Ein Papstamt für alle Christen?Tektonische Verschiebungen in der katholischen Kirche und ihre ökumenischen Potenziale

Ein neues Dokument aus dem Vatikan skizziert, wie ein Papstamt für alle Christen in der globalen Moderne aussehen könnte.

Heiliger Petrus
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Je weniger zentralistisch die katholische Kirche regiert wird, desto attraktiver wird sie für die Ökumene. Die orthodoxen Kirchen, die eine Vielfalt gleichberechtigter Patriarchate kennen, lehnen den päpstlichen Primat ebenso ab wie die Reformationskirchen, die das allgemeine Priestertum aller Gläubigen betonen. Lässt sich dennoch so etwas wie ein Papstamt für alle andenken? Papst Franziskus Bemühen, die katholische Kirche zu einer synodalen Kirche umzugestalten, in der alle gehört und kollegiale Leitungsstrukturen gestärkt werden, findet auch ökumenisch Resonanz.

Ein neues Studien-Dokument aus Rom beleuchtet nun, dass der Primat des Papstes und eine synodale Kirche sich nicht ausschließen, sondern sich wechselseitig ergänzen, ja konstitutiv zusammengehören. Ohne historischen Rückblick lässt sich die ökumenische Tragweite dieses Wandels von einem zentralistischen zu einem synodalen Modell des päpstlichen Primates nicht verstehen.

Die harten Papstdogmen des 19. Jahrhunderts sind hier der eigentliche Stolperstein. "La tradizione sono io", soll Pius IX. gesagt haben, der das Erste Vatikanische Konzil einberufen hat, um die päpstliche Lehr- und Leitungskompetenz dogmatisch zu untermauern. Unfehlbar in Fragen des Glaubens und der Moral sollte der römische Pontifex sein und als oberster Gesetzgeber überall in der Kirche intervenieren und regieren können. Die Papstdogmen blieben ohne weitere Einbettung. Das Konzil musste wegen Ausbruch des deutsch-französischen Krieges überstürzt abgebrochen werden. Es blieb Fragment.

Nachholende Selbstmodernisierung

Die Päpste zwischen Pius IX. und Pius XII. haben bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts von ihrer Lehr- und Leitungskompetenz offensiv Gebrauch gemacht. Erst der betagte Johannes XXIII. erlaubte sich 1959 eine überraschende Volte: Er nutzte den päpstlichen Primat, um gegen den Willen der römischen Kurie ein Konzil einzuberufen. Er wollte nicht im Alleingang, sondern mit den Bischöfen aus aller Welt über ein Aggiornamento der Kirche beraten. Die komplexen Transformationsprozesse der Moderne forderten neue – gemeinsame – Antworten.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat die nachholende Selbstmodernisierung der Kirche eingeleitet und die Papstdogmen des Ersten Vatikanums nicht annulliert, sondern bestätigt und ergänzt. Von Kirche wurde als "Volk Gottes" und "Communio" gesprochen und die Kollegialität der Bischöfe betont, die auch den Bischof von Rom als Mitglied und Haupt umfasst.

Die eher zentralistische Amtsführung von Johannes Paul II. schien die Reform-Impulse des Zweiten Vatikanums ins Leere laufen zu lassen. Umso erstaunter war man, als er in seiner Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" von 1995 die Frage stellte, wie eine ökumenisch verträgliche Gestalt des Petrusdienstes in Zukunft aussehen könne.

Paul VI., der das Konzil nach dem Tod von Johannes XXIII. umsichtig zu Ende geführt hat, wusste darum, dass das Papstamt "das größte Hindernis" auf dem Weg der Ökumene ist. Zugleich war ihm klar, dass nur ein Amt der Einheit zentrifugale Kräfte und potenzielle Spaltungen abwenden kann. Um seine Amtsführung im Sinne des Konzils kollegialer zu gestalten, setzte Paul VI. 1965 die Bischofsynode als Beratungsgremium ein.

