Viele Menschen verbinden mit Franziskus vor allem sein pastorales, soziales und politisches Handeln. Doch er setzte auch zahlreiche gesetzgeberische Akzente. Hätte er dafür häufiger die Expertise der Kurie genutzt, wäre so manche Irritation vermeidbar gewesen. Und ein zentrales Anliegen des Papstes blieb kirchenrechtlich uneingelöst.

Die sogenannten "Juristenpäpste" werden in der Epoche der klassischen Kanonistik im 12. und 13. Jahrhundert verortet und sind mit der Professionalisierung des kanonischen Rechts verbunden. Das kanonische Recht wird damals mehr und mehr zum Juristenrecht, weil die Rechtsfortbildung nicht mehr primär von kirchlichen Amtsträgern, sondern von Rechtsgelehrten, also von Fachleuten betrieben wird.

In einem weiteren Sinn werden auch einige Päpste der Neuzeit zu den "Juristenpäpsten" gezählt wie etwa der juristisch ausgebildete Papst Benedikt XIV. (1740-1758), der selbst bedeutende kanonistische Werke verfasst und kirchenrechtliche Reformen durchgeführt hat, Papst Pius XII. (1939-1958), der den akademischen Grad eines Dr. utriusque iuris besaß und eine Reihe von Konkordaten mit verschiedenen Staaten abgeschlossen hat, oder Papst Paul VI. (1963-1978), der promovierter Kanonist war, Werke zur Rechtstheologie verfasst hat und nach dem II. Vatikanischen Konzil die Revision des Codex Iuris Canonici durchführen ließ, der schließlich unter Papst Johannes Paul II. im Jahr 1983 in Kraft getreten ist.

Ob Papst Franziskus einmal zu den sogenannten "Juristenpäpsten" im weiteren Sinn gezählt werden wird, werden erst der Fortgang der Geschichte und die rückblickende kanonistisch-fachliche Beurteilung seines Pontifikats zeigen. Tatsächlich fehlt Franziskus eine juristische und kirchenrechtliche Fachausbildung, zudem hat er bei all seinen publizistischen Aktivitäten weder bedeutende kirchenrechtliche Werke verfasst noch hat er solche nachweislich initiiert oder mit einem empfehlenden Vorwort versehen. Allerdings ist nicht zu leugnen, dass Franziskus seit seiner Wahl zum Papst am 13. März 2013 sehr oft als Gesetzgeber in Erscheinung getreten ist und so ganz wesentlich zum Aggiornamento sowie zur Fortentwicklung der kirchlichen Rechtsordnung beigetragen hat.

Gewöhnlich verbinden die Menschen mit Franziskus vor allem ein pastorales oder seelsorgerisches Profil und weisen insbesondere auf sein entschiedenes Engagement für die Armen und Benachteiligten hin.

Pfarrer und Gesetzgeber

Von den meisten Menschen wird Papst Franziskus aber nicht mit dem Kirchenrecht in Verbindung gebracht. Vielmehr sehen manche, die sich laut zu tatsächlichen oder angeblichen Reforminitiativen von Papst Franziskus bekennen, das Kirchenrecht als den großen Bremsklotz oder sogar als den entscheidenden Hemmschuh seines Reformprogramms an, so dass in ihren Augen Franziskus und das Kirchenrecht als Antipoden erscheinen. Gewöhnlich verbinden die Menschen mit Franziskus vor allem ein pastorales oder seelsorgerisches Profil und weisen insbesondere auf sein entschiedenes Engagement für die Armen und Benachteiligten hin. Nach den eigenen Worten von Papst Franziskus müsse sich die Kirche der "Peripherie" zuwenden: Nur wenn sich die Kirche nämlich an jene wende, die am Rand der Gesellschaft stehen, erfülle sie den Auftrag Jesu. In einem Interview sagte Franziskus einmal über sich selbst, er fühle sich auch in seiner Aufgabe als Papst als ein Pfarrer, dessen Pfarrei die ganze Welt sei. Er wolle die Geisteshaltung eines Pfarrers behalten, der inmitten der Menschen lebe und dort Gott finde.

