Mit dem Tod von Papst Franziskus ist ein Pontifikat zu Ende gegangen, das in besonderer Weise die Frage nach der Gestaltung religiöser Autorität unter den Bedingungen der Gegenwart aufgeworfen und neu akzentuiert hat. Nicht durch dogmatische Reformen, sondern durch eine veränderte Amtsführung: Franziskus verstand das Papstamt nicht als Ort sakralisierter Macht, sondern als ethisch verantwortete Praxis kirchlicher Repräsentation – zugewandt, dialogisch und global sensibel. Sein Engagement für den interreligiösen Dialog war Ausdruck eines tiefen theologischen Ernstes. Er erkannte in der Anerkennung des "Anderen" nicht den Verlust des Eigenen, sondern eine notwendige Form spiritueller Integrität.
Aus muslimisch-theologischer Perspektive bleibt mit dem Tod von Papst Franziskus nicht nur die Erinnerung an eine bedeutende Persönlichkeit der Gegenwart zurück, sondern auch das intellektuelle wie spirituelle Vermächtnis einer Amtsführung, die institutionelle Autorität mit moralischer Glaubwürdigkeit zu verbinden wusste. Seine Art der Führung war nicht durch Distanz, sondern durch Nähe gekennzeichnet – eine Nähe zu den Verwundbarkeiten, den Brüchen und den marginalisierten Stimmen dieser Welt.
Im Folgenden möchte ich – exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige ausgewählte Aspekte hervorheben, die das Pontifikat von Franziskus in seiner interreligiösen, spirituellen und theologischen Tiefenschärfe besonders auszeichnen.
Franziskus – ein besonderer Name
Die Entscheidung Jorge Mario Bergoglios, sich nach seiner Wahl zum Papst den Namen Franziskus zu geben, war eine bewusste theologische Setzung mit weitreichender programmatischer Bedeutung. Mit der Bezugnahme auf Franz von Assisi (†1226) richtete er sein Pontifikat klar auf drei Dimensionen aus, die mit dieser Gestalt untrennbar verbunden sind: radikale Armut, spirituelle Weltbejahung und interreligiöse Offenheit.
Franz von Assisi verkörpert innerhalb der katholischen Tradition eine Figur geistlicher Reform jenseits institutioneller Macht. Seine Absage an kirchliche Hierarchien vollzog sich nicht polemisch, sondern in Form eines performativen Lebensstils asketischer Nachfolge. Die oft zitierte Begegnung mit dem ayyubidischen Sultan al-Mālik al-Kāmil im Jahr 1219 während des Fünften Kreuzzugs wird heute vielfach als symbolischer Ausdruck interreligiöser Gesprächsbereitschaft interpretiert – getragen nicht von missionarischer Intention, sondern von einem dialogischen Impuls.
Diese symbolische Tiefenstruktur wird in Franziskus’ Enzyklika Laudato si’ (2015) ausdrücklich aufgenommen. Unter dem programmatischen Untertitel "Über die Sorge für das gemeinsame Haus" entfaltet er eine ökologische Theologie. In Fußnote 159 verweist Franziskus auf den ägyptischen Sufi-Gelehrten ʿAlī al-Ḫawwāṣ (gest. 945/1532), dessen mystische Kosmologie eine spirituelle Resonanz in der Wahrnehmung natürlicher Phänomene beschreibt – etwa Wind, Meeresrauschen oder Vogelgesang – als sinnlich erfahrbare Zeichen göttlicher Gegenwart.
Franziskanisches Naturverständnis und sufische Kosmologie begreifen die Welt nicht als Ressource, sondern als Ausdruck göttlicher Präsenz – als "Buch der Schöpfung", das spirituell zu lesen ist.
Diese Bezugnahme ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie signalisiert zunächst eine theologische Offenheit, die islamische Mystik nicht lediglich respektiert, sondern inhaltlich rezipiert. Zugleich verweist sie auf eine epistemologische Nähe zwischen franziskanischem Naturverständnis und sufischer Kosmologie: Beide begreifen die Welt nicht als Ressource, sondern als Ausdruck göttlicher Präsenz – als "Buch der Schöpfung", das spirituell zu lesen ist.
Aus Sicht der Islamischen Theologie ist dieser Bezug insofern von Relevanz, als er eine Form interreligiöser Theologie vorführt, die nicht auf apologetische Abgrenzung zielt, sondern auf gemeinsame Resonanzräume. Franziskus formuliert in Laudato si’ weder einen direkten Vergleich noch eine systematische theologische Synthese. Aber er verweist auf eine geteilte spirituelle Intuition: dass die Welt ein Ort ist, an dem sich das Transzendente in der Erfahrung des Konkreten mitteilt.
