"Hagan lio" – "Macht Lärm". Ein Aufruf, den seit Anfang seines Pontifikats Franziskus gern jungen Menschen zuruft. Doch der Aufruhr wächst zusehends nicht unter jungen Menschen, sondern unter hochrangigen Klerikern und Vertretern von Ortskirchen, die bislang als äußerst folgsam galten. Und auch der Papst scheint zuletzt zusehends ungeduldiger zu werden, umso stärker sich Widerstand aus unerwarteter Richtung bemerkbar macht. Denn seine Reformen sollten "irreversibel" sein, so hatte er es angekündigt.
Am markantesten stach der Aufschrei des kongolesischen Kardinals Fridolin Ambongo Besungu gegen die von Franziskus eingeführten Ad-hoc-Segnungen für "irreguläre Paare" hervor. Der Erzbischof von Kinshasa war nach Rom geeilt und diktierte dort Franziskus Glaubenshüter Kardinal Víctor Manuel Fernández ein Embargo über die Geltung von "Fiducia supplicans" in Afrika. In einer danach bekannt gewordenen Audioaufzeichnung rühmte sich der Kardinal seines selbstbewussten Auftritts gegen die "westliche Dekadenz" und wie er sie aus Afrika verbannte.
Die Kardinäle wollen sich kennenlernen
Zuvor schien die Opposition gegen Neuerungen von Papst Franziskus zwar lautstark, aber doch immer isolierter und damit in ihrer Wirkung, insbesondere im Hinblick auf den künftigen Kurs der katholischen Kirche, eher schwach. Doch wenig später rückten Vaticanisti ein Treffen von Kardinälen und Bischöfen in den Fokus.
Zwar fand das Treffen in Prag bereits im September letzten Jahres statt. Inhaltlich ging es um Fragen der christlichen Anthropologie angesichts des Transhumanismus und des Genderismus. Ein Feld, in dem sich der Papst mehrfach eindeutig geäußert hat. Jedoch ist es kein Geheimnis, dass konservative Kardinäle die Entwicklung in der Öffnung der Päpstlichen Akademie für das Leben oder der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften mit Sorge betrachten. Im Vergleich zu früheren Pontifikaten, in denen insbesondere die Akademie für das Leben eine Hochburg konservativer Moraltheologen war, mutet sie heute manchen als Hort des Relativismus an, mit dem Etikett, ein Ort des Dialogs mit konträren Positionierungen zu sein. Auch das Engagement von bekannten Philanthropen und NGOs für päpstliche Initiativen trugen offenbar nicht dazu bei, diese Bedenken zu zerstreuen.
Zusätzliche Brisanz wohnt der Nachricht inne, da sich hier die von Franziskus von den Rändern gewählten Kardinäle Patrick D’Rozario (Bangladesch), William Goh (Singapur) und Virgilio Do Carmo da Silva (Osttimor) mit Kardinal Oswald Gracias aus dem K-9 Rat des Papstes trafen. Mit dabei die konservativen Kardinäle Dominik Duka (Prag), Angelo Bagnasco (Genua) und Willem Eijk (Utrecht). Eingeladen hatte ausgerechnet eine Einrichtung des von Franziskus mit Missbehagen betrachteten konservativen Flügels der US-Kirche: das "Austin Institute for the Study of Family and Culture". Doch die Kardinäle wollen sich kennenlernen. In diesem Pontifikat fanden keine regelmäßigen Konsistorien statt, bei denen sich alle Purpurträger sahen und sie miteinander und dem Papst diskutierten. Man kennt sich also kaum, sieht aber die große Verantwortung auf sich zukommen, früher oder später einen neuen Pontifex erwählen zu müssen. Einladungen werden da gerne angenommen.
Die Resonanz nimmt ab
Beobachter begründen die mitunter aggressiven Reaktionen des Franziskus-Umfelds auf solche Treffen damit, dass die Resonanz des Pontifikats abnimmt. Zwar besetzt der Papst immer wieder Themen wie Klimaschutz und hat in der Pandemie Anschlussfähigkeit in Medien und Öffentlichkeit unter Beweis gestellt, doch innerkirchlich ist der Missbrauchsskandal ungelöst und nicht wenige Entscheidungen des Papstes haben die Polarisierung zwischen unterschiedlichen Strömungen drastisch erhöht.
Zudem hat der den Jesuiten entstammende Papst wie ein Pater-General immer mehr Kompetenzen an sich und an einen engen Führungszirkel gebunden. Fachabteilungen der Kurie sollen häufig übergangen werden. Das gilt auch für die innerkirchliche Rechtspraxis und sogar für das staatliche Recht des Vatikanstaats. Hier sehen viele Beobachter größeren Regelungsbedarf. Manche unterstellen Franziskus eine Aversion gegen das Rechtswesen. Zu formal und rigide mag es ihm erscheinen und dem Einzelfall nicht Genüge tun. Doch hat gerade die katholische Kirche durch ihr Recht den modernen Rechtsstaat vorbereitet. Wenn einmal ein Nachfolger von Papst Franziskus gewählt werden wird, dürften die kirchenrechtlichen Kompetenzen der Kandidaten um das Papstamt auch in den Medien eine Rolle spielen.
