Am 13. Juni 2024 wurden zwei miteinander zusammenhängende Dokumente des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen, dem "Ökumene-Ministerium" des Papstes, vorgestellt: "Der Bischof von Rom"– ein Studiendokument, das die Ergebnisse der ökumenischen Dialoge der vergangenen Jahrzehnte mit Bezug auf das Papstamt auswertet, und ein darauf aufbauender Vorschlag der Vollversammlung des Dikasteriums unter dem Titel: "Auf dem Weg zur Ausübung des Primats im 21. Jahrhundert".
Es handelt es sich um eine Durchsicht der Antworten auf die Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" (UUS) von 1999. Darin hatte Papst Johannes Paul II. die Möglichkeit einer "ermäßigten" Ausübung des Papstamtes zur Diskussion gestellt – auf der Grundlage einer Unterscheidung zwischen dem Wesensgehalt des päpstlichen Dienstes und der Form der Ausübung des Primats.
Ganz offensichtlich soll so dem deutlich stecken gebliebenen ökumenischen Gespräch ein neuer Impuls gegeben werden. Das bevorstehende 30. Jubiläum von "Ut unum sint" bietet sich als Zeitpunkt an, und die bei Veröffentlichung bahnbrechende Reflexion Johannes Pauls II. über eine ökumenisch verträgliche Ausübung des Einheitsamtes bietet sich als Gegenstand an, der die Debatte wieder in Gang bringen kann.
Das Dokument bietet nach einer Reflexion auf den Stand des ökumenischen Gesprächs (1.) zunächst eine Darstellung der Ergebnisse der ökumenischen Dialoge bezüglich der historischen Grundlagen, die die katholische Kirche für das Papstamt in Anspruch nimmt (2.): die biblischen Grundlagen und das Erste Vatikanische Konzil. Es stellt dann die in den Dialogen erarbeiteten Prinzipien für den Ort und die Aufgabe eines Einheitsamtes in einer wiedervereinigten Kirche vor (3.) und formuliert schließlich Anfragen an die katholische Kirche, die sich aus den Dialogen für eine Deutung und praktische Ausübung des Papstamtes ergeben (4.). Eine Zusammenfassung schließt das Dokument ab.
Papst im Kontext
Die Leistung des Dokuments liegt in der Hermeneutik, in der perspektivischen und systematisierenden Auswertung der Dialogergebnisse. Als durchgehender Zug fällt auf, dass das Papstamt und seine Prärogativen kontextualisiert werden. Da ist nicht neu und liegt in der Fluchtlinie, die "Ut unum sint" vorzeichnet, ist aber doch bemerkenswert.
Das beginnt im 2. Kapitel mit der Ausweitung der Schriftgrundlage für das Petrusamt. Diese wird nicht einfach konzentriert auf Mt 16,17-19 und Joh 21. Vielmehr wird aus der Perspektive der römischen Kirche (36-37) die Vielfalt der Schriftaussagen über Petrus – inklusive seines Versagens – und die Vielfalt der Interpretationen des Petruswortes im Laufe der Theologiegeschichte wahrgenommen, in der die Vorrangstellung des Petrus in den Kontext der Zuschreibung dieser Prärogative an die Gemeinschaft der Glaubenden oder an den ganzen Jüngerkreis gestellt wird.
Auf der anderen Seite entnimmt der Einheitsrat den Stellungnahmen aus Gesprächszusammenhängen mit den lutherischen, den reformierten und den anglikanischen Kirchen, dass das biblische Zeugnis dem Petrus Privilegien als Erster und als Sprecher der Apostel zuschreibt, die die Feststellung erlauben, dass der Bischof von Rom einen entsprechenden Dienst für die Gesamtkirche wahrnehmen könnte (35).