Nun kann ein Papst aber nicht nur Seelsorger sein; er ist auch nicht Pfarrer und die Welt ist nicht seine Pfarrei. Kraft seines Amtes als Papst besitzt er nämlich gemäß c. 331 CIC die Leitungsvollmacht über die Gesamtkirche und somit nach c. 135 § 1 CIC gesetzgebende, ausführende und richterliche Vollmacht. So wie es gemäß c. 391 § 1 CIC Sache eines jedes Diözesanbischofs in Hinblick auf die ihm anvertraute Teilkirche ist, so leitet der Papst die ihm anvertraute Gesamtkirche mit gesetzgebender, ausführender und richterlicher Vollmacht oder Gewalt. Ob ein Papst das nun will oder nicht, ob ihm das persönlich mehr oder weniger liegt: Kraft seines Amtes ist der Papst auch oberster Gesetzgeber in der Kirche. Biblisch gesprochen korrespondiert diese Funktion mit seiner Aufgabe, die (Schwestern und) Brüder zu stärken (vgl. Lk 22,32).

Wer die vielen Akte der päpstlichen Gesetzgebung auch nur überblicksmäßig in den Blick nimmt, muss zugestehen, dass Papst Franziskus der Aufgabe, universalkirchlicher Gesetzgeber zu sein, während seines Pontifikats durchaus nachgekommen ist.

Versuch einer Sortierung

Wer die vielen Akte der päpstlichen Gesetzgebung auch nur überblicksmäßig in den Blick nimmt, muss zugestehen, dass Papst Franziskus der Aufgabe, universalkirchlicher Gesetzgeber zu sein, während seines Pontifikats durchaus nachgekommen ist. Die Zahl der Gesetzgebungsakte, die in der Regel in Form eines "Motu proprio" (MP), in besonderen Fällen auch in Form einer Apostolischen Konstitution (CA) erfolgt sind, ist nicht leicht zu überschauen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit soll eine Gruppierung dieser Gesetzgebungsakte dazu beitragen, die Übersichtlichkeit zu erhöhen:

Akte, den Vatikanstaat betreffend

Obwohl Papst Franziskus um der von ihm gewünschten Evangelisierung willen wiederholt eine um sich selbst kreisende Kirche als "theologischen Narzissmus" kritisiert und abgelehnt hat, fällt auf, dass er sich in seiner Funktion als Gesetzgeber – insbesondere in der ersten Zeit seines Pontifikats – doch sehr stark mit dem internen "Betrieb" der Römischen Kurie und des Staates der Vatikanstadt befasst hat. Hierbei kommt auch zum Tragen, dass der Papst nicht nur oberster Hirte der Gesamtkirche, sondern auch Souverän des Staates der Vatikanstadt ist, dem für das Gebiet des Vatikanstaates die Legislative, die Exekutive und die Judikative zukommen. Gemäß ihrer geltenden Grundordnung ist die "Römische Kurie … in erster Linie ein Instrument des Dienstes für den Nachfolger Petri" (Praedicate Evangelium II., 1.); daher hat der jeweilige Papst auch die Aufgabe, durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen für eine möglichst gute Funktion der Römischen Kurie und ihrer einzelnen Organe zu sorgen.

In Hinblick auf den Staat der Vatikanstadt fällt der Erlass eines neuen Grundgesetzes durch Papst Franziskus als dem Souverän dieses Staates am deutlichsten ins Auge (MP vom 13. Mai 2023). Bereits vorher hatte er dort die strafrechtliche Gerichtsbarkeit neu geordnet (MP vom 11. Juli 2013), ein neues Gesetz über die Regierung des Staates der Vatikanstadt erlassen (MP vom 25. November 2018), ein Gesetz zum Schutz von Minderjährigen und vulnerablen Personen im Staat der Vatikanstadt erlassen (MP vom 26. März 2019), ein Gesetz über die Justizordnung des Vatikanstaates promulgiert (MP vom 16. März 2020), einige strafrechtliche Bestimmungen geändert (MP vom 8. Februar 2021) und die Kompetenzen der Justizorgane des Staates der Vatikanstadt modifiziert (MP vom 30. April 2021). Mit MP vom 24. Februar 2014 wurde eine Koordinierungsstelle für die wirtschaftlichen und administrativen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls und des Staates der Vatikanstadt errichtet.

