Wer im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts in Münster Theologie studierte, hatte gleich an zwei Orten die Gelegenheit, dem Werk von Jürgen Habermas zu begegnen. Das war einmal bei Johann Baptist Metz (1928-2019), dem damaligen Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie am Fachbereich Katholische Theologie und dann bei Helmut Peukert (*1934), der seinerzeit als Akademischer Rat am Fachbereich für Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften lehrte und forschte. Ihre Biografien, die schon früh miteinander verflochten waren, geben Aufschluss darüber, was ihr Interesse an Habermas geweckt hatte. Erste Begegnungen zwischen Metz und Peukert fanden schon in Innsbruck statt, wo Karl Rahner (1904-1984) den Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte innehatte. In Innsbruck, wo Rahner mit längeren Unterbrechungen von 1936 bis 1964 wirkte, formierte sich sein theologischer Ansatz, mit dem er die anthropologische Wende der Neuzeit nachvollzog.
Im Banne Heideggers
In der Fluchtlinie dieses für die katholische Theologie epochalen Neuansatzes schrieb Metz seine als Dissertation eingereichte "Christliche Anthropozentrik", mit der er die Anthropologie als theologische Denkform konzipierte (München 1962). Bemerkenswert an diesem Buch ist der hier greifbar werdende Anspruch, die katholische Theologie, die sich normativ auf Thomas von Aquin zurückbezog, auf das Reflexionsniveau der Neuzeitphilosophie zu heben.
Im Blick auf Habermas ist bereits an dieser Stelle der Hinweis wichtig, dass Metz, wie auch seine Lehrer Rahner und Emerich Coreth (1919-2006), im Banne Martin Heideggers stand, von dessen Philosophie sich, intendiert als Überwindung einer erstarrten Neuscholastik, die katholische Theologie einen Modernisierungsschub erhoffte. Diese Intention findet ihren Niederschlag in einem Aufsatz von Metz, der den Titel trägt: "Heidegger und das Problem der Metaphysik" (Scholastik 28 [1953], 1-22). Der Beitrag erschien 1953 und somit in demselben Jahr, in dem Jürgen Habermas mit seinem fulminanten F.A.Z.-Artikel "Mit Heidegger gegen Heidegger" die ideologiekritische Debatte über Heidegger eröffnete. Bereits von den zeitlichen Abläufen her kann Metz diesen Zeitungsartikel bei der Abfassung seines Aufsatzes nicht gekannt haben. Aber trotz einer keineswegs unkritischen Interpretation der Heidegger'schen Philosophie, die der frühe Metz hier vorlegt, fehlt eine vergleichbare ideologiekritische Relektüre, die wir nahezu zeitgleich bei Habermas bereits finden.
In Münster entsteht die Neue Politische Theologie
Helmut Peukert kam als Student von Tübingen nach Innsbruck, um Karl Rahner zu hören. Ihn interessierte dessen Forschungsprogramm einer "fundamentalen Theologie". Für Peukert standen ebenfalls neuzeitliche Philosophietraditionen im Mittelpunkt, wobei sein Fokus auf die Subjekt- und Freiheitsthematik zielen sollte. Peukert folgte Metz Mitte der Sechzigerjahre an die Universität Münster. Auf diesem Wege wurde Peukert ein für Metz kongenialer Gesprächspartner, der in diesen Jahren an einer vollständigen Revision der Theologie arbeitete, die zunächst unter dem Begriff der "Theologie der Welt" und alsbald unter dem der "Politischen Theologie" Gestalt annehmen sollte.
