"Die Auswahl des Erbmaterials war wohl getroffen worden. Alles war perfekt. Als sie im Palast des Prinzen ankamen, beschlossen die Kräfte, dass nun die Zeit für Marias Niederkunft wäre und sie holten ihren Sohn, den Erstgeborenen, hervor. Die Rüstung lag bereit und man steckte den Neugeborenen in seinen glänzenden Kampfanzug, damit er unverwundbar sei. So hoben sie ihn vor das Volk und riefen auf zur Unterwerfung unter den neuen Herrscher. Da das Kind kein Wort sprach, konnte der Prinz seine Herrschaft fortsetzen und im Namen des unverwundbaren Sohnes auf alle Welt ausdehnen, die Völker unterwerfen. Der Unverwundbare war in seinem Haus zur Welt geholt worden. Er war sein wahrer Beschützer. Seine Ordnung wird der Prinz von jedem einfordern. Unterwerft euch dem Kind in der Rüstung! Unterwerft euch dem, der die Ordnung des unverwundbaren Sohnes bringt!". "Lesung aus dem Buch der Drachentöter." – "Ehre sei dir, Prinz, Verteidiger des unverwundbaren Sohnes."
Die eiskalte Nacht
Eisig, sternenklar war die Nacht im Bergdorf Bethlehem vor 2024 Jahren, als ein Kind in einem der vielen kleinen Ställe die Welt erblickt. Die Zeit der Niederkunft war gekommen, ungeplant. Maria, die Mutter, davon so überrascht, wie sie es vom Engel war, dem Evangelium, dass sie ein Kind erwarten werde. Sie wickelte es in Windeln, legte es nieder in die Krippe. Um den Immanuel Jesus versammelten sich die Menschen aus Nah und Fern, weil sie spürten: Hier beginnt etwas Neues, hier ist das Fenster zum Himmel aufgegangen. Heilige Nacht. "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden!"
Inkarnation, Menschwerdung, die Geburt Gottes im Kind zu Bethlehem – Hülsen, die in einer algorithmisierten Welt, die den Menschen nichts lieber als loswerden möchte, um endlich absolut perfekt, unbesiegbar, unsterblich zu werden, ihren Sinn verloren haben.
Eisig ist es heute wieder geworden. Eine dunkle Finsternis, die das Leben an sich bedroht, zieht sich durch reale und virtuelle Welten. Politisch, ökonomisch, ökologisch, menschlich. Leer, bedeutungskalt, schwer ist die Vorstellung einer "Heiligen Nacht" geworden, wo schon weit über den Horizont eine dunkle Nacht der radikalen Entmenschlichung gezogen ist. Inkarnation, Menschwerdung, die Geburt Gottes im Kind zu Bethlehem – Hülsen, die in einer algorithmisierten Welt, die den Menschen nichts lieber als loswerden möchte, um endlich absolut perfekt, unbesiegbar, unsterblich zu werden, ihren Sinn verloren haben. Die Propaganda der Drachentöter hallt durch die Foren von X, TikTok, Insta & Co. Krieg im Live-Stream, Folter direkt aufs Handy übertragen, der reale Völkermord als Computerspiel inszeniert. Sich christlich nennende Agitatoren feiern den "christlichen Prinzen", der die rechte "göttliche" Ordnung auf Erden herstellen wird und sich selbst an keine Ordnung hält. Christus taceat in publicam – Christus schweige in der Öffentlichkeit. Er sei brav, handzahm, ruhig in seinem Anzug, denn der Prinz weiß, was Christus will. Unterwerft euch! Ehre sei – ja, wem eigentlich? Und Friede?
Und das Wort ist Fleisch geworden
"Und das Wort ist Fleisch geworden…", kein Wort der Schrift ist der Gegenwart wohl unerträglicher. Fleisch werden, wenn es doch darum geht, jedes Fenster der Verwundbarkeit zu schließen. Das Fleisch des Feindes wird vernichtet, um die eigene vermeintliche Unsterblichkeit zu inszenieren. Wer als "Feind" ausgemacht wird, wird medial und real vernichtet, lebendig begraben, ausgeblutet. Dorothee Sölle weiß: "Drachenblut ist das sakramentale Erkennungszeichen der Mächtigen, in ihm haben sie gebadet, die Unverwundbaren mit ihrem Siegerlächeln." Das eigene Fleisch soll im Fleischesblut des Feindes baden, damit die eigene Macht unermesslich werde.