Reinterpretationen und Relativierungen
Die Prärogative des Petrus werden also nicht isoliert, sondern bereits exegetisch in den Kontext der Privilegien der anderen Apostel und der ganzen Kirche, damit eben auch der Patriarchate, Bischöfe und der Gemeinschaft der Glaubenden insgesamt gestellt. Das wiederholt sich in der Reinterpretation von "Pastor aeternus", der Dogmatischen Konstitution, mit der das Erste Vatikanische Konzil das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes definiert hatte. Auch dort geht es um die historische Kontextualisierung dieser Konstitution, um die Relativierung maximalistischer Auslegungen der päpstlichen Jurisdiktions- und Lehrgewalt. Diese wird ermöglicht durch die Unterscheidung von Sache und Ausdruck, durch die Einbeziehung bislang nicht beachteter Rezeptionstraditionen (65) und vor allem durch das bekannte Prinzip der Interpretation des Ersten im Kontext des Zweiten Vatikanischen Konzils (66).
Alle diese Kontextualisierungsebenen zielen darauf ab, die Jurisdiktions- und Lehrgewalt des Papstes ekklesiologisch einzubinden, also in den Zusammenhang der bischöflichen Autorität (und damit in den Kontext der Kollegialität und Synodalität) und in den Zusammenhang der entsprechenden Prärogative der gesamten Kirche (Einbindung in den Kontext einer Communio-Ekklesiologie) zu stellen und von dorther zu interpretieren (67-68).
Amt der Einheit
Dem liegt zum einen der vom Rat festgestellte Konsens vieler Dialogdokumente zugrunde, dass es aus praktischen Gründen (84-85) und im Einklang mit der Praxis der Kirche des ersten Jahrtausends ein Amt geben muss, das die Einheit der weltweiten Kirche manifestiert und einen Dienst an der Einheit der Kirche wahrnimmt.
Die in der Interpretation der petrinischen Texte und des Ersten Vatikanischen Konzils grundgelegte ekklesiologische Einbindung der päpstlichen Vorrangstellung wird dann aufgenommen in der Berücksichtigung der Ebenen der Kirche und der entsprechend relativierten Wahrnehmung des Primats (169-176).
Zunächst entnimmt der Einheitsrat den Dialogergebnissen eine Zuordnung von Synodalität und Primat, also das Grundprinzip, dass der Primat seinen Ort in einer synodalen Kirche und das heißt: im Rahmen einer konziliaren Organisation hat, und zwar, wie in einigen Dialogen festgestellt wird: in einem Verhältnis der wechselseitigen Abhängigkeit (112) stehen.
Diese Zuordnung wird weitergeführt, wenn die Überlegungen zu einer Wahrnehmung des Papstamtes im 21. Jahrhundert (108 ff.) begründet werden in einem synodalen Konzept, das freilich deutlich unterscheidet zwischen der Konsultation des Bischofskollegiums durch den Primas und der Teilnahme des ganzen Volkes Gottes an der Synodalität der Kirche (115). Das seien, so hält das Dokument aus den Dialogergebnissen fest, drei Dimensionen der Ordnung der Kirche – gemeinschaftlich (Communio: alle), kollegial (Synode/Konzil: einige) und personal (Primat: einer) – die einander ergänzen und ohne die ein Primat nicht gedacht werden kann (81, bes. 111) – damit werden auch die Ergebnisse der "Faith and Order"-Kommission des Ökumenischen Rates der Kirchen aufgenommen (117).
Einschränkung des Jurisdiktionsprimats
Diese Dimensionen der Kirche werden dann um ein regionales Element erweitert. Der Dienst an der Einheit soll, so wertet der Einheitsrat die Dialogergebnisse aus, nicht ein isoliertes Phänomen auf der Ebene der Universalkirche sein, sondern die Zuordnung von Synodalität und Primat soll auf allen Ebenen der Kirche – örtlich, regional, national und universal – realisiert werden. Der wichtigste Punkt dabei ist die Betonung des Prinzips der Subsidiarität (136 ff.): der Grundsatz, dass Angelegenheiten, die auf einer niedrigeren Ebene geregelt werden können, dort und nicht durch die höherstufige Instanz geklärt werden.
