Hans-Joachim Höhn hat auf feinschwarz.net dafür argumentiert, dass eine zukunftsfähige Theologie die gesellschaftlichen Säkularisierungsprozesse nur dann einfangen kann, wenn sie die Säkularisierung Europas metaphysisch noch überbietet und – gewissermaßen das Ende der Säkularisierung im vorauseilenden Gehorsam vorwegnehmend – gleich selbst zum methodischen Atheismus wird: Theologie, so Höhn, muss (!) im Rahmen des Naturalismus alles in der Welt konsequent so betrachten, als ob Gott nicht existieren würde: "Wer heute davon reden will, inwiefern der Bezug auf Gott für den Menschen belangvoll ist, muss dies versuchen im Kontext einer Welterfahrung und -deutung, die jeden Rekurs auf die innerweltliche Relevanz, Zweckdienlichkeit oder Unverzichtbarkeit Gottes in Abrede stellt."
Den Grund für seinen methodischen Atheismus verankert Höhn unter Rekurs auf die analytische Philosophie im Naturalismus, der, so Höhn, zur Schlussfolgerung führe, "dass alles in der Welt von der Welt ist bzw. zureichend aus der Welt erklärt werden kann. Ihre Eigengesetzlichkeit wird darin manifest, dass zur Beschreibung und Bewältigung innerweltlicher Abläufe und Sachverhalte keine welttranszendente Größe notwendig ist und deren "Hinzunahme" keinen Erkenntniszuwachs bringt." Angesichts des Naturalismus habe die Theologie daher die "Aufgabe, Gott nicht ohne eine Welt zu denken, deren naturalistisch beschreibbare Verfassung und deren kulturelles Selbstverständnis es nahelegen, die Welt ohne Gott zu denken."
Der einzig plausible Gottesbegriff, welcher dieser Aufgabe zugrunde liegen könne, sei der Gottesbegriff der vormodernen Hochscholastik, also der Gottesbegriff des klassischen Theismus, den Höhn unter Bezug auf Vaticanum I/DH 3001 wie folgt spezifiziert: Gott ist "der eine, wahre und lebendige Schöpfer des Himmels und der Erde, … Er ist wirklich und wesenhaft von der Welt verschieden, in sich und aus sich heraus überaus selig und über alles unaussprechlich erhaben, was außer ihm ist und gedacht werden kann". Nur der klassische Theismus ermögliche, so Höhn, noch eine minima theologia, deren Denken bis auf eine Ausnahme dadurch geprägt sei, dass "in erkenntnistheoretischer und in lebenspraktischer Hinsicht alles, was in der Welt geschieht, jeweils für sich auch ohne Gott ('etsi deus non daretur') erklärt und begriffen werden kann."
Während also, laut Höhn, nichts in der Welt den Gedanken Gottes aufkommen lassen kann, der Inhalt des Buches der Welt selbst bei genauester Lektüre nichts über seinen Autor preisgibt, spielt die Theologie ihren einzigen Trumpf dort aus, wo die Existenz des Buches der Welt an sich erklärt werden soll.
Die einzige Ausnahme von diesem methodischen Atheismus verdanke die Theologie, laut Höhn, der Seinsfrage der klassischen Schulmetaphysik – "Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?" –, welche sich als "naturalisierungsresistente Fragestellung" erwiesen habe: Die Existenz der Welt an sich bzw. das Sein alles dessen, was ist, könne die Theologie noch legitimerweise als ontologische Verwiesenheit der Welt auf Gott ausdeuten, denn alles, "was ist, [muss] hinsichtlich des Umstands, dass es ist, auf diesen Grund [=Gott] bezogen sein." Während also, laut Höhn, nichts in der Welt den Gedanken Gottes aufkommen lassen kann, der Inhalt des Buches der Welt selbst bei genauester Lektüre nichts über seinen Autor preisgibt, spielt die Theologie ihren einzigen Trumpf dort aus, wo die Existenz des Buches der Welt an sich erklärt werden soll.
Die von Höhn vor dem Hintergrund des Naturalismus skizzierte Theologie hat auf den ersten Blick wissenschaftstheoretischen Charme und Chuzpe, da sich im Orchester der Wissenschaften wohl niemand mehr an einer Theologie stören wird, die sich aus eigenen Stücken derart aus der Welt verabschiedet und von allem innerweltlichen Geschehen losgesagt hat, dass sie jeden Anspruch auf die innerweltlich-rationale Begründbarkeit christlichen Glaubens aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus weit von sich weist: Denn prinzipiell nichts, aber auch wirklich gar nichts in der Welt und damit nichts, aber auch wirklich gar nichts in der Lebenswirklichkeit des Menschen – nichts in seinem Denken, nichts in seiner Erfahrung, nichts in seinen Gefühlen, nichts in seiner Vernunft, nichts in seinem Wollen, denn dies sind ja alles innerweltliche Prozesse, Zustände, Ereignisse etc. – könnte unter den Auspizien einer Höhn'schen Theologie überhaupt noch infrage kommen, die rationale Plausibilität des christlichen Glaubens zu rechtfertigen: Die radikal säkulare Theologie hat sich gänzlich von den Zwängen befreit, innerweltlich nach ihrer rationalen Verantwortbarkeit überhaupt noch suchen zu müssen. Sie hat konsequent jede Brücke aus der Welt heraus in die Transzendenz zum Einsturz gebracht.