Köpfe im Kollegium
Doch so wie Bilder sind die "Köpfe" für die römisch-katholische Kirche zunächst häufig wichtiger als das "Programm". Und hier dürfte das Pontifikat von Papst Franziskus prägend. Hier hat er Akzente gesetzt. Zu Beginn seines Pontifikats wurde vor allem der Jesuit Petrus Faber (1506-1546) immer wieder als Bezugspunkt für Papst Franziskus benannt. Sein "Memoriale" gibt Zeugnis von einem Leben, das sich ganz in den Dienst der Evangelisierung nehmen lässt. Ein Paradigma, das für einige Entscheidungen dieses Pontifikats leitend gewesen sein mag. Das würde vor allem deutlich in der Neigung des Papstes, Bischöfe "von den Rändern" in das Kardinalskollegium zu holen.
So war die Verwunderung groß, als Franziskus den damals erst 48jährigen Giorgio Marengo in das Kardinalskollegium aufgenommen hatte. Der Prälat von Ulan Bator in der Mongolei steht nicht einmal 1500 Katholiken vor. Aber damit bringt er eine Erfahrung in das Kollegium ein, die außergewöhnlich ist. Und in der sich die Sehnsucht des Petrus Faber widerspiegelt, in die Peripherien zu gehen – dort zu missionieren und die Eucharistie darzubringen. "La Croix" zitiert ihn einmal so: "Ich bin sehr glücklich. Wir müssen alles bauen. Wir leben wie in der Kirche der ersten Tage und der ersten Christen." Durch das Leben evangelisiere man, so der Exorzist. "Unsere Verantwortung wiegt, denn wenn ein Missionar einen Fehler macht, befleckt das die Arbeit aller anderen." Der jugendlich anmutende Consolata-Missionar stammt aus dem Piemont. Also keinesfalls aus der katholischen Peripherie, sondern aus der Heimat Don Boscos und Pius V. Dazu gehört er einer Generation an, die die Entchristlichung Europas von Jugend an realisierte und Licht und Schatten der Postmoderne eindeutiger qualifizieren können als die beiden Generationen, die das Kollegium derzeit dominieren.
Pierbattista Pizzaballa dient seit Jahrzehnten der katholischen Minderheit im Heiligen Land und ist Ansprechpartner für Bischöfe aus der ganzen Welt, die die heiligen Stätten besuchen.
Seit dem Gaza-Krieg ist der Lateinische Patriarch von Jerusalem, den Franziskus wenige Tage vor Kriegsausbruch zum Kardinal ernannte, aus dem Schatten getreten. Er wollte sich sogar für israelische Geiseln eintauschen lassen. Eine Geste, die im trotz kritischer Positionierung zur israelischen Regierung großen Respekt auch im jüdischen Staat einbrachte. Doch auch Kardinal Pierbattista Pizzaballa ist Italiener und stammt aus dem Bergamo und damit aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Piemont. Seit Jahrzehnten dient er der katholischen Minderheit im Heiligen Land und ist Ansprechpartner für Bischöfe aus der ganzen Welt, die die heiligen Stätten besuchen. Er kennt die Sorgen und Freuden der Bischöfe und Ortskirchen aus vermutlich unverstellten Schilderungen. Auch mit seinen Erfahrungen aus der Friedensdiplomatie und mit der Perspektive einer christlichen Minderheit in einer jüdischen oder islamischen Mehrheitsgesellschaft hat er ein realistisches Gespür für die Herausforderungen der Kirche in multireligiösen Gesellschaften, wenn sie denn ihre Identität nicht preisgeben möchte. Eine Stimme, die daher europäischen Ortskirchen und seiner italienischen Heimat etwas sagen kann.
Als Papst Franziskus Marseille besuchte, wurde Kardinal Jean-Marc Aveline schon als kommender "Johannes XXIV." in den Blick gerückt. Der in Algerien geborene Franzose steht für eine Leidenschaft des Papstes: das Mittelmeer als Lebensraum verschiedener Religionen und Kulturen. Und einem Hotspot der Migrationsbewegungen. Gebieten, auf denen der interreligiös sensible Aveline Experte ist. Zugleich gilt er als integrativer Hirte. Die Spannungen im südfranzösischen Bistums Frejus-Toulon konnte er abbauen. Auch zu den Franziskus gemaßregelten Anhängern der alten Liturgie pflegt der Erzbischof von Marseille ein ausgesprochen entspanntes Verhältnis – wie viele französische Bischöfe, die die nicht zuletzt jugendlich geprägte Bewegung aus der Nähe kennen.