Das Amt des Papstes wird sowohl hinsichtlich der Jurisdiktions- wie hinsichtlich der Lehrgewalt ekklesiologisch kontextualisiert.
Das bedeutet eine Einschränkung des Jurisdiktionsprimats, nach dem der Papst unmittelbar bischöfliche Rechte in jeder Diözese wahrnehmen kann. An diesem Beispiel kann man sich das Vorgehen des Studiendokuments verdeutlichen: Zunächst wird im Abschnitt über die Hermeneutik von "Pastor aeternus" festgestellt, dass die Konstitution jedenfalls den Papst nicht als absoluten Monarchen in der Kirche ausstatten will (67). Dem entspricht es, wenn als Ergebnis des Durchgangs durch den Konsens der Kirche des 1. Jahrtausends festgestellt wird, dass hier ein Ehrenprimat und ein Primat der Autorität, nicht aber eine juristisch festgeschriebene Herrschaft des Papstes in der Kirche anerkannt sei (94-98, bes. 98). Auf dieser Basis wird dann – ebenfalls im Rahmen der Darstellung der Bezugnahmen der ökumenischen Dokumente auf den Konsens des 1. Jahrtausends – festgestellt, dass der Primat des Papstes und insbesondere das Appellationsrecht keine Einschränkung der Autokephalie der orthodoxen Kirchen darstellen dürfe, unbeschadet dessen, dass der Bischof von Rom ein effektives universales Amt der Einheit wahrnehme (103).
Das Amt des Papstes wird damit sowohl hinsichtlich der Jurisdiktions- wie hinsichtlich der Lehrgewalt ekklesiologisch kontextualisiert in den Zusammenhang der anderen Patriarchate und autokephalen Kirchen, in den Zusammenhang der anderen Inhaber des Bischofsamtes (Synodalität) und in den Zusammenhang der Gesamtkirche, den sensus fidelium (Glaubenssinn) eingeordnet. Diese Einordnung, das ist der aus der Versammlung von Lausanne mitgenommene Auftrag (117), muss die Ausübung des päpstlichen Einheitsdienstes bestimmen und begrenzen. Dabei wird eben auch deutlich, dass das Anliegen der ekklesiologischen Einbindung des Petrusdienstes sich andererseits mit dem Anliegen verbindet, das Amt der Einheit nicht einfach als Zeichen bestehender Einheit, sondern auch mit der Vollmacht der Definition und der Durchsetzung der Einheit zu versehen (etwa 143 im Kontext von 140ff.).
Differenzierung der Autorität
Die aus den Dialogergebnissen herausgearbeiteten "praktischen Vorschläge" (4.) laufen darauf hinaus, dass sie eine Differenzierung in den Titeln und damit den Ämtern des Papstes vorschlagen, mit der Folge, dass der Papst als "Primas der Westlichen Kirche" eine andere, den Rechten der übrigen Patriarchen mit Bezug auf deren Kirchen entsprechende Autorität hat als die Autorität, die ihm aus seiner Funktion für die Gesamtkirche zukommt (150-151). Dabei wird aber auch in einigen Dialogen angemahnt und im Dokument festgehalten, dass die Wahrnehmung der päpstlichen Gewalt auch innerhalb der katholischen Kirche ebenfalls die Prinzipien der Kollegialität, das Recht und die Autorität der lokalen Kirchen und die Bedeutung der Laien berücksichtigen müsse (154-155) – hier werden die Erfahrungen synodal strukturierter protestantischer Kirchen als Beispiel genannt.
Durch das Prinzip der Synodalität (Einklang mit den anderen Patriarchen und Bischöfen und Einklang mit dem sensus fidelium) wird die Prärogative des Papstes in der Ausübung begrenzt.