Dieser Neuansatz reagiert unmittelbar auf die intellektuelle Debattenlage der Sechzigerjahre, in denen die Katastrophenerfahrungen des 20. Jahrhunderts und die gesellschaftlich-politische Gesamtsituation der Nachkriegszeit kritisch auf- und produktiv verarbeitet werden sollte. An dieser Stelle zeigte sich allerdings, dass sowohl Metz als auch Peukert in der Konsequenz dieser Zielsetzung auf einen Theologiebegriff drängen mussten, der bei Rahner so nicht auffindbar war. Dieser hatte seine Arbeiten auf die anthropologische Selbsterschließung der Gottesrede als sinnbildendes Angebot gläubiger Existenzmöglichkeit konzentriert. Gefordert aber war nun, so die theologische Zeitansage im Münster der Sechzigerjahre, eine Programmatik, für die die Schlüsselkategorien "Gesellschaft", "Politik" und "Geschichte" zentral waren. Diese Weiterentwicklung stellt allerdings, anders als die Polemik von Metz über die vorgebliche Subjektlosigkeit des idealistischen Denkens dies zu insinuieren scheint, keinen Widerspruch zu Rahners Transzendentaltheologie dar. Die von Metz und Peukert konzipierte Politische Theologie ist viel mehr als Versuch zu sehen, die ja auch für Rahner leitende Struktur von Subjektivität und Freiheit durch deren Einbettung in die Systeme von Geschichte und Gesellschaft über sich selbst aufzuklären.
Kommunikatives Handeln: Ein Theologe liest Habermas
Eine zumindest indirekte Berührung mit dem Habermas'schen Denken ergab sich für Metz an dieser Stelle zunächst aus seiner Hinwendung zu den auch für jenen maßgeblichen linkshegelianischen Traditionen. Auch scheint es so zu sein, dass sowohl Habermas wie Metz in dieser Zeit intensiver Lese- und teils auch Gesprächserfahrungen geprägt haben, in denen jüdische Philosophen wie Theodor W. Adorno, Ernst Bloch, Gershom Sholem und Walter Benjamin eine wichtige Rolle spielten. Mit diesem Theoriedesign wollte sich die Politische Theologie sowohl als eine Theologie der Gesellschaft als auch als eine Theologie der Geschichte entfalten, um die gesellschaftskritische Kraft christlichen Glaubens in der Moderne zur Geltung zu bringen (Zur Theologie der Welt, Mainz, ders.: Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentalteologie Mainz 1977).
Helmut Peukert wiederum ging dieses Projekt von einem anderen Ausgangspunkt an, indem er die hier greifbar werdende Einbeziehung von Gesellschafts- und Geschichtskategorien auf eine theologische Theorie der Interdisziplinarität zulaufen ließ, die wiederum eine Beschäftigung mit wissenschaftstheoretischen Grundlegungsdebatten nach sich ziehen musste, um den Status und Geltungsanspruch der theologischen Theoriebildung zu klären.
Die Durchführung dieses Programms erfolgt in der von Metz betreuten Dissertation, die im Jahre 1976 erstmals publiziert wurde (Wissenschaftstheorie, Handlungstheorie, Fundamentale Theologie. Analysen zu Ansatz und Status theologischer Theoriebildung, Düsseldorf 1976/Frankfurt 1978). Dieses Buch leistet eine umfassende Aufarbeitung der wissenschaftstheoretischen Grundlagendiskussion des 20. Jahrhunderts, die auf die Theorie kommunikativen Handelns als einer Basistheorie wissenschaftlicher Rationalität fokussiert wird, wie sie in Habermas' Universal- und Apels Transzendentalpragmatik vorlag. Diese Ansätze werden einer dialektischen Grenzreflexion in der Absicht unterzogen, die Frage nach der Sinnbedürftigkeit der kommunikativen Vernunft aufzuwerfen. Durch die kommunikationstheoretische Reformulierung von Kants praktischer Vernunft soll schließlich die handlungstheoretische Relevanz des christlichen Glaubens aufgewiesen werden. Die Auseinandersetzung mit Habermas wird in zwei Argumentationsgängen durchgeführt, die dialektisch aufeinander bezogen werden.
