Ironie der GeschichteDie Debatte um die Habilitation des späteren Papstes geht weiter

Zweitgutachter Michael Schmaus wollte Joseph Ratzingers Habilitation nicht "retten" – und blieb weiter missgünstig, wie auch veröffentlichte Quellen zeigen. Schmaus erkannte in Ratzingers Habilitation die Gegenposition zu seinem eigenen traditionellen Offenbarungsverständnis. Wenig später wurde die von Ratzinger vertretene Auffassung zur Leitidee des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Michael Schmaus
© KNA-Bild

Um eines gleich vorwegzusagen: ich schätze Michael Schmaus. Fachlich gesehen, gilt seine Studie "Die psychologische Trinitätslehre des heiligen Augustinus" aus den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts bis heute als Standardwerk auf diesem Gebiet. Die Bände seiner "Katholischen Dogmatik" stehen in meinem Büro neben "Mysterium salutis", der ersten heilsgeschichtlich angelegten Darstellung der Glaubenslehre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Schmaus hat diesen neuen Ansatz durch sein biblisch, geschichtlich und personal ausgerichtetes Lehrbuch bereits vorbereitet.

Ich habe noch einige Menschen kennengelernt, die Schmaus auch persönlich nahestanden. Seinen Schüler Ludwig Hödl zum Beispiel, der von seinem Professor zum Quellenstudium in die Handschriftensammlungen von Rom und Paris geschickt und so ein glänzender Kenner der mittelalterlichen Theologie wurde. Den Germanisten Wilhelm Gössmann, der mit seiner Frau Elisabeth nicht nur bei Schmaus studierte, sondern auch von ihm in der St. Ludwigskirche in München getraut wurde. Oder die bald 100-jährige Esther Betz, Journalistin und Ehren-Herausgeberin der "Rheinischen Post", die in den Fünfzigerjahren mit ihm im Georgianum einen Band seiner Dogmatik redigierte. Sie alle haben Professor Schmaus als einen fachlich versierten Lehrer beschrieben, der Doktoranden aus aller Welt anzog und für die persönlichen Belange seiner Studenten durchaus zugänglich war.

Freilich verstand er sich überhaupt nicht mit seinem nächsten Fachkollegen in der Systematischen Theologie, dem charismatischen Kölner Gelehrten Gottlieb Söhngen, neben dessen Temperament, Wortgewandtheit und Einfallsreichtum selbst der große Schmaus ein wenig klein und konventionell wirken musste.

Wenn man wirklich tiefer in die Hintergründe der Auseinandersetzung von Michael Schmaus mit Joseph Ratzinger und seines nun veröffentlichten ersten Gutachtens zu dessen Habilitation eindringen will, das in seiner Generalkritik und seinem aburteilenden Tonfall wirklich vernichtend gewirkt haben muss, dann sollte man bereit sein, die Perspektive etwas zu erweitern.

Das gilt zunächst für die "Schule", aus der der junge Theologe Ratzinger kam und die prinzipiell eine andere war als die von Schmaus geprägte und bevorzugte. Bei Söhngen lernte man Denken, bei Schmaus lernte man Wissen. Söhngen war ursprünglich Philosoph, hatte über Kant promoviert und die Kölner Albertus Magnus-Akademie geleitet, ehe er zur Fundamentaltheologie wechselte. In seinen Seminaren legte er großen Wert auf Quellentexte, weniger auf Sekundärliteratur. Sein Werk umfasst kein Lehrbuch, dafür viele kleine, funkelnde Essays, über Newman oder Pascal, über das Motiv des Weges oder den Begriff der Denkform.

Joseph Ratzinger hat sich da offenbar viel abgeschaut. Auch sein theologischer Stil bleibt unkonventionell, er schreibt, wie Schmaus kritisch bemerkt, oft in der Ich-Form, kombiniert verschiedene Denktraditionen, fragt nach den Voraussetzungen bestimmter gängiger Schulmeinungen – und scheut sich nicht vor eigenen Urteilen.

Schmaus verhinderte 1964 eine mögliche Berufung Ratzingers nach München

All das muss Schmaus schon länger ein Dorn im Auge gewesen sein, da er Ratzinger selbst in seinen Vorlesungen erlebt hatte und wusste, wie hoch Söhngen ihn als seinen Meisterschüler schätzte. Als ihm die Theologische Fakultät Ende 1955 das Zweitgutachten für die Habilitation zuwies, hatte er die Möglichkeit und, seien wir ehrlich, auch die Macht in der Hand, sein Unbehagen mit dieser "neuen" Art, Theologie zu treiben, zur Sprache zu bringen.

