Wir haben verstandenWie Synodalität weitergehen kann

Ein Mahnschreiben aus Rom, Kritik von Kardinälen an den Plänen der katholischen Kirche in Deutschland – die zurückliegenden Tage waren spannungsreich. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer meint: Es braucht mehr gegenseitiges Verständnis, es muss Vertrauen geschaffen werden. Ein Diskussionsbeitrag in zehn Punkten.

Bischof Heiner Wilmer
© Harald Oppitz/KNA

Stehen wir in Deutschland vor einem Schisma? Wird es eine Spaltung in der katholischen Kirche nördlich der Alpen geben? Eine zweite Reformation? Dieses Schreckgespenst geht schon seit einigen Jahren durch die Welt. Bisher ist es uns in Deutschland nicht wirklich gelungen, dieses Gespenst aus dem Weg zu räumen, vor allem, was die Wahrnehmung im Ausland betrifft, aber nicht nur im Ausland. Um es klar zu sagen: Es wird kein Schisma geben und keiner der Bischöfe in Deutschland hat dies je gewollt.

In der vergangenen Woche trafen wir deutschen Bischöfe uns zur Frühjahrsvollversammlung in Augsburg. Kurz zuvor erhielten wir ein Schreiben aus Rom, in dem wir dringend darum gebeten wurden, bei dieser Versammlung nicht die Statuten für den Synodalen Ausschuss zu verabschieden. Die Kardinäle Pietro Parolin (Staatssekretariat), Viktor M. Fernández (Dikasterium für die Glaubenslehre) und Robert F. Prevost (Dikasterium für die Bischöfe) erinnern uns an die Vereinbarung, gemeinsam "die ekklesiologischen Fragen, mit denen sich der Synodale Weg befasst hat, einschließlich des Themas eines überdiözesanen Beratungs- und Entscheidungsgremiums, beim nächsten Treffen zwischen Vertretern der Römischen Kurie und der Deutschen Bischofskonferenz zu vertiefen."

Wie kann es weitergehen? Wie ist es möglich, die Sorgen des Heiligen Vaters um die Einheit im Glauben ernst zu nehmen, wie jüngst auch Kardinal Christoph Schönborn gefragt hat?

Es war richtig, die Statuten des Synodalen Ausschusses nicht verabschiedet zu haben. Es war richtig, die Sorgen der drei Kardinäle und damit auch die Sorgen des Heiligen Vaters ernst zu nehmen. Und es war und ist nach wie vor richtig, gemeinsam zu überlegen, wie wir in unserer Kirche das Evangelium verkünden, wie wir im Namen Jesu Christi bei den Menschen sind, wie wir die Menschen durchs Leben begleiten, vor allem jene, die an den Rand gedrängt sind und die gerade deshalb im Zentrum des Evangeliums stehen. Wir haben verstanden.

Wie kann es weitergehen? Wie ist es möglich, die Sorgen des Heiligen Vaters um die Einheit im Glauben ernst zu nehmen, wie jüngst auch Kardinal Christoph Schönborn gefragt hat? Wie ist es möglich, den Dienst des Papstes nicht als Machtfrage zu interpretieren, nach dem Motto "Rom gegen Deutschland"? Wie ist es umgekehrt möglich, nicht die Rede vom antirömischen Affekt "Deutschland gegen Rom" zu verstärken? Und natürlich: Wie ist es möglich, dass wir als Bischöfe im Namen Jesu Christi an der Seite der Gläubigen bleiben, ihren Kummer und ihre Sorgen verstehen, nicht nur die ihres Alltags und der Gesellschaft, sondern auch in Bezug auf unsere Kirche?

In zehn Punkten will ich versuchen, auf diese Fragen Antworten zu skizzieren. Ich verstehe diese Punkte als einen Diskussionsbeitrag, in aller Bescheidenheit, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Sie mögen eine Hilfe zum gemeinsamen Verstehen sein, zum Verständnis untereinander. Im Hintergrund meiner Überlegungen steht nicht die Frage, wie wir bestimmte politische Ansichten durchsetzen können, sondern wie Glaube, Liebe und Hoffnung unter den Menschen wachsen können, "damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10).

1. Es braucht Synodalität

"[Der] Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet". Schon im Oktober 2015 hat Papst Franziskus diesen Satz bei seiner Ansprache zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode gesagt. Er findet sich auch im Text der Internationalen Theologischen Kommission "Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche" aus dem Jahr 2018. Auf eine synodale Kirche legen auch die Gläubigen größten Wert. Was heißt synodal? Die Antwort auf diese Frage wird ein Ergebnis des synodalen Prozesses selbst sein. Klar aber ist grundsätzlich, dass synodales Geschehen das Hinhören meint, das Hören auf den Heiligen Geist, das Hören aufeinander, das Hören darauf, wie sich der Geist Gottes in der Geschichte zeigt, im gläubigen Volk, in der Gegenwart.