Höhns "klassischer Theismus" ist ein klassischer Deismus
Aber der vermeintliche wissenschaftstheoretische Charme der Höhn'schen Theologie und ihre Chuzpe der völligen Irritationsfreiheit bezüglich allem, was in der Welt geschieht (eleganter kann sich Theologie gar nicht des Problems des Bösen entledigen), ist bei genauerem Hinsehen mit einer ganzen Reihe an Problemen konfrontiert. Abgesehen davon, dass Höhns "klassischer Theismus" ein klassischer Deismus ist, auch abgesehen davon, dass Höhns Vorschlag einer radikal säkularen Theologie doch etwas über das Ziel hinausschießt und nolens volens sowohl göttliche Offenbarung in jeder denkbaren Form als auch das gesamte christliche Verständnis der weltlichen Heilsgeschichte preisgibt, ist die Kehrseite dessen, dass die Theologie Höhn'scher Façon vollständig darauf verzichtet, ihre rationale Plausibilität prinzipiell auch aus der Welt nehmen zu können, die vollständige Immunisierung der Theologie gegen jeden rationalen Einwand, der sich auf weltliche Belange stützt.
Die radikale Säkularisierung der Theologie unter naturalistischen Vorzeichen, wie Höhn sie forciert, entpuppt sich daher als ultimative Immunisierungsstrategie der Theologie, die nur um den Preis zu haben ist, dass die Theologie des Orchesters der Wissenschaften verwiesen wird, da sie sich zur Laut- und Stimmlosigkeit im Gefüge der wissenschaftlichen Wirklichkeitserschließung entschieden hat.
Nun ist es unschwer zu erkennen, dass der Naturalismus, dessen Wahrheit Höhn nicht einmal mehr ernsthaft infrage stellt, das zentrale Scharnier der Höhn'schen Argumentation ist, welches zu dieser für die wissenschaftliche Theologie desaströsen Konsequenz führt. Auffallend am Text Höhns ist in diesem Zusammenhang dann auch, dass er die gesamten Debatten der analytischen Theologie, die sich im deutschen Sprachraum seit zehn bis fünfzehn Jahren abspielen, ignoriert. Dies wäre natürlich verzeihlich, wenn diese Debatten nicht unmittelbar thematisch relevant für die Höhn'schen Reflexionen wären: Naturalismus als Herausforderung der Theologie, die Frage nach der Möglichkeit der Gottesbeweise, Fragen zu alternativen Gottesmodellen, Fragen des Handelns Gottes in der Welt, Fragen nach dem anthropischen Prinzip – dies alles wurde ja bereits in Tiefe im deutschen Sprachraum unter Einbezug der gegenwärtigen philosophischen und naturwissenschaftlichen Debatten diskutiert.
Naturalismus und Freiheit
Hätte Höhn diese Debatten zur Kenntnis genommen, hätte er gerade in Bezug auf den Naturalismus einige begriffliche Ungenauigkeiten und sachliche Fehler, die die genannten schwerwiegenden Folgeprobleme für die Wissenschaftlichkeit der Theologie im Denken Höhns mit sich bringen, vermeiden können: Denn Höhn verwechselt nicht nur die metaphysische Position des Naturalismus mit der These der naturwissenschaftlichen Erschließbarkeit der Welt, sondern zieht aus dem Naturalismus auch Schlussfolgerungen, deren Gegenteil er impliziert.
Zum einen scheint Höhn implizit davon auszugehen, dass der Naturalismus notwendigerweise die Hausmetaphysik der Naturwissenschaften sei, zum anderen scheint er davon auszugehen, dass die Welt des Naturalismus eine Welt sei, in der es so etwas wie menschliche Freiheit und Autonomie erst geben könne, da es der methodische Atheismus des Naturalismus selbst sei, der die Theologie an die Hand nehme und ihr ermögliche, die Autonomie und Freiheit der Welt angemessen zu verstehen, denn die naturalistisch gedeutete Welt sei, laut Höhn, eine Welt, die "uneingeschränkt in ihre Freiheit, ihr Selbstsein und ihrem Sich-zu-eigen-Sein überantwortet [ist]".