Das Dys-Angelium der Drachentöter pervertiert die Geburt zu Bethlehem zum Ereignis des stählernen Helden. Das Fleisch gewordene Wort Gottes, der nackte, verwundbare Neugeborene wird nicht länger in Windeln gewickelt. Er wird öffentlichkeitswirksam ersetzt durch eine trügerisch-schweigsame Marionette, prunkvoll zugerüstet und von den Herrschern und ihren Handlangern vorgeführt. Gott ist tot – es lebe "unser Gott", dessen "wahre" Werte und dessen "göttliche" Ordnung wir durchsetzen.
In der eisigen Nacht zu Bethlehem öffnet sich ein Fenster in den Himmel. Der Heiland reißt die Himmel auf, der so fern erscheinende Gott eröffnet sich als unverfügbarer und doch unvergleichlich naher Gott. Das Geheimnis der Heiligen Nacht. Ist es uns noch erfahrbar?
Anno 2024 ist Herodes mit Pilatus verschmolzen. "Was ist Wahrheit?", so die hämische Frage des römischen Statthalters an das erwachsen gewordene Neugeborene, geschunden und geknechtet, entblößt vom Imperator. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Und wer immer lügt? Der herodianisch-pilatinische Prinz lügt nicht einmal mehr. Er flutet die Welt mit Bullshit, weil alles egal ist, solange die Umfragen, Likes, Zahlen und Eroberungen stimmen. Wahr ist, was dem Imperium dient. "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", wird hingegen der erwachsene Neugeborene verkünden.
Das verwilderte Volk
In der eisigen Nacht zu Bethlehem öffnet sich ein Fenster in den Himmel. Der Heiland reißt die Himmel auf, der so fern erscheinende Gott eröffnet sich als unverfügbarer und doch unvergleichlich naher Gott. Das Geheimnis der Heiligen Nacht. Ist es uns noch erfahrbar?
Der Durchbruch zur Transzendenz ist heute überschattet vom Bruch mit der Transzendenz. Dieser äußerst sich auf zwei Weisen – die radikale Immanenz und der verfügbare Gott. In der radikalen Diesseitigkeit ist von der Heiligen Nacht ist nichts mehr übrig als die fahle Erinnerung an Lametta, Festessen und Gesang – es war einmal. Geburt des Gotteskindes? Fehlanzeige. Christkind vielleicht, eher Weihnachtsmann. Jesus? Cooler Typ, wie Gandhi oder so. Ein anderer Teil macht sich Gott verfügbar, ersetzt das Kind durch eine Marionette der Macht. Im Mantel des "wahren Glaubens" und der "göttlichen Ordnung" wird vertrieben und vernichtet, wer nicht in die Ordnung passt. Die Drachentöter machen auch vor Gott nicht Halt. "Alle Fenster wollen sie vermauern, kein Licht darf einfallen, nichts soll sie je berühren. Transzendenz macht deswegen gefährlich, weil sie verwundbar macht". Das Fenster zur Transzendenz muss verschlossen werden, weil in der Begegnung mit Gott die Macht und Gewalt der Welt radikal in Frage gestellt wird.
Geraten wir gerade mitten in die doppelte Hölle der Verwilderung? Wo Gott vergessen, verdrängt und ein neuer "Gott" geschaffen wird, damit der Mensch mit diesem Neo-Gott vernichten kann in seiner Hybris absoluter Macht?
Das gepanzerte Kind muss schweigen, damit der Prinz sein Macht-Werk auf Erden vollenden kann. Wehe Gott spräche ein kritisches Wort, ermahne zu Geschwisterlichkeit oder lebe die Liebe gar selbst in seinem Sohn vor. Wo das Fenster zum Himmel geschlossen wird, Gott zum Schweigen gebracht wird, dort wird das Leben, der Mensch, die Wahrheit radikal verfügbar. Dort wird es für Gott und Mensch gefährlich. "Ein Volk ohne prophetisches Wort verwildert" (Sprichwörter 29,18). Geraten wir gerade mitten in die doppelte Hölle der Verwilderung? Wo Gott vergessen, verdrängt und ein neuer "Gott" geschaffen wird, damit der Mensch mit diesem Neo-Gott vernichten kann in seiner Hybris absoluter Macht?
