Aus gutem Grund beginnt jede Eucharistiefeier mit einem Schuldbekenntnis: Die versammelten Gläubigen bekennen, dass sie einander und vor Gott gesündigt haben. Sie lassen sich Gottes Barmherzigkeit zusprechen, um so "das Gedächtnis des Herrn in rechter Weise begehen" zu können.
Ähnliches geschieht zu Beginn der zweiten Sitzungsperiode der Weltsynode über die Synodalität der katholischen Kirche. Zum Abschluss zweitägiger Exerzitien wird es am Vorabend der Eröffnung der Synode eine Bußvigil im Petersdom geben. Denn "wir erkennen uns selbst als Teil derer, die durch Unterlassung oder Tat zur Ursache des Leids werden, verantwortlich für das Böse, das Unschuldige und Wehrlose erleiden", so Kardinal Grech, der Generalsekretär der Synode, im Rahmen einer Pressekonferenz. Im Anschluss an ein umfassendes Sündenbekenntnis wird Papst Franziskus im Namen aller Getauften "Gott und die Schwestern und Brüder der ganzen Menschheit" um Vergebung bitten.
Manche Stichworte lassen einen weiten Spielraum offen dafür, was jeweils konkret als Sünde bekannt werden soll. Wie jeder sittlichen Tat, so ist es auch der Sünde eigentümlich, konkret zu sein. Daraus resultiert eine unausweichliche Spannung gegenüber allgemein formulierten Sündenbekenntnissen.
Wofür wird Vergebung erbeten? Im Rahmen der Bußvigil werden drei Zeugnisse von Menschen zu hören sein, die unter der Sünde des Missbrauchs, des Krieges und der Gleichgültigkeit gegenüber dem Drama weltweit zunehmender Migration gelitten haben. Diesen Zeugnissen folgt eine lange Reihe von Sündenbekenntnissen: die Sünde gegen den Frieden, gegen die Schöpfung, gegen indigene Völker, gegen Migranten, ferner die Sünde gegen Frauen, die Familie, die Jugendlichen. Genannt werden auch die "Sünde des Missbrauchs" und die "Sünde der Lehre, die als Stein des Anstoßes benutzt wird". Und schließlich werden die "Sünde gegen die Armut" und die "Sünde gegen die Synodalität" aufgelistet; letztere wird als "Mangel an Zuhören" gefasst.
Zugegeben: Manche Stichworte lassen einen weiten Spielraum offen dafür, was jeweils konkret als Sünde bekannt werden soll. Was etwa meint "Sünde gegen die Familie"? Geht es hier um Lieblosigkeit in der Ehe, um zerbrochene Ehen oder um sexuelle Untreue? Oder was meint "Sünde gegen die Armut"? Ist damit die Prachtentfaltung von Bischöfen und Päpsten gemeint oder die Inanspruchnahme staatlicher Privilegien? Wie jeder sittlichen Tat, so ist es auch der Sünde eigentümlich, konkret zu sein. Daraus resultiert eine unausweichliche Spannung gegenüber allgemein formulierten Sündenbekenntnissen.
Auch das Handeln der Kirche als Institution kann sittlich beurteilt werden
Grundsätzlich gilt: Nicht nur einzelne Getaufte, sondern auch die Kirche als Ganze handeln in einer konkreten und deshalb für alle sichtbaren Weise in der Welt. Dabei fällt es oft schwer zu entscheiden, ob eine konkrete Tat im Sinne des Evangeliums erfolgt oder ihm zuwiderläuft. Zwischen beidem gibt es ein weites Spektrum. Klar ist jedenfalls: Auch getaufte Menschen können sich dem Wirken des Geistes verschließen. Trotz des ihr verheißenen Beistands des Heiligen Geistes ist die Kirche deshalb nicht davor gefeit, ihrer Sendung untreu zu werden.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich diesem Spannungsverhältnis in seiner Kirchenkonstitution genähert. Im 8. Kapitel der Kirchenkonstitution "Lumen Gentium" des Zweiten Vatikanischen Konzils (LG) wird unmissverständlich festgestellt, dass die Kirche "Sünder in ihrem eigenen Schoße umfasst". Dabei setzt das Kapitel mit einer Analogie ein: Wie in Christus göttliche und menschliche Natur hypostatisch geeint sind, so sind in der Kirche "die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft […] nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst".
