Führt die anhaltende Zersetzung gewachsener Gemeinden und der Trend zu immer großräumigeren Pfarrstrukturen tatsächlich zu zeitgemäßen christlichen Lebensformen? Oder sollte man am Ende nicht gar ganze Bistümer zusammenlegen, um Bischöfen neu die Dienstfunktion ihres Amtes zu erschließen?

Dass die Zeit der Volkskirche zu Ende sei, ist immer dann zu hören, wenn es um Kirchenschließungen, um die Auflösung historisch gewachsener Gemeinden und um deren Zusammenlegung zu Großpfarreien geht. Für die Gläubigen bedeutet es eine zweifache Zumutung: Sie sollen sich nicht nur von einem Verständnis von Kirche verabschieden, das ihnen durch eben diese Kirche gepredigt worden ist, sondern müssen es sich mitunter auch gefallen lassen, dass ihnen im Verhältnis zu ihrem lokalen Kirchengebäude durch die Bistumsleitung "Kirchturmdenken" vorgeworfen wird.

Wer nämlich als Katholik seine religiöse Sozialisation in den 1960er-Jahren und später erfahren hat, ist in dem Bewusstsein groß geworden, dass er zuallererst Mitglied seiner Ortsgemeinde und erst dann Glied der Gesamtkirche ist. "In unsere Gemeinde wurde aufgenommen …" – mit dieser Feststellung wurde in der Regel eine gerade erfolgte Taufe in den örtlichen Pfarrnachrichten angezeigt. Deren wörtliche Wahrnehmung musste in einem ahnungslosen Beobachter den Eindruck erwecken, ein Katholik müsse bei einem Wohnortwechsel noch einmal getauft werden. Mit der sprachlichen Konstruktion der "Pfarrfamilie" wurde darüber hinaus ein lokaler Zusammenhalt beschworen, der sich im flächendeckenden Bau örtlicher Pfarrheime äußerte und das jährliche Pfarrfamilienfest für den ahnungslosen Beobachter in den Rang eines weiteren kirchlichen Hochfestes erhob.

Zwischen Identität und Überidentifikation

Natürlich war eine solche Überidentifikation mit der Ortsgemeinde immer schon falsch. Aber sie darf nicht denjenigen Gläubigen zum Vorwurf gemacht werden, denen dieses Bewusstsein im wahrsten Sinne des Wortes gepredigt worden ist. Sie haben oft unter unglaublichem personellem und finanziellem Einsatz sich für den Erhalt ihrer Kirchen sowie für den Bau und die Erhaltung ihrer Pfarrheime eingesetzt. Insofern fühlt sich diese Personengruppe zum großen Teil zutiefst verletzt, wenn ihr dieses Bewusstsein nun zum Vorwurf gemacht wird, und es darf niemanden verwundern, wenn sie sich zu einem großen Teil aus dem kirchlichen Leben zurückzieht. Wer also im genannten Sinne das Ende der Volkskirche ausruft, ist zu einem erheblichen Teil mitverantwortlich für eine Entwicklung der Kirchenferne, die er vermeintlich nur diagnostiziert.

Diejenigen Laien, die mit großem Engagement die ihnen übertragene Verantwortung wahrnehmen, müssen sich fragen, ob sie nicht unfreiwillig die "nützlichen Idioten" eines Systems geworden sind, dessen Klerikalismus sich als sein Gegenteil gebärdet.

Diese Problemlage verschärft sich noch einmal, wenn mit der abnehmenden Anzahl der Priester nun zunehmend Laien – oder besser gesagt: nicht mit Weihevollmacht ausgestattete Mitglieder des Gottesvolkes – Dienste übernehmen, die einst den Priestern vorbehalten waren, und sie immer mehr Wortgottesdienste mit Kommunionfeier leiten. Dabei degeneriert der Priester zunächst einmal zum reisenden Konsekrationslogistiker, der seine Gemeinden nicht mehr kennt und dessen liturgische Funktion tendenziell darauf hinausläuft, dafür Sorge zu tragen, dass sich in den Tabernakeln der ihm anvertrauten Kirchen genug konsekrierte Hostien befinden.

Vor allem liefert hier ausgerechnet die Kirche ein Beispiel für die genuin marxistische Überzeugung, dass nicht unser Bewusstsein unser ökonomisches Sein, sondern das ökonomische Sein unser Bewusstsein bestimmt. Mit dem Dekret Apostolicam actuositatem hat das Zweite Vatikanische nämlich bereits vor 60 Jahren eine Aufwertung der von Laien wahrzunehmenden Funktionen in der Kirche formuliert – und es ist traurig, dass erst die veränderte ökonomische Basis kirchlichen Lebens das gegebene Bewusstsein für die Bedeutung des Laienapostolates geweckt hat. Diejenigen Laien, die nun mit großem und ernstzunehmendem Engagement die ihnen übertragene Verantwortung wahrnehmen, müssen sich darum fragen, ob sie nicht unfreiwillig die "nützlichen Idioten" eines Systems geworden sind, dessen Klerikalismus sich als sein Gegenteil gebärdet.

Demokratisierte Mangel-Verwaltung

Dies gilt umso mehr, als gegenwärtig vor allem die Verwaltung des Mangels demokratisiert wird. "Wer entscheidet, wer was entscheidet?", fragten zu Recht die Bochumer Pastoraltheologen Benedikt Jürgens und Matthias Sellmann in dem gleichnamigen, von ihnen herausgegebenen Sammelband über den Reformbedarf kirchlicher Führungspraxis. Denn die Frage, an welchen pastoralen Entscheidungen Laien mitwirken dürfen, wird nach wie vor von Klerikern getroffen. Es gibt insofern keinen schlimmeren Klerikalismus als den, der sich als sein Gegenteil gebärdet.

Warum aber beschränkt sich nun die Zusammenlegung und Zentralisierung pastoraler Räume auf die einstigen Pfarreien? Wenn nämlich die historisch gewachsenen Gemeinden immer mehr in dem aufgehen, was früher einmal das Dekanat war, dann muss mit dem gleichen Recht gefragt werden, ob nicht auch Bistümer aufgelöst und zu größeren Einheiten zusammengelegt werden sollten. Dann stünden wiederum diejenigen Priester, die gegenwärtig durch Leitungsaufgaben in der jeweiligen – und oft vollkommen überorganisierten – Bistumsverwaltung gebunden sind, und vor allem die entsprechenden Bischöfe für die pastorale Betreuung ihrer Gemeinden zur Verfügung. Nicht zuletzt könnten diese Bischöfe auf diese Weise die Dienstfunktion ihres Amtes neu entdecken.

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