Vom Ende der Welt nach RomFranziskus ist tot. Wie er das Papstamt und die Kirche verändert hat

Er war der erste Papst aus Lateinamerika, der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri – und der erste, der den Namen Franziskus wählte. Sein Pontifikat war von drei – allesamt deutungsbedürftigen – Stichwörtern geprägt: Evangelisierung, Barmherzigkeit, Synodalität. Nun ist Jorge Maria Bergoglio im Alter von 88 Jahren gestorben.

Papst Franziskus
© Cristian Gennari/Romano Siciliani/KNA

Er kam vom Ende der Welt und hat den Abschied vom Eurozentrismus in der katholischen Kirche eingeleitet. Schon am Abend seiner Wahl setzte der Argentinier Jorge María Bergoglio neue Akzente. Für sein Pontifikat wählte er einen Namen, den sich noch kein Papst vor ihm gegeben hatte: Franziskus. Die Solidarität mit den Armen, der Gedanke der universalen Geschwisterlichkeit, aber auch die ökologische Sorge um das gemeinsame Haus der Erde waren mit dem Namen des Poverello programmatisch gesetzt. Unmittelbar nach seiner Wahl hielt Franziskus von der Loggia des Petersdoms eine Ansprache, in der er den Wunsch äußerte, als "Bischof von Rom" mit dem Volk Gottes der Stadt einen gemeinsamen Weg zu gehen. Bevor er den apostolischen Segen spendete, bat er die Gläubigen auf dem Petersplatz, in einem Augenblick der Stille für ihn zu beten.

Sein Pontifikat, das nach dem spektakulären Amtsverzicht von Benedikt XVI. im März 2013 begann, war von drei besonderen Akzenten geprägt. Zunächst war es sein Anliegen, den glaubensmüden Zeitgenossen das Evangelium nahezubringen und eine "Revolution der zärtlichen Liebe" anzuzetteln. Impulse des Konzilspapstes Paul VI. aufnehmend, hat er in seinem ersten apostolischen Schreiben "Evangelii gaudium" (2013) seine Vision einer erneuerten Kirche vorgelegt. Die Kirche sei keine feste Burg, sondern ein mobiles "Feldlazarett", das für die psychisch Verwundeten und religiös Suchenden da sein müsse. Statt narzisstisch um sich selbst zu kreisen, müsse die Kirche bereit sein, an die Peripherien zu gehen und sich der Not der anderen auszusetzen. Das Konzept der "verbeulten Kirche" stellte idealistische Ekklesiologien vom Kopf auf die Füße. In den riskanten Randzonen könne die Freude des Evangeliums neu aufleuchten – eine Freude, die aus einer Mystik der offenen Augen erwachse, und anders als Fun und Event das Leid nicht verdrängen müsse, weil sie durch die memoria passionis hindurch gegangen sei.

Eine satt gewordene und müde Kirche, die ängstlich auf die Sicherung althergebrachter Privilegien ausgerichtet ist, einen Klerus, dem es statt um Dienst um feine Distinktionsmerkmale geht, hat er wiederholt scharf gegeißelt. Die beinahe inflationäre Klerikalismus-Schelte hat auch Priester irritiert, die seinem Pontifikat wohlwollend gegenüberstanden.

Mit dem deutungsbedürftigen Stichwort der Evangelisierung hat Franziskus keine subtilen Strategien der Mitgliedergewinnung verbunden, vielmehr wollte er einen Lebensstil fördern, der sich aus dem vertieften Umgang mit der Heiligen Schrift und den spirituellen Angeboten der Kirche speist. Immer wieder sprach der erste Jesuit auf der cathedra Petri von der Kunst der geistlichen Unterscheidung, für die es eine Zeit der geduldigen Prüfung brauche. Allergisch reagierte er auf das, was er mondialité spirituelle – geistliche Verweltlichung – nannte. Eine satt gewordene und müde Kirche, die ängstlich auf die Sicherung althergebrachter Privilegien ausgerichtet ist, einen Klerus, dem es statt um Dienst um feine Distinktionsmerkmale geht, hat er wiederholt scharf gegeißelt. Die beinahe inflationäre Klerikalismus-Schelte hat auch Priester irritiert, die seinem Pontifikat wohlwollend gegenüberstanden. Unvergessen, wie er bei der Weihnachtsansprache 2016 den versammelten Kardinälen und Mitarbeitern der Kurie unverblümt einen Lasterkatalog als Spiegel vorhielt, ohne im gleichen Zug ihre Arbeit zu loben.

