Die Taufe – Geschenk und AuftragEin Gespräch mit Erik Varden

Der Trappistenmönch, Prälat von Trondheim und Vorsitzende der nordischen Bischofskonferenz spricht im COMMUNIO-Interview über die "gesegnete Objektivität" der Taufe und sagt: "Hätten wir doch nur die geringste Ahnung von dem, was uns bereits geschenkt wurde, und würden wir diesen Samen der Gnade einfach wachsen lassen".

Erik Varden
© Margot Krebs Neal

Tibor Görföl: Wir können heutzutage in vielen Ländern einen Rückgang der Kindertaufe und in einigen Ländern, wie in Frankreich, einen Anstieg der Erwachsenentaufen beobachten. Wie beurteilen Sie diese Situation? Und wie sieht es in Skandinavien und in Norwegen aus?

Erik Varden: Es ist natürlich eine sehr positive Sache, dass sich Erwachsene aus freien Stücken taufen lassen, weil sie sich der Gnade bewusst sind, die in diesem großen Sakrament zu finden ist. Die Tatsache, dass die Zahl der Kindertaufen zurückgeht, ist in gewisser Weise logisch, wenn man sich die rückläufige kirchliche Praxis vor Augen führt. Natürlich ist das traurig, weil wir sehen, dass Kinder ohne den inneren Kompass aufwachsen, der von der Taufe magnetisiert wird, ohne die Quelle der Gnade, der Freude und der Freiheit, die die Taufe ist. Umso wichtiger ist es, ein lebendiges Umfeld zu schaffen, in dem der Glaube in den Gesellschaften glaubwürdig präsent ist, und unsere Aufgabe und Sendung als Zeugen voll wahrzunehmen. Was die Situation in Norwegen betrifft, so denke ich, dass sie ein Spiegelbild Westeuropas insgesamt ist. Überall ist ein starker Rückgang der Kindertaufen zu verzeichnen, doch auch hier in Norwegen sehen wir einen kleinen Zustrom junger und nicht mehr ganz so junger Erwachsener, die zum Glauben kommen, manchmal mit einem christlichen Resthintergrund, nachdem sie als Kinder getauft wurden, manchmal ganz ohne diesen Hintergrund. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass für uns die Taufe, wie alle Sakramente, zwar ein sicherer Kanal der Gnade ist, auf den wir nicht verzichten wollen, aber dass die Gnade auch jenseits aller Parameter wirkt. Ich denke, die große Aufgabe in diesen Zeiten besteht darin, zu erkennen, wo die Gnade am Werk ist, und mit ihr zusammenzuarbeiten und ihr keinesfalls im Wege zu stehen.

"Die Taufe war nie bedingungslos. Es gab immer einen Katechumenat, der vorausgesetzt wurde, eine Ausbildung, das, was die Väter Mystagogie nannten: eine schrittweise Einführung in das Geheimnis. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen, die sich taufen lassen wollen, diese Ausbildung suchen, sie sind hungrig danach."

Görföl: Für viele ist die Taufe noch eine wichtige Tradition und ein symbolisches Ereignis. Doch wenn sie erwachsen sind, vergessen zahlreiche Menschen die eigene Taufe. Sind Sie als Bischof und Priester der Meinung, dass die Bedingungen für die Taufe in der Kirche strenger werden sollten, oder sollte die Taufe einfach allgemein und bedingungslos verfügbar sein?

Varden: Die Taufe war nie bedingungslos. Es gab immer einen Katechumenat, der vorausgesetzt wurde, eine Ausbildung, das, was die Väter Mystagogie nannten: eine schrittweise Einführung in das Geheimnis. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen, die sich taufen lassen wollen, diese Ausbildung suchen, sie sind hungrig danach. Ich würde also weniger von der Errichtung größerer Barrieren sprechen, sondern eher von einer Verpflichtung, den ganzen Reichtum, den das Sakrament enthält und mit sich bringt, zu teilen – im Sinne von Bildung und Katechismus und im Sinne einer wirklichen Teilnahme an der liturgischen Versammlung und der Einbindung des Einzelnen in das karitative und soziale Leben der Kirche. Wir sollten uns immer bewusst sein, dass die Zugehörigkeit zum mystischen Leib der Kirche auch die Zugehörigkeit zu einem konkreten Leib bedeutet.

