Im kalten Februar 2023 kamen in Prag zum allerersten Mal überhaupt katholische Delegierte aus allen europäischen Ländern zu einem Synodaltreffen zusammen. Sie sollten und wollten über die Weltsynode beraten, deren erste Generalversammlung im Oktober 2023 stattfinden sollte. Andere Kontinente sind weit voraus: Lateinamerika und die Karibik haben sich auf den Weg gemacht, von einer kontinentalen Bischofs- zu einer Kirchenversammlung zu werden, in der auch Priester, Ordensleute und "Laien", nicht zuletzt Indigene, Sitz und Stimme haben. In Afrika und Asien sind lebendige, bunte, energiereiche Kontinentalsynoden und Vorkonferenzen organisiert worden, in Australien gab es sogar ein regelrechtes Plenarkonzil – neben Nordamerika hinkt nur Europa hinterher.
Prag war ein erster Schritt, das katholische Europa zusammenzuführen. Auch hier waren die Bischöfe nicht unter sich, sondern mit anderen Delegierten zusammen. Alle haben auf die Fragen, wie sich die katholische Kirche in der Welt von heute als eine synodale Kirche neu aufstellen soll, gemeinsame Antworten gesucht und gefunden: nicht schon in der Weise von Problemlösungen, aber in der Form von fairen Beschreibungen, wo Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede bestehen. Alle Vorsitzenden von Bischofskonferenzen waren präsent. Zunächst stand ernsthaft die Idee im Raum, sie sollten nach der Erklärung der Gesamtsynode noch eine eigene Erklärung abgegeben – sodass Europa mit gespaltener Zunge gesprochen hätte. Am Ende gab es Gott sei Dank nur einen Brief der Bischöfe mit einer starken Bekräftigung dessen, was gemeinsam beraten und entschieden worden war. Der Bericht aus Prag ist selbst im politischen Brüssel als beachtliches Dokument europäischer Konsenskultur wahrgenommen worden.
Die Initiative ging nicht von der Europäischen Bischofskonferenz (CCEE) aus, die das Treffen dann aber voll mitgetragen hat, sondern von der Theologie.
Im heißen August 2024, zwischen der ersten und der zweiten Generalversammlung der Weltsynode in Rom, gab es jetzt einen europäischen Workshop zur Vorbereitung. Er ist das einzige gemeinsame Treffen in Europa. Wieder sind andere Kontinente weiter, wieder ist nur Nordamerika weniger engagiert. In Linz waren auch bei Weitem nicht alle Bischofskonferenzen vertreten, aber zum einen waren alle "Experten" aus Europa, die das Synodensekretariat berufen hat, da, zum andern viele Moderatoren und andere Delegierte, auch aus den Ländern, deren Bischöfe fehlten – und vor allem haben sich alle, die vor Ort waren, intensiv eingebracht.
Wir brauchen eine Europäische Kirchenversammlung!
Die Initiative ging nicht von der Europäischen Bischofskonferenz (CCEE) aus, die das Treffen dann aber voll mitgetragen hat, sondern von der Theologie: Klara Csiszar aus Linz zusammen mit Myriam Wijlens aus Erfurt und Christoph Theobald aus Paris waren die treibenden Kräfte. Eins ist allen Beteiligten klar geworden: Die katholische Kirche in Europa braucht mehr Synodalität. Sie braucht regelmäßige Treffen mit breiter Beteiligung. Sie braucht die aktive Teilnahme von Bischöfen, aber nicht nur Bischofstreffen: Die katholische Kirche braucht eine Europäische Kirchenversammlung.
Warum?
Viele sehen Europa auf dem absteigenden Ast: militärisch, ökonomisch, politisch, kulturell – auch religiös. Waren Johannes XXIII., Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI., je auf ihre Weise, stark vom Geist Europas geprägt, haben sich unter Papst Franziskus die Gewichte verschoben: Der Schwerpunkt der katholischen Kirche liegt nun im Globalen Süden, vor allem in Lateinamerika.
Das Christentum in Europa gehört nicht ins Museum, sondern auf den Areopag. In der Vielfalt der Sprachen und Kulturen, der Erfahrungen und Geschichten ist das kleine Europa ein Nukleus der Weltkirche.
Diese Verlagerung kann für die katholische Kirche weltweit ein großer Gewinn sein. Aber das Christentum in Europa gehört nicht ins Museum, sondern auf den Areopag. In der Vielfalt der Sprachen und Kulturen, der Erfahrungen und Geschichten ist das kleine Europa ein Nukleus der Weltkirche: ein Ort des Dialoges und der Solidarität, aber auch der Konflikte über das, was die Wahrheit und Freiheit des Evangeliums ausmacht.
Die lange Geschichte des europäischen Christentums ist kein Ballast, sondern ein großes Reservoir für jene Hermeneutik der Reform, nach der weltweit gesucht wird. Europa ist ein Kontinent mit einer Fülle von kirchlichen inmitten von weltlichen Erfahrungen: der Widerstand gegen den Kommunismus, das Engagement für die europäische Einigung, die Unterstützung rechtsstaatlicher Demokratien, die Herausforderung durch die kulturelle Säkularisierung, All das ist in Portugal anders als in Norwegen und in Litauen anders als in Irland – aber überall gibt es typisch europäische Konstellationen, in denen die katholische Kirche gefordert ist, mal als Mehrheit, mal als Minderheit, mal als schrumpfende, mal als wachsende Größe.