Papst Franziskus und die Deutschen

Es gehört zu den optischen Fehleinschätzungen, dass man den argentinischen Pontifex hierzulande zur Projektionsfläche deutscher Reforminteressen gemacht hat. Gewiss hat Franziskus mit Hans Küng kommuniziert – und im brieflichen Austausch auf alle Titel verzichtet. Zum Anhänger der Tübinger Reformagenden hat er sich – anders als mancher Bischof in Deutschland – dennoch nicht gemausert. Den Zölibat hat er nicht gelockert, das Frauenpriestertum nicht eingeführt, die Tür für die Segnung homosexueller Paare nur einen winzigen Spalt geöffnet. Das hat Enttäuschungen provoziert. Die geradezu monomane Fixierung auf diesen Forderungskatalog hat viele übersehen lassen, dass der Bergoglio-Papst einen anderen Begriff von Reform hatte, der über Strukturfragen hinausging und die verschütteten Quellen eines christlichen Lebensstils neu freilegen wollte. Das oft beschworene Narrativ, der reformwillige Franziskus sei durch die römische Kurie ausgebremst worden, verkennt, dass der argentinische Pontifex sehr wohl um seine Gestaltungsspielräume als Papst wusste und davon – gerade im Blick auf Personalentscheidungen – wiederholt auf geradezu unberechenbare Weise Gebrauch gemacht hat.

Irritiert hat ihn, dass die federführenden Akteure des Synodalen Weges in Deutschland den "Primat der Evangelisierung" nicht wirklich beachtet haben, den er 2019 in seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland als Therapie angeraten hatte.

Auf den Ursprung zurückzugehen und dem Evangelium in den komplexen Lebenswelten heute ein ansprechendes Gesicht zu geben, war seine Option einer missionarischen Kirche. Irritiert hat ihn, dass die federführenden Akteure des Synodalen Weges in Deutschland den "Primat der Evangelisierung" nicht wirklich beachtet haben, den er 2019 in seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland als Therapie angeraten hatte. Das spitze Wort, Deutschland brauche keine zweite evangelische Kirche, es habe schon eine, hat diesem Unmut öffentlich Ausdruck verliehen.

Dabei hat Franziskus auf seine Weise kleine Schritte gesetzt, die die Kirche schon jetzt verändert haben. Die Kurienreform hat ermöglicht, dass Frauen Dikasterien leiten und hohe Ämter im Vatikan besetzen können. Das Amt des "Präsidenten der Päpstlichen Kommission für die Stadt des Vatikanstaates" hat er soeben erstmals einer Ordensfrau und Franziskanerin übertragen. Die Tür für den Diakonat der Frau hat Franziskus, obwohl er sich selbst dagegen ausgesprochen hat, nicht ganz geschlossen und den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen pastoral flexibler gestaltet. Die Änderung aber findet sich nicht im Haupttext der Enzyklika Amoris laetitia, sondern in der Anmerkung 352. Auch hier muss man an die Peripherien gehen, um das Neue zu registrieren.

Ein Gott, der alle retten will

Der zweite Akzent ist seine Theologie der Barmherzigkeit. Schon der betagte Papst Johannes XXIII. (1958-1963) hatte in seiner Ansprache zur Eröffnung des Konzils gesagt, es gelte, um ein Aggiornamento einzuleiten, nicht die Waffen der Strenge, sondern das Heilmittel der Barmherzigkeit anzuwenden. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesen pontifikalen Wink aufgenommen und auf lehrhafte Verurteilungen und disziplinarische Grenzziehungen verzichtet. Es wurde ausgeschlossen, andere auszuschließen!

Diesen einladenden Universalismus hat Franziskus mit seiner Idee einer synodal inklusiven Kirche fortgeschrieben. Die Vision des Konzils, dass potenziell alle Menschen Adressaten des Heils sind – nicht nur die Gläubigen, sondern auch die Anders-, Halb-, und Nichtgläubigen (vgl. Lumen gentium, Art. 14-16) – diese Vision geht implizit von einem Gott aus, der alle retten will.

Das Gottesthema ist in den Texten des Konzils allerdings ekklesiologisch verschlüsselt oder nur knapp angedeutet. Franziskus hat diese Leerstelle gefüllt und 2015 ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Barmherzigkeit sei der eigentliche Name Gottes, dieses Attribut müsse ins Zentrum der Theologie gerückt werden. Dahinter steht die dialektische Pointe, dass Gott so groß ist, dass er auch klein, so reich, dass er auch arm werden kann. Das Kreuz auf Golgatha, der Weg Christi in die Erniedrigung von Armut, Leid und Tod ist für Franziskus Ausdruck dieser alle erreichen wollenden Barmherzigkeit gewesen.

Selbstverständlich ist das kein Freibrief für eine Banalisierung des Gottesbildes. Der Schrei der Opfer nach Gerechtigkeit sollte nicht ungehört bleiben. Die barbarischen Exzesse in den politischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts hat Franziskus nicht ausgeblendet. Aber anders als manche Theodizee-Theologien, die Gott auf die Anklagebank setzen und ihn als Schöpfer der Welt auch für die sich auftürmenden Trümmer der Leidensgeschichte unmittelbar verantwortlich machen, hat Franziskus die dunkle Seite der Geschichte dem Fehlverhalten der Menschen angelastet.