Das Drama des christlichen Lebens

Görföl: In Ihrem neuesten Buch zum Thema Keuschheit sprechen Sie ausführlich über das Drama des christlichen Lebens, auch im Zusammenhang mit der Taufe, Sie sprechen über die Veränderung und den Wandel, den Menschen nach der Taufe erleben. Wie könnten Sie die Verwandlung oder das Drama des christlichen Lebens beschreiben, das sich aus der Taufe ergibt, und zwar in Bezug auf die Erfahrung und die innere Verwandlung der menschlichen Person?

Varden: Eine sakramentale Perspektive ist natürlich das Gegenteil einer deterministischen Perspektive. Es gibt also keinen festgelegten oder standardisierten Entwicklungsverlauf. Der Geist weht, wo er will und wie er will. Es ist das große Privileg und die Freude eines jeden Seelsorgers, zu sehen, wie vielfältig sich die sakramentale Gnade im Leben der Menschen manifestiert. Ich würde mich also davor hüten, sozusagen eine standardisierte Erfahrung zu skizzieren, denn ich glaube nicht, dass es sie gibt. Das Wunderbare an den Sakramenten ist ihre gesegnete Objektivität: die Tatsache, dass wir die Gewissheit haben, dass sie die Gnade vermitteln, für die sie bestimmt sind, unabhängig davon, ob wir etwas spüren oder nicht. Wenn überhaupt, dann ist es in diesen Zeiten, in denen wir so sehr darauf fixiert sind, was wir fühlen, was wir erleben und wie wir es erleben, katechetisch und theologisch wichtig, diesen transzendenten Aspekt zu betonen, der nicht vom Gefühl abhängt. Meiner pastoralen und menschlichen Erfahrung nach erleben viele Menschen diese Tatsache als Befreiung. Gleichzeitig sind die Menschen dazu eingeladen, der Verwirklichung der Gnade zuzustimmen, die ihnen als Potenzial eingepflanzt wurde. Sie erinnern sich vielleicht an den syrischen Tauftext, den ich in dem Buch zitiere und den ich einfach fantastisch finde. Ich denke fast jeden Tag darüber nach. Es ist ein liturgischer Text, ein Segen über den neu getauften Christen, der gerade aus dem Taufbecken kommt:

"O Bruder! Singe ein Loblied auf den Sohn des Herrn aller, der dir eine Krone gemacht hat, die begehrenswerter ist als die jedes Königs. Dein Gewand ist strahlend, Bruder, wie die Sonne, und dein Gesicht leuchtet wie das eines Engels. Wie ein Engel bist du auferstanden, Geliebter, aus dem Taufbecken durch die Kraft des Heiligen Geistes. Bruder, dir wurde Zugang zum Hochzeitssaal gewährt. Heute hast du die Herrlichkeit Adams neu angelegt. Deine Gewänder sind lieblich, deine Krone schön. Durch den Dienst seines Priesters hat der Erstgeborene sie für dich vorbereitet. Die Frucht, die Adam im Paradies nicht gekostet hat, wurde dir heute in den Mund gelegt. Gehe hin in Frieden, Sohn der Taufe. Verehre das Kreuz! Es wird dich bewahren."

Hätten wir doch nur die geringste Ahnung von dem, was uns bereits geschenkt wurde, und würden wir diesen Samen der Gnade einfach wachsen lassen! Nicht umsonst ist das Evangelium voll von landwirtschaftlichen Gleichnissen. Darauf kommt es an: Man muss das Bewusstsein dafür fördern, was man tatsächlich empfangen hat, unabhängig davon, ob man etwas spürt oder nicht. Man muss die Entschlossenheit stärken, dieses Potenzial auch zu verwirklichen. Und zuletzt muss man den Menschen helfen, sich für eine neue Erfahrung gemäß der Vorsehung Gottes zu öffnen, und sie darauf vorbereiten, sich überraschen zu lassen.