Reform beginnt mit Haltung
Ein zentrales Merkmal des Pontifikats von Franziskus war sein Verständnis von Reform als innere Neuausrichtung – nicht primär auf institutioneller, sondern auf geistiger, spiritueller und habitueller Ebene. Reform, so seine wiederholt geäußerte Überzeugung, beginnt nicht mit Strukturen, sondern mit Haltungen. Die oft zitierte Aussage "Die erste Reform muss die der Einstellung sein" (Praedicate Evangelium, Präambel) bringt diesen Ansatz auf den Punkt: Gemeint ist eine Reform kirchlichen Denkens, Sprechens und Handelns, die sich nicht im Funktionalen erschöpft, sondern auf eine tiefere Ebene kirchlicher und religiöser Selbstverhältnisse zielt.
Die Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium (2022), mit der Franziskus die römische Kurie neu strukturierte, konkretisiert diesen Ansatz institutionell. Doch auch hier bleibt der strukturelle Eingriff sekundär gegenüber der theologischen Intention: Es geht nicht um Effizienz, sondern um eine geistliche Reorganisation, die Nähe, Dialog und Verkündigung in den Mittelpunkt stellt. Reform im Sinne von Franziskus ist kein technokratischer Umbau, sondern ein Akt geistlicher Selbstvergewisserung.
Gerade für die Islamische Theologie ist diese Konzeption von Reform anschlussfähig. Auch dort stellt sich – mit zunehmender institutioneller Verankerung im universitären Kontext – die Frage, wie sich theologische Lehre, institutionelle Rahmung und gesellschaftliche Verantwortung aufeinander beziehen lassen. Franziskus' Ansatz eröffnet hier einen Reflexionsrahmen, in dem Reform nicht als Abbruch tradierter Ordnung, sondern als kritische Relektüre und gestalterische Fortschreibung verstanden wird. Es geht um die Frage, wie religiöse Institutionen ansprechbar bleiben – inmitten pluraler Gesellschaften, unter säkularen Bedingungen und in der Spannung zwischen normativer Bindung und öffentlicher Relevanz.
Stil als theologische Aussage
Ein weiteres prägendes Merkmal des Pontifikats von Franziskus war sein bewusster Verzicht auf bestimmte äußere Zeichen päpstlicher Macht – ein Verzicht, der nicht als individueller Stil, sondern als theologische Aussage zu verstehen ist. Seine Nähe zu einfachen Menschen, seine reduzierte Kleidung, seine leise, oft zögerliche Körpersprache – all dies war Ausdruck einer geistlichen Haltung: Autorität entsteht nicht durch Erhöhung, sondern durch Nähe, nicht durch Abstand, sondern durch Ansprechbarkeit. Diese performative Bescheidenheit war keine Inszenierung, sondern ein konsequentes Element seines Amtsverständnisses. Er unterlief die Erwartungslogik – und schuf so Raum für ein anderes Verständnis von geistlicher Leitung: relational, verwundbar, dialogisch.
Die stille, aber wirkmächtige Reduktion päpstlicher Selbstrepräsentation, wie sie Franziskus praktizierte, verweist somit auf eine überkonfessionelle Herausforderung: Wie lässt sich religiöse Autorität unter den Bedingungen moderner Öffentlichkeit so gestalten, dass sie anschlussfähig bleibt, ohne sich selbst zu entleeren?
Aus muslimisch-theologischer Perspektive ist dieses Verständnis in mehrfacher Hinsicht anschlussfähig. Die Idee, dass Autorität sich nicht in institutionellem Rang erschöpft, sondern in der glaubwürdigen Verkörperung religiöser Haltung, findet sich sowohl im klassischen Konzept der ʿilmiyya als auch in gegenwärtigen Diskussionen um Islamische Theologie in öffentlichen Kontexten.
Die stille, aber wirkmächtige Reduktion päpstlicher Selbstrepräsentation, wie sie Franziskus praktizierte, verweist somit auf eine überkonfessionelle Herausforderung: Wie lässt sich religiöse Autorität unter den Bedingungen moderner Öffentlichkeit so gestalten, dass sie anschlussfähig bleibt, ohne sich selbst zu entleeren? Franziskus hat hierfür keinen dogmatischen Entwurf geliefert – aber eine Praxis sichtbar gemacht, die auch für islamisch-theologische Selbstvergewisserung orientierend wirken kann: Eine Praxis, in der das Gewicht religiöser Rede nicht in institutioneller Überhöhung liegt, sondern in glaubwürdiger Einfachheit.
