Jan-Heiner Tück: Nach einer Serie römischer Interventionen haben die deutschen Bischöfe soeben ein Schreiben aus Rom mit der Aufforderung erhalten, bei ihrer bevorstehenden Vollversammlung davon abzusehen, die Satzung des geplanten Synodalen Ausschusses zu approbieren. Ein zentralistischer Eingriff?
Kardinal Christoph Schönborn: Nein, es geht hier nicht um eine Machtfrage. Vielmehr nimmt Papst Franziskus seine Kernaufgabe wahr, die Einheit im Glauben zu wahren. Die kritische Begleitung des Synodalen Weges ist beim Papst von Anfang an aus der Sorge um den Glauben getragen gewesen. Die wachsenden Spannungen sind nicht Ausdruck eines Konflikts "Rom gegen Deutschland", es geht vielmehr um das Grundverständnis von Kirche. Die erste Aufgabe des Papstes ist es ja, den Glauben der Kirche zu lehren und zu schützen. Die Sorge, die der Papst und seine Mitarbeiter in den römischen Dikasterien immer wieder geäußert haben, ist primär eine Sorge um das rechte Kirchenverständnis. Und dabei geht es nicht um die Macht der römischen Zentrale gegen die Macht der Ortskirchen, sondern um die Einheit im Glauben, die zu wahren der primäre Dienst des Petrusamtes ist.
Tück: Die Störgeräusche in der Kommunikation zwischen Rom und Deutschland sind immer lauter geworden. Der Brief, der den deutschen Bischöfen untersagt, über die Satzung des Synodalen Ausschusses abzustimmen, ist die Klimax römischer Interventionen.
Schönborn: Hier geht es nicht primär um Disziplinfragen, sondern um das Verständnis von Kirche und apostolischem Amt. Papst Franziskus hat in seinem Brief an die Kirche in Deutschland von 2019 den "Primat der Evangelisierung" betont, weil er darin die vorrangige Aufgabe der Kirche sieht. Alle Getauften sind aktive Träger der Evangelisierung. Das völlige Fehlen des Themas Evangelisierung im deutschen Synodalen Weg lässt mich daher nach dem Kirchenbild fragen, das hier zum Ausdruck kommt. Es entsteht der Eindruck, dass die Anliegen des Papstes einfach nicht aufgegriffen werden. Die wichtigen Impulse des Apostolischen Schreibens "Evangelii Gaudium" von 2013 scheinen mir einfach zu fehlen. Noch nie in der langen Kirchengeschichte hat die Kirche so ausführlich und klar über sich selbst gesprochen wie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Auch hier geht es um Erneuerung der Kirche im Dienst an der Welt. Die Kritik aus Rom bezieht sich im letzten auf die Defizite in der Rezeption der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Tück: Maßgebliche Akteure des Synodalen Weges verstehen aber gerade den Synodalen Weg als kreative Fortschreibung der Ekklesiologie des Konzils …
Schönborn: Genau das sieht Rom nicht so. Das Konzil hat ein letztlich in Christi Stiftung begründetes Verständnis des Bischofs entwickelt (vgl. Lumen Gentium Kap. 3), dessen Maßgabe nicht im geschickten Austarieren von Machtverhältnissen liegt. Das Bischofsamt steht in der Kontinuität der apostolischen Verkündigung und ist mit einer Vollmacht ausgestattet, die mit dem Weihesakrament gegeben ist. Deshalb kann es nicht angehen, dass gemischt besetzte Gremien und deren Mehrheitsvoten über das künftige Geschick der Kirche bestimmen. Das ist Aufgabe der Bischöfe als sakramental bevollmächtigter Zeugen des Glaubens. Als Bischof mit langjähriger Erfahrung ist mir freilich bewusst, dass die sakramentale Indienstnahme etwas kulturell Widerständiges ist, hier ragt eine Dimension in das Tagesgeschäft herein, die nicht abgeleitet werden kann von den heute gesellschaftlich bestehenden politischen Machtverhältnissen.
"Die deutschen Bischöfe müssen sich ernsthaft fragen, ob sie wirklich aus der Communio mit und unter dem Papst ausscheren oder sie nicht vielmehr loyal annehmen wollen."
Tück: Welches autoritative Gewicht hat das jüngste Schreiben aus dem Vatikan? Sein Inhalt wurde, so heißt es in dem Brief, dem Heiligen Vater zur Kenntnis gebracht und von ihm approbiert.
