Das Anthropozän, wie die gegenwärtige erdgeschichtliche Epoche genannt wird, verdankt seinen Namen der Eingriffstiefe, mit welcher die Gattung des Homo sapiens das Gesicht der Erde verwandelt hat und weiter verändert. Die Eingriffstiefe zeigt sich nicht nur in den Sedimenten der oberen Erdschicht, sondern auch im Klimawandel, der in starkem Maße von menschlichen Faktoren verursacht wird und bedrohliche Ausmaße angenommen hat. Ihn einzubremsen und gegenzusteuern, ist aller globalen Anstrengungen wert. Dass sich auch die Kirchen im Umwelt- und Klimaschutz engagieren, verdient Unterstützung. Im umweltpolitischen Engagement soll der christliche Schöpfungsglaube praktisch werden.
Manchmal entsteht allerdings der Eindruck, wer von Schöpfung spricht, rede lediglich von der Natur in einem leicht erhöhten religiösen Ton, auf den man notfalls auch verzichten kann. Christliche Umweltethik verliert aber ihre geistliche Ausrichtung, wenn sich der Schöpfungsglaube auf moralische Appelle beschränkt, deren theologische Substanz diffus bleibt.
Gleichzeitig lässt sich der Trend beobachten, die Natur neoromantisch zu verklären, als sei sie der Inbegriff des Guten schlechthin, obwohl die Natur selbst doch keine Moral kennt und sich in ihren Prozessen aus Sicht des Menschen, der um sein Überleben besorgt ist, als hochgradig ambivalent zeigt. Die kosmische Naturentwicklung kennt Prozesse des Entstehens, aber auch der Vernichtung. Auch der Erde, auf der wir Menschen leben, steht ihre endgültige Vernichtung eines fernen Tages bevor. Ihre Biosphäre ist vergänglich.
Als Freiheitswesen sind wir zur Verantwortung gerufen und befähigt. Unsere Endlichkeit und unsere Verantwortlichkeit gehören zusammen. Eben weil das Leben endlich ist, ist es kostbar.
Dass Lebenszeit – die des Individuums wie die der menschlichen Gattung – und Weltzeit auseinanderfallen, ist auch theologisch zu bedenken. Wie die rund 170 Millionen Jahre existierende Welt der Dinosaurier – von der die Autoren der biblischen Schöpfungsgeschichten nichts wussten – vor etwa 66 Millionen Jahren untergegangen ist, so wird vermutlich auch die Welt des Homo sapiens lange vor dem Ende unseres Planeten untergehen. Das Ende der Erde aber, die noch einige Milliarden Jahre um die Sonne kreisen mag, wird noch lange nicht das Ende der Geschichte des gesamten Kosmos sein. Vormoderne Apokalyptiker konnten das nicht wissen, aber auch moderne Apokalyptiker, die sich selbst für die "letzte Generation" halten, blenden diese größeren erdgeschichtlichen Zusammenhänge offenbar aus.
Diese Einsicht rechtfertigt keinesfalls den zynischen Schluss, den Klimawandel und die vom Menschen verursachten Umweltschäden als erdgeschichtlichen Lauf der Dinge hinzunehmen. Als Freiheitswesen sind wir zur Verantwortung gerufen und befähigt. Unsere Endlichkeit und unsere Verantwortlichkeit gehören zusammen. Eben weil das Leben endlich ist, ist es kostbar. Das gilt für jedes Einzelleben wie für die Biosphäre im Ganzen, und es gilt auch von der jeweiligen Gestalt, welche die Biosphäre im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende annimmt.
Gott in der Klimakrise
"Der Geist der Zeit oder Zukunft", notierte Ludwig Feuerbach 1842/43, "ist der des Realismus. Die neue Religion, die Religion der Zukunft ist die Politik." Seine Prophezeiung scheint sich in den gegenwärtigen Debatten und politischen Auseinandersetzungen um den Klimawandel zu erfüllen. Der Fortbestand der Kirchen war für Ludwig Feuerbach übrigens kein Zeichen von verbliebenem echtem Glauben. Die Gläubigen sprächen zwar weiter vom Segen Gottes, doch suchten sie echte Hilfe nur beim Menschen. Daher sei der Segen Gottes "nur ein blauer Dunst von Religion, in dem der gläubige Unglaube seinen praktischen Atheismus verhüllt".
