Regelmäßig zeigen Umfragen vor christlichen Feiertagen, dass das Wissen um deren Kerninhalte in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft immer mehr schwindet. Umso wichtiger ist es, dass die Theologie selbst sprachfähig bleibt – und das in einer Weise, die sich nicht in theologischen Floskeln verliert, sondern existenziell die Tiefen des Menschseins auslotet und zugleich aus der Fülle der christlichen Tradition schöpft. Genau das leistet der große Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar in seinem Buch "Theologie der drei Tage" (Freiburg i. Br. 32011), das der Bedeutung von Karfreitag, Karsamstag und Ostern nachgeht. Grund genug, es mehr als 50 Jahre nach Erscheinen erneut zu lesen.
Die Deutung des Karsamstags bildet das gedankliche Zentrum von Balthasars "Theologie der drei Tage".
In seinem Buch legt Balthasar eine Interpretation der christlichen Erlösungslehre vor, die ganz auf das Faktum des Todes Jesu fokussiert ist. Leben und Wirken Jesu, ja im Grunde sogar die ganze Heilsgeschichte, finden darin für Balthasar ihr Ziel. Sie werden mit dem Hymnus des paulinischen Philipperbriefs (Phil 2,6-11) als ein einziger Prozess der Entäußerung und Erniedrigung, griechisch Kenosis genannt, gedeutet. Bereits die Menschwerdung stellt demnach einen Akt der Erniedrigung dar, insofern Christus hier die begrenzte und zudem durch die Sünde verletzte Menschennatur akzeptiert hat. Das setzt sich im Leben Jesu fort, das als ein einziger "Gang zum Kreuz" (85) interpretiert wird. Im Tod Jesu erreicht die kenotische Bewegung schließlich ihren Höhepunkt. So kann Balthasar formulieren, dass die Menschwerdung Gottes um des Tages willen geschehen sei, "da der Sohn tot und damit Gott unzugänglich ist" (49). Damit rückt der in der theologischen Tradition oft vernachlässigte Karsamstag in die Mitte der Theologie. Seine Deutung bildet das gedankliche Zentrum von Balthasars "Theologie der drei Tage".
Der Tod als totaler Abbruch
Wie aber kommt es, dass der Schweizer Theologe dem Karsamstag ein solches Gewicht zuschreibt? Entscheidend hierfür ist Balthasars Interpretation der Wirklichkeit des Todes, die er an den Beginn des Buches stellt. In schonungslosem Realismus wird dieser als ein radikaler Riss, ein Hiatus im Menschen beschrieben, den Balthasar mit der christlichen Tradition als Folge der Sünde interpretiert. Auf Basis der Möglichkeiten des Menschen ist dieser Riss nicht zu heilen; das Leben findet mit dem Tod ein definitives Ende. Das kommt auch im Alten Testament zum Ausdruck, wo die Scheol, der Ort der Toten, mit Dunkelheit und Einsamkeit assoziiert wird und das Ende der menschlichen Kommunikation mit Gott bedeutet. Dem menschlichen Leben von sich aus einen Sinn zu geben, ist in Anbetracht des totalen Abbruchs, der mit dem Tod verbunden ist, nicht möglich: "keine Philosophie und keine Religion vermag das Fragment, das das irdische, auf den Tod zulaufende Leben darstellt, zu einem sinnvollen Ganzen abzurunden" (17).
Hier setzt für Balthasar die christliche Erlösungslehre an. Eine Heilung des Risses kann nur durch Gott selbst erfolgen. Das aber ist nur möglich, wenn sich Gott an den Ort begibt, an dem der Riss verläuft, und selbst den Tod erleidet. Diese Gottferne des Todes nimmt Jesus auf sich, um so dem Tod seinen Stachel zu nehmen. Von hierher erklärt sich, dass das Hauptgewicht des göttlichen Erlösungshandelns auf dem Sterben als einem Getrenntwerden von Gott, einer realen Gottverlassenheit Jesu liegt. Diese kennt zwar, wie Balthasar zu berichten weiß, Analogien in den alttestamentlichen Erfahrungen des Verworfenseins Einzelner und der Gottferne des Volkes aufgrund der Zerstörung des Tempels – doch wie sich zeigen wird, bleibt die Gottverlassenheit Christi, die sich schon im Verlassenheitsschrei am Kreuz (Mk 15,34) andeutet und der Christus als Toter ausgesetzt ist, schlechthin singulär.