Die ordnungsgemäße Finanzverwaltung und Wirtschaftsführung der Kurie war Papst Franziskus immer wieder ein besonderes Anliegen. Auch hat er von Beginn an die rechtliche Neuordnung der Römischen Kurie vorangetrieben. 

Akte, die Kurie betreffend

Die ordnungsgemäße Finanzverwaltung und Wirtschaftsführung der Kurie war Papst Franziskus immer wieder ein besonderes Anliegen. So hat er in Konformität zu den internationalen Bemühungen, die Integrität, Stabilität und Transparenz des Wirtschafts- und Finanzsektors zu schützen und kriminelle Aktivitäten zu verhindern und zu bekämpfen, ein entsprechendes Gesetz für die Dikasterien der Römischen Kurie und für die anderen vom Heiligen Stuhl abhängigen Organe und Einrichtungen promulgiert (MP vom 8. August 2013), Statuten für die neuen Wirtschaftsorgane erlassen (MP vom 22. Februar 2015), einige Kompetenzen im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen neu geordnet (MP vom 4. Juli 2016 und vom 26. Dezember 2020), das Amt des Generalrevisors mit einem Statut und einer entsprechenden Struktur versehen (MP vom 21. Januar 2019) sowie neue Transparenzregeln für die Finanzverwaltung der Kurie erlassen (MP vom 26. April 2021).

Seit dem Beginn seines Pontifikats hat Papst Franziskus die rechtliche Neuordnung der Römischen Kurie vorangetrieben; eine Aufgabe, die maßgeblich von dem von ihm zu diesem Zweck eingerichteten "Kardinalsrat" (G7) begleitet und intensiv beraten wurde. Mit der CA "Praedicate Evangelium" vom 19. März 2022 hat Franziskus die ganze Kurie unter den Primat der Evangelisierung gestellt, die bislang geltende Gesetzgebung über die Römische Kurie aufgehoben, diejenigen Organe, die in der neuen Gesetzgebung nicht mehr vorgesehen oder neu geordnet sind, aufgelöst und damit der Römischen Kurie eine neue gesetzliche Ordnung gegeben. Unter anderem wurde mit der Neuordnung auch der Weg dafür geöffnet, um künftig Laien – auch Frauen – mit der Leitung einzelner Dikasterien betrauen zu können.

Sozusagen ad experimentum hatte Papst Franziskus die gesetzliche Neuordnung der Kurie in einzelnen Schritten vorbereitet: So hat er in der Kurie ein neues Sekretariat für die Kommunikation errichtet, in dem bislang selbständige Einrichtungen wie der Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel, der Pressesaal des Heiligen Stuhls, der Vatikanische Internetservice, Radio Vatikan, das Vatikanische Fernsehzentrum, die Vatikanische Druckerei, der Fotodienst sowie die Vatikanische Verlagsbuchhandlung zusammengeschlossen wurden (MP vom 27. Juni 2015); zum 1. Oktober 2016 traten dafür ein Statut und eine entsprechende Struktur in Kraft (MP vom 6. September 2016). Im neuen Dikasterium für die Laien, die Familie und das Leben wurden mit Wirkung vom 1. September 2016 die Päpstlichen Räte für die Laien und für die Familie zusammengeführt; das neue Dikasterium hat auch eine entsprechende Struktur und ein Statut erhalten (MP vom 4. Juni 2016). Das Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen hat ein Statut und eine eigene Struktur erhalten (MP vom 17. August 2016). Franziskus hat die innere Struktur der Kongregation für die Glaubenslehre neu geordnet (MP vom 11. Februar 2022) und das eigene Gesetz des Obersten Gerichtshofs der Apostolischen Signatur abgeändert (MP vom 28. Februar 2024).