Die umweltethische Moralisierung des Evangeliums halte ich keineswegs nur für ein ethisches, sondern auch für ein zutiefst dogmatisches Problem. Im Grunde wird ein abwesender Gott verkündigt.
Die umweltethische Moralisierung des Evangeliums halte ich keineswegs nur für ein ethisches, sondern auch für ein zutiefst dogmatisches Problem. Im Grunde wird ein abwesender Gott verkündigt. Die Politik als Religion der Zukunft: Hat sie auch in den Kirchen endgültig Einzug gehalten, wenn sie kleinteilig politische Klimaschutzziele, die sich schon in allen möglichen Strategiepapieren von UNO und sonstigen Organisationen finden, nun auch noch in leicht erhöhtem religiösem Ton vorträgt, den man aber auch ebenso gut weglassen kann?
An Gott als den Schöpfer, Erhalter und Vollender der Welt im biblischen Sinne zu glauben, bedeutet nicht nur, ein Bewusstsein für die globale Verantwortung des Menschen zu entwickeln, sondern auch, auf diesen Gott sein ganzes Vertrauen zu richten. Dabei ist das Gottvertrauen nicht gegen das menschliche Tun auszuspielen, sondern dieses ist im Vertrauen auf jenen Gott zu wagen, von dem Dietrich Bonhoeffer gesagt hat, dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet – und antwortet. Solches vertrauensvolle Beten und Tun setzt aber voraus, sich über das eigene Gottesverständnis Rechenschaft zu geben. Im Unterschied zu prozesstheologischen Konzepten bin ich davon überzeugt, dass der biblische Schöpfungs- und Schöpferglaube ohne ein gewisses Maß an Theismus nicht zu haben ist. Der häufig zitierte Dietrich Bonhoeffer war jedenfalls davon überzeugt, dass Gott nicht nur auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten des Menschen wartet, sondern dass er auf beides auch antwortet. Auf diese Gewissheit gründet sich die Zuversicht des Glaubens.
Provisorische Ethik
Umweltschutz und Klimaschutz sind eine praktische Weise, den Glauben an Gott den Schöpfer zu bekennen. Wenn es um die Mühen der Ebene klimapolitischer Entscheidungen geht, verfügen die Kirchen und die Theologie freilich über kein privilegiertes Offenbarungswissen. So wenig ethische Konflikte durch theologische Appelle entschieden werden können, so wenig lässt sich die ethische Reflexion und Rechenschaft vorschnell durch die Berufung auf den Gewissensnotstand abbrechen, aus dem Klimaaktivisten ein Widerstandsrecht gegen staatliche Gesetze und das moralische Recht zu Sachbeschädigungen, beispielsweise von Kunstwerken, ableiten.
Eben weil der biblische Gott nicht unmittelbar in jeder Konfliktlage zu uns spricht, sind auch Christenmenschen zur mühevollen, im Resultat nicht selten strittigen ethischen Urteilsbildung und politischen Entscheidungsfindung verpflichtet. Dabei lässt sich theologische Ethik in evangelischer Tradition von der Gewissheit der Rechtfertigung des Sünders leiten, in welcher der Mut zur Verantwortungsübernahme ihren letzten Grund hat.
Es gehört zu den Herausforderungen eines biblisch fundierten Schöpfungsglaubens, die Vergänglichkeit der Schöpfung und die Verheißung ihrer Erlösung so zusammenzudenken, dass die Vollendung der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung nicht mit einem vermeintlich unbegrenzt fortdauernden Idealzustand der Welt verwechselt wird.
