Urknall, Nichts und Gottes FreiheitMagnus Striet fragt, Thomas von Aquin antwortet

Für Magnus Striet wirft die moderne Kosmologie theologische Fragen auf: Wie kann Gott als Schöpfer gedacht werden? Wie steht es um die Freiheit Gottes und des Menschen? Die klassische Metaphysik hätte Antworten.

Sternenhimmel
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Im Interview auf katholisch.de zu seinem neuen Buch über das Glaubensbekenntnis sagt Magnus Striet zum Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts: "Um die absolute Freiheit Gottes denken zu können, hatte man sich in der alten Kirche dazu durchgerungen, von einer Schöpfung aus dem Nichts zu reden. Die Welt existiert nur deshalb, weil Gott sie wollte. Die moderne Astrophysik geht zwar davon aus, dass dem Urknall ein Vakuum zugrunde lag – aber: Dies war gerade kein 'Nichts'. Im Gegenteil, dies Vakuum existierte als eine unvorstellbare Dichte von Energie. Die theologische Frage lautet, ob man Gott so gedanklich ins Verhältnis zu diesem Vakuum setzen kann, dass er immer noch freier Schöpfer bleibt."

Ist das Quantenvakuum ein theologisches Problem?

Diese Aussagen über das Verhältnis des Quantenvakuums vor der Anfangssingularität des Universums ("Urknall") und der Schöpfung aus dem Nichts machen neugierig. Ein Blick in Striets neues Buch "Alte Formeln – lebendiger Glauben. Das Glaubensbekenntnis ausgelegt für die Gegenwart" verrät mehr darüber, wie Striet das Verhältnis von Gott und jenem Vakuum denkerisch angeht (139-149):

Für Striet ist die Idee von einer Schöpfung der Welt aus dem Nichts der Garant für die Rettung der Freiheit Gottes (und schließlich auch der des Menschen). In pantheistisch-monistischen Konzeptionen wie denjenigen von Giordano Bruno oder Baruch Spinoza, so erinnert Striet, führt die Unendlichkeit und Ewigkeit der Welt dazu, dass Gott nicht mehr "in einer der menschlichen Freiheit vergleichbaren Weise" handeln könne – was Schelling nach Auseinandersetzungen mit Heinrich Jacobi dazu brachte, sich um der menschlichen und der göttlichen Freiheit willen von diesen Konzeptionen schließlich abzuwenden.

Doch mit der modernen Kosmologie ist für Striet die Frage nach einem Zusammendenken einer unendlichen Welt (der "griechischen Intuition einer Ewigkeit der Welt") und einer Schöpfung aus dem Nichts erneut auf dem Tisch: "Das Universum als anfangslos zu denken, wird im Rahmen der modernen Kosmologie zu einer theoretischen Alternative" (146). Das anfangslos bestehende Vakuum vor dem Urknall ist damit natürlich nicht das Nichts einer creatio ex nihilo, und es stellt sich für Striet die Frage: "Existierte es immer schon, simultan mit Gott?", oder "aber muss dieses nicht als ein Nichts vorzustellende Vakuum als aus einem freien, nicht notwendigen Schöpfungsakt Gottes hervorgegangen begriffen werden?" Zudem muss nach Striet gefragt werden, woher die quantenmechanische Irritation in diesem Vakuum kam, die dann zum Urknall führte (147).

Woraus entsteht und wohin vergeht Sein?

Diese Fragen wären eine gar nicht so schlechte Gelegenheit, bei der die gute alte klassische Metaphysik als "Magd der Theologie" (ancilla theologiae) einen interessanten und weiterführenden Beitrag beisteuern könnte.

Schöpfung bedeutet eine Veränderung (etwas wird erschaffen), und philosophisch gesehen kann man Veränderungen generell auf verschiedenen Ebenen betrachten: etwa auf einer rein phänomenalen Ebene (durch alltagssprachliche Beschreibung), auf einer biologischen Ebene (bei Lebewesen, wie etwa beim Wachstum einer Pflanze), oder auf einer physikalischen Ebene (wie etwa die Ortsveränderung eines Massenpunkts in der Mechanik). Und schließlich man kann sie auf einer ganz grundlegenden, auf einer ontologischen Ebene betrachten: man behandelt eine Veränderung auf der Ebene des Seins (griechisch einai, lateinisch esse) des sich verändernden Dings bzw. des sich verändernden Seienden. Man kann auch sagen: Man betrachtet es auf seinstheoretischer Ebene. Was bedeutet Veränderung für das Sein eines Seienden (für sein "Seiend-sein")? Wie ist Veränderung auf dieser grundlegenden Ebene des schlichten Seins zu verstehen? Was bedeutet es, wenn ein Seiendes von einem "Zustand" bzw. einem "Modus" seines Seins in einen anderen übergeht? Was sind solche "Seinszustände" oder "Seinsmodi"? Und was bedeutet es, wenn ein Seiendes als solches entsteht oder vergeht? Woraus entsteht und wohin vergeht Sein?

