Seit rund 100 Jahren lockt die Mozartstadt Salzburg im Sommer nicht nur Kunst- und Kulturbeflissene zu den Festspielen, sondern ebenso theologisch Interessierte zu den "Salzburger Hochschulwochen". Im Schatten des Mönchsberges hat Karl Rahner 1937 erstmals eine Skizze zu seinem späteren Klassiker "Hörer des Wortes" vorgelegt – im Rahmen einer fünfzehnstündigen (!) Vorlesung; Viktor Frankl stellte dort 1950 seine "Zehn Thesen zur Person" vor – eine der philosophischen Grundlagen der Logotherapie. Geistesgeschichtliche Prominenz wie Ruth Klüger, August Everding, Hans-Georg Gadamer oder auch Joseph Ratzinger trugen teils mehrfach bei den Hochschulwochen vor, die damals tatsächlich noch mehrere Wochen des Sommers einnahmen. Sie trugen dazu bei, die Hochschulwochen zu einem "Forum offener Katholizität und auseinandersetzungsbereiter Gesprächskultur" zu machen, wie es im historischen Abriss auf der Website heißt.
Und heute, möchte man fragen? Gibt es sie noch, die Ratzingers, Rahners, Gadamers? Und wenn, suchen sie im Sommer den Weg in die österreichische Provinz? Die Frage ist tatsächlich nur mit einem beherzten Jein zu beantworten. Denn auf der einen Seite sind die Hochschulwochen, die seit vielen Jahren nurmehr eine gleichsam intensive Woche aus Vorträgen, Workshops und Podien sowie einem umfangreichen kulturellen und spirituellen Rahmenprogramm umfasst, inzwischen eines von vielen sommerlich-universitären Angeboten. Und wenn Studierende wie akademisch Lehrende die nötigen Mittel aufbringen können, wer kann es ihnen nachsehen, Geist und Körper nicht auch in Übersee oder andernorts als im vergleichsweise "kleinen" Salzburg zu stärken?
Suche nach dem locus theologicus
Gleichwohl halten die Hochschulwochen dem Wettbewerb stand, locken mit leicht klingenden, gleichwohl wissenschaftlich verwurzelten Themen wie "Fragiles Vertrauen – Über eine kostbare Ressource" (2024) oder im Vorjahr "Reduktion! Warum wir mehr Weniger brauchen" selbst "post Corona" wieder über 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie Lehrende an. Und auch heute bemüht sich die Leitung der Hochschulwochen, allen voran der Obmann und Salzburger Theologe Martin Dürnberger, darum, Lehrende aus der ersten Liga nach Salzburg zu holen – darunter in diesem Jahr die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger, die Wiener Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, den Kölner Theologen und Religionsphilosophen Hans-Joachim Höhn, den Schweizer Philosophen Martin Hartmann und den evangelischen Theologen Thorsten Dietz. (Zusammenfassende Berichte über die Vorträge finden sich unter www.salzburger-hochschulwochen.at)
Wo Wehmut zu Wehrmut wird. Apologie, verstanden nicht als Verteidigung lehramtlich dokumentierter Gewissheiten, sondern als Gesprächsangebot.
Ob jemand davon es dereinst zum Papst bringen wird, sei dahingestellt – tatsächlich aber zeigt bereits diese Konstellation das Ansinnen Dürnbergers, nicht etwa ein theologisches Lagerfeuer für Gleichgesinnte zu entzünden, sondern einen Ort interdisziplinärer Begegnung zu schaffen. Es wäre inzwischen ja bereits viel gewonnen, wenn andere akademische Disziplinen die Theologie als ernstzunehmende Wissenschaftsform wahrnehmen würden. Und so erlebt man Dürnberger – selbst Träger des österreichischen Staatspreises für Lehre ("Ars docendi") – bei den Hochschulwochen nicht nur als rastlosen Präsentator und charmanten Gastgeber, sondern als theologische One-man-Show, der Wissenschaftskommunikation nicht um seiner oder ihrer selbst willen betreibt, sondern aus der Überzeugung, dass im Akt der Vermittlung theologisches Kapital steckt. Wenn Klimaforscher mit Theologen, wenn Psychiater mit Politologin gemeinsam Podien bestreiten, so kann dies zu einem locus theologicus im besten Sinne werden: zu einem Ort, an dem Weltwerdung geschieht, an dem jener Faden wieder aufgegriffen wird, der die Disziplinen einst durchwob und verband. Kurz: wo Wehmut zu Wehrmut wird. Apologie, verstanden nicht als Verteidigung lehramtlich dokumentierter Gewissheiten, sondern als Gesprächsangebot.