Insgesamt ergibt sich in der Zusammenfassung der Vorschläge aus der Ökumene das Bild einer massiven Anfrage an die katholische Kirche und ihr bisheriges Verständnis des Papstamtes, die einerseits ein Festhalten an den insbesondere im Ersten Vatikanischen Konzil dogmatisierten Wesenszügen des Papstamtes ermöglicht – dass es ein Amt bzw. besser: einen Dienst der Einheit geben könne und müsse, wird als Konsens festgestellt (172), in den auch die lutherischen Kirchen einbezogen werden (85-87, vgl. 124, 141). Dabei werden andererseits aber die Wesenszüge des Primats in den Kontext der Rechte der regionalen autokephalen Kirchen gestellt: Der Papst limitiert freiwillig die Ausübung seiner Amtsgewalt (140). Der Papst wird zunächst als Bischof von Rom wahrgenommen, der die Aufgabe eines Patriarchen des Westens hat und als solcher im Kontext der Synodalität der westlichen Kirche steht (179). Er steht neben den Patriarchen der anderen Metropolien, unter denen er einen Ehrenvorrang genießt und in Übereinstimmung mit ihnen eine unvertretbare Aufgabe wahrnimmt: die Einheit der Kirche zu repräsentieren und in Zweifelsfällen zur Geltung zu bringen. Durch das Prinzip der Synodalität (Einklang mit den anderen Patriarchen und Bischöfen und Einklang mit dem sensus fidelium) wird diese Prärogative in der Ausübung begrenzt.
Ein Vorschlag für die bischöflich verfassten Kirchen
Aus lutherischer Perspektive wäre darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse des Dialogs zwischen den lutherischen bzw. reformatorischen und der katholischen Kirche durchaus rezipiert werden, dass die wesentlichen Anfragen und Vorschläge für die Gestaltung des Petrusamtes sich aber an Kirchen richten, die ein gestuftes Amt besitzen und das Prinzip der apostolischen Sukzession für sich reklamieren. Entsprechend liegt das Hauptgewicht der rezipierten Dialogergebnisse bei den Dialogen mit den orthodoxen Kirchen und der anglikanischen Kirchengemeinschaft.
Die Initiative des Einheitsrats ist wesentlich ein Gesprächsangebot in dieser Richtung und bietet ein Modell einer Ausübung des Primats an, das die Rechte der orthodoxen Patriarchate anerkennt und das Prinzip der Autokephalie nicht tangiert – darauf zielen die Ausführungen zur Subsidiarität und die Betonung der Synodalität, der Kollegialität, das Prinzip der regionalen Autonomie und auch die Feststellung, dass die Anerkennung des Papstamtes durch die mit Rom unierten orthodoxen Kirchen nicht das Modell der Erwartungen Roms an eine künftige wiedervereinigte Kirche darstellen (171-175, vgl. 131).
Auch die Anerkennung der Pluralität kirchlicher Ordnungen (128-135), die Feststellung, dass die Kirchen nach den jeweils geltenden partikularen Normen zu leiten seien (ebd.) sind, ebenso wie die Aufnahme des Konzeptes der "Einheit in Verschiedenheit" (176) ist ein Angebot an die Kirchen mit anerkennungsfähiger apostolischer Sukzession, namentlich der orthodoxen Kirchen.
Anfragen einer lutherischen Rezeption
Dass der Weg insbesondere für die reformatorischen Kirchen ohne anerkanntes bischöfliches Amt hinsichtlich der ekklesiologischen Grundlagen problematischer ist, wird ausdrücklich notiert. Man wird als lutherischer Theologe festhalten dürfen, dass die Anerkennung von liturgischer und kirchenrechtlicher Pluralität auch Anliegen eines protestantischen Selbstverständnisses entgegenkommt; die Aufnahme der "Einheit in Verschiedenheit" (172) setzt aber doch sehr eindeutig die Selbstverständlichkeit geografisch definierter Diözesen unter einem Bischof in apostolischer Sukzession voraus. Wie sich die Ausübung der Primatsfunktion des Papstes als Patriarch des Westens in gemischtkonfessionellen Gebieten auswirken soll, bleibt ganz offen – bilden die lutherischen Kirchen ein eigenes Patriarchat mit überschneidenden Diözesangrenzen? Unterstehen sie dem Patriarchen des Westens? Wie gestaltet sich unter diesen Voraussetzungen eine Anerkennung ritueller Verschiedenheit – und wie weit erstreckt sie sich?