Das verwilderte Volk nimmt Jesus gefangen. Gefangen in der Krippe, in der er andächtig schweigen muss. Gefangen in Machtfantasien, in denen er den christlichen Prinzen zum Weltenherrscher salbt. Gefangen in den prunkvollen Monstranzen, in denen er herumgereicht wird. Gefangen in den Ideologien, die wir in Religion und Politik erschaffen, um unsere Vision der "rechten Ordnung" allgültig umzusetzen. Ja, mitunter badet einer von uns im Blut des Lammes, damit er unverwundbar werde für den Kampf gegen den Drachen – den Mitmenschen, dem jede Menschlichkeit abgesprochen wird. Parasiten, Kakerlaken und Schmarotzer – die Liste der Entwürdigten, einstmals Menschen genannt, wird immer länger, je lauter die Drachentöter werden.
Hautnah ans Herz
Inmitten der finsteren Nacht macht sich Gott zu nichts – "se anonada", so Oscar Romero in der Weihnachtspredigt 1979. Inmitten des Nichts ereignet sich im nackten Neugeborenen etwas, das die Welt radikal verändern wird. Ex nihilo geht das Fenster zur neuen Schöpfung auf – im Kind, das nicht "gemacht", nicht "perfekt" ist. Es ist, wie es ist – nackt. Eine Nacktheit, die symbolisch auf die tiefe Verwundbarkeit des Lebens verweist und den Menschen herausfordert. Vernichten oder umsorgen? Zur Schau stellen oder beschützen? Verraten oder vertrauen? "Seine Haut ist sein Ornat", schreibt der Dogmatiker Gottfried Bachl über das Neugeborene. Die nackte Haut verweist auf die Sakralität der Person, die unveräußerliche Würde des Menschen. Aber sie verweist auch auf die abscheulichsten Versuchungen des Menschen – zu vernichten, um sich vermeintlich selbst zu retten.
"Sie wickelte ihn in Windeln" (Lk 2,7) – am Anfang wie am Ende wird der nackte Leib Jesu in Leinen gewickelt in den Armen seiner Mutter ruhen, berührt, geliebt werden. Die exemplarische Antwort Marias auf das verwundbare Leben? Sorge, Beziehung, Liebe, zärtliche Berührung wagen. Den nackten Leib vor den voyeuristischen Blicken schützen, das Kind in den Arm nehmen an der Krippe, unter dem Kreuz. Jesus, der in die Welt Geworfene, Jesus, der Verlassene, ist auch Jesus, der Geborgene. Nirgendwo sonst wird die tiefe Verwundbarkeit des Lebens, aber auch die Kraft der Liebe so tief spürbar.
Du eiskalte Nacht wirst zur Heiligen Nacht, wo Menschen den Neugeborenen an ihr Herz nehmen und spüren: Hier bricht etwas Neues an – das Leben in Fülle für alle.
Die unausweichliche Frage
Kein Schutzanzug, keine Prachtrüstung, keine Orden – im Ornat seiner Haut liegt das nackte Kind auch heute vor uns und stellt die unausweichliche Frage: Nimmst du mich an dein Herz, so wie ich bin? Verzichtest du wie ich auf allen Prunk, die Macht, die Spiele? Wie entscheidest du dich im Angesicht des verwundbaren Lebens? Vernichtung oder Sorge? Feindschaft oder Freundschaft? Kannst du darauf vertrauen, dass ein Neubeginn möglich ist, auch in der tiefsten Verlassenheit? Dass einer ist, der in der dunklen Nacht deiner Seele durchbricht und das Fenster zum Himmel neu aufgeht?
An den Herzen von Maria und Josef ruht kein Drachentöter, kein zum Schweigen gebrachter Marionettenmessias, sondern das "Tor, durch das die Gefühle der Erde in das Herz Gottes gehen" (Gottfried Bachl), die "Wunde Gottes in der Welt" (Dorothee Sölle). Wo Gott Mensch wird, werden die Drachen nicht getötet, sondern gezähmt. Keine Vernichtung, sondern Verwandlung in Beziehung. Wo der Himmel aufreißt und die Kraft Gottes durchbricht, wird etwas in Gang gesetzt, das jenseits der Kontrolle der irdischen Prinzen liegt – es ist die Hoffnung auf Vollendung, das Eintreten in das Herz Gottes, in dem die Verlassenen dieser Erde, die Verlorenen und Verletzten und von den Prinzen Geschundenen das Leben in Fülle erfahren dürfen. Ein Leben, in dem im Letzten auch die Drachentöter erkennen, dass sich hinter ihrer Gewalt der Schrei nach Erlösung verbirgt.
Du eiskalte Nacht wirst zur Heiligen Nacht, wo Menschen den Neugeborenen an ihr Herz nehmen und spüren: Hier bricht etwas Neues an – das Leben in Fülle für alle.