"Die meisten Menschen nehmen die Tatsache, dass sie im sakramentalen Leben der Kirche ruhen können und von dem gefühlten Zwang, subjektiv etwas leisten zu müssen, befreit sind, mit großer Dankbarkeit an."

Görföl: Wird in Ihrem protestantischen Umfeld in Skandinavien die Erfahrung nicht nachdrücklicher hervorgehoben? Sie sprechen von einer Objektivität der Gnade und der Sakramente. Ist es nicht schwierig, sich in diesem Umfeld verständlich zu machen?

Varden: Nein, ich stelle eher fest, dass die Menschen danach suchen und erleichtert sind, wenn sie es gefunden haben und dem Geheimnis als etwas begegnen, das in sich selbst real ist und nicht von einer emotionalen Projektion abhängt. Die meisten Menschen nehmen die Tatsache, dass sie im sakramentalen Leben der Kirche ruhen können und von dem gefühlten Zwang, subjektiv etwas leisten zu müssen, befreit sind, mit großer Dankbarkeit an – ganz gleich, ob sie aus einem nichtreligiösen, einen säkularisiert protestantischen oder sogar aus einem sehr gläubigen protestantischen Kontext kommen.

"Ich wurde als Säugling getauft, und dafür bin ich dankbar. Die Gnade hatte später in meinem Leben einen Anknüpfungspunkt, um Zugang zu erhalten."

Görföl: Sie werden auch sehr oft nach Ihrem persönlichen protestantischen Hintergrund und Ihrer Geschichte gefragt.

Varden: Hier gibt es nicht allzu viel zu erzählen. Ich wurde als Säugling getauft, und dafür bin ich dankbar. Die Gnade hatte später in meinem Leben einen Anknüpfungspunkt, um Zugang zu erhalten. Ich bin dankbar, dass ich getauft wurde, und ich versuche, gelegentlich daran zu denken und für den Pfarrer zu beten, der mich getauft hat. Wir müssen darauf achten, dass wir niemanden von dieser Quelle der Gnade ausschließen.

In den Leib Christi eingegliedert werden

Görföl: In Ihrem Buch "Entering the Twofold Mystery" sprechen Sie über die Realität, durch die Taufe Teil des Leibes Christi zu werden. Worauf kommt es bei diesem Prozess an, was bedeutet es wirklich, in den Leib Christi eingegliedert zu werden? Man wird ja nicht einfach ein Mitglied der Kirche im institutionellen Sinne.

Varden: Deshalb ist der Begriff Mystagogie, über den wir vorhin gesprochen haben, ein so hilfreicher Begriff, ein Begriff, den man den Menschen erklären sollte, auch wenn er ein wenig abwegig klingt. Er bedeutet genau das – einen Zugang zum Mysterium, das Mysterium nicht nur als ein gedankliches Rätsel, sondern als ein persönliches Mysterium, als die Tatsache des Emmanuel, des Gottes mit uns. Er spricht davon, dass man im paulinischen Sinne auf den Leib aufgepfropft und ein Glied dieses Leibes wird und dadurch in die Lage versetzt wird, zu entdecken, was es bedeuten könnte, in Christus zu leben. Dieser zentrale paulinische Ausdruck ist eine so entscheidende Aussage, ein Paradigma für das christliche Leben. Wir müssen darauf bestehen, dass man in der Taufe auf eine intime und persönliche Weise in das Geheimnis Christi eingefügt wird. Gleichzeitig müssen wir daran festhalten, dass dieses Einfügen nicht auf einen subjektiven und erfahrungsmäßigen Aspekt beschränkt ist, sondern auch einen juristischen, kirchenrechtlichen Aspekt hat. Ich erinnere mich, dass ich als Student einmal an einer Zeremonie zur Aufnahme in die Kirche teilnahm. Nachdem der Priester alle Riten ordnungsgemäß vollzogen hatte und die Person aufgenommen und gefirmt worden war, sagte er strahlend: "Gut, das war's jetzt, du wirst immer ein Katholik sein; das Einzige, was du jetzt noch sein kannst, ist ein abgefallener Katholik". Tatsache ist, dass sowohl ontologisch als auch rechtlich etwas geschieht, das mich in Bezug auf meine Beziehung zu diesem Leib, persönlich und kollektiv, neu definiert. Es kommt also immer darauf an, diese Dimensionen zusammenzuhalten, was in unserer Zeit eine Herausforderung ist, weil niemand mehr die Neigung zu haben scheint, mehr als einen Gedanken zugleich im Bewusstsein zu behalten.

