Fraglos glücklich?Philosophisch-theologische Rückfragen an Jan Loffelds "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt"

Dass soziologisch gesehen der Glaube zur Option geworden ist, heißt nicht, dass er auch theologisch optional ist. Oder ist etwa manchen Menschen von Gott ein "Transzendenzpotenzial" gegeben, anderen aber nicht?

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Das inzwischen vielbeachtete, aber auch kontrovers diskutierte Buch "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt" des in Utrecht lehrenden Theologen Jan Loffeld enthält pastoralpraktische Perspektiven, die erhellend und zum Teil befreiend sind. Die zentralen anthropologischen und theologischen Grundannahmen seiner Argumentation überzeugen weniger. Es sind vor allem zwei Befunde, die Loffeld aus den von ihm zitierten Religionsmonitoren und soziologischen Untersuchungen herausliest: die „religiöse Indifferenz“ gegenüber der Gottesfrage und die "existenzielle Indifferenz" gegenüber der Sinnfrage. Einige philosophische und theologisch-spirituelle Rückfragen seien an dieser Stelle genannt.

Ist die Sinnfrage obsolet geworden?

Der Pastoraltheologe fasst das Lebensgefühl "gerade junger Menschen" so zusammen: "Leben ist episodisch und schenkt darin bestenfalls Erfüllung, macht im Idealfall auch noch Spaß. Alle anderen großen Fragen scheinen sich nicht zu stellen und bleiben daher unbeantwortet." Ist die Sinnfrage damit wirklich obsolet geworden?

Loffelds allein auf religionssoziologische Umfragen gestützte Annahme, dass Menschen "fraglos glücklich" sind, ohne explizit oder implizit die Sinnfrage zu stellen, dieser Annahme würde Karl Jaspers mit seinem existenzphilosophischen Konzept der "Grenzsituationen" widersprechen. Damit sind Erfahrungen gemeint, die sich niemand aussucht, denen wir aber auch nicht ausweichen können: Schuld, Leid, Kampf und Tod, um nur die wichtigsten zu nennen.

Jaspers, dessen Existenzphilosophie zu den im 20. Jahrhundert theologisch stark rezipierten Konzepten gehörte, meint, dass solche Grenzsituationen nicht nur negativ sind. Sie können uns zum eigentlichen Menschsein erwecken und Fragen wachrufen, die in Loffelds "Bedürfnistheorie" nur wenig Raum finden.

Das Ärgerliche an Loffelds Darstellung ist, dass er denkgeschichtliche Schlüsselfaktoren der Transzendenzverschlossenheit im 21. Jahrhundert wie den zeitgenössischen Naturalismus und Reduktionismus lediglich im Vorübergehen streift.

Am modernen Existenzdenken ausgerichtete Konzepte des letzten Jahrhunderts, wie es etwa von dem protestantischen Philosophen und Theologen Paul Tillich vertreten wurde, haben auch die Sinnfragen moderner Menschen nicht als "anthropologische Angel" instrumentalisiert, um leere Kirchenbänke zu füllen. Im Gegenteil: Dass es Epochen geben kann, die sich einem explizit formulierten Sinnbedürfnis oder religiös aufgefassten Transzendenzerfahrungen tendenziell eher verschließen, hätte den Nietzsche-Leser Tillich nicht im Mindesten überrascht.

Das Missliche an Loffelds Darstellung ist, dass er denkgeschichtliche Schlüsselfaktoren der Transzendenzverschlossenheit im 21. Jahrhundert wie den zeitgenössischen Naturalismus und Reduktionismus lediglich im Vorübergehen streift. Von Jaspers wäre in diesem Zusammenhang einiges über moderne Formen des "Wissenschaftsaberglaubens" zu lernen. Diesen Kulturphänomenen gegenüber scheint Loffeld an dieser Stelle kein pastoraltheologisches Problembewusstsein zu zeigen.

Wo keine Götter sind, walten Gespenster

Loffeld scheint vor allem die Frage zu interessieren, warum die "großartigen theologischen Ansätze des 20. Jahrhunderts" angeblich alle ausnahmslos der Vergangenheit angehören. Aus den von ihm ad acta gelegten existenzphilosophisch bzw. anthropologisch orientierten Konzepten wäre allerdings nach unserer Ansicht eine Facette aufzunehmen, die in seinen pastoraltheologischen Reflexionen ausblendet bleibt: Die Nicht-Thematisierung religiöser und existenzieller Sinnfragen hat auch eine abgründige Kehrseite. Novalis hat sie in sein viel zitiertes Diktum gefasst: "Wo keine Götter sind, walten Gespenster."

An die Stelle der religiösen Transzendenz können Ideen, Menschen oder Projekte treten, die zum absoluten Maßstab werden.

Tillich etwa geht ähnlich wie Max Scheler von einer "Absolutheitssphäre" im Menschen aus, zu der auch Quasi-Religionen wie etwa Ideologien, politische Parteiprogramme oder sogar der Sport gehören können. Dahinter steht die religionsphilosophische und anthropologische Annahme: An die Stelle der religiösen Transzendenz können Ideen, Menschen oder Projekte treten, die zum absoluten Maßstab werden.