Weil Gott den Menschen liebt, sendet er seinen Sohn, um das gerechterweise über den Menschen ergehende Gericht auf sich zu nehmen.
Das wird deutlich, wenn man die Deutung der drei namensgebenden Tage in den Blick nimmt, die Balthasar entwickelt. Seine Sicht auf den Karfreitag bleibt von der Motivik her weitgehend traditionell: Christus stirbt am Kreuz den Tod des Sünders, um den Sünder vom Tod zu befreien. Entsprechend wird das Kreuz als "Vollzug des göttlichen Gerichts über die im Sohn zusammengefasste, an den Tag gebrachte und durchlittene ‚Sünde‘" (114) interpretiert. Im Hintergrund steht hier die Vorstellung Gottes als absoluter Gerechtigkeit, die die Notwendigkeit eines Gerichts über den sündigen Menschen impliziert. Dieses wird, so Balthasar, im Kreuz stellvertretend vom Sohn übernommen, indem von ihm real "der ganze Abgrund des menschlichen Nein wider Gottes Liebe durchlitten" (133) wird. Damit jedoch tritt ein anderes Motiv in den Vordergrund, das für Balthasar der tiefste Grund der ganzen kenotischen Bewegung ist: die Liebe. Weil Gott den Menschen liebt, sendet er seinen Sohn, um das gerechterweise über den Menschen ergehende Gericht auf sich zu nehmen. Somit betrifft das Kreuz jeden Menschen, da sein zentraler Inhalt darin besteht, dass Jesus "'meinen Sündentod stirbt', während ich jenseits meiner selbst in diesem Tod das Leben der Liebe Gottes erlange" (131).
Für Balthasar gilt: Jesus muss wirklich tot sein, um das Schicksal des sterblichen Menschen zu durchmessen. Damit fällt dem Karsamstag eine zentrale Bedeutung zu.
Wenn nun aber zutrifft, dass Jesus aus Liebe zu den Menschen den Tod auf sich nimmt, um ihnen das Leben zu schenken, dann wäre es verkürzt, "die Solidarität Jesu mit den Sündern auf den bloßen Entscheidungs- oder Hingabeakt der zusammengerafften Existenz im Augenblick des Todes" (161) zu beschränken. Für Balthasar gilt: Jesus muss wirklich tot sein, um das Schicksal des sterblichen Menschen zu durchmessen. Damit fällt dem Karsamstag eine zentrale Bedeutung zu.
Der Tod Jesu: Kein "Abstieg" oder "Kampf" in der Unterwelt
Welches "Mehr" aber bringt dieser Tag gegenüber dem Karfreitag, dem Sterben Jesu? Was ereignet sich an jenem Tag der Grabesruhe? Dass die Bibel hier – mit Ausnahme vielleicht von 1 Petr 3,19, einer notorisch schwierigen Stelle, wo es heißt, Christus sei im Tod "zu den Geistern gegangen, die im Gefängnis waren, und hat ihnen gepredigt" – nur wenige Hinweise gibt, ist Balthasar bewusst. Seine Interpretation geht deshalb behutsam vor. Sie richtet sich gegen alle mythologisierenden Deutungen, die einen aktiven "Abstieg" oder gar "Kampf" in der Unterwelt annehmen. Stattdessen meint der Karsamstag für Balthasar zunächst dies: Christus ist tatsächlich tot und teilt in einem Akt äußerster Solidarität das Schicksal des Menschen. Er nimmt dabei aber – und das ist der für Balthasar entscheidende Punkt – nicht einen beliebigen Platz unter den Toten ein, sondern begibt sich an den Ort äußerster Sünde und Verdammnis, um ihn dem Menschen zu ersparen. Christus erleidet mit anderen Worten, was Balthasar einen "‚zweiten Tod‘ der Gottverlassenheit" (86) nennt, insofern er sich, in einem Akt des Gehorsams gegenüber dem Vater, selbst an den Ort absoluter Gottlosigkeit, Einsamkeit und Sünde begibt, um in die äußerste Verlorenheit das von ihm erwirkte Heil zu tragen. Das ist mit der schon genannten Predigt Jesu gegenüber den Toten gemeint, die noch einmal in 1 Petr 4,6 unterstrichen wird, wenn davon die Rede ist, dass "auch Toten […] das Evangelium […] verkündet worden" ist.
