Wie können religiöse Traditionen dazu beitragen, die globalen Krisen zu bewältigen und eine Kultur des Respekts und der Solidarität zu unterstützen? Diese Fragen standen im Zentrum der Begegnung von Papst Franziskus und dem Großimam Nasaruddin Umar in der Istiqlal-Moschee in Jakarta.

Am 4. September 2024 unterzeichneten Papst Franziskus und Großimam Nasaruddin Umar in der indonesischen Hauptstadt Jakarta eine gemeinsame Erklärung. Darin werben sie dafür, dass religiöse Traditionen sich gemeinsam gegen die globalen Phänomene der Entmenschlichung und des Missbrauchs der Schöpfung stellen.

Das Oberhaupt der katholischen Kirche und der indonesische Großimam weisen auf die besorgniserregende Zunahme von Gewalt hin, die oft durch religiöse Überzeugungen legitimiert wird. Zudem betonen sie die dringende Notwendigkeit, die Zerstörung unserer Umwelt zu stoppen. Denn der "Missbrauch der Schöpfung, unseres gemeinsamen Hauses", sei zu einem Hindernis für ein harmonisches Zusammenleben der Völker geworden. Durch ihr gemeinsames Auftreten möchten sie religiöse Traditionen aktivieren, die zu einer Kultur des Respekts und der Solidarität beitragen: "Religiöse Werte sollten (…) auf die Förderung einer Kultur des Respekts, der Würde, des Mitgefühls, der Versöhnung und der geschwisterlichen Solidarität ausgerichtet sein, um sowohl die Entmenschlichung als auch die Umweltzerstörung zu überwinden."

Interessant ist, wie die beiden religiösen Führer den interreligiösen Dialog als Instrument zu diesem Ziel begreifen. Es geht nicht vorrangig um die Identifizierung allgemein akzeptabler Glaubenssätze, sondern darum, die Herzen der Menschen anzusprechen.

In seiner die Erklärung begleitenden Rede erläuterte Franziskus, was aus seiner Perspektive entscheidend ist für einen gelingenden interreligiösen Dialog: Der Dialog wird zusammengehalten von der gemeinsamen Sehnsucht nach dem Unendlichen und von der Freude an der Freundschaft, die Gläubige mit anderen erleben möchten.

Die gemeinsame Sehnsucht nach dem Unendlichen wird begleitet von der Freude an freundschaftlichen Begegnung.

In den verschiedenen religiösen Traditionen wird der Sehnsucht nach dem Unendlichen in verschiedenen Ritualen und Spiritualitätsformen Ausdruck verliehen. Diese Ausdrucksformen stellen ein religiöses Erbe dar, das von allen Beteiligten geschützt und respektiert werden muss.

Die gemeinsame Sehnsucht nach dem Unendlichen wird begleitet von der Freude an freundschaftlichen Begegnung. Diese Freude hat ihren architektonischen Ausdruck gefunden in dem Tunnel, der die Istiqlal-Moschee und die Kathedrale Jakartas verbindet.

Der Doppelklang von Sehnsucht nach dem Unendlichen und der Freude an der Freundschaft ist für Franziskus mit zwei Einladungen verbunden: Die Menschen sollen tiefer blicken und einen Zugang zur religiösen Welt der Anderen finden, zum Beispiel indem sie deren Riten und Praktiken kennenlernen. Die Freude der Freundschaft soll über religiöse Grenzen hinweg erlebt werden, ohne die Legitimität anderer religiöser Traditionen infrage zu stellen. Franziskus erhofft sich eine geschwisterliche Gemeinschaft, in der jede Tradition ihre eigene Religiosität praktizieren kann.

Verbunden mit der Einladung zum Tieferblicken, ist die Aufforderung Sorge zu tragen für die Verbindung. Denn die Begegnung mit anderen, die aus der Freude der Freundschaft resultiert, kann auch Distanz schaffen. Wird die andere religiöse Tradition besser kennengelernt, treten auch die Unterschiede in der Lehre in den Blick. Franziskus‘ Einladung zielt nun nicht darauf, diese Unterschiede zu überwinden. Vielmehr soll die Bande der Freundschaft bei bleibender Aufmerksamkeit und Neugierde für die Unterschiede zwischen den religiösen Traditionen gepflegt werden.