"Wo war der Mensch?", hat er in seiner Rede in der Gedenkstätte in Yad VaShem gefragt. Dabei hat er die abgründigen Verbrechen auf das Mysterium des Bösen bezogen. Die Täter seien geradezu zu Werkzeugen des Teufels geworden. Die ungeschützte Rede vom Teufel, die auch in seinen Predigten immer wieder vorkam, hat erstaunlich wenig Kritik vonseiten der akademischen Theologie hierzulande gefunden, die sich sonst nicht scheut, dem römischen Lehramt Aufklärungsdefizite vorzuhalten. Wer wie der Papst offen mit dem Diabolischen als Faktor der Geschichte rechnet, steht ja in Gefahr, einen metaphysischen Dualismus zu befördern und den Teufel zum Gegenspieler Gottes aufzuwerten. Auch ist es riskant, mit Verweis auf die Macht des Bösen die Täter zu "Opfern" dämonischer Einflüsterungen zu stilisieren. Das könnte als nachträgliche Entlastungsstrategie kritisiert werden.

Einer neuer Kommunikationsstil

Der dritte Aspekt im Pontifikat von Papst Franziskus ist die Stärkung kollegialer und synodaler Elemente im Leben der Kirche. Franziskus hat gleich zu Beginn seines Pontifikats gesehen, dass es für ihn als Papst eine Überforderung ist, die kulturell polyzentrische Weltkirche mit 1,3 Milliarden Gläubigen allein zu leiten. Um den römischen Zentralismus abzufedern, hat er einen Rat von Kardinälen eingerichtet, der die Erfahrungen der kulturellen Großräume in die Leitung der Gesamtkirche einbringen sollte. Damit hat sich die päpstliche Amtsführung in Richtung eines "Communio-Primats" (Hermann Josef Pottmeyer) fortentwickelt.

Tabuthemen und Schweigegebote sollte es keine mehr geben. Im Sinne des "Freimuts" (parrhesia) sollten alle Probleme offen ausgesprochen werden – und zwar von allen!

Zugleich hat der Bergoglio-Papst einen neuen synodalen Kommunikationsstil in der Kirche implementiert. Tabuthemen und Schweigegebote sollte es fortan keine mehr geben. Im Sinne des "Freimuts" (parrhesia) sollten alle Probleme offen ausgesprochen werden – und zwar von allen! Die Gläubigen hat er durch Fragebögen in die synodale Verständigung eingebunden und zur Moderation der konfliktträchtigen Themen das Instrument der Bischofs-Synode gestärkt, in die er zuletzt auch Nichtbischöfe, Priester, Laien und Frauen berufen hat. Nach Synoden über Ehe und Familie (2014/15), Jugend (2018) und die Ortskirche in Amazonien (2019) hat er zuletzt der Weltkirche einen mehrstufig angelegten synodalen Prozess verordnet (2021-2024) – wohl auch mit der Absicht, bischöfliche Leitung stärker synodal rückzubinden.

Seine pauschale Kritik am globalen Kapitalismus hat viele nicht überzeugt, manche seiner spontanen Äußerungen bei fliegenden Pressekonferenzen oder Interviews waren unglücklich.

Gewiss hat Franziskus auch Einspruch provoziert. Seine pauschale Kritik am globalen Kapitalismus hat viele nicht überzeugt, manche seiner spontanen Äußerungen bei fliegenden Pressekonferenzen oder Interviews waren unglücklich. Die Ernennung neuer Kardinäle durchkreuzte immer wieder Erwartungen. Bischöfe in europäischen Metropolen wie Paris, Prag, Mailand oder Berlin blieben ohne Purpur. Persönliche Sympathie, kirchenpolitische Präferenzen oder die Idee, einfach die Peripherien zu stärken, waren Franziskus wichtiger als theologische Kompetenz oder die historische Bedeutung der jeweiligen Bischofssitze. Auch hat sich das Verhältnis zum Judentum seit 2023 wegen einer mehr und mehr propalästinensischen Haltung im Gaza-Krieg eingetrübt – eine merkliche Abkühlung des Dialogs, die den Oberrabbiner von Rom, Riccardo Di Segni, zu einer besorgten Stellungnahme veranlasst hat.

Anders steht es um die Enzyklika Laudato Sí, die auch außerhalb der Kirche große Zustimmung gefunden hat, da sie das ökologische Bewusstsein geschärft und die Folgen des Klimawandels klar umrissen hat, die nun vermehrt die politische Agenda bestimmen. Um globale Religionskonflikte zu entschärfen und die Geschwisterlichkeit zwischen allen Menschen zu fördern, hat Franziskus schließlich den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen, vor allem mit dem Islam, entschieden weitergeführt und sich unermüdlich für Gerechtigkeit und Frieden eingesetzt. Dabei ist die Solidarität mit den Unterprivilegierten und Armen leitend gewesen. Nun ist Franziskus, der Missionar der Barmherzigkeit, im Alter von 88 Jahren in Rom gestorben.

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