In der aristotelisch-thomistischen Metaphysik ist Schöpfung aus dem Nichts (im lateinischen Fachausdruck: creatio ex nihilo sui et subiecti) keine Frage auf der phänomenalen, biologischen oder physikalischen Ebene, sondern eine Frage auf der tieferen, grundlegenden ontologischen bzw. seinstheoretischen Ebene: Es geht um das Sein der geschaffenen Dinge und nicht um ihre biologischen oder physikalischen Eigenschaften, d.h. es geht um die Seienden als Seiende und ihre Erschaffung durch Gott, der in der klassischen Metaphysik das "subsistierende Sein selbst" ist (lat. esse ipsum subsistens). Das Sein der Seienden ist hier also ein sogenannter modal-ontologischer Begriff: Schöpfung aus dem Nichts betrifft den Seinsmodus bzw. modalen Seinsstatus eines Seienden als Seienden. Schöpfung aus dem Nichts ist dabei genauer zu verstehen als Erschaffung aus dem schlechthinnigen Nichts und nicht aus einem relativen Nichts, also auch nicht aus einer reinen Potenzialität eines Urstoffs (materia prima) heraus. Insbesondere auch nicht aus einem Quantenvakuum heraus, weshalb sich auch die Frage einer Reduzierung des Schöpfungsaktes auf das Vakuum hier so nicht stellt.

Schöpfung aus dem Nichts bedeutet daher keinen zeitlichen physikalischen Vorgang, sondern Schöpfung ist für die Scholastik eine sogenannte nicht-zeitliche "metaphysische Veränderung" (mutatio metaphysica), und keine physische Veränderung (mutatio physica).

Ganz besonders kommt es bei dieser ontologischen bzw. seinstheoretischen Betrachtungsebene der Schöpfung aus dem Nichts auf die Bedeutung des Wörtchens "aus", lateinisch ex, an: Woraus wird hier erschaffen? Streng genommen wird hier gar nicht "aus" etwas geschaffen, "aus" dem Nichts, da es das schlechthinnige Nichts überhaupt nicht gibt (sonst wäre es etwas und nicht nichts). Es gibt hier also auch genau genommen keine zeitliche Reihenfolge, in der zuerst das Nichts "der Fall" wäre und einen Zeitpunkt später das Sein des Seienden. Schöpfung aus dem Nichts bedeutet daher keinen zeitlichen physikalischen Vorgang, sondern Schöpfung ist für die Scholastik eine sogenannte nicht-zeitliche "metaphysische Veränderung" (mutatio metaphysica), und keine physische Veränderung (mutatio physica): Schöpfung besagt die metaphysische, modalontologische Abkunft der geschaffenen Seienden von Gott (und alle konkreten kausalen Hervorbringungs-Modelle für diese Abkunft würden aufgrund der Analogie des Seinsbegriffs ohnehin selbst nur analoge Umschreibungen sein können).

Der modalontologisch-seinstheoretische Schöpfungsbegriff wäre unabhängig davon vertretbar, ob vor dem Urknall ein ewiges Quantenvakuum bestand oder nicht. Und überdies würde Schöpfung aus dem Nichts auch bedeuten, dass die Welt über das Nichts bzw. "ins Nichts gestellt" ist, dass sie "an nichts grenzt" und somit sich selbst übergeben – also frei – ist.

Und weil diese metaphysische Abkunft kein begrenzter zeitlicher Vorgang ist, kann die klassische Metaphysik auch von einer fortwährenden Schöpfung (creatio continua) sprechen, da alle geschaffenen Seienden jeden Augenblick ihres Seins durch Gottes überzeitlichen und immer-präsenten Schöpfungsakt im Sein, über dem Abgrund des Nichts gehalten werden. Und darum kann auch Thomas von Aquin trotz seines gläubigen Festhaltens an einer Schöpfung aus dem Nichts die philosophische Frage nach der Ewigkeit der Welt offen halten. Der modalontologisch-seinstheoretische Schöpfungsbegriff wäre unabhängig davon vertretbar, ob vor dem Urknall ein ewiges Quantenvakuum bestand oder nicht. Und überdies würde Schöpfung aus dem Nichts auch bedeuten, dass die Welt über das Nichts bzw. "ins Nichts gestellt" ist, dass sie "an nichts grenzt" und somit sich selbst übergeben – also frei – ist (vgl. J. Schmidt, Philosophische Theologie, 255).

Striet spricht noch von einer anderen Welt als der physikalischen: der Welt des menschlichen Bewusstseins, eine "unermessliche Welt", die mit dem Erlöschen des Bewusstseins ins definitive Nichts sinken würde (Alte Formeln, 148f.). In der klassischen Metaphysik können zwei Dinge ausschließlich durch Schöpfung aus dem Nichts ins Sein gebracht werden: die materia prima und die menschliche Seele. Ganz wie bei Striet bedeutet das Risiko des Glaubens auch hier, darauf zu hoffen, dass die Seele in ihrer Abkunft aus Gott von diesem auch in einer creatio continua für immer über dem Abgrund des Nichts gehalten sei.

Nicht nur in der Analyse der relationalen Theologie Höhns, sondern auch bei den Grundfragen der Striet'schen Freiheitstheologie zeigt sich, wie aktuell und theologisch leistungsfähig die scholastische Metaphysik ist – so man sie nicht mit einem antimetaphysisch gelesenen Kant bereits ins Nichts verabschiedet hat.

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