Werden diese beiden Einladungen angenommen, kann eine Beziehung entstehen, "in denen sich ein jeder für den anderen öffnet, in denen wir uns bemühen, gemeinsam nach der Wahrheit zu suchen, indem wir von der religiösen Tradition des anderen lernen; in denen wir uns bemühen einander in menschlichen und geistlichen Bedürfnissen entgegenzukommen".

Großimam Nasaruddin hob in seiner Rede zwei zentrale Botschaften hervor: "Die erste ist, dass die Menschheit nur eine ist, und die zweite ist, wie man die Umwelt retten kann". Mit der Einheit der Menschheit will er die islamische Lehre von der gemeinsamen Herkunft aller Menschen von Adam und Eva unterstreichen. Alle Menschen sind Brüder und Schwestern im Glauben an den einen Gott. Diese Geschwisterlichkeit überwindet alle ethnischen, nationalen und religiösen Unterschiede und soll somit den Weg zu einer gewaltfreien Welt ebnen. Was den zweiten Aspekt betrifft, den Umweltschutz, geht Nasaruddin davon aus, dass der Islam die Natur als Schöpfung Gottes betrachtet und demzufolge jede Verschmutzung der Umwelt und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen streng verbietet.

Darum braucht es komparative Theologie

Sowohl die Einladungen von Franziskus als auch die Botschaften des Großimams finden eine Entsprechung in den Grundhaltungen, die Catherine Cornille und Klaus von Stosch für komparative Theologien formulieren:

Erstens: Komparative Theologie erfordert eine Haltung doktrinaler und epistemischer Demut. Das Verständnis religiöser Überzeugungen geschieht stets in spezifischen kulturellen Kontexten. Ihr Verständnis ist deshalb stets vorläufig und verbesserungsfähig. Der Dialog mit anderen Religionen kann helfen, die eigenen Überzeugungen besser zu verstehen und auf diese Weise Gemeinsamkeiten festzustellen.

Zweitens: Der Dialog geschieht aus einer konfessorischen Verbundenheit mit der eigenen Tradition. Nur wer seine eigene Tradition kennt und schätzt, kann sie auch anderen gegenüber angemessen vertreten.

Drittens: Der Austausch des Papstes und des Großimams verdeutlicht besonders die Bedeutung von Empathie und liebevoller Aufmerksamkeit. Wo versucht wird, die Überzeugungen anderer ernstzunehmen und nachzuvollziehen, muss dem anderen mit Respekt und Wertschätzung begegnet werden.

Viertens: Fundamental ist schließlich die Haltung der Gastfreundschaft für die mögliche Wahrheit des anderen. Es geht um die Bereitschaft, den Überzeugungen des anderen Raum zu geben im eigenen Denken. Wie verändern sich die eigenen religiösen Überzeugungen, wenn ich mit der Erwartung in das Gespräch gehe, dass der Glaube des anderen etwas für mich zu sagen hat?1

Durch einen Dialog auf der Basis wechselseitiger Empathie und Lernbereitschaft können religiöse Traditionen Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte leisten und nicht – wie es viel zu häufig der Fall ist – zu Brandbeschleunigern werden.

Man kann nur hoffen, dass die vertrauensbildende Maßnahme "im Zeichen der Freundschaft" zwischen Papst und Großimam einen Beitrag dazu leistet, dem Extremismus in Indonesien (und darüber hinaus) die religiöse Legitimation zu entziehen.

Dass Franziskus und Nasaruddin Umar diesen interreligiösen Dialog im Zeichen der Freundschaft gerade in Jakarta praktizieren, ist nicht ohne Pointe. Denn der Einfluss islamistischer Einflüsse, die sich dieser wechselseitigen Lernbewegung der religiösen Traditionen entgegenstellen, hat dort in den letzten Jahren stark zugenommen. Man kann nur hoffen, dass die vertrauensbildende Maßnahme "im Zeichen der Freundschaft" zwischen Papst und Großimam einen Beitrag dazu leistet, dem Extremismus in Indonesien (und darüber hinaus) die religiöse Legitimation zu entziehen und Perspektiven für ein Miteinander verschiedener religiöser Traditionen zu entwickeln. 

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