Schönborn: Man muss es klar sehen: Die wiederholten Aufforderungen des Papstes sind nicht einfach Gesprächsbeiträge in einer Diskussion über Synodalität, es geht bei diesen Stellungnahmen – und vor allem im jetzt publik gewordenen Brief an die deutschen Bischöfe – um das volle Gewicht des Bischofsamtes cum et sub Petro. Es ist damit ein Kernpunkt der Verfassung der katholischen Kirche berührt. Deshalb müssen sich die deutschen Bischöfe ernsthaft fragen, ob sie wirklich aus der Communio mit und unter dem Papst ausscheren oder sie nicht vielmehr loyal annehmen wollen. Die Weigerung, einzulenken, wäre obstinatio – klares Anzeichen eines Schismas, das niemand wollen kann. Außerdem ist der Zeitpunkt des Schreibens unmittelbar von der Frühjahrsvollversammlung bemerkenswert. Ist es vom Datum her ein Zufall, dass die Veröffentlichung des Schreibens auf den Beginn der Fastenzeit fällt, die eine Zeit der Glaubensbesinnung und der Umkehr ist?
Tück: Der Synodale Ausschuss soll die Etablierung eines Synodalen Rates vorbereiten. Der Brief erinnert an ein Vatikanschreiben vom 16. Januar 2023, in dem "ausdrücklich und im besonderen Auftrag des Heiligen Vaters dazu aufgefordert" worden sei, "die Einrichtung eines solchen Rates nicht weiter zu verfolgen". Befürworter des Synodalen Rates haben aber wiederholt versichert, Dogma und Kirchenrecht würden durch ein solches Gremium nicht angetastet. Gleichzeitig soll der Synodale Rat aber nicht nur als Beratungs-, sondern auch als Beschlussorgan fungieren. Geht das zusammen?
Schönborn: Hier kann ich nur sagen, bitte, studiert gründlich das Zweite Vatikanische Konzil! Wir haben dieses Konzil – in Kontinuität mit der großen Lehrtradition der Kirche – als Orientierung in den hier strittigen Fragen. Sowohl das Dogma wird bei der Konstituierung des Synodalen Rates angetastet, weil das Verständnis des Bischofs als eines ausführenden Organs synodaler Mehrheitsbeschlüsse nicht mit dem des Konzils vereinbar ist. Dass der Synodale Rat auch mit dem geltenden Recht nicht vereinbar ist, haben die Stellungnahmen aus Rom mehrfach und nachdrücklich in Erinnerung gerufen. Das zu ignorieren, wäre fahrlässig.
"Die persönliche Verantwortung der Glaubensweitergabe kann der Bischof nicht an Gremien delegieren. Daher ist auch die Figur der freiwilligen Selbstbindung der Bischöfe an Beschlüsse von Synodalen Räten mit dem Herzstück der bischöflichen Sendung nicht vereinbar."
Tück: Die Lage für die Mehrheit der deutschen Bischöfe ist dramatisch. Einerseits stehen sie dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken gegenüber im Wort, den Synodalen Weg fortsetzen zu wollen. Andererseits wird ihnen nun von Papst Franziskus die anvisierte institutionelle Verstetigung des Synodalen Weges verwehrt. Ein Loyalitätskonflikt?
Schönborn: Ich kann mich gut hineinfühlen in die schwierige Situation eines solchen Loyalitätskonflikts. Wir Bischöfe erleben das oft, wenn wir Anliegen der Ortskirche und Anliegen Roms unter einen Hut zu bringen versuchen. Trotzdem sei daran erinnert, dass die Positionen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken nicht einfach der Ausdruck des Glaubens des Volkes Gottes sind. Papst Franziskus hat immer wieder an die Lehre des Konzils von der Unfehlbarkeit des Volkes Gottes in Glaubenssachen erinnert. Die Frage nach der Bestimmung, was sensus fidei inhaltlich ist, lässt sich nicht univok beantworten, der Glaubenssinn des Volkes Gottes ist demoskopisch nicht erhebbar. Die persönliche Verantwortung der Glaubensweitergabe kann der Bischof nicht an Gremien delegieren. Daher ist auch die Figur der freiwilligen Selbstbindung der Bischöfe an Beschlüsse von Synodalen Räten mit dem Herzstück der bischöflichen Sendung nicht vereinbar.