Die eher zentralistische Amtsführung von Johannes Paul II. schien die Reform-Impulse des Zweiten Vatikanums ins Leere laufen zu lassen. Umso erstaunter war man, als er in seiner Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" von 1995 die Frage stellte, wie eine ökumenisch verträgliche Gestalt des Petrusdienstes in Zukunft aussehen könne. Darauf haben seitdem viele Dialog-Kommission mit den orthodoxen, orientalischen, lutherischen, reformierten oder anglikanischen Kirchen reagiert. Diese polyfonen Voten für eine neue Ausübung des Petrusdienstes resümiert im Sinne eines harvesting the fruits das neue Studien-Dokument "Der Bischof von Rom" mit dem etwas sperrigen Untertitel "Primat und Synodalität in den ökumenischen Dialogen und in den Antworten auf die Enzyklika Ut unum sint". Es bietet nicht nur ein Resümee, sondern skizziert auch, wie ein Papstamt für alle Christen in der globalen Moderne aussehen könnte.

Der Papst will Konsultation und kollegiale Beratung

Papst Franziskus hat seit 2013 neue Akzente gesetzt. Schon nach seiner Wahl sprach er davon, das Konklave habe für die Kirche von Rom einen "neuen Bischof" gewählt. Im päpstlichen Jahrbuch hat er Bezeichnungen wie "Stellvertreter Christi" oder "Diener der Diener Gottes" historisch relativiert. Durch die Selbstbezeichnung "Bischof von Rom" hat er die lokale Verankerung des Petrusdienstes unterstrichen. Den Titel "Patriarch des Westens", den Benedikt XVI. 2009 überraschend abgelegt hatte, hat er wieder eingeführt, um zu betonen, dass der Bischof von Rom in der Ordnung der fünf altkirchlichen Patriarchate besonders für die lateinische Westkirche zuständig ist. Bei den bisherigen Synoden über Ehe und Familie (2014/15), die Jugend (2018), Amazonien (2019), aber auch jetzt beim Synodalen Prozess 2020 bis 2024 hat Franziskus Wert auf die Konsultation aller und die kollegiale Beratung mit den Bischöfen gelegt, um dann als Papst final zu entscheiden. Konflikte sollen durch synodale Prozesse einvernehmlich gelöst werden, die Abfolge – alle, einige, einer – zeigt allerdings, wer am Ende das letzte Wort hat.

Im Hintergrund steht die in ökumenischen Gesprächen beliebte Strategie, jahrhundertealte Lehrdifferenzen auf historisch bedingte Sprachregelungen und Missverständnisse zurückzuführen, um diese dann durch hermeneutisch ausgeklügelte Operationen zu versöhnen.

Das neue Dokument, das vom Dikasterium für die Einheit der Christen unter Federführung von Kardinal Kurt Koch verantwortet wird, will den Stolperstein aus dem Weg räumen. Es wirbt erstens für eine neue Lesart des Ersten Vatikanums. Neben einer historischen Kontextualisierung des Konzils sollen die steilen Papst-Dogmen im Licht des Zweiten Vatikanums neu interpretiert werden. Zentrale Begriffe wie Unfehlbarkeit, Autorität oder Primat, die für Missverständnisse, ja Zerwürfnisse gesorgt haben, sollen neu geklärt werden. Im Hintergrund steht die in ökumenischen Gesprächen beliebte Strategie, jahrhundertealte Lehrdifferenzen auf historisch bedingte Sprachregelungen und Missverständnisse zurückzuführen, um diese dann durch hermeneutisch ausgeklügelte Operationen zu versöhnen. Dieses Vorgehen, das 1999 zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre geführt hat, kann durchaus erfolgreich sein und sollte nicht vorschnell als "Schummel-Ökumene" diskreditiert werden.