Weil nach dem Tod die Grenzen der Zeit nicht mehr greifen, kann Balthasar sogar den kühnen Gedanken formulieren, dass "die vorauswirkende Gnade Christi" (160) auch den bereits vor ihm Lebenden gilt, sodass kein Mensch jemals den vollen Schmerz der Gottentfremdung tragen musste, weil er endgültig vom Sohn auf sich genommen wurde.
In diesem Sein bei den Verlorenen findet die kenotische Dynamik des Lebens Christi ihren Zielpunkt. Wie der Karsamstag verdeutlicht, ist diese Solidarität nicht auf die nach Christus Kommenden begrenzt. Weil nach dem Tod die Grenzen der Zeit nicht mehr greifen, kann Balthasar sogar den kühnen Gedanken formulieren, dass "die vorauswirkende Gnade Christi" (160) auch den bereits vor ihm Lebenden gilt, sodass kein Mensch jemals den vollen Schmerz der Gottentfremdung tragen musste, weil er endgültig vom Sohn auf sich genommen wurde.
Auferstehung als Handeln Gottes am toten Jesus
Vor diesem Hintergrund bedeutet Ostern die endgültige "Schließung des Hiatus selbst […], das Heilwerden des im Sündentod unheilbar zerbrochenen Menschen von Gott her" (66). Balthasar denkt die Auferstehung dabei als ein Handeln Gottes am toten Jesus. Dass hier eine nochmalige Initiative des Vaters nötig ist, wird aus dem zum Tod bereits Gesagten verständlich: Als wirklich Toter hat Jesus keine Handlungsmöglichkeit mehr. Entscheidend für das Verständnis von Ostern ist, dass Jesu Auferstehung nicht als eine Rückkehr in ein irdisches Leben verstanden wird, wie sie vereinzelt andernorts in der Bibel berichtet wird. Stattdessen steht Ostern für Jesu "Übergehen in eine Existenzform, die den Tod ein für alle Male hinter sich gelassen hat" (184).
Die Auferweckung Jesu kann insofern auch als seine Erhöhung bezeichnet werden, weil hier der Zielpunkt des Heilshandelns Gottes erreicht ist, indem sich der Gekreuzigte als Auferstandener, der Tote als Lebender zeigt und so Gott als einen Gott des Lebens und der Liebe offenbart. Weil das innerweltlich in keiner Weise ableitbar ist, wird Ostern von Balthasar auch als analogielos bezeichnet: "Er durchbricht unsere gesamte Lebens- und Sterbewelt einmalig, um freilich mit diesem Durchbruch uns eine neue Straße zum ewigen Leben Gottes zu bahnen" (185).
Ostern meint von daher nicht allein ein singuläres Handeln Gottes am toten Jesus, sondern zielt darauf, auch unseren Tod zu überwinden. Aus diesem Grund ist Ostern eng mit der Sendung des Heiligen Geistes zusammenzudenken, erscheint doch der Geist biblisch als Werkzeug und Medium der Auferweckung: "Erst dadurch, dass ‚Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz hinein sandte‘ (Gal 4,6), wird das objektive Geschehen für uns existentiell" (195).
Balthasars "Theologie der drei Tage" spannt einen weiten Bogen, der bei der als Entäußerung gedeuteten Menschwerdung des Sohnes ansetzt, diese in einer letzten Solidarität im Tod gipfeln lässt, um schließlich mit der Auferstehung in eine Erhöhung zu einem neuen und ewigen Leben zu münden. Der ganze Bogen wird zusammengehalten durch das Motiv einer unbedingt solidarischen Liebe, die den Tod überwinden will, indem sie ihn in äußerster Konsequenz auf sich nimmt.