2. Die Unfehlbarkeit des Volkes Gottes wahrnehmen

Papst Franziskus erinnert immer wieder an die Lehre der Dogmatischen Konstitution über die Kirche "Lumen Gentium" (LG) des Zweiten Vatikanischen Konzils von der Unfehlbarkeit des Volkes Gottes in Glaubenssachen (LG 12). Dieser sensus fidei (Glaubenssinn) lässt sich allerdings nicht einfach durch religionssoziologische Umfragen auf der Basis von Big Data erheben. Der Glaubenssinn des Volkes Gottes ist eingewoben in das große spirituelle Netz, das geknüpft wird aus der Meditation der Heiligen Schrift, der Tradition, dem Lehramt sowie der Expertise von Theologinnen und Theologen und den Zeichen der Zeit. Mit dem Heiligen Vater ist es Aufgabe der Bischöfe, Anwälte dieser Dynamik zu sein. Das ist Teil ihrer Verantwortung, die sie nicht an Arbeitsgruppen oder bestimmte Räte delegieren können.

3. Wir sind eine sakramental verfasste Kirche

Die Kirche ist nicht einfach ein Ergebnis unserer Ideen, sie ist eine von Gott geschenkte Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, die der Geist aufbaut. Sie lebt als Gemeinschaft aus einem Miteinander, einem Stil der Gegenseitigkeit und der Geschwisterlichkeit. So wird auch unter uns Gottes Gegenwart erfahrbar und erlebbar. So ist sie Geschenk für uns und für die Welt. Sie ist, wie das Konzil sagt, Ikone der Dreifaltigkeit (LG 4), Zeichen und Werkzeug für die Liebe Gottes zu den Menschen und für die Einheit und Zusammengehörigkeit der ganzen Menschheit (LG 1). Wenn wir vom Geheimnis der Sakramentalität der Kirche sprechen, sind wir in unserer Zeit sehr herausgefordert: Die Vielfalt der Positionen verführt zur Polarisierung, verführt zur Verhärtung von Fronten und zur wechselseitigen Exklusion und letztlich zum Gegenzeugnis für jene Verbundenheit, die Kirche ist. Wir brauchen eine Spiritualität, die Dissens und Gemeinschaft leben kann, ohne die Verbundenheit aufzulösen. Das ist unsere Berufung und unser Sein.

4. Als Kirche sehen wir die Welt als Gabe und Aufgabe

Angesichts unseres Auftrages, die frohe Botschaft Jesu Christi zu verkünden, sind wir im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils zutiefst dankbar für die Erkenntnisse aus den Wissenschaften, wie beispielsweise der Philosophie und der Psychologie, sowie den unterschiedlichen Kulturen. Wir sind dankbar für die Entwicklungsgeschichte unserer Gesellschaft. Dazu gehören auch unsere Erkenntnisse über den Menschen, die uns heute helfen, traditionelle Vorstellungen über die Beschaffenheit des Menschen und seiner Geheimnishaftigkeit neu zu bedenken. Denn so lernen wir, wie das Konzil in der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" (GS) sagt: "Es ist jedoch Aufgabe des ganzen Gottesvolkes, vor allem auch der Seelsorger und Theologen, unter dem Beistand des Heiligen Geistes auf die verschiedenen Sprachen unserer Zeit zu hören, sie zu unterscheiden, zu deuten und im Licht des Gotteswortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und passender verkündet werden kann" (GS 44). Wir können die Botschaft des Evangeliums nicht ohne diesen Lernprozess verstehen. Umgekehrt geht es darum, wie wir das Evangelium so verkünden, dass es auch heute Ferment in unserer Gesellschaft sein kann (GS 44). Es geht darum, nicht verschlossen in der Sakristei und in unseren Binnenräumen zu bleiben, sondern hinauszugehen auf die Straßen der Welt. Es kann uns nicht um eine selbstbezügliche Kirche gehen, wie Papst Franziskus immer wieder anmahnt. Leiten soll uns nicht die Angst vor dem Zeitgeist, sondern die Zuversicht, den Geist in der Zeit entdecken zu können.

5. Als Kirche sind wir das pilgernde Volk Gottes

Als Kirche sind wir Volk Gottes. Wir sind Pilgerinnen und Pilger, wir sind keine perfekte Gesellschaft. Das sagt auch Papst Franziskus in seinem Brief "An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland" vom 29. Juni 2019, wenn er betont, dass die Kirche in dieser Welt nie vollkommen sein wird, aber "ihre Lebendigkeit und ihre Schönheit in jenem Schatz gründet, zu dessen Hüterin sie von Anfang an bestellt ist" (Nr. 3). Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen. Mit diesem Schatz sind wir wie die Jünger unterwegs von Jerusalem nach Emmaus, hin zu den Rändern, gemeinsam, Seite an Seite, im Gespräch mit dem Herrn, gerade dann, wenn wir ihn in Schlüsselmomenten des Gebrochenen erkennen.

