dabei nicht der Eindruck einer Eheschließung entstehen. Franziskus untersagte aber durch Bischöfe approbierte Rituale für solche Segnungen, womit er vermutlich einer entsprechenden Absicht der deutschen Bischöfe eine Absage erteilen wollte. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Franziskus die Antworten auf die vorgebrachten Dubia selbst verfasst hat. Vieles spricht dafür, dass sie aus der Feder von Fernández stammen. Dieser war auch schon als Ideengeber der Fußnote zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene in "Amoris laetitia" (19. März 2016) vermutet worden.
Mit der Erklärung "Fiducia supplicans" (18. Dezember 2023), die von der Generalversammlung der Kardinäle und Bischöfe des Glaubensdikasteriums weder diskutiert noch genehmigt wurde, hat Kardinal Victor Manuel Fernández, Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre das "Responsum" (22. Februar 2021) seines Vorgängers Kardinal Luis F. Ladaria einer "kreativen" Lesart unterworfen. Es gehe "Fiducia supplicans", so heißt es, ausschließlich um eine pastorale Vertiefung des "Responsum". Liturgische Rituale für Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare, die Verwirrung stiften könnten hinsichtlich der Natur der Ehe als "Verbindung eines Mannes und einer Frau (...),die durch ihren gegenseitig erklärten Ehewillen einen ausschließlichen und unauflöslichen Bund schließen", blieben weiterhin verboten, erlaubt seien dagegen spontane Segnungen in pastoralen Kontexten. Dazu bedient sich Fernández einer subtilen Distinktion zwischen gottesdienstlichen und pastoralen Segnungen durch geweihte Amtsträger der Kirche. Das Dikasterium für den Gottesdienst ist weder zum Text noch zur Veröffentlichung und Anwendung von „Fiducia supplicans“ konsultiert worden.
Wie ernst meint es Franziskus mit der Synodalität der Kirche, wenn er, statt auf Konsultationen im Bischofs- und Kardinalskollegium zu setzen, in einsamer Beratung mit sich selbst und Kardinal Fernández einen fait accompli schafft?
Eine ganze Reihe von Bischofskonferenzen, nicht nur afrikanische Konferenzen, sowie mehrere Einzelbischöfe, haben als Reaktion auf “Fiducia supplicans“ jede Form einer Segnung gleichgeschlechtlicher Paaren untersagt. Die von Fernández nachgeschobenen Erläuterung, bei spontanen pastoralen Segnungen werde zwar das gleichgeschlechtliche Paar, nicht aber ihre Beziehung gesegnet, schaffte keine Klarheit, sondern sorgte für noch mehr Verwirrung. Der zunehmende Widerstand gegen „Fiducia supplicans“ veranlasste den Präfekten des Glaubensdikasteriums, am 4. Januar eine Pressemitteilung zur Förderung der Rezeption der Erklärung zu veröffentlichten. Neu ist darin der Hinweis, dass ein pastoraler Segen für Paare in sogenannten "irregulären" Beziehungen, worunter nach katholischem Verständnis auch gleichgeschlechtliche Beziehungen fallen, nur wenige Sekunden dauern soll (10-15 Sekunden werden genannt) und "nicht an einem wichtigen Platz im Kirchengebäude oder vor dem Altar stattfinden sollte". Bei der Konkretion am Beispiel wiederverheirateter Geschiedener fällt auf, dass der geistliche Amtsträger den Handsegen über jeden einzeln von ihnen erteilt, was dann wohl auch beim pastoralen Segen für gleichgeschlechtliche Paare gilt.
Die Ankündigung, mit "Fiducia supplicans" sollte alles Nötige gesagt sein, darüber hinaus "sollten keine weiteren Antworten über mögliche Art und Weisen zur Normierung von Details oder praktischen Aspekten in Bezug auf Segnungen dieser Art erwartet werden" war damit bereits nach zweieinhalb Wochen Makulatur.
In seiner Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode hat Franziskus die Synodalität der Kirche als angemessenen "Interpretationsrahmen für das Verständnis des hierarchischen Dienstes" genannt. Doch wie ernst meint es Franziskus mit der Synodalität der Kirche, wenn er, statt auf Konsultationen im Bischofs- und Kardinalskollegium zu setzen, in einsamer Beratung mit sich selbst und Kardinal Fernández einen fait accompli schafft?