Görföl: Was bedeutet es, in Christus zu leben?

Varden: Ich kann nur andeuten, was das heißt, indem ich auf die Physiognomie und die Persönlichkeit Christi hinweise, wie sie uns in der Heiligen Schrift, in den Evangelien und in den großen prophetischen Voraussagen des Alten Testaments offenbart werden. Man muss das Leben und das Mysterium Christi betrachten. Man muss sich an das Wort halten: sowohl das Wort, das in der Heiligen Schrift zum Ausdruck kommt, als auch das Wort seiner Inkarnation. So beginnen wir, eine Ahnung zu bekommen: Wir richten unseren Blick auf ihn und beginnen, die Länge, die Tiefe und die Höhe dessen zu begreifen, was er darstellt. In das Leben Christi hineingenommen zu werden, bedeutet, diesen Dimensionen in meinem eigenen Wesen zuzustimmen und sie zu erfahren. Der heilige Benedikt spricht am Ende des Prologs seiner Regel einprägsam von der Weitung des Herzens, die im benediktinischen Selbstverständnis und in der benediktinischen Theologie immer ein Symbol für die existenzielle Weitung war: für die Fähigkeit, tiefer zu leben, tiefer zu begreifen, reiner zu fühlen, und dafür, dass mein Herz und meine gesamte Wahrnehmung immer größer werden, um die Proportionen des Herzens Gottes anzunehmen, das definitionsgemäß keine Grenzen kennt. Existenziell, demütig, Schritt für Schritt in die Erfahrung und Teilhabe an der Ewigkeit einzutreten, ist grundlegend für die Initiation in das Leben in Christus.

"Wir sind umgeben von säkularen und politischen Strukturen, die in Form von Wahlperioden von drei oder vier Jahren funktionieren. Wir erwarten ständig, dass Revolutionen innerhalb von Wahlperioden stattfinden. Wenn sie das nicht tun, was sie nicht können, sind wir enttäuscht und fangen wieder von vorn an und bringen unsere gerechte Empörung zum Ausdruck. Wir sind in diesem illusorischen Kreislauf gefangen."

Görföl: In der benediktinischen Tradition gibt es einen weiteren Begriff, der in Bezug auf die Taufe wichtig sein könnte – conversatio morum. Was kann die monastische Tradition zum Verständnis des Dramas oder des Prozesses des menschlichen Lebens beitragen, wenn man es als conversatio morum versteht? Was hat diese monastische Idee jedem Christen zu sagen?