Damit hat Dürnberger den Grundgedanken der Hochschulwochen weiterentwickelt und ins 21. Jahrhundert geholt. Gegründet ursprünglich 1930 als Keimzelle und Idee einer kirchlichen Universität ("universitas catholica in nuce"), wandelten sich die Hochschulwochen – im übrigen grundlegend getragen vom deutschen Benediktiner-Pater Thomas Michels aus Maria Laach – zu einem Raumschiff des freien Geistes, das selbst ihre zeitweise Einstellung zwischen 1939 und 1945 durch die Nationalsozialisten überstand. Wehrmut – historisch grundiert.
Vom Wehr- zum Wehmut
Doch kein Wehrmut, wo sich nicht auch Wermutstropfen beimischen. Einem solchen lässt sich nachschmecken, wenn man die beeindruckende Zahl der 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer genauer ins Auge fasst. Tatsächlich nämlich ist in den vergangenen Jahren hier wie andernorts die Zahl an Studierenden zurückgegangen. Und so überwiegt die Zahl der ehrenvoll ergrauten Häupter im Publikum, auch scheinen sich viele Besucher aus dem Salzburger Bildungsbürgertum seit Jahren zu kennen. Der Hinweis, dass dieses Bild die Situation nicht nur der theologischen Studiengänge, sondern jenem der Geisteswissenschaften insgesamt entspricht, ist da leider nur ein geringer Trost. Vorbei die Zeiten, als Katholische Hochschulgemeinden aus Bonn, Münster oder Erfurt noch mit Bussen im Sommer nach Salzburg pilgerten.
Wenn dann eine smarte Sommerfrische in beschwipster Leichtigkeit endet, mag das für Verfechter rein akademischer Diskursformen ein Niedergang sein – es ist aber auch nicht das Schlechteste, wenn sich weiterhin hunderte Teilnehmer aus dem gesamten deutschen Sprachraum im Sommer auf den Weg nach Salzburg machen, um zu erleben, wie Theologie um und mit Weltwerdung ringt.
Auch lässt sich eine gewisse episkopale Zurückhaltung den Hochschulwochen gegenüber feststellen. Gewiss, der Salzburger Erzbischof und Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Franz Lackner, rahmt die Hochschulwochen mit seiner Eröffnung, einer Einladung zu einem Sommerfest und seiner Präsenz beim abschließenden Festakt. Schließlich fungiert er auch als Präsident der Hochschulwochen; gleichwohl zeigt die "vornehme Zurückhaltung", die Würdenträger trotz der räumlichen Nähe an den Tag legen, gewisse Berührungsängste. Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Hochschulwochen immer wieder auch Formate anbieten, die kontrovers innerkirchliche (Reform)Fragen diskutieren, so wie vor zwei Jahren etwa ein Forum zum Synodalen Weg. Vielleicht aber mag das auch einem schwindenden Interesse kirchlichen Leitungspersonals an offener theologischer Debatte ohne lehramtliche Leitplanken und einem generellen Fremdeln dem akademisch-theologischen Betrieb gegenüber geschuldet sein.
2025: Was uns leben lässt
Zurück zur Hochschulwoche 2024 und zu Igor Levit. Einer Kooperation mit den Festspielen ist zu verdanken, dass immer wieder auch Künstlerinnen und Künstler von Weltrang – im vergangenen Jahr etwa Lars Eidinger – sich dem Gespräch mit Studierenden stellen. Dass dabei religiöse, gar theologische Fragen manchmal zu kurz kommen (Levit reagierte auf die Frage einer Studierenden, wie er es denn mit Relig…. "Nein"…) mag nur beklagen, wer nicht sieht, welchen Wert die Möglichkeit des vertraulichen Austauschs im geschützten universitären Raum an sich darstellt. Mal wird dieser Raum genutzt, um der künstlerischen Inspiration nachzuspüren, manchmal auch nur, um Lieblingsgetränke für sommerliche Abende abzufragen. So wie bei Levit - Roter Wermut auf Eis mit Orangenschale. Wenn dann eine smarte Sommerfrische in beschwipster Leichtigkeit endet, mag das für Verfechter rein akademischer Diskursformen ein Niedergang sein – es ist aber auch nicht das Schlechteste, wenn sich weiterhin hunderte Teilnehmer aus dem gesamten deutschen Sprachraum im Sommer auf den Weg nach Salzburg machen, um zu erleben, wie Theologie um und mit Weltwerdung ringt.
2025 finden die Hochschulwochen im Übrigen vom 4. bis 10. August zum Thema "Was uns leben lässt … und was uns (vielleicht) vergiftet" statt.