Tück: Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, fordert, der Ausschuss müsse bei seiner nächsten Sitzung im Juni "voll arbeitsfähig" sein. ZdK-Vizepräsident Thomas Söding mahnt die Bischöfe, die ja mit großer Mehrheit für die Einrichtung des Synodalen Ausschuss gestimmt hätten, ihren eigenen Beschlüssen treu zu bleiben. Hat Deutschland nun einen "Aufruf zum Ungehorsam"?
Schönborn: Das will ich nicht hoffen. Thomas Söding hat zu Recht daran erinnert, dass die deutschen Reformanliegen nicht ohne "römisches Gütesiegel" ans Ziel kommen können. Ich gehe davon aus, dass er diese Position auch nach dem jüngsten Schreiben aus Rom beibehalten wird.
"Ich wünsche der katholischen Kirche in Deutschland nicht das Schicksal der altkatholischen Kirche."
Tück: Der evangelische Theologe Ulrich Körtner hat als Beobachter geschrieben, die Anliegen des Synodalen Weges würden auf eine Altkatholische Kirche 2.0 hinauslaufen. Würden Sie diese Einschätzung teilen?
Schönborn: Ja, dem kann ich nur voll zustimmen. Und möchte ergänzen: Ich wünsche der katholischen Kirche in Deutschland nicht das Schicksal der altkatholischen Kirche.
Tück: Sie haben mehrfach in festgefahrenen Diskussionslagen erfolgreich vermittelt und durch besonnene Aufnahme der particula veri der jeweiligen Seite zu einem tragfähigen Kompromiss beigetragen. Wie kann ein Gespräch mit den römischen Dikasterien aussehen, das den deutschen Bischöfen einen gesichtswahrenden Ausweg ermöglicht?
Schönborn: Mich beeindruckt die Geduld, mit der vom Papst und von den römischen Dikasterien versucht wird, mit den deutschen Bischöfen im Gespräch zu bleiben und die Einheit und die Gemeinschaft zu wahren. Es wird ja dem Papst und seinen Mitarbeitern von nicht wenigen vorgeworfen, dass sie zu geduldig seien, es sei doch längst an der Zeit, mit einschneidenden Maßnahmen zu reagieren. Nein, auch nach dem jüngsten Schreiben aus Rom: Das Fenster zum Dialog bleibt geöffnet! Nach meinem Eindruck ist der Papst, sind die römischen Dikasterien den deutschen Bischöfen äußerst weit entgegengekommen. Es ist deshalb auch umgekehrt von den deutschen Bischöfen ein Entgegenkommen zu erwarten – und die deutschen Bischöfe sollten auch vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken erwarten dürfen, den Bogen nicht zu überspannen.
Tück: Mehr Transparenz, mehr Kontrolle, mehr Beteiligung von Laien. Das sind Forderungen, die nach dem Skandal der systematischen Vertuschung von Missbrauch durch die Kirchenleitung mit Recht erhoben werden. Wie kann für Sie, die Sie seit mehreren Jahrzehnten die Erzdiözese Wien leiten und weltkirchliche Erfahrungen haben, eine stärker synodal eingebettete Amtsführung des Bischofs aussehen?
Schönborn: Ich glaube, es gibt für kein leitendes Amt in unserer Gesellschaft eine so ausführliche und bewährte Compliance wie für das Bischofsamt. Und es ist die bestbewährte Compliance, die es überhaupt gibt: das Evangelium. Nicht umsonst empfinden Menschen mit feinem Gespür, ob ein Bischof sein Amt dem Evangelium gemäß ausübt oder ob er seine Macht und Autorität herausstreicht oder missbraucht. Die moralische Autorität bischöflicher Entscheidungen aber wächst, wenn sie zuvor durch einen Beratungs- und Konsultationsprozess hindurchgegangen ist. Wenn ich unbescheiden nach nun fast dreißigjähriger Erfahrung im Bischofsamt zurückblicken darf, so sieht gelebte Synodalität für mich vor allem so aus: Ein Grundvertrauen den Gläubigen gegenüber, eine dankbare Wertschätzung für alle Dienste und Charismen in der Kirche, ein hörendes Herz für die Zeichen, die der Herr für den gemeinsamen Weg seines Volkes gibt. Und auch, das sei nicht vergessen, die Bereitschaft zum Zeugnis – opportune oder inopportune, ob gelegen oder ungelegen. Christus, der auferweckte Gekreuzigte, ist und bleibt der Kompass für die Ausübung des Bischofsamtes und den gemeinsamen Weg der Kirche.