Varden: Ich denke, conversatio morum ist eher ein deskriptiver als ein präskriptiver Ausdruck. Er verweist auf die Entschlossenheit, immer in Bewegung zu bleiben, niemals stillzustehen. Den benediktinischen Gelübden und der monastischen Verpflichtung ist eine Dialektik immanent. Einerseits legen die Mönche ein Gelübde der stabilitas ab, das heißt, ein Gelübde, nicht wegzulaufen, in der Gemeinschaft zu bleiben, was normalerweise bedeutet, an einem Ort zu bleiben. Aber ergänzend dazu gibt es das Gelübde der conversatio morum, ein Gelübde, niemals in Resignation zu verfallen, niemals zu denken: Oh, das ist genug, ich habe ein ausreichendes Ziel erreicht. Das Gelübde der conversatio ist die Bereitschaft, sich infrage stellen zu lassen, auch in seiner vermeintlichen Selbstgerechtigkeit oder seinem vermeintlichen Sinn für Tugend. Die Erzählungen der monastischen Tradition sind voll von Geschichten von Mönchen, die scheinbar Vorbilder der Tugend sind. Sie sind geachtet, werden bewundert, haben manchmal auch eine gewisse Bewunderung für sich selbst. Dann aber werden sie mit etwas ganz Neuem konfrontiert, entweder, indem Gott direkt eingreift, oder indem sie eine Erfahrung der Sünde oder der Gnade machen, oder indem sie einem anderen Menschen begegnen. Ich denke etwa an die Begegnung von Maria von Ägypten mit Zosimas. Das bringt sie dazu, alles zu überdenken. Sie verstehen: "Ich dachte, ich bin angekommen, aber ich habe noch nicht einmal richtig angefangen." Ich wünschte, wir hätten etwas mehr von diesem Bewusstsein in unserer prozessorientierten Kirche. Wir sind umgeben von säkularen und politischen Strukturen, die in Form von Wahlperioden von drei oder vier Jahren funktionieren. Wir erwarten ständig, dass Revolutionen innerhalb von Wahlperioden stattfinden. Wenn sie das nicht tun, was sie nicht können, sind wir enttäuscht und fangen wieder von vorn an, bringen unsere gerechte Empörung zum Ausdruck. Wir sind in diesem illusorischen Kreislauf gefangen. Die Perspektive der conversatio morum ist eine viel realistischere Perspektive, da sie von Natur aus die Perspektive eines ganzen menschlichen Lebens bis zu seinem natürlichen Tod umfasst und das gesamte menschliche Leben als einen Prozess ständiger, schrittweiser Veränderung hin zu einer persönlichen Vollkommenheit betrachtet, die der Vorsehung Gottes entspricht, aber für jeden von uns kein völliges Geheimnis ist. In der conversatio morum zu leben bedeutet also, sich ständig auf einen Prozess des Werdens einzulassen, dessen Ziel mir unbekannt ist.

Görföl: Einer der Gründer von COMMUNIO, Hans Urs von Balthasar, würde sich vermutlich sehr freuen, das zu hören.

Varden: Ja, ich glaube, er war ganz auf dieser Wellenlänge.

Die Firmung ist ein Weckruf

Görföl: Balthasar sagt auch, dass man, wenn man getauft ist, seine Taufe in gewisser Weise bestätigen oder konkretisieren muss. Man wird gefirmt, und dann muss man sich entscheiden, welche Form des christlichen Lebens man für sich will. Einfach nur "allgemein" getaufter Christ zu sein, scheint für Balthasar schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu sein. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen der Taufe und den anderen Sakramenten, die dem Leben eine konkrete Form geben?