Akte, das kirchliche Strafrecht betreffend

Durchgängig war Franziskus darum bemüht, das kirchliche Strafrecht zu reformieren, das lange Zeit in dem Ruf stand, dass es in der Praxis nicht anwendbar sei. Ein langjähriges synodales Verfahren, das vom Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte verantwortet wurde, mündete schließlich in die CA "Pascite gregem Dei" vom 23. Mai 2021, mit der Papst Franziskus das Buch VI des CIC über das kirchliche Strafrecht grundlegend erneuert hat.

Mit dem MP "Come una madre amorevole" vom 4. Juni 2016 hat Franziskus festgelegt, dass die Untätigkeit von Bischöfen bei Fällen von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen und vulnerablen Personen einen schwerwiegenden Grund unter anderen darstellt, aufgrund dessen Bischöfe ihres Kirchenamtes enthoben werden können. Mit dem MP "Vos estis lux mundi" vom 7. Mai 2019 hat Franziskus den Umgang der Bischöfe mit Meldungen über den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und vulnerablen Personen gesetzlich neu geregelt; am 25. März 2023 hat er dieses MP aktualisiert. Franziskus hat für den Bereich des Ostkirchenrechts die strafrechtlichen Canones des Titels XXVII sowie c. 1152 CCEO abgeändert (MP vom 20. März 2023).

Mit dem MP "Mitis Judex Dominus Jesus" vom 15. August 2015 hat Franziskus eine Reform des kanonischen Verfahrens für Ehenichtigkeitserklärungen nach dem lateinischen Kirchenrecht erlassen; am selben Tag hat er mit dem MP "Mitis et misericors Jesus" eine entsprechende Reform nach dem katholischen Ostkirchenrecht erlassen. Der Papst hat das Verfahren dahingehend vereinfacht, dass für die Feststellung der Nichtigkeit einer Ehe künftig nicht mehr in jedem Fall eine doppelte, übereinstimmende Entscheidung zweier Richter erforderlich ist. Franziskus hebt die Bedeutung des Ortsbischofs als oberster Richter seiner Diözese hervor und ermahnt die Ortsbischöfe, ihre richterliche Funktion auf dem Gebiet der Ehen persönlich auszuüben.

Akte, das Ordensrecht betreffend

Mehrere von Franziskus gesetzte Gesetzgebungsakte betreffen den Bereich des Ordensrechts, so etwa die CA "Vultum Dei quaerere" über das kontemplative Leben in Frauenorden vom 29. Juni 2016, mit der er die im Einzelnen nicht exakt benannten Canones des CIC, die teilweise irgendeinem Artikel der vorliegenden Konstitution direkt entgegengesetzt sind, aufgehoben hat; er hat die cc. 694 und 729 CIC abgeändert und die Entlassung von Mitgliedern aus Ordensinstituten neu geregelt (MP vom 19. März 2019), ebenso wie die Entlassung von Ordensmitgliedern bei Vorliegen einer Straftat gemäß c. 695 § 1 CIC (MP vom 26. April 2022); die in c. 700 CIC/1983 und in c. 501 § 2 CCEO gesetzten Fristen für den Rekurs eines entlassenen Ordensmitglieds wurden durch Franziskus zugunsten des Rechtsschutzes der Ordensleute verlängert (MP vom 2. April 2023). Die Zuständigkeit der Diözesanbischöfe für die Errichtung von Instituten des geweihten Lebens gemäß c. 579 CIC wurde durch Papst Franziskus ebenfalls neu geordnet (MP vom 1. November 2020); ebenso hat Franziskus die cc. 435 § 1 und 506 § 1 CCEO über die Errichtung von Klöstern und Kongregationen durch Eparchialbischöfe geändert (MP vom 21. November 2020).

Weitere gesetzgeberische Akte

Auch einige liturgische Fragen wurden durch Papst Franziskus gesetzlich neu geregelt. Entsprechend seiner wiederholt geäußerten Abneigung gegenüber der sogenannten "alten Liturgie" hat Franziskus mit dem MP "Traditionis custodes" vom 16. Juli 2021 den Gebrauch der Römischen Liturgie in der Gestalt vor der Reform von 1970 neu und einschränkend geordnet. Der c. 838 CIC wurde so geändert, dass die Kompetenzen für die Herausgabe, die Übersetzung und die Approbation der liturgischen Bücher neu geordnet und stärker auf die Ebene der Bischofskonferenzen verlagert wurden (MP vom 3. September 2017).