Weder folgt der Naturalismus oder die für ihn zentrale Annahme der kausalen Geschlossenheit des Universums logisch aus dem Wesen der Naturwissenschaften oder aus dem Erfolg der angewandten Wissenschaften, noch ist ein naturalistisch verstandenes Universum eines, in dem menschliche Freiheit oder Autonomie möglich sind.
Aber beides ist nicht der Fall: Weder folgt der Naturalismus oder die für ihn zentrale Annahme der kausalen Geschlossenheit des Universums logisch aus dem Wesen der Naturwissenschaften oder aus dem Erfolg der angewandten Wissenschaften, noch ist ein naturalistisch verstandenes Universum eines, in dem menschliche Freiheit oder Autonomie möglich sind: Gerade aufgrund des Prinzips der kausalen Geschlossenheit der Welt kann es für den Naturalismus ja nichts weiter geben als rein physikalische Verursachungsketten, die in ihrer deterministischen oder probabilistischen Version echte menschliche Freiheit im Sinne alternativer Handlungsmöglichkeiten und moralische Verantwortung undenkbar machen (siehe hierzu van Inwagen). Höhn ist auf dem Holzweg, wenn er denkt, eine naturalistisch verstandene Welt könnte als Folie für theologische Freiheitsprojektionen und Eigenständigkeitsphantasien dienen.
Eine christliche Weltdeutung bleibt plausibel
Der Naturalismus ist in Wahrheit nur eine mögliche metaphysische Position unter vielen, die, wie der analytische Philosoph David Papineau vorbildlich gezeigt hat, hauptsächlich auf dem Gedanken beruht, dass in den Laboren der Physiker keine mentalen Kräfte gemessen werden können. Da sich nicht nur diese Rechtfertigung des Naturalismus substanzieller philosophischer Kritik ausgesetzt sieht, wie sie etwa der analytische Philosoph E. J. Lowe in zahlreichen Publikationen formuliert hat, sondern darüber hinaus der Naturalismus in der analytischen Philosophie seit Jahren zunehmend wieder dem Substanzdualismus (Joshua Farris, Ralph Weir, David Chalmers etc.) oder panpsychistischen Theorien (Philip Goff, Godehard Brüntrup, David Skrbina, Philip Clayton etc.) weichen muss, die gerade auch im Lichte neuester naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ihr Comeback feiern, gibt es keinen zwingenden philosophischen Grund, die Wahrheit des Naturalismus anzunehmen, und damit auch keinen zwingenden theologischen Grund, die Theologie mit ihm radikal zu säkularisieren.
Wenn aber der Naturalismus nur eine metaphysische Position unter vielen ist, deren Negation durchaus mit allen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen konsistent ist, und wenn der Naturalismus zu einer Welt führt, in der es weder Freiheit noch moralische Verantwortung geben kann, dann kann Höhn erleichtert sein, weil der Naturalismus nicht wie ein Damoklesschwert über der Plausibilität christlicher Weltdeutung schwebt und damit durchaus der Weg frei ist für eine weltzugewandte wissenschaftliche Theologie, deren Wahrheitsansprüche auf dem Forum der Vernunft unter Einbezug philosophischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ausgefochten werden können.
Höhn mit Höhn gegen Höhn gelesen
Und daran zu arbeiten ist ja auch das eigentliche Projekt, welches im Text Höhns auf seine Freilegung wartet, sobald Höhn mit Höhn gegen Höhn gelesen wird. Denn so löblich der Höhn'sche Gedankengang die desaströsen Konsequenzen für die Wissenschaftlichkeit der Theologie vor Augen führt, die sich ergeben würden, wenn denn der Naturalismus wahr wäre, so sehr schlummert ein brennendes Plädoyer für die Unverzichtbarkeit der Scholastik im Text und führt Höhn subkutan die Feder: Selbst im festen Griff des methodischen Atheismus naturalistischer Weltdeutung, den Höhn seinen Überlegungen zugrunde legt, geht er doch nicht den Weg des Naturalismus bis an sein natürliches philosophisches Ende und proklamiert nicht, wie es die meisten Naturalisten aus der Logik des Naturalismus heraus proklamieren würden, dass die Existenz der Welt und die Existenz dessen, was ist, eben ein metaphysischer brute fact ist, über den es weiter nichts zu sagen gibt (siehe beispielsweise die Schriften Ansgar Beckermanns für eine solche Position).