Bedeutsam ist zweitens, dass das Dokument eine abgestufte Bedeutung des päpstlichen Primates vorschlägt. Der Papst kann nicht für alle Christen die gleiche Bedeutung haben. Anders als Pius IX., der im Vorfeld des Ersten Vatikanums noch die nichtkatholischen Kirchenoberhäupter einlud, in den Schoß der wahren Kirche zurückzukehren, wird jetzt das Selbstverständnis der nichtkatholischen Kirchen ernst genommen. Sie verstehen den Primat anders als die katholische Kirche – das zu registrieren und als Anstoß für innerkatholische Reformen ernst zu nehmen, zeigt ökumenische Lernfähigkeit. Für die orthodoxen Kirchen ist ein Ehrenvorsitz des Bischofs von Rom im Sinne der altkirchlichen Konzilien akzeptabel. Das entspricht einem Wort Joseph Ratzingers, Rom könne von den Kirchen des Ostens nicht mehr an Primatslehre verlangen, als im ersten Jahrtausend üblich war. In der Gemeinschaft der autonomen Kirchen des Ostens würde der Papst den "Vorsitz in der Liebe" innehaben – ohne Jurisdiktionsprimat.

Für die Kirchen der Reformation, die ein anderes Amts- und Kirchenverständnis haben, ist die Rolle des Papstes schwerer zu beschreiben. Niemand wird ihn mehr als "Antichristen" etikettieren, aber der "Primat des Evangeliums" dürfte nicht angetastet werden. Ein sichtbares Amt der Einheit wäre zumindest für die lutherische Seite vorstellbar. Das setzte neben einer freiwilligen Selbstbeschränkung des Papstes aber voraus, dass der Radius synodaler Beratungen ökumenisch erweitert wird. Denn die Reformationskirchen werden eine universale Sprecherrolle des Papstes nur dann bejahen, wenn sie vorher gehört werden.

Primat und Synodalität verschränken

Drittens soll die Autorität der Bischofskonferenzen gestärkt werden. Dabei wird das Prinzip der Subsidiarität eingespielt. Was lokal entschieden werden kann, das soll – im Sinne der "heilsamen Dezentralisierung" – auch dort entschieden werden. Erst wenn Konflikte nicht lösbar sind, soll die regionale oder universale Ebene eingeschaltet werden. Dieser Vorschlag, der erst dann an Grenzen stößt, wenn in der einen Ortskirche praktiziert wird, was in der anderen verboten ist, wird verbunden mit der Idee, für die kulturellen Großräume der Kirche intermediäre Instanzen zu stärken. Schon der junge Konzilstheologe Ratzinger hat gegen Papalisten, die in der bischöflichen Kollegialität einen Angriff auf die päpstlichen Lehr- und Leitungsvollmachten witterten, daran erinnert, dass es in der Alten Kirche patriarchale Räume gab, die eigenständig geleitet wurden und untereinander in Gemeinschaft standen.

Das Anliegen von Papst Franziskus, Primat und Synodalität wechselseitig zu verschränken, hat altkirchliche Wurzeln und ist ökumenisch zukunftsträchtig. Das Studien-Dokument, das von orthodoxer und anglikanischer Seite bereits euphorisch gelobt, von der Evangelischen Kirche in Deutschland mit vorsichtiger Zustimmung bedacht wurde, sollte im kommenden Jahr, in dem das 1700 Jahr-Jubiläum des ersten ökumenischen Konzils von Nizäa gefeiert wird, zu einem verbindlichen Lehrdokument ausgebaut werden. Das wäre ein veritabler ökumenischer Fortschritt.

Die Rede von der Synodalität dürfte nicht nur rhetorisches Ornament bleiben, sie müsste die Ausübung des Primates verbindlich bestimmen – das wäre am Ende auch eine Lektion für den Papst!

Das Dokument müsste allerdings durch den Papst selbst rezipiert und im Blick auf die nichtkatholischen Kirchen pragmatisch bewährt werden. Das hätte für die Amtsführung Folgen: Päpstliche Ad-hoc-Entscheidungen – wie zuletzt das Nein zum Diakonat der Frau – oder Dokumente römischer Dikasterien, die ohne synodale Abstimmung universalkirchliche Vorgaben machen – wie das Schreiben "Fiducia supplicans" zur Segnung homosexueller Paare – wären dann nicht mehr möglich. Die Rede von der Synodalität dürfte nicht nur rhetorisches Ornament bleiben, sie müsste die Ausübung des Primates verbindlich bestimmen – das wäre am Ende auch eine Lektion für den Papst!

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