Einerseits werden in der Konzeption der Diskursethik die elementaren Bestimmungen der reziproken Anerkennung und universalen Solidarität freigelegt, die andererseits in ihre geschichtliche Dimension hinein entfaltet werden. Im Rückgriff auf die zwischen Max Horkheimer und Walter Benjamin geführte Debatte über die Abgeschlossenheit oder Unabgeschlossenheit des Vergangenen entgrenzt Peukert den Kategorischen Imperativ universaler Anerkennung und unbedingter Solidarität, indem er ihn als eine transtemporale Universalie begreift, die sich im "Eingedenken" (Benjamin) nicht damit abfinden will, dass die Opfer der Geschichte endgültig verloren sind und vernichtet bleiben. Im "Paradox anamnetischer Solidarität" realisiert sich vielmehr eine Gestalt kommunikativer Praxis, die durch ihre Treue zu den Opfern der Geschichte Gott als rettende Wirklichkeit für die Toten "behauptet".
Bemerkenswert ist, dass Peukert bereits sehr früh und wohl als erster Theologe überhaupt auf den zentralen Ansatzpunkt einer kritischen Auseinandersetzung mit Habermas aufmerksam gemacht hat, der eben darin liegt, die Unhintergehbarkeit des Gottesbegriffs denkerisch zu sichern.
Durch die Einschreibung dieser Denkfigur in die Grundlegungsarbeit der Wissenschaftstheorie ist somit das Ziel erreicht, die "fundamentale Theologie" in ihrer fundierenden Bedeutung für eine Theorie der Geschichte, Gesellschaft und Subjektivität auszuweisen. In einem Rückblick auf seine Forschungen konnte Peukert diesen Ansatz als die theologische Einholung der von Habermas bereits 1972 erhobenen Forderung charakterisieren, die semantischen Potenziale religiöser Traditionen durch ihre säkularisierende "Übersetzung" zu "retten". Diesen religionsphilosophischen Grundansatz hat Habermas bekanntlich in immer wieder neuen Anläufen entfaltet.
Bemerkenswert ist allerdings, dass Peukert bereits sehr früh und wohl als erster Theologe überhaupt auf den zentralen Ansatzpunkt einer kritischen Auseinandersetzung mit Habermas aufmerksam gemacht hat, der darin liegt, die Unhintergehbarkeit des Gottesbegriffs denkerisch zu sichern. Peukerts Ansatz ist insofern nach wie vor wegweisend für das von ihm initiierte und noch stets anhaltende Gespräch der Theologie mit Habermas! In der Sprache der säkularen Gesellschaft und deshalb in der Instanz der autonomen Vernunft muss es darum gehen, den Gottesbegriff zu rechtfertigen, um die Relevanz der Gottesrede aufzeigen zu können.
Kommunikative Vernunft und anamnetische Vernunft
Die Auseinandersetzung von Metz mit Jürgen Habermas verdichtete sich in den Achtzigerjahren in einem Oberseminar zur damals hitzig geführten Debatte über die "Rückkehr der Metaphysik" (Rückkehr zur Metaphysik? – Eine Sammelrezension [1985], in: Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt 1988, 267-297). Hier wurde deutlich, dass Metz sich mit Habermas gegen die von Dieter Henrich vertretene bewusstseinsphilosophische Fassung der Metaphysik positionierte.
Habermas erprobte seinerzeit auf der Basis seiner 1981 erschienenen Theorie des kommunikativen Handelns die Argumentationskraft postmetaphysischer Denkformen, um die Gehalte metaphysischer Ideen zu rekonstruieren. Die Religion war für ihn jedoch das "Opake", dem erst im Modus säkularen Übersetzens kognitive Vernunftpotentiale abgerungen werden konnte. Bei allem metaphysikkritischen Gleichklang mit Habermas wollte Metz jedoch nicht den von Kant eröffneten philosophischen Denkweg beschreiten, durch eine transzendentalkritische Vernunftreflexion und im Medium subjekttheoretischer Analysen den Gottesbegriff aufzuweisen. Das wäre ja vom Gesamtgefälle der von Peukert grundgelegten Denkfigur, das Gottespostulat als praktisches Implikat intersubjektiver Vernunftvollzüge zu erweisen, durchaus möglich gewesen. Aber an dieser Stelle überwogen wohl die Reserven gegenüber jedwedem transzentalen Subjektdenken, sodass Metz einen anderen Weg einschlug, um die Gottesrede zu retten (Im dialektischen Prozess der Aufklärung [GS, 3/2], Mainz 2016, 215-251).