Interreligiöser Dialog als ethisch-politische Praxis
Papst Franziskus hat den interreligiösen Dialog nicht als begleitendes Zusatzprogramm kirchlicher Außenpolitik verstanden, sondern als konstitutiven Bestandteil theologischer Weltverantwortung. Dialog war für ihn kein diplomatisches Instrument, sondern eine ethisch-spirituelle Praxis, die sich aus dem Selbstverständnis religiöser Führung ableitet. Besonders deutlich wurde dies in der gemeinsam mit dem Großimam der al-Azhar-Universität, A.M. aṭ-Ṭayyib, unterzeichneten Erklärung zur "Geschwisterlichkeit aller Menschen" (Abu Dhabi, 2019). Das Dokument verzichtet bewusst auf jede Form doktrinärer Harmonisierung. Es setzt stattdessen auf ein ethisches Minimum geteilter Verantwortung – angesichts globaler Herausforderungen wie Gewalt, sozialer Ungleichheit, Flucht, Ausbeutung und ökologischer Zerstörung.
Dieser Zugang stellt einen Paradigmenwechsel dar: Weg von reaktiver Toleranzrhetorik, hin zu einer dialogischen Haltung, die Verantwortung nicht vertagt, sondern theologisch begründet. Franziskus hat damit gezeigt, dass der Ernst interreligiöser Beziehungen nicht in der Bereitschaft zum Gespräch allein liegt, sondern in der Fähigkeit, gemeinsam handlungsfähig zu werden – auf der Basis geteilter ethischer Grundhaltungen, ohne die Unterschiede in Glauben, Praxis und Theologie zu nivellieren.
Für die Islamische Theologie ist dieses Verständnis von Dialog in mehrfacher Hinsicht anschlussfähig. Es eröffnet einen Raum, in dem religiöse Differenz nicht als Defizit, sondern als produktive Spannung begriffen werden kann – nicht zur Auflösung, sondern zur gemeinsamen Auseinandersetzung. Zugleich stellt es die Frage nach der dialogischen Kompetenz Islamischer Theologie selbst: ihrer Fähigkeit, aus der eigenen Überlieferung heraus konstruktiv, kritisch und kooperationsfähig in gesellschaftliche Prozesse einzuwirken.
Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die institutionelle Nähe zwischen dem Institut für Islamisch-Theologische Studien (IITS) und der Katholisch-Theologischen Fakultät (KTF) an der Universität Wien an Bedeutung. Diese Nähe ist nicht als bloß organisatorische Struktur zu verstehen, sondern als bewusst gewählter Rahmen theologischer Koexistenz. Sie schafft – bei aller notwendigen Eigenständigkeit beider Disziplinen – einen Raum methodischer Reibung, diskursiver Parallelität und wechselseitiger Irritation, in dem sich interreligiöses Denken nicht im Konsens erschöpft, sondern im produktiven Nebeneinander entfalten kann.
Was bleibt, wenn einer geht
Während die katholische Kirche nach dem Tod von Papst Franziskus vor einer Neuorientierung steht, bleibt seine Amtszeit über die eigene Glaubensgemeinschaft hinaus erinnerungswürdig. Seine Wirkung beruhte nicht auf institutioneller Stellung, sondern auf einer Haltung, die Verantwortung ernst nahm – gegenüber der eigenen Tradition, der Welt und dem "Anderen". Auch in muslimischen Kontexten wurde diese Haltung mit Respekt wahrgenommen: als glaubwürdig, zugewandt, dialogbereit.
Franziskus hat gezeigt, dass religiöses Handeln heute nicht durch Abgrenzung, sondern durch Beziehung wirksam wird.
Aus muslimisch-theologischer Perspektive war Franziskus keine Referenzfigur im dogmatischen Sinne, wohl aber ein Gesprächspartner im weiteren Sinne verantworteter religiöser Präsenz. Er hat gezeigt, dass religiöses Handeln heute nicht durch Abgrenzung, sondern durch Beziehung wirksam wird – und dass Differenz nicht überwunden, sondern getragen werden kann.
Die Herausforderung besteht darin, diese Impulse aufzugreifen – nicht zur Nachahmung, sondern zur Weiterarbeit an einer Theologie, die sich aus der eigenen Überlieferung heraus verständigt, dialogfähig bleibt und gesellschaftliche Verantwortung mit geistiger Integrität verbindet.