Wird in der Dynamik von Erniedrigung und Erhöhung nicht eine radikale Veränderlichkeit von Gott ausgesagt, die die Heilsgeschichte in Mythologie zu verflüchtigen droht? Ist nicht eine solche Kenosis, die im Tod des Sohnes ihren tiefsten Punkt findet, ein innerer Selbstwiderspruch, weil Gott in sich Leben ist?
Am Ende stellt sich die Frage, wie eine solche Soteriologie (Erlösungslehre) denkbar sein soll. Wird in der Dynamik von Erniedrigung und Erhöhung nicht eine radikale Veränderlichkeit von Gott ausgesagt, die die Heilsgeschichte in Mythologie zu verflüchtigen droht? Ist nicht eine solche Kenosis, die im Tod des Sohnes ihren tiefsten Punkt findet, ein innerer Selbstwiderspruch, weil Gott in sich Leben ist? Balthasar macht hier die Trinitätstheologie stark. Für ihn ist die gesamte kenotische Bewegung aus Liebe nur deshalb von Gott aussagbar, weil Gott selbst Liebe ist. Wenn aber Gott Liebe ist, dann gilt, dass seine "Souveränität nicht im Festhalten des Eigenen, sondern in seiner Preisgabe sich kundtut" (33). Die ganze Heilsgeschichte wird folglich aus Sicht Balthasars nur dann richtig erfasst, wenn sie trinitarisch von der "alles entscheidende[n] Wende in der Sicht Gottes, der nicht primär ‚absolute Macht‘, sondern ‚absolute Liebe‘ ist" (33), her gelesen wird.
Dann aber gilt: Die Kenosis des Sohnes, die in seinem Tod gipfelt, ist nicht etwas "Neues" in Gott, trägt also nicht in dem Sinne eine Veränderlichkeit in Gott ein, als habe sich dieser zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgrund historischer Umstände zu einer Selbstpreisgabe entschieden. Vielmehr schenkt sich Gott in die Menschheitsgeschichte hinein, weil er in sich Hingabe ist.
Anders formuliert: "Letzte Voraussetzung der Kenose ist die 'Selbstlosigkeit' der Personen (als reiner Relationen) im innertrinitarischen Leben der Liebe" (39). Von hierher erscheint dann auch Christi Erhöhung am dritten Tag nicht als eine nochmalige Veränderung in Gott, sondern ist Ausdruck seines Wesens als Liebe, die den Tod des Menschen überwinden und ihn so mit Christus erhöhen will.
Letzte Solidarität
Diese hier nur knapp skizzierten Überlegungen, die die "Theologie der drei Tage" trinitarisch fundieren und im Buch wesentlich breiter ausgeführt sind, zeigen den spekulativen Charakter des Werkes. Doch die Spekulation ist kein Selbstzweck. Balthasar versucht, eine "Theologie der Passion, der Höllenfahrt und Auferstehung" zu entwickeln, die davon aber nicht abstrakt handelt, sondern "als Hauptgegenstand das personale Konkretissimum des 'für mich', 'für uns' leidenden, zur Hölle fahrenden und auferstehenden Gottmenschen" (41) hat.
Entsprechend bemüht sich Balthasar immer wieder, die existenzielle Bedeutsamkeit von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu aufzuzeigen. Das wird vielleicht am deutlichsten im Gedanken einer letzten Solidarität Jesu mit den Verlorenen, den Balthasar in der "Theologie der drei Tage" zum Zentralmotiv der Soteriologie erklärt. Die existenzielle Relevanz ist hier mit Händen zu greifen: Wenn Jesus die Verlorenheit des Totseins und der äußersten Sünde kennt, wenn er die tiefste denkbare Einsamkeit durchlitten hat, dann sind auch mein Tod, meine Sünde und meine Einsamkeit ihm nicht fremd. Wenn diese Erfahrungen für ihn nichts Äußerliches sind, sondern das reale Durchleiden in letzter Solidarität Ausdruck seines Wesens als Liebe ist, dann darf ich mich mit meiner Verlorenheit in dieser Liebe geborgen wissen. Was könnte es Aktuelleres geben als eine solche Theologie, die Gott in letzter Konsequenz als Liebe denkt – und zwar nicht abstrakt, sondern für mich ganz persönlich?