Wie verhält sich die freiwillige Begrenzung der Ausübung des Amtes der Einheit zur wesentlichen Amtsvollmacht? Welchem Ziel dient die universale Vollmacht des Einheitsamtes und wer entscheidet über die Legitimität der Ausübung? Dass der Ehrenprimat keine nur repräsentative Funktion als Zeichen der Einheit haben kann, sondern eine "hinreichende Autorität" haben muss, wird festgestellt. Aber was genau heißt das?
Es ist jedenfalls als Anliegen der lutherischen Kirchen die Überordnung der Bindung an das Evangelium als Bedingung eines legitimen Primats der Einheit notiert (87: Primat des Evangeliums). Es wäre zu klären, wie sich eine solche Limitation in die freiwillige Selbstbegrenzung in der Wahrnehmung des Einheitsamtes einfügt.
Wie verhält sich die freiwillige Begrenzung der Ausübung des Amtes der Einheit zur wesentlichen Amtsvollmacht? Welchem Ziel dient die universale Vollmacht des Einheitsamtes und wer entscheidet über die Legitimität der Ausübung? Dass der Ehrenprimat keine nur repräsentative Funktion als Zeichen der Einheit haben kann, sondern eine "hinreichende Autorität" haben muss, wird festgestellt (143). Aber was genau heißt das?
Die unbewältigte ekklesiologische Differenz
Die Problematik des ganzen Unternehmens aus lutherischer Perspektive wird schlaglichtartig an der Rezeption von "Communio Sanctorum" (CS), einem Dokument der bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD deutlich: Das Dokument wird einige Male aufgenommen, allerdings, wenn ich nichts überlesen habe, hauptsächlich als Zeuge dafür, dass sich auch die Lutheraner, freilich unter bestimmten Bedingungen, ein Amt der Einheit vorstellen können (35; 56; 68; 72; 81; 91; 117; 148; 151). Über der Konzentration auf die materialen Aussagen über das Petrusamt wird das eigentliche Anliegen des Dokuments aber nicht gesehen: Es geht in "Communio Sanctorum" gerade um eine Verständigung über die Ekklesiologie im Ganzen.
Unter der Voraussetzung einer Einigung über das Wesen der Kirche stehen in "Communio Sanctorum" die abschließenden Aussagen über die Bedingungen, unter denen ein Amt der Einheit akzeptabel wäre. Diese Frage nach dem Wesen der Kirche kann im Gespräch zwischen bischöflich verfassten Kirchen weitgehend unterbleiben, weil Einigkeit vorausgesetzt werden kann. Auch darum ist das Studiendokument uns seine Auswertung ein Angebot an Kirchen, die sich in der apostolischen Sukzession sehen.
Ich kann hier nur wiederholen, was ich anderweitig gesagt habe: Zwischen diesen Kirchen und den Kirchen in protestantischer Tradition besteht ein Unterschied in der Verwendung des Wortes "Kirche": Wohlberatene Protestanten verwenden das Wort als Allgemeinbegriff: wo bestimmte Bedingungen erfüllt sind, da ist Kirche. Maßgeblich dafür ist der Glaube an das Evangelium von der bedingungslosen Gnade Gottes in Christus; und identifizierbar wird die Kirche dadurch, dass in einer empirischen Gemeinschaft die Konstitutionsbedingungen dieses Glaubens gepflegt werden: die Verkündigung des Evangeliums und die ihm entsprechende Verwaltung der Sakramente. Wo dies ist, ist Kirche. In diesem Sinn gilt der Vorwurf des großen Bellarmin, dass für die Protestanten die Kirche eine societas platonica sei: "Kirche" ist nach protestantischem Verständnis in der Tat ein Allgemeinbegriff.