Schon bei Paulus lesen wir, dass die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen ist, allerdings "ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat" – also durch Gott (Röm 8,20). Der Satz endet aber nicht an dieser Stelle. Der Vergänglichkeit ist die Schöpfung, wie Paulus hinzufügt, auf Hoffnung hin unterworfen. Wie vom Menschen wird auch von der Schöpfung im Ganzen gesagt, dass sie von der Vergänglichkeit befreit werden soll "zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes" (Röm 8,21). Diese Hoffnung richtet sich freilich auf keinen innerweltlichen Zustand: modern gesprochen: weder auf die jetzige noch auf eine künftige Entwicklungsstufe der Evolution, "denn die Gestalt dieser Welt vergeht" (1. Kor 7,31).
Es gehört zu den Herausforderungen eines biblisch fundierten Schöpfungsglaubens, die Vergänglichkeit der Schöpfung und die Verheißung ihrer Erlösung so zusammenzudenken, dass die Vollendung der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung nicht mit einem vermeintlich unbegrenzt fortdauernden Idealzustand der Welt verwechselt wird. Damit betreten wir den Bereich der Eschatologie, der Lehre von der christlichen Hoffnung, die zwischen innerweltlicher Zukunft (futurum) und Zukunft Gottes (adventus) unterscheidet. Auf paradoxe Weise stehen beide Aussagen im Neuen Testament nebeneinander: bei Paulus die Zusage der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes, die der gesamten Schöpfung gilt, und das Jesuswort, dass Himmel und Erde vergehen werden (Mt 24,35; Lk 21,33).
Mut zum fraglichen Sein
Das Wissen und die Endlichkeit unseres Planeten und allen Lebens auf ihm berechtigt aus christlicher Sicht nicht zum Zynismus oder Nihilismus. Eben deshalb ist der Einsatz für eine konsequente Klimapolitik aus christlicher Sicht nötig und sinnvoll. Er bleibt es auch dann, wenn die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht erreicht werden sollten. Wer das Wohl künftiger Generationen im Blick hat, muss sich auch dieser Realität stellen. Es bleibt eine Gratwanderung, einerseits zu versuchen, den Klimawandel einzubremsen und andererseits Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen, um mit ihm einigermaßen zurechtkommen zu können.
Wer, um mit Dietrich Bonhoeffer zu sprechen, die Welt so liebt, dass mit ihr alles verloren zu sein scheint, ohne sich verzweifelt an sie zu klammern, spricht ihr einen unbedingten Sinn zu, den sie nicht von sich aus hat und der auch nicht der heute bisweilen romantisch verklärten Natur eingeschrieben ist. Auch bleibt dieser Sinn menschlicher Verfügungsmacht entzogen. Er kann dem menschlichen Handeln nur adventlich zu-kommen. Christlicher Glaube produziert nicht, sondern proklamiert einen Sinn des Lebens und der Welt, der beiden einzig von Gott her zukommen kann und selbst noch angesichts der möglichen Selbstzerstörung der Menschheit Bestand haben wird.
Der Einsatz für Klima- und Umweltschutz als praktischer Ausdruck christlichen Schöpfungsglaubens und christlicher Schöpfungsfrömmigkeit gilt der Welt in ihrer Vergänglichkeit.
Sich für den Erhalt der vorfindlichen Biosphäre einzusetzen, damit die Prozesse des Lebens und der Fortbestand der Menschheit solange wie möglich fortdauern, kann doch immer nur der – wenn auch vom Glauben her gebotene – Einsatz für das Vorletzte sein, das nicht mit dem Letzten, der Erfüllung eschatologischer Hoffnung zu verwechseln ist, die Gottes Sache allein bleibt. Der Einsatz für Klima- und Umweltschutz als praktischer Ausdruck christlichen Schöpfungsglaubens und christlicher Schöpfungsfrömmigkeit gilt der Welt in ihrer Vergänglichkeit. Diese Vergänglichkeit zu akzeptieren – auf Hoffnung hin und nicht etwa resignativ – entspricht dem Glauben an den Schöpfergott und seine Verheißung. Man kann es auch nennen: Mut zum fraglichen Sein.