Franziskus hat die entsprechenden Normen von Johannes Paul II. abgeändert und u.a. bestimmt, dass der Prälat des Opus Dei künftig nicht mehr Bischof sein soll (MP vom 14. Juli 2022), ebenso hat er die cc. 295 und 296 CIC über die Personalprälaturen abgeändert und die Zuständigkeit innerhalb der Kurie neu geordnet (MP vom 8. August 2023).

Zwei Gesetzgebungsakte betreffen das Ämterrecht: So hat Franziskus den c. 230 § 1 CIC abgeändert und damit auch Frauen den Zugang zum dauerhaften Dienst der Lektoren und der Akolythen eröffnet (MP vom 10. Januar 2021), zudem hat er den laikalen Dienst des Katecheten dauerhaft errichtet (MP vom 10. Mai 2021).

Mit der CA "Veritatis Gaudium" vom 12. Dezember 2017 hat Franziskus ein neues kirchliches Hochschulrecht erlassen, das für alle kirchlichen Universitäten und Hochschulen sowie für die Theologischen Fakultäten gilt, und mit der CA "Episcopalis Communio" vom 15. September 2018 hat Papst Franziskus die Gesetzgebung über die Bischofssynode maßgeblich verändert und u.a. einzelnen Laien, auch Frauen, Stimmrecht in der Synode eingeräumt.

Obwohl Franziskus in der geltenden Kuriengesetzgebung betont, dass die Römische Kurie im Dienst des Papstes steht und dass sie in diesem unterstützenden Dienst ihre Existenzberechtigung findet, war doch immer wieder zu beobachten, dass Franziskus es versäumt hat, die Kurie hinter sich zu scharen.

Ungenutztes Potenzial und Fachwissen

Papst Franziskus war in Hinblick auf alle diese gesetzgeberischen Aktivitäten auf entsprechende Zuarbeit und Unterstützung angewiesen. In der Römischen Kurie ist für diese spezifische Aufgabe insbesondere das Dikasterium für die Gesetzestexte zuständig. Obwohl Franziskus in der geltenden Kuriengesetzgebung betont, dass die Römische Kurie im Dienst des Papstes steht und dass sie in diesem unterstützenden Dienst ihre Existenzberechtigung findet, war doch immer wieder zu beobachten, dass Franziskus es versäumt hat, die Kurie hinter sich zu scharen; so sind insbesondere die in der Kurie vorhandenen Ressourcen vom Papst nicht immer in Anspruch genommen wurden.

Insofern verwundert es nicht, dass die konkrete Gesetzgebungspraxis mitunter als defizitär erscheint: Beispielsweise fehlt bei konkreten Vorhaben immer wieder der Abgleich mit anderen Normen, die direkt oder indirekt berührt werden; kirchenrechtliche Ideen und Vorlieben einzelner Personen haben in der päpstlichen Gesetzgebung ein unverhältnismäßig großes Gewicht bekommen; die Promulgationsweise der päpstlichen Gesetze wirkt im Vergleich zu c. 8 § 1 CIC oft beliebig; die häufige Verwendung moderner Sprachen bei der Abfassung von Gesetzen anstatt der für die katholische Kirche verbindlichen lateinischen Rechtssprache führt oft zu unklaren Rechtsbegriffen und Konzepten; der Erlass von neuen Gesetzen, der mitunter ohne die ausdrückliche Abrogation der mit den neuen Normen aufgehobenen Gesetze erfolgt, führt nicht selten zu Rechtsunsicherheit; der unsichere oder "großzügige" Umgang mit bestimmten Rechtsakten seitens des Gesetzgebers löst bei den Gesetzesanwendern oft genug Beliebigkeit und Willkür aus. Durch die regelmäßige Inanspruchnahme der an der Kurie vorhandenen fachlichen Ressourcen hätten manche unnötigen Irritationen vermieden werden können. 