Für die Kirchen in apostolischer Sukzession hingegen ist das Amt und die Zugehörigkeit der Gemeinschaft der Gläubigen zum legitimen Amtsinhaber nicht die einzige, aber die grundlegende Bestimmung der Kirche. Die Kirche gibt es nur im Singular: als der Räume und Zeiten übergreifende Zusammenhang der apostolischen Sukzession, der auf den Jüngerkreis um Jesus Christus zurückgeht. Das Amt in apostolischer Sukzession ist nicht die Kirche, aber es konstituiert sie und macht sie erkennbar. Dieser Zusammenhang ist eine konkurrenzlose Einheit. Daher gibt es die Kirche nur im Singular, und das Wort "Kirche" ist ein Name, kein Begriff: Bezeichnung eines einzigen Individuums.
Dass die protestantischen Kirchen nach katholischem Verständnis keine Kirchen sind, hat im Jahr 2000 die Erklärung "Dominus Iesus" der Glaubenskongregation zu Recht festgestellt. Und, wie Kardinal Ratzinger angesichts des Jammerns der Protestanten ebenfalls zu Recht sagte: Es gibt keinen Grund dafür, dass die Protestanten Wert darauf legen, unter diesen katholischen Voraussetzungen als Kirche anerkannt zu werden.
Auf diese Differenz, die meines Erachtens nicht überbrückbar ist, lässt sich die ekklesiologische Differenz zurückführen. Das festzustellen ist kein Indiz mangelnden Respekts. Es erlaubt den Protestanten die Anerkennung der katholischen Kirche als Kirche (unter der genannten Bedingung). Dass die protestantischen Kirchen nach katholischem Verständnis keine Kirchen sind, hat im Jahr 2000 die Erklärung "Dominus Iesus" der Glaubenskongregation "über die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche" zu Recht festgestellt. Und, wie Kardinal Ratzinger angesichts des Jammerns der Protestanten ebenfalls zu Recht sagte: Es gibt keinen Grund dafür, dass die Protestanten Wert darauf legen, unter diesen katholischen Voraussetzungen als Kirche anerkannt zu werden.
Das Studiendokument, soweit es als Gesprächsangebot zu verstehen ist, ist ein Angebot an die Kirchen, die im genannten Sinne wechselseitig anerkennungsfähig sind. Protestanten sollten so viel Selbstbewusstsein besitzen, dass sie das anerkennen und sich fragen, wie sich ökumenische Beziehungen zu einer möglichen vereinigten Weltkirche gestalten lassen.
Synodalität nach innen?
Hochinteressant ist das Dokument des Einheitsdikasteriums aber in einer dritten Hinsicht: Es wird auf der Basis der ökumenischen Dokumente angemahnt, dass sich das Ausbalancieren von Primat und Synodalität im Außenverhältnis niederschlagen und ausweisen muss in einer Anerkennung des wechselseitigen Konstitutionsverhältnisses von Primat und Synodalität im Binnenverhältnis der katholischen Kirche (vgl. Vorschlag Nr. 19 und 22). Hier wird offensichtlich das Anliegen der Aufwertung der Generalversammlungen der Bischofssynode, die Papst Franziskus programmatisch betrieben hat, als Modell der kollegialen Kirchenleitung betrachtet. Man wird gespannt sein dürfen, wie sich dies Modell weiterentwickelt, und wie die Einbeziehung von Laien (das im Studiendokument hervorgehobene Moment des "alle") in die Kirchenleitung und die Wahrnehmung des Dienstes an der Einheit integriert werden wird.
Insgesamt: das Dokument ist ein Indiz dafür, dass in der Kurie das Anliegen des ökumenischen Dialogs wieder aufgenommen und die relative Eiszeit der Ökumene aufgebrochen wird. Als Lutheraner wird man feststellen müssen, dass sich das Dialogangebot an andere Kirchen richtet und vor einer Partizipation der reformatorischen Kirchen an diesem Dialog grundsätzliche Klärungen zum Verhältnis von Ekklesiologie und dem Primat des Evangeliums notwendig sind.