Es gibt keine Foren für geschwisterlichen Austausch und faire Kritik im Geist des Evangeliums: Was ist ein übergriffiger Hegemonialanspruch des finanzstarken Westens, was ein Anstoß, Kirche heute in der Freiheit des Glaubens zu sein? Welche Differenzen stärken, welche schwächen die Einheit? Wo ist In-, wo ist Exkulturation angesagt?
Allerdings gibt es bislang keine starke Plattform, auf der über die unterschiedlichen Erfahrungen und Antworten geredet und auf der die eigene Situation mit den Augen von anderen betrachtet werden könnte. Es gibt keine Foren für geschwisterlichen Austausch und faire Kritik im Geist des Evangeliums: Was ist ein übergriffiger Hegemonialanspruch des finanzstarken Westens, was ein Anstoß, Kirche heute in der Freiheit des Glaubens zu sein? Welche Differenzen stärken, welche schwächen die Einheit? Wo ist In-, wo ist Exkulturation angesagt? Es wird keine Antworten mit Ewigkeitswert geben – aber es braucht Gesprächsformen, die Verdächtigungen und Verletzungen vorbeugen, um Verständnis und Verbundenheit zu schaffen.
Auf dem Weg von Prag via Rom nach Linz hat sich bereits gezeigt, wie viel Vertrauen durch gemeinsame Gespräche, gemeinsames Gebet, gemeinsame Arbeit aufgebaut werden kann. Aber es ist erst der Anfang. Nach der Weltsynode Teil II braucht es einen neuen Aufschlag. Es braucht sicher die spirituelle Konversation. Europa ist aber auch der Kontinent der Aufklärung, der wechselseitigen Begrenzungen und Befruchtungen von Glaube und Vernunft. Auch dafür braucht es synodale Räume.
Nachhaltige Synodalität in Europa ist innerkirchlich wichtig, aber nicht nur. Sie ist auch für die Politik, die Kultur, die Gesellschaft wichtig. Kirchen, die sich gegen Populismus stemmen wollen, müssen in ihrem Inneren autoritäre Strukturen und autoritäres Denken abbauen. Kirchen, die in laizistischen Ländern ihrer sozialen und kulturellen Verantwortung gerecht werden wollen, brauchen eine strukturelle Stärkung von Menschen, die kirchenrechtlich Laien, politisch, kulturell und sozial aber Experten sind. Kirchen mit sinkender Mitgliederbindung, aber starken Kontakten und Kontrakten mit der Politik, dem Bildungs- und Gesundheitswesen, mit Sozialinitiativen und zivilgesellschaftlichen Akteuren wissen, dass ohne spürbare Reformen, die mehr Beteiligung, mehr Transparenz und Kontrolle, mehr Sichtbarkeit von Frauen, mehr Inklusion ermöglichen, die Chancen weiter schwinden, das Evangelium in der Sprache des barmherzigen Samariters zu verkünden – und fähig zu sein, in der Öffentlichkeit Rechenschaft vom Grund der Hoffnung abzulegen.
Von der Problemanzeige zur Problemlösung
In Linz kamen all diese Themen auf den Tisch – gut so. Aber die Problemanzeige ist das eine, die Problemlösung ist das andere. Es gibt Sprachlosigkeit und Vielrederei, es gibt Ressentiment und Besserwisserei. Von ihrem Anspruch her müsste die Kirche Avantgarde sein – aber davon ist sie weit entfernt, alle Debatten, was echter Fortschritt und was Irrweg ist, eingeschlossen.
Papst Franziskus hat dazu ermuntert, Vorschläge zu machen, wie die lokalen, regionalen und kontinentalen Strukturen der Kirche gestärkt werden können. Europa ist am Zug. Subsidiarität ist ein Prinzip der christlichen Sozialethik, das die Kirche nicht nur von der Wirtschaft und Gesellschaft fordern darf, sondern auch auf sich selbst anwenden muss. Manche denken, dass eine Synodalität eine neue Dogmatik bräuchte; aber die Rezeptionslücken zu füllen, die "Lumen Gentium" gelassen hat, ist mehr als nur ein Anfang. Dass kirchenrechtliche Klarstellungen gut wären, wie sie bereits angedacht sind, ist klar. Entscheidend ist ein Mentalitätswandel, der es nicht bei gutem Willen lässt, sondern verbindliche Versprechen ablegt, also auch Ordnungen vorsieht, an die sich alle halten.
Die Kirche hat eine Bringschuld in und gegenüber Europa. Sie muss die Einheit in der Vielfalt, von der sie so gerne spricht, in die Realität umsetzen, ohne Konflikte zu verschweigen.
Linz war eine wichtige Etappe auf dem synodalen Weg zur zweiten Generalversammlung im Oktober 2024. Linz war hoffentlich auch ein Anstoß, auf dem synodalen Weg weltkirchlich und kontinental weiterzugehen, ebenso wie in einzelnen Ländern: Die Kirche hat eine Bringschuld in und gegenüber Europa. Sie muss die Einheit in der Vielfalt, von der sie so gerne spricht, in die Realität umsetzen, ohne Konflikte zu verschweigen. Es wäre illusionär, zu fordern oder zu behaupten, alle Probleme des Klerikalismus auf einen Schlag zu lösen. Viele sagen, es brauche Geduld – aber es braucht auch Ungeduld. Der Weg ist nicht schon das Ziel – aber ohne den Aufbruch wird es in unerreichbarer Ferne bleiben. Und auf dem Weg kann viel passieren. Emmaus ist das beste Beispiel.