Verfassungsrechtliche Defizite

Ein besonders gravierendes Manko der päpstlichen Gesetzgebung soll abschließend angesprochen werden: Wer die Gesetzgebung von Papst Franziskus im Überblick betrachtet, wird unschwer feststellen, dass das Verfassungsrecht der katholischen Kirche dort nicht vorkommt. Das ist sehr erstaunlich, denn mit der Amazoniensynode von 2019 und mit der Ende Oktober 2024 zu Ende gegangenen Weltbischofssynode hatte Papst Franziskus bei vielen Gläubigen – einschließlich ihrer Bischöfe und Bischofskonferenzen – vor allem verfassungsrechtliche Erwartungen geweckt: "Dezentralisierung" und "Synodalität" waren dabei seine entscheidenden Stichworte, aber letztendlich muss man feststellen, dass alle engagierte Diskussionen und Vorschläge nur im Ungefähren geblieben und rechtlich nicht umgesetzt worden sind.

Beispielsweise hat Franziskus entgegen weit verbreiteter Falschbehauptungen das Schlussdokument der Weltbischofssynode nicht im Rechtssinn approbiert – bei den als unverbindlich gedachten Vorschlägen der Synodalen wäre das auch gar nicht möglich gewesen. Die Erklärung von Franziskus in seinem Grußwort vom 26. Oktober 2024 sowie in der Note vom 25. November 2024, dass das Schlussdokument der Synode Anteil habe am Lehramt des Papstes, ändert nichts am rechtlich unverbindlichen Charakter des Schlussdokuments.

Franziskus hat vermieden, durch eine eigene verfassungsrechtliche Gesetzgebung zu klären, was er unter einer synodalen Kirche versteht und wie sie auf den verschiedenen Verfassungsebenen der Kirche künftig ausgeprägt sein soll.

Indem Franziskus dieses Schlussdokument der ganzen Kirche zur weiteren Unterscheidung anvertraut hat, hat er es zum einen vermieden, durch eine eigene verfassungsrechtliche Gesetzgebung zu klären, was er unter einer synodalen Kirche versteht und wie sie auf den verschiedenen Verfassungsebenen der Kirche künftig ausgeprägt sein soll. Zum anderen hat er – bewusst oder unbewusst – damit den Raum dafür eröffnet, dass sich nun alle möglichen Bischöfe, Bischofskonferenzen und Initiativen ohne jede rechtliche Grundlage dazu berufen, ja sogar beauftragt, ermächtigt oder verpflichtet sehen, in freier Fantasie und losgelöst von allen kirchenrechtlichen Vorgaben sogenannte "synodale" Kirchenmodelle zu entwickeln. Dass Franziskus selbst im Zusammenhang dieser Synode wiederholt und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, die geltende Verfassungsordnung der Kirche beachten zu wollen, wird von manchen angesichts ihrer grundlosen, trotzdem aber enttäuschten Hoffnungen wohl auch bewusst ignoriert.

Kirchenrechtliche Gesetzgebung bedeutet nicht in erster Linie Einschränkung, sondern vor allem auch das Eröffnen von gesicherten Räumen für eine fruchtbare Entwicklung der Kirche.

Gesetzgebung muss dem Aggiornamento dienen

Schon der Überblick über die vielen Gesetzgebungsakte von Papst Franziskus zeigt: Kirchenrechtliche Gesetzgebung bedeutet nicht in erster Linie Einschränkung, sondern vor allem auch das Eröffnen von gesicherten Räumen für eine fruchtbare Entwicklung der Kirche. Weil diese Entwicklung in der Kirche in der Regel aber nicht revolutionär eintritt, sondern hinreichend Zeit für ein organisches Wachstum beansprucht, muss die Gesetzgebung in der Kirche dynamisch sein und dem Aggiornamento dienen.

Dass damit dennoch nicht alle – berechtigten und unberechtigten – Erwartungen erfüllt werden, selbst wenn sie von Franziskus selbst geweckt worden sein sollten, liegt auf der Hand. Als oberster Gesetzgeber in der Kirche ist nämlich der Papst nicht nur seinen eigenen Kirchenträumen sowie den Hoffnungen und Erwartungen der Menschen, sondern in erster Linie dem Glauben und der Verfassung der Kirche verpflichtet.

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