Tillichs Analysen des Fanatismus, des Rassismus oder Nationalismus sind auch im 21. Jahrhundert auf eine beklemmende Weise aktuell – der zurückliegende amerikanische Präsidentschaftswahlkampf bietet dazu reichlich Anschauungsmaterial. Mit diesen Hinweisen geht es nicht darum, den alten "notwendigen Gott" wieder zur Wirkung zu bringen. Aber diese Rückfrage muss gestellt werden: Ist es für eine Pastoraltheologie des 21. Jahrhunderts nicht zu wenig, lediglich auf Umfrageergebnisse zu rekurrieren und daraus eine Theorie der angeblich nicht mehr vorhandenen Bedürfnisse abzuleiten?

Umgekehrt zeigen sozialpsychologische Forschungen, dass eine existenzielle Wurzellosigkeit zu Fanatismen und erhöhter Aggressionsbereitschaft führen kann; dass Sucht, Depression und eine tief empfundene Einsamkeit zu den massenneurotischen "Pathologien des Zeitgeistes" (Frankl) gehören.

Loffelds Doppelthese einer "religiösen" und "existenziellen Indifferenz" betrifft nicht nur leerer werdende Kirchenbänke. Sie markiert vielmehr eine gesellschaftliche und kulturelle Problemanzeige. Dieser Reflexionszusammenhang bleibt in seiner Publikation ausgespart.

Umgekehrt werden die klassischen und modernen Theologien der Anknüpfung von Paulus bis Pröpper, die von einer Sinnbezogenheit und Transzendenzoffenheit des Menschen ausgehen, allzu schnell beiseitegeschoben. Loffeld schüttet buchstäblich das Kind mit dem Bade aus, indem er das weltweit rückläufige, explizit artikulierte Transzendenzbedürfnis mit einem grundsätzlichen "Transzendenzpotenzial" verwechselt. Entsprechendes lässt sich mit Blick auf die Sinnfrage feststellen. Wird dem Menschen dieses "Transzendenzpotenzial" abgesprochen, ergibt sich eine andere als die theologische Anthropologie katholischer Provenienz.

Gott: Nur nicht notwendig oder auch mehr als notwendig?

In seiner Reaktion auf Jan Loffeld hat Paul Michael Zulehner dafür plädiert, mehr Theologie zu wagen. Dieses Wagnis bedeutet einen herausfordernden Balanceakt: sich gegenüber sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu immunisieren, zugleich aber den anderen Straßengraben zu meiden, theologisch in eine Normativität des Faktischen zu kippen. Zulehner hat sich theologisch die Freiheit bewahrt, deutend und argumentierend andere Rückschlüsse zu ziehen als Loffeld. Diese Spur wird hier aufgenommen im Blick auf klärungsbedürftige theologische Rückfragen, die die innerste motivationale Mitte einer Existenz als Gläubige und auch als Seelsorger berühren.
Loffeld spricht zwar vom Evangelium als etwas Einzigartigem, aber bei dieser Andeutung bleibt es.

Der Pastoraltheologe rekurriert in seinen "Theologischen Tiefenbohrungen" auf die Kategorie eines nicht-notwendigen Gottes, die schon Eberhard Jüngel in "Gott als Geheimnis der Welt" stark gemacht hat. Allerdings bedenkt Loffeld nur den einen, den verneinenden Aspekt bei Jüngel: Notwendigkeit zur Beschreibung Gottes als unzureichend und unwürdig abzulehnen. Nicht thematisiert wird hingegen, dass Jüngel mit seiner positiven, wenn auch mehr andeutenden Rede des "mehr als notwendig" eben auch nicht das Gegenteil von Notwendigkeit meint, nämlich die "Beliebigkeit eines 'so oder auch anders'".

Loffeld spricht zwar vom Evangelium als etwas Einzigartigem, aber bei dieser Andeutung bleibt es. Wenn die Rede ist von Gott als nicht notwendigem Geschenk bzw. nicht für "alle und jedes notwendig", und von der Gottesoption als einer Perspektive neben anderen, wird nicht profiliert, was ein Gottesverhältnis von einer beliebigen und damit unverbindlichen Zusatzoption unterscheidet.

Loffelds Anliegen sind hier durchaus zu teilen, nämlich zum einen theologisch zu würdigen, dass Leben in Fülle auch ohne Gott "funktioniert", zum anderen als Kirche eine "vornehme Zurückhaltung" zu üben und nicht mit der Überheblichkeit aufzutreten: Wir wissen, wie gutes Leben geht, nämlich letztlich nur mit Gott. Natürlich muss man sich des eigenen Perspektivismus und des "Konflikts der Interpretationen" bewusst sein, kirchlich wie individuell. Und das gebietet in der Tat den Verzicht auf einen Gestus besserwisserischer Überlegenheit. Niemand "hat" die letzte Wahrheit. Die Annahme einer Offenbarung, auf die eine Glaubensoption antwortet, bleibt bestreitbar.