Das aber bedeutet: Die Getauften als Einzelne wie auch die Kirche als Ganze handeln in der Welt wie jeder andere Mensch und jede andere Institution auch. Die Kirche ist in ihren Strukturen nicht dadurch weniger eine Institution wie jede andere auch, dass sie eine göttliche Sendung in die Welt trägt. Schon gar nicht ist sie deshalb eine bessere Institution – eine "societas perfecta" etwa. Vielmehr sind in ihr Institutionelles und Spirituelles in unvermischter, aber auch untrennbarer Einheit miteinander verwoben.
Deshalb kann jede einzelne Handlung – sei es die eines einzelnen Getauften oder die der Kirche als Institution – vom Standpunkt der sittlichen Vernunft her beurteilt werden. In der Perspektive des Glaubens kommt freilich hinzu, dass individuelle oder institutionelle Handlungen im Gefüge des göttlichen Heilsplanes beurteilt werden können und müssen, wie er sich aus der biblisch bezeugten Offenbarung und der Überlieferung der Kirche erschließt.
Man ginge deshalb vollkommen fehl, wiese man die von Kardinal Grech genannten Sünden mit der Begründung zurück, sie bezögen sich auf allzu Weltliches. Selbstverständlich ist die Kirche nicht allein und ausschließlich für die Armut in der Welt, den Klimawandel oder die durch Migration verursachten sozialen Spannungen verantwortlich. Dennoch versündigt sie sich immer dann gegen Jesu Botschaft vom Gottesreich, wenn sie nicht entschieden dazu aufruft, sozialem, politischem und ökonomischem Unrecht entgegenzutreten. Einzelne Getaufte wie die Kirche als Ganze müssen sich insbesondere jenen globalen Herausforderungen stellen, denen künftige Generationen nicht werden ausweichen können. Auch deshalb sind zu der Bußvigil ausdrücklich junge Menschen in den Petersdom eingeladen.
Anzustreben ist eine vertiefte Korrespondenz zwischen institutioneller Gestalt und göttlicher Sendung der Kirche. Denn Natur und Gnade konkurrieren nicht miteinander – in der Welt nicht und auch in der Kirche nicht. Natur und Gnade wachsen vielmehr in gleichem Sinne und bestärken einander.
Im Licht der Weltgerichtsparabel (Mt 25,31-46) wäre es ein vollkommenes Missverständnis, einen Gegensatz zwischen Verfehlungen im sozialen, politischen oder ökonomischen Bereich einerseits und Verfehlungen gegen einen wie auch immer verstandenen göttlichen Willen andererseits zu konstruieren. Wenn die in LG 8 vorausgesetzte Analogie trägt, wonach in der Kirche Göttliches und Menschliches in einer ähnlichen Weise miteinander vereint sind wie in Christus die göttliche und die menschliche Natur, dann ist vielmehr mit Papst Leo dem Großen (440-461) festzustellen, dass "jede Natur in Gemeinschaft mit der anderen das wirkt, was ihr eigen ist".
Was mit Blick auf Christus eine Wahrheit beschreibt, ist für die Kirche freilich ein Ideal: Ihre institutionelle Gestalt soll ihrer spirituellen Sendung immer besser entsprechen. Was dies im Konkreten bedeutet, ist zentraler Gegenstand der Synode über Synodalität. Anzustreben ist eine vertiefte Korrespondenz zwischen institutioneller Gestalt und göttlicher Sendung der Kirche. Denn Natur und Gnade konkurrieren nicht miteinander – in der Welt nicht und auch in der Kirche nicht. Natur und Gnade wachsen vielmehr in gleichem Sinne und bestärken einander. Maßstab für dieses Wachsen ist die wirksame Vergegenwärtigung des göttlichen Heilswillens in einer Welt, die keinen Stillstand kennt. Man kann sich deshalb nicht auf eine angeblich unwandelbare Struktur der Kirche berufen, wenn diese ihrer Sendung, vom Evangelium Zeugnis abzulegen, unter veränderten Zeitumständen gerecht werden soll. Dies betrifft etwa wirksame Formen gemeinsamer Entscheidungsfindung, die Rolle der Frauen in der Kirche und die Zulassungsbedingungen zum sakramentalen Amt.
Unleugbar gibt es in der Kirche Menschen und Strukturen, die mit dem Evangelium nicht im Einklang stehen.