Den Hintergrund bildet sein Misstrauen dem Selbstbegründungsanspruch der autonomen Vernunft gegenüber, wie sie für ihn auch im Habermas'schen Leitbegriff der kommunikativen Vernunft sichtbar wird. Im Gegenzug mobilisiert er das Konzept einer "anamnetischen Vernunft", die, erinnerungs- und traditionsgeleitet, kulturelle und religiöse Sinnressourcen in praktischer Absicht vergegenwärtigt, um die Konstitution wahrhaftigen Subjektseins zu ermöglichen.
Bei Metz wird der Gottesbegriff im Medium der anamnetischen Vernunft eingeführt, und zwar als Erinnerung an die Freiheitsgeschichte Gottes mit den Menschen, durch die diese sich als unbedingt anerkannt und zur verbindlichen Übernahme ihrer Freiheit ermutigt erfahren können.
Allerdings hält Metz an der epistemischen Einheit von ratio und memoria fest! Seine gegen die Metaphysik gerichtete Kritik fokussiert sich hingegen auf den Vorwurf, sie ignoriere den vernunftförmigen Anspruch jüdischen Denkens; die "subjektlose Argumentationssprache der griechischen Metaphysik" vernachlässige die Kategorie des "geschichtlichen Eingedenkens". Und der gegen das von Habermas vertretene Programm einer säkularen "Übersetzung" religiöser Glaubensgehalte gerichtete Vorwurf läuft auf diese These zu: "Erinnernd" – und also nicht auf dem Weg einer rationalen Rekonstruktion – suche sich die anamnetisch verfasste Vernunft der semantischen Gehalte zu vergewissern, "aus denen sich nicht nur die Substanz des Glaubens, sondern auch das Interesse an subjekthafter und solidarischer Freiheit nähren" (225).
Folglich wird bei Metz der Gottesbegriff im Medium der anamnetischen Vernunft eingeführt, und zwar als Erinnerung an die Freiheitsgeschichte Gottes mit den Menschen, durch die diese sich als unbedingt anerkannt und zur verbindlichen Übernahme ihrer Freiheit ermutigt erfahren können. Im Blick auf Habermas und vernunftheoretisch formuliert: Der Begriff der anamnetischen Vernunft erinnert die kommunikative Vernunft an ihr eigenes subjekthaftes Fundament, das sie, als sinnbildende Bestandsvoraussetzung, selbst nicht garantieren kann, weil es ihr, als externer Sinngrund, unverfügbar vorgegeben ist.
Subjektwerdung und Gottesgedächtnis
Gibt es ein Fazit, das aus den Münsteraner Jahren zu ziehen wäre? Der Streit um den Gott der neuzeitlichen Philosophie, so könnte ein Antwortversuch lauten, entzündet sich heute vornehmlich an der philosophisch wie religiös bedrängenden Frage nach den geschichtlichen Voraussetzungen des menschlichen Freiheitsbewusstseins. Hier sind, im Gespräch mit Habermas, Johann Baptist Metz und Helmut Peukert die hellsichtigen Stichwortgeber gewesen, die auf den unlösbaren Zusammenhang von Subjektwerdung und Gottesgedächtnis hingewiesen haben. Es sollte dann aber auch klar sein, dass die Theologie, wenn sie denn ihre theoretische Verantwortung entschieden wahrnehmen will, an der Freiheits- und Subjektthematik nicht vorbeigehen darf, die einer Auslegung in den Kategorien von Geschichte und Gesellschaft bedarf. Allerdings zeigt sich an in diesem interdisziplinären Bezugspunkt, dass die Verschränkung von theoretischen und praktischen Fragen auf die Ausarbeitung eines Gottesbegriffs drängt, die dem Autonomiebewusstsein von Vernunft und Freiheit standhalten kann.