Richard Heinzmann, der die ganze Debatte angestoßen hat, um Schmaus zu rehabilitieren und Ratzingers Darstellung in seinen Erinnerungen der Schönfärberei, ja, der Unwahrhaftigkeit zu überführen, muss selbst zugeben, dass Ratzinger das umfangreiche Gutachten von Schmaus vielleicht nie zu Gesicht bekommen hat – dass es ihm vorlag, sei "aufgrund verschiedener Andeutungen zwar wahrscheinlich, aber nicht eindeutig nachzuweisen."

Als der Kardinal über 40 Jahre später seine Lebensgeschichte niederschrieb, konnte er also keine quellenkritische Darstellung liefern. Er hat die Vorgänge vielmehr aus seiner Erinnerung heraus skizziert und eingeordnet. Wer die Seiten über das "Drama der Habilitation" liest, dürfte von der emotionalen Echtheit überzeugt werden, die daraus spricht. Es geht Ratzinger nicht um eine möglichst negative Schilderung von Schmaus, um selber besser dazustehen. Er beschreibt lediglich seine eigene Betroffenheit durch die damaligen Vorgänge und versucht, die fachlichen und persönlichen Hintergründe zu rekonstruieren.

Wenn Professor Heinzmann und ihm folgend die Journalisten Matthias Drobinski in der Zeitschrift "Publik Forum" und Christoph Renzikowski für die "Katholische Nachrichten-Agentur" Ratzinger nun eine Darstellung auf Kosten von Schmaus vorhalten, dann setzt das immer schon voraus, dass Schmaus ganz andere Ziele verfolgte als den jüngeren Kollegen "abzuschießen". Den Beweis dafür bleiben sie bislang allerdings schuldig.

Umgekehrt weisen der bereits erwähnte Brief von Albert Lang aus dem Jahr 1958, der davon spricht, dass ihn Schmaus vor Ratzingers Berufung an die Uni Bonn gewarnt habe, und ebenso ein vor Kurzem veröffentlichtes Sitzungsprotokoll der Münchener Uni von 1964, demzufolge Schmaus auch Ratzingers mögliche Berufung auf den dortigen Dogmatik-Lehrstuhl verhinderte, darauf hin, dass es doch um eine stark persönlich gefärbte und keineswegs nur um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem jüngeren Kollegen ging.

Offenbarung: Beziehung zwischen Gott und Mensch oder "objektiver Lehrinhalt"?

Dass die "rettende Idee", den dritten, kaum beanstandeten Teil der Habilitation noch einmal einzureichen, von Schmaus ausgegangen sei, ist deshalb eine absurde Behauptung. Wenn Schmaus auf der letzten Seite seines Gutachtens schreibt, er wolle mit seiner Ablehnung den jungen Kollegen lediglich davor "retten, dass er Opfer eines geistreichen Journalismus wird", dann kann man dazu nur sagen: Wer solch einen Retter hat, braucht sich um seinen Untergang nicht mehr zu sorgen!

Indem die Offenbarungskonstitution "Dei Verbum" des Konzils Ratzingers Offenbarungsverständnis übernahm und er zum führenden Theologen der Nachkonzilszeit aufstieg, wurde seine Habilitation in gewisser Weise von der Kirchengeschichte rehabilitiert, während das Gutachten seines Kritikers Schmaus auf Jahrzehnte in der Schublade verschwand.

Gerade das, was Schmaus als Gegenposition zu seinem eigenen traditionellen Offenbarungsverständnis ansah und als Ganzes ablehnte, wurde – Ironie der Geschichte! – wenig später die zentrale Leitidee des Zweiten Vatikanischen Konzils: Offenbarung als Akt und Ereignis der sich selbst verschenkenden Liebe Gottes, der von sich aus die Beziehung zum Menschen sucht und ihm in seiner Freiheit unendlich viel zutraut. Dogmatik ist für Ratzinger in erster Linie nicht bloß "objektiver Lehrinhalt", auf den Schmaus in seinem Gutachten pocht, sondern der existenzielle Nachvollzug der Begegnung mit Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Indem die Offenbarungskonstitution "Dei Verbum" des Konzils Ratzingers Offenbarungsverständnis übernahm und er zum führenden Theologen der Nachkonzilszeit aufstieg, wurde seine Habilitation in gewisser Weise von der Kirchengeschichte rehabilitiert, während das Gutachten seines Kritikers Schmaus auf Jahrzehnte in der Schublade verschwand.

Es nun dort wieder herauszuholen, könnte letztlich sogar dazu beitragen, dass man das innovative Potenzial von Ratzingers Denken neu entdeckt.

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