6. Es braucht Umkehr

Wir sind Sünder. Umkehr ist nicht nur das Gebot der Fastenzeit. Aber die Fastenzeit lädt uns natürlich dazu ein, in dieser Spur zu gehen. Umkehr in der Kirche ist unerlässlich, damit sich die fürchterliche Geschichte der sexualisierten Gewalt nie wiederholt. Wir können nicht im Gotteshaus das heilige Opfer feiern und die Opfer auf der Straße nicht mehr im Blick haben. Die Geschichte der Opfer darf nicht wegspiritualisiert werden, sie muss unser Herz durchbohren. Den Betroffenen, deren Mund stumm geschlagen wurde, muss zugehört werden. Es braucht geeignete Maßnahmen, Kontrollen und Rechenschaftspflicht, damit der dämonischen Gewalt über andere ein Riegel vorgeschoben wird.

7. Es braucht Versöhnung

Es braucht unter uns Bischöfen Versöhnung. Es braucht unter den kirchlich Handelnden Versöhnung, Versöhnung zwischen den extremen Positionen. Es braucht Versöhnung in und mit der Weltkirche. Es braucht klare Zeichen in Deutschland, aus denen hervorgeht, dass niemand ein Schisma will, niemand die Spaltung von Rom. Es braucht Zeichen, dass wir in unserer Kirche unterschiedliche Kulturen und verschiedene Wege des Glaubens wertschätzen. Diese Versöhnung steht im Dienst der Einheit, die uns Jesus selbst aufgetragen hat, wenn er in seiner Abschiedsrede den Jüngern sagt: "Alle sollen eins sein" (Joh 17,21).

8. Es braucht eine Hermeneutik des Vertrauens

Es ist gut und notwendig, dass die Bischöfe Georg Bätzing, Michael Gerber, Stephan Ackermann, Peter Kohlgraf, Bertram Meier und Franz-Josef Overbeck die begonnenen Gespräche mit den Vertretern der Kurie in Rom fortsetzen werden. Zudem braucht es vertiefte Gespräche mit den Nachbarländern, um konkret die Frage zu stellen, wie wir gemeinsam im gleichen geopolitischen Raum das Evangelium bezeugen und verkündigen können.

Aber Gespräche allein reichen eben nicht. Nur Gespräche sind zu wenig. Es bedarf des darunterliegenden Vertrauens. Es braucht die Wärme der Herzen. Es braucht die italienische fiducia, die Annahme, dass das Gegenüber es grundsätzlich gut meint. Für diese Hermeneutik des Vertrauens wäre es eine Idee, uns nicht nur an die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils zu erinnern, sondern auch an das "Drumherum", nein, besser gesagt, an den Stil: Deshalb waren im Petersdom während des Konzils zwei Cafés eingerichtet, die eine hieß "Abba", die andere "Jonas". Dort konnte man zwischen den Sitzungen gemeinsam Cappuccino trinken, mit Sicherheit gab es auch Cantuccini. Wer weiß, welche Gemeinsamkeiten man damals beim Genuss italienischer Köstlichkeiten gefunden hat?

9. Wir sind Weltsynode

Viele Katholikinnen und Katholiken hat überrascht und gefreut, welche Bandbreite und Tiefe an Themen die Weltsynode zusammengetragen hat. Fast alle Themen des Synodalen Wegs in Deutschland liegen auch auf dem Tisch der weltweiten Beratungen. Wir brauchen gemeinsame Verständigungen, aber vielleicht lernen wir alle in dieser Synode neu, was eigentlich Einheit meint: Schon Augustinus sagte: Im Wesentlichen Einheit, im Zweifelhaften Freiheit, in Allem Liebe. Wenn wir alle Kirche sind, Weltkirche, können wir in dieser Synode neu lernen, was das Wesentliche ist und wo es in einer Ortskirche spezielle Ausformungen braucht.

10. Im Gespräch bleiben

Jetzt ist es wichtig, mit den kirchlich Handelnden, den Bischöfen, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, den getauften Frauen und Männern in den verantwortungsvollen Ämtern zu überlegen, wie die nächsten Monate konkret gestaltet werden können.

In diesen Gesprächen wird es auch darum gehen, weiterhin Synodalität einzuüben, mit einem Grundvertrauen an der Seite der Gläubigen zu stehen, ihre Charismen zu schätzen und einzubinden und mit weitem Herzen hinzuhören, wie Gott uns auf unserem Pilgerweg durch die Geschichte leiten will. Diesen Weg gehen wir gemeinsam mit dem Heiligen Vater und der Weltkirche in dieser Welt, in die wir hineingestellt sind, von Gott.

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