Der Theologe Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und COMMUNIO-Mitherausgeber, antwortet auf das COMMUNIO-Interview mit Kardinal Walter Kasper.
Im Oktober 2023 fand die erste Halbzeit der römischen Weltbischofssynode statt, im Herbst 2024 folgt die zweite. Zwei Besonderheiten stechen hervor. Zum einen: Die Synode beschäftigt sich mit sich selbst; ihr Thema ist Synodalität. Zum anderen: Papst Franziskus hat erstmals achtzig Personen als Vollmitglieder berufen, die nicht Bischöfe sind; sie dürfen nicht nur mit beraten, sondern haben volles Stimmrecht.
Beides reagiert auf ein Verfassungsproblem der katholischen Kirche. Auf der einen Seite gibt es weltweit eine tiefe Krise des Bischofsamtes. Dass 2018 in Chile alle Mitglieder der Bischofskonferenz wegen des Missbrauchsskandals dem Papst ihren Rücktritt angeboten haben, spricht Bände. Auf der anderen Seite gibt es weltweit eine Bildungsoffensive in der Kirche, die immer mehr Männer und Frauen, nicht zuletzt Ordensleute, mit theologischer Kompetenz kennt, ohne dass sie geweiht sind; überall wachsen die Ansprüche und Erwartungen von Gläubigen, gehört zu werden und mitreden zu können. Dass in der weltweiten Befragung zu Beginn des römischen Synodalprozesses auf allen Kontinenten "Klerikalismus" als Hauptproblem genannt worden ist, verbunden mit mangelnden Rechten für Frauen, zeigt, wo der Schuh drückt.
Neue Formen der Leitung stärken das Bischofsamt
Die katholische Antwort auf die Verfassungsproblematik besteht nicht in einer Schwächung, sondern in einer