Stattdessen argumentiert Höhn, auch wenn das eigentliche Argument, welches er verfolgt, erst aus dem Text herausgeschält werden muss, ganz im Sinne der thomistischen Metaphysik dafür, dass die Existenz der Welt aufgrund ihrer metaphysischen Kontingenz erklärungsbedürftig ist und Gott die metaphysische Erklärung für die Existenz der Welt ist. Etwas Knauerianisch verklausuliert wird dieser Gedanke bei Höhn wie folgt formuliert: "Aber zugleich muss alles, was ist, hinsichtlich des Umstands, dass es ist, auf diesen Grund bezogen sein. Es wäre ja nicht, wenn es nicht den Unterschied zwischen Sein und Nichts gäbe. Darum kann auch gesagt werden: Radikales Verwiesensein auf Gott, der den Unterschied zwischen Sein und Nichts zugunsten des Seienden konstituiert, und unverkürzte Freiheit gegenüber Gott wachsen im gleichen und nicht in umgekehrtem Maße."
Diese radikale Verwiesenheit auf Gott, die sich, laut Höhn, im Sein des Seienden, in der Existenz der Welt als solcher, zeigt, sowie das Verständnis Gottes als desjenigen, der den Unterschied zwischen dem Sein und dem Nichtsein des Seienden konstituiert, ist nun aber nichts anderes als der hochscholastische und in der natürlichen Theologie des Mittelalters gründende Gedanke der creatio ex nihilo et continua. Und genau wie die alten Scholastiker setzt Höhn implizit die Unterscheidung von esse und essentia voraus, freilich ohne sie beim Namen zu nennen.
Die Rückkehr der natürlichen Theologie
Aber ohne diese Unterscheidung mindestens unbewusst im Geiste getroffen zu haben, könnte Höhn das kontingente Sein der Welt und die Existenz dessen, was ist, gar nicht als erklärungsbedürftig ausdeuten und es bliebe nur die naturalistische Lösung der staunenden Hinnahme, dass die Welt nun einmal grundlos existiert: Aber erklärungsbedürftig ist laut Höhn und der Scholastik eben ohne jeden Zweifel, warum etwas, dessen Wesen von seiner Existenz verschieden ist, überhaupt existiert. Und genau wie die hochmittelalterlichen Scholastiker kommt Höhn zu dem Schluss, dass nur der Gottesbegriff des klassischen Theismus eine hinreichende Antwort auf diese Frage bietet.
Nicht nur ist, was Höhn in die Worte der radikalen Verwiesenheit auf Gott kleidet, ipso facto der Glutkern der scholastischen Beweise für die Existenz Gottes, darüber hinaus fällt der Gottesbegriff des klassischen Theismus, auf den Höhn sich stützt, auch in seiner lehramtlich festgehaltenen Form, nicht einfach vom Himmel, sondern ist das Ergebnis diffiziler hochmetaphysischer Diskurse und Argumente der natürlichen Theologie, wie sie heute in Teilen der analytischen Theologie wieder diskutiert werden.
Im Unterschied zur Scholastik überspringt Höhn aber das metaphysische Argument, das zu dieser Schlussfolgerung führt und von Thomas in seinem kurzen Meisterwerk De Ente et Essentia für seine dominikanischen Mitbrüder formuliert sich findet, obwohl seine eigene Position die Schlüssigkeit dieses Argumentes freilich in jeder Sekunde voraussetzt.
Nicht nur ist, was Höhn in die Worte der radikalen Verwiesenheit auf Gott kleidet, ipso facto der Glutkern der scholastischen Beweise für die Existenz Gottes, darüber hinaus fällt der Gottesbegriff des klassischen Theismus, auf den Höhn sich stützt, auch in seiner lehramtlich festgehaltenen Form, nicht einfach vom Himmel, sondern ist das Ergebnis diffiziler hochmetaphysischer Diskurse und Argumente der natürlichen Theologie, wie sie heute in Teilen der analytischen Theologie wieder diskutiert werden.
Und als solcher ist der Gottesbegriff des klassischen Theismus aus der Erfahrung des Menschen mit und in einer kontingenten Welt entwickelt worden und lässt sich von den an diese Erfahrungen anschließenden Gottesbeweisen, die zu seiner Genese geführt haben, schwerlich trennen: Denn dass Gott esse ipsum subsistens, actus purus, ens necessarium, wie es der klassische Theismus formuliert, ist, ist eine am Ende der thomistischen Gottesbeweise stehende Schlussfolgerung, die, losgelöst von der aristotelisch-neoplatonischen Metaphysik, in der sie eingebettet ist, gar nicht verständlich wäre und sich als so persistent erweist, dass sie sich selbst in einem scheinbaren Plädoyer für die radikale Säkularität der Theologie wie ein Phoenix aus der Asche erhebt und sich ihrer Wiedergeburt aus dem Geiste des Naturalismus erfreut.