Varden: Nun, offensichtlich ist die Taufe die Grundlage. In gewisser Weise ist die Taufe das, was uns für eine Mission, für eine Aufgabe ausrüstet, worin auch immer sie besteht. Und wie Sie sagten, kann das verschiedene Formen annehmen. Ich denke, das Wichtige ist (und deshalb finde ich es sehr gut, dass Sie die Taufe so in den Mittelpunkt stellen), uns immer wieder daran zu erinnern, was wir eigentlich schon empfangen haben. Denn ich habe in der Beichte und in der geistlichen Begleitung die Erfahrung gemacht, dass die Menschen oft denken, dass sie immer wieder bei Null anfangen und sich sehr ratlos fühlen. Indem man sie daran erinnert, was sie durch die Sakramente der Initiation bereits erhalten haben, macht man ihnen klar, dass es bereits eine Startrampe gibt. Sie haben von der Firmung gesprochen. Ob die Taufe gültig und wirksam ist, hängt natürlich nicht von der Firmung ab, denn die Taufe hat ihre eigene Integrität. Aber die Firmung ist ein Weckruf, eine Herausforderung und Aufforderung – eine Aufforderung, wichtige Entscheidungen zu treffen. Sie sagt uns: Sieh her, du hast diese außergewöhnliche Gabe erhalten, und du trägst eine unendliche Quelle der Gnade und des Lebens in dir. Was wirst du damit tun? Wie wirst du diese Gnade fruchtbar und konstruktiv machen, nicht nur für dich selbst, sondern für den Leib, dessen Glied du bist? Wie kann man nach Glück, Freiheit und Fruchtbarkeit für sich selbst streben und gleichzeitig ein Segen für andere sein? Dieses Gefühl des Auftrags ist vielleicht ein Aspekt des christlichen Lebens, den wir noch ein wenig mehr betonen könnten.

"Ein großer Teil unserer Unterhaltung, sei es in Zeitungen, in den Medien, in Filmen oder in Romanen, dreht sich um die Betrachtung von Wunden. Aber was unserer Zeit weitgehend fehlt, ist die Perspektive, dass Wunden geheilt werden können."

Görföl: Es gibt noch einen weiteren Aspekt der Sakramente, den Sie intensiv beleuchten, und das ist der Aspekt der Heilung. Ihr Buch mit dem Titel "Healing Wounds", aber auch Ihre anderen Bücher befassen sich ausgiebig damit. Warum glauben Sie, dass Wunden heute so wichtig sind? Welche Art von Wunden haben die Menschen und was bedeutet Heilung?

Varden: Ich verwende diese Terminologie bewusst. Das hat auch mit meinem Verständnis von Sünde zu tun, das ich in meinem Buch über Keuschheit versucht habe, darzulegen. Bedingt durch die Kontroversen des 16. Jahrhunderts neigen wir im Westen dazu, Sünde in Begriffen von Schuld zu denken. Wir denken an Sünde im Sinne eines dostojewskischen Szenarios von Verbrechen und Strafe. Wir holen die Bilanzen hervor und rechnen nach. Ich will damit nicht sagen, dass dieses Verständnis unzulässig oder völlig nutzlos ist, aber es ist unzureichend. Es ist sinnvoll, bewusst das eher biblische und patristische Verständnis der Sünde als eine ursprüngliche Wunde, als Verlust, als Trauer, als einer Art Amputation im Sinne eines Abgeschnitten-Seins und der Sehnsucht, Teil davon zu werden, wiederzugewinnen. Wenn wir von dem narrativen Paradigma der Wunden auf der Suche nach Heilung ausgehen, haben wir eine bessere Chance, die Aufmerksamkeit und das Interesse unserer Zeitgenossen zu wecken. Denn wir leben in einer Zeit, die in gewisser Weise von Wunden besessen ist. Und wir leben im Westen in einer Kultur, die weitgehend von Viktimisierung geprägt ist. Wir machen uns selbst zum Opfer oder wir machen andere zum Opfer. Ein großer Teil unserer Unterhaltung, sei es in Zeitungen, in den Medien, in Filmen oder in Romanen, dreht sich um die Betrachtung von Wunden. Aber was unserer Zeit weitgehend fehlt, ist die Perspektive, dass Wunden geheilt werden können. Deshalb ist ein christliches Licht auf diese Dynamik wirklich, wirklich wichtig. Denn das Christentum und das Judentum, also die biblische Religion, ist äußerst realistisch, was die menschliche Verwundbarkeit angeht. Aber sie erinnert uns ständig daran, uns nicht mit unseren Wunden zu identifizieren, nicht der Versuchung zu erliegen, zu sagen: "Oh, ich bin der Mann mit der verdorrten Hand", oder "Ich bin der Mann, der auf einer Bahre liegt und niemanden hat, der mich ins Wasser trägt", oder "Ich bin der Mann, der diesen Verlust erlitten hat, als ich ein Kind war", oder der auf diese Weise kompromittiert wurde, oder der zu viel von diesem oder zu wenig von jenem bekommen hat. Die Heilige Schrift ist nicht uninteressiert an dieser faktischen Grundlage der menschlichen Erfahrung. Sie sagt: Genau, macht euch das zu eigen, macht euch jeden Aspekt eurer Existenz und eurer Geschichte zu eigen, ohne etwas zu verbergen oder zu versuchen, so zu tun, als ob es nichts gäbe. Aber seid versichert, dass es keine Wunde gibt, die nicht geheilt werden kann. Und seid euch sicher, dass das, wofür ihr geschaffen und bestimmt seid, wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten, Integrität, Ganzheit und Glück ist.