Am Ende von LG 8 wird daran erinnert: Anders als Christus, der ohne Sünde war, ist die Kirche "zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung." Obwohl sich die Kirche seit ihren Anfängen als "Leib Christi" verstehen darf, ist sie doch nicht der "Christus prolongatus", wie Johann Adam Möhler (1796-1838) meinte. Dann nämlich wäre die Kirche frei von jeder Sünde. Unleugbar aber gibt es in ihr Menschen und Strukturen, die mit dem Evangelium nicht im Einklang stehen. Deshalb ist es nur angemessen, wenn Papst Franziskus vor Beginn der Synode um Vergebung für die Verfehlungen der Kirche und ihrer Glieder bittet. Das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit wird den Beratungen einen weiten Raum öffnen, in dem Gottes Geist wirksam werden kann.
Wie aber ist die Ankündigung des Kardinals zu verstehen, dass zu den zu bekennenden Sünden auch die "Lehre" gehört, die "als Stein des Anstoßes benutzt wird"? Ist die Lehre der Kirche nicht göttlichen Ursprungs? Gewiss kann dieser Ursprung durch menschliche Sünde verdunkelt werden. Nicht wenige Beispiele aus der Geschichte der Kirche drängen sich auf. So dürfte eine über Jahrhunderte hinweg fehlgeleitete Theologie des Judentums für den vielerorts in der Kirche grassierenden Antijudaismus oder sogar für den neuzeitlichen Antisemitismus mitverantwortlich sein. Und wird man nicht den in der Kirche weitverbreiteten und von Papst Franziskus wiederholt angeprangerten Klerikalismus als mitverantwortlich für zahlreiche Fälle sexuellen und spirituellen Missbrauchs namhaft machen müssen? Als ein "Schatz in irdenen Gefäßen" (2 Kor 4,7) ist die Lehre der Kirche auch dann nicht vor Entstellungen gefeit, wenn man darauf bauen darf, dass die Kirche als Ganze niemals aus der Wahrheit des Evangeliums herausfallen wird (vgl. LG 12).
Strukturelle Sünden
Ist es aber denkbar, dass die Kirche in ihren institutionellen Strukturen und ihrer Lehre dem Einzelnen die Möglichkeit versperrt, dem Evangelium entsprechend zu handeln? Und wäre dann nicht von einer "strukturellen Sünde" der Kirche zu sprechen? Wenn es ohne Getaufte keine Kirche gibt, dann betrifft die Sünde der Getauften jedenfalls auch die Kirche, insofern diese die "Gesamtheit der Glaubenden" (LG 12) ist. Diese ist dann auch als Institution der Erneuerung bedürftig. Und diese Erneuerung müsste dann nicht nur spirituell erfolgen – auf dem Weg des Bekenntnisses und der Buße etwa –, sondern auch institutionell: auf dem Weg der Reform ihrer Strukturen.
Dieser Weg setzt die Bereitschaft zu aufrichtiger und zugleich konstruktiver Selbstkritik voraus. Selbstkritik wiederum ist das Resultat eines Lernprozesses: Im Licht neu gewonnener Einsichten erscheint vergangenes Handeln Einzelner wie der Kirche als Ganzer womöglich als irregeleitet oder verfehlt. Die Bereitschaft zur Wahrnehmung der "Zeichen der Zeit" (Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils, 4) ist jedem Getauften aufgegeben, der den Glauben nicht bloß bewahren, sondern sinnstiftend und weltgestaltend leben will (vgl. Mt 25,14-30 par). So sind etwa humanwissenschaftliche Einsichten kritisch-konstruktiv aufzugreifen, soll die christliche Lehre vom Menschen nicht im Ewig-Gestrigen erstarren. Das Evangelium Jesu Christi fordert nicht Nachahmung, sondern lädt zur Nachfolge ein.
Das öffentliche Bekenntnis begangener Sünden ist Ausdruck der Bereitschaft zu konstruktiver Selbstkritik. Die letzten Päpste haben diese Bereitschaft unzählige Male zum Ausdruck gebracht. Aufrichtige und konstruktive Selbstkritik soll auch die Synodenberatungen leiten, um dem Evangelium Raum zu schaffen. Jeder einzelne Teilnehmer, sei er Bischof oder nicht, bringt in die Beratungen seine je eigene Welt mit ein – ihre Gebrochenheit, aber auch ihre Potenziale. Dies zu Beginn der synodalen Beratungen in einem liturgischen Vollzug vor Gott zu bringen, signalisierte eine Öffnung der Synode gegenüber Wirken des Heiligen Geistes, die der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Sendung nur dienlich sein kann.