Neue Konfliktlinien und ungewöhnliche Allianzen
Auch das zeigt, dass die Konfliktlinien wie Verbindendes im langen Herbst des Franziskus-Pontifikats weitaus komplexer zu bestimmen sind als am Ende des Pontifikats Benedikt XVI. oder Johannes Paul II. Während es unter den beiden Vorgängern eine Art der "loyalen Opposition" gegeben hatte, die eingebunden und vor allem sichtbar war, ist an ihre Stelle eine starke Polarisierung getreten, die unsichtbarer ist, aber zusehends auch den Alltag der Kirche durcheinanderbringt. Ausdruck dessen dürfte ein unter dem Pseudonym "Demos II." verbreitetes Profil eines künftigen Pontifikats durch einen "anonymen Kardinal" sein, das am 29. Februar 2024 veröffentlicht wurde. Offenbar knüpft es an eine Denkschrift des verstorbenen Kardinals George Pell an ("Demos") an. Herausstechend dabei: "Echte Autorität wird durch eine autoritäre Ausübung von Autorität beschädigt." "Neue Paradigmen" und "unerforschte neue Wege", die von der bewährten Lehre der Kirche abweichen, seien "nicht von Gott". Ein künftiger Papst müsse eine "Hermeneutik der Kontinuität des katholischen Lebens" wiederherstellen. Die Kirche sei zudem keine Autokratie, aber auch keine Demokratie. "Lehrfragen sind somit keine Bürden, die von gefühllosen 'Gesetzeshütern' auferlegt werden", so der anonyme Hierarch. Er fährt fort: "Sie sind von grundlegender Bedeutung für ein authentisches, christliches Leben, weil sie sich mit der Anwendung der Wahrheit befassen, und diese verlangt Klarheit, nicht ambivalente Schattierungen." Das derzeitige Pontifikat habe sich von Beginn an der Kraft des Evangeliums und der intellektuellen Klarheit seiner unmittelbaren Vorgänger widersetzt.
Doch gibt es über manche Gräben hinweg gemeinsame Interessen und ungewöhnliche Allianzen. Als Beispiel dafür dürfte gelten, dass Kardinal Gerhard Ludwig Müller, Kardinal Gianfranco Ghirlanda SJ und der Sant'Egidio-Mann Andrea Riccardi kurz nach dem Tod Benedikt XVI. zusammen ein Buch vorstellten. Und das zu dem brisanten Thema der Amtsniederlegungen von Päpsten. Trotz aller unterschiedlichen Akzente und Begründungen sprachen sich der nicht verlängerte Glaubenspräfekt, Franziskus' Rechtsberater und der dem Umfeld der progressiven "Schule von Bologna" zuzurechnende Historiker klar gegen eine Wiederholung des Experiments eines ungeregelten Nebeneinanders von ehemaligem und amtierenden Papst aus und damit einer Etablierung von Petrusnachfolgern im Ruhestand.
Der konservative italienische Historiker Roberto de Mattei hat wiederholt darauf hingewiesen, dass manche Handlung von Franziskus das Gegenteil dessen hervorbringen, als es Beobachter erwartet hatten. So sei es bei der Kurienreform gewesen, aber auch bei der Reform des Malteserordens. Letztlich habe der Papst klassische Positionen gestärkt, sogar Positionen der Amtstheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils im Hinblick auf das Bischofsamt zurückgedrängt – zugunsten "vorkonziliarer Positionen".
Kardinal Fridolin Ambongo Besungu bezog sich in seiner aufgezeichneten Philippika gegen den "dekadenten Westen" und die Ad-Hoc-Segnungen für die gleichgeschlechtlichen Paare übrigens ausgerechnet auch auf: Wladimir Putin.
Der Professor an der Università Europea in Rom sieht im Hinblick auf den künftigen Kurs der katholischen Kirche aber noch eine weitere Konfliktlinie immer deutlicher aufscheinen. Das politische Verhältnis der Kirche zum Westen sieht er von verschiedenen Kräften innerhalb und außerhalb der Kirche infrage gestellt. So sei "Putin nicht an einem konservativen oder progressiven Papst interessiert, sondern an einem Verfechter der Abrüstung, der Russland als Bollwerk gegen den korrupten Westen sieht". Dennoch bezögen sich manche Konservative auf den russischen Präsidenten und seinen vorgeblich "konservativen Gegenentwurf", den er einem "liberalen kollektiven Westen" entgegenstellt. Dabei dürfte es auch jene geben, die in Ablehnung eines westlichen Imperialismus Sympathien für den östlichen Gegenentwurf aus politisch linken Motiven entwickeln. Der brasilianische Präsident Lula gab dafür jüngst ein Beispiel. Und Kardinal Fridolin Ambongo Besungu bezog sich in seiner aufgezeichneten Philippika gegen den "dekadenten Westen" und die Ad-Hoc-Segnungen für die gleichgeschlechtlichen Paare übrigens ausgerechnet auch auf: Wladimir Putin.