Die Sehnsucht und die Hoffnung wecken

Görföl: Worunter leidet der Christ von heute Ihrer seelsorgerischen Erfahrung nach am meisten?

Varden: An der Hoffnungslosigkeit. Die Hoffnung zu wecken, ist eine immense Aufgabe. Die Bereitschaft, perspektivisch zu leben, nach vorne zu schauen, zu glauben, dass es etwas gibt, worauf man sich freuen kann. Nicht nur in dem banalen Sinne, dass ich mich darauf freue, heute Abend ein Bier zu trinken oder nächste Woche Geburtstag zu haben, sondern dass das Leben, mein persönliches Leben und das Leben als solches, das Leben der Welt, eine bewusste Endgültigkeit hat, dass es sich auf ein Ziel zubewegt, das nicht nur eine Katastrophe ist. Wir müssen diese Hoffnung hegen und gleichzeitig völlig klar und offen sein für den äußerst beunruhigenden Zustand der Welt, in der wir leben und für die wir verantwortlich gemacht werden.

"Etwas, das sehr beunruhigend in der westlichen Welt ist, ist die Wunschlosigkeit. Es ist besonders traurig, wenn man das bei jungen Menschen erlebt, wenn man auf 17-Jährige trifft, die das Gefühl haben, dass sie schon alles erlebt haben, dass nichts mehr übrig ist, wenn man ihre existenzielle Müdigkeit sieht."

Görföl: Wie stellen Sie sich die Beziehung zwischen dem heutigen Christentum und der heutigen nichtchristlichen Kultur vor? Wie kann man Wege finden, um Ängste, Sorgen, Ideen und Interessen der Menschen anzusprechen?