Dass wir religionssoziologisch betrachtet in einem säkularen Zeitalter (Charles Taylor) leben, in dem der Glaube zur Option geworden ist, ist zweifellos zutreffend. Allerdings zieht das nicht nach sich, auch auf dezidiert theologischer Ebene die "Gottesoption" als eine unter anderen Optionen gleichwertige darzustellen.

Diese Zurückhaltung bedeutet aber nicht, die eigene Position so zu relativieren, dass ein Wahrheitsanspruch im Sinne des mehr als Beliebigen gänzlich aufzugeben ist. Dass wir religionssoziologisch betrachtet in einem säkularen Zeitalter (Charles Taylor) leben, in dem der Glaube zur Option geworden ist, ist zweifellos zutreffend. Allerdings zieht das nicht nach sich, auch auf dezidiert theologischer Ebene die "Gottesoption" als eine unter anderen Optionen gleichwertige darzustellen.

Gott hofft auf Antwort

Nähme man theologisch ernst, dass die Zuwendung Gottes bedingungslos ist und Gott sein Geben nicht von einer Antwort des Menschen abhängig macht, dann hieße das: Auch im Falle einer menschlichen Nichtresonanz hält er sein Geben aufrecht. Insofern muss, ja darf man Menschen, die sich auch ohne Gottesverhältnis als glücklich beschreiben, tatsächlich keinen Selbstbetrug, keine Blindheit und keine Illusion unterstellen. Angesichts der Unbedingtheit des Gebens Gottes "braucht" es, um sich als glücklich zu erleben, nicht notwendig ein explizites Transzendenzverhältnis.

Die Bedingungslosigkeit schließt jedoch nicht aus, dass Gottes Geben nicht auf eine Resonanz und Antwort im Menschen hoffte! Und lockend herausforderte zu einem existentiellen Experiment, einem noch nicht versuchten Leben, in dem es um mehr als Beliebiges geht. Eine korrespondierende Pastoral würde gegenüber nichtreligiösen Erfahrungen von Fülle (die nicht abgewertet werden) eine inklusive "Erfahrungshermeneutik des mehr" (Veronika Hoffmann) wagen: "Gott kommt Menschen im Suchen, im Vermissen und in den Erfahrungen der Fülle entgegen und will sie weiterführen zu ihm als ,Fülle der Fülle‘."

Loffeld ist zuzustimmen, dass sich gegenwärtig die Gottesfrage, wenn überhaupt, dann okkasionell stellt, aufgrund verschiedener Erfahrungen. Aber ist daraus die Konsequenz zu ziehen, die Gottesfrage "als eine nicht mehr universal und allgemein vorhandene" zu denken?

Ist den einen ein Transzendenzpotenzial gegeben, den anderen nicht?

Zum einen wäre terminologisch präziser zu unterscheiden zwischen Transzendenzbedürfnis und Transzendenzpotenzial. Zum anderen wäre zu fragen, wie es okkasionell in disclosure situations zur ausdrücklichen Frage oder einem Bedürfnis nach Gott kommen kann, wenn es nicht im Sinne eines Potenzials eine menschliche Ansprechbarkeit dafür gäbe. Was aber hindert dann daran, theologisch vorauszusetzen, dass jeder Mensch der Potenz nach Fragender ist, ansprechbar und empfänglich für ein Mehr an Fülle? Gebietet der christliche Gottesbegriff das nicht sogar? Müsste man dies nicht universal anthropologisch postulieren, um nicht in der Absurdität eines willkürlichen Gottesbegriffs und eines ungleich prädestinierenden Gottes (einigen ist ein Transzendenzpotenzial gegeben, anderen nicht) zu landen?

Wer hier, wie Detlef Pollack, von einem "Beharren auf veralteten Großeinsichten" spricht, möge plausibilisieren, wie man ohne solche "Großeinsichten" den Schöpfungsglauben denken kann.

Loffeld wirbt in diesem Zusammenhang zurecht darum, Menschen bezüglich ihres Gottesbedürfnisses freizulassen. Allerdings: dies geschieht auch, wo Seelsorgende getragen sind von einer stillen Hoffnung, in jedem Menschen ein Ansprechbarkeitspotenzial anzutreffen, zugleich aber die (Deutungs-)Freiheit des Gegenübers respektieren und um die Unverfügbarkeit des Glaubens wissen.

Die leitende Haltung wäre: Ich zeige Dir etwas, was für mich zutiefst relevant ist, aber ich nötige Dich nicht und lasse Dich frei, das ebenfalls relevant zu finden. Ein darauf achtsames Zeugnis wäre nicht heteronom überfremdend, sondern könnte nachdenklich stimmen – und möglicherweise bereichern, eine Gottessehnsucht freilegen.

 

 

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