Varden: Ich bin ein Bürger der modernen Welt, wie jeder andere auch. Ich interessiere mich für sie, weil ich mit offenen Augen und Ohren leben möchte. Ich versuche also, darauf zu hören, was sie Wichtiges zu sagen hat. Ich bin nicht so sehr daran interessiert, nur den Hintergrundlärm zu hören, denn der Hintergrundlärm ist in jeder historischen Epoche derselbe. Es hat nur einen anderen Rhythmus. Aber ich interessiere mich für die wesentlichen Aussagen. Ich interessiere mich für die Fragen, die die Menschen stellen, auch wenn sie sie nicht explizit stellen. Ich interessiere mich für die Fragen, die in ihren Aussagen implizit enthalten sind, seien es diskursive Aussagen oder künstlerische Aussagen oder Filme oder was auch immer. Ich interessiere mich dafür, wovor die Menschen Angst haben. Ich interessiere mich dafür, was sie sich wünschen. Diese Frage stelle ich oft in seelsorgerlichen Situationen: Was wünschen Sie sich? Etwas, das sehr beunruhigend in der westlichen Welt ist, ist die Wunschlosigkeit. Das hat mit der Perspektivlosigkeit zu tun, über die wir eben gesprochen haben. Es ist besonders traurig, wenn man das bei jungen Menschen erlebt, wenn man auf 17-Jährige trifft, die das Gefühl haben, dass sie schon alles erlebt haben, dass nichts mehr übrig ist, wenn man ihre existenzielle Müdigkeit sieht. Ich höre mir das an und versuche, sie mit einer Nadel zu stechen und die Sehnsucht zu wecken, die da sein muss, weil sie in unserer menschlichen Natur durch unsere ikonische Konstitution angelegt ist. Ich versuche also einfach, mich mit der Welt, in der ich lebe, auf mitfühlende Weise auseinanderzusetzen. Ich bin sehr schnell und sehr leicht gelangweilt von Versuchen, die heutige Welt einfach nur zu verurteilen oder zu verkünden, dass sie aus den Fugen geraten ist und sich nicht mehr weiterentwickeln wird. Ich bin viel mehr daran interessiert, den Menschen, die mir die Vorsehung in den Weg stellt, wirklich zu begegnen, manchmal ohne mit ihnen zu sprechen, sondern einfach in ihre Augen zu schauen und zu sehen, ob das Licht brennt oder nicht, und wenn nicht, was es möglicherweise erhellen könnte. Das ist ein scheinbar ganz banaler Satz: "So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat" - aber wir vergessen als Christen so leicht, wie intensiv diese Liebe ist, und dass die Liebe zur Welt keine Liebe zu einer Art fiktiver Welt ist, die nur in Gottes Kopf existiert, sondern eine Liebe zur Welt, wie sie ist, in ihrer Verirrung, ihrer Perversität, ihrer Verlorenheit und ihren hohen Ansprüchen. Wenn wir als Christen nur ein bisschen mehr auf die Welt schauen könnten – und auch hier meine ich keine gefühlsduselige Liebe, ich meine nicht, dass wir gefühlsduselig sind oder endlos bejahend, sondern dass wir auf die Welt schauen und sie als eine Welt sehen, die es verdient, aus Gnade gerettet zu werden.

Görföl: Wenn wir zum Schluss noch einmal auf die Taufe und die Situation in Skandinavien zurückkommen, wie bewerten Sie dann die ökumenische Dimension der Taufe? Die Taufe ist unsere gemeinsame Basis. Was sind die Früchte der ökumenischen Beziehungen in Skandinavien? Wie sehen Sie die Aussichten dafür?

Varden: Es gibt immer sichtbare oder verborgene Früchte, aber ich komme zurück auf Ihren Punkt über die Firmung. Das Wichtigste ist, dass man sich über seine Verpflichtungen und seine Verbindlichkeiten im Klaren ist und sich daran erinnert, dass die Taufe nicht nur ein Geschenk ist, sondern auch ein Auftrag, und zwar der Auftrag, in der Wahrheit zu leben und die Wahrheit zu bekennen. Ich denke oft an diesen großartigen Satz, den Johannes Paul II. 1996 bei seinem Besuch in Frankreich anlässlich des Jahrestages der Taufe von Chlodwig gesagt hat. Er predigte bei einer Messe unter freiem Himmel und beglückwünschte Frankreich zu diesem großen Jubiläum. Er sprach über Frankreichs große Mission, seine zivilisatorische Mission in der Welt. Aber dann, am Ende, sagte er auf wunderbare Weise und mit dem rhetorischen Geschick, das seine große Stärke war: Liebes Frankreich, erlaube mir, diese Frage zu stellen. Wir sind hier, um den tausendsten Jahrestag einer Taufe zu feiern, die du gerne als deine Taufe, als die Taufe Frankreichs betrachtest. Was hast du mit deiner Taufe angefangen? Was ist aus ihr geworden? Was hast du aus deiner Taufe gemacht? Das ist eine Frage, die wir uns alle regelmäßig stellen müssen. Wir müssen sie uns als Katholiken stellen, und wir müssen sie uns auch in ökumenischen Begegnungen stellen. Wenn wir diese Frage wahrheitsgemäß stellen und sie wahrheitsgemäß beantworten, besteht eine echte Chance, dass diese Frage und die damit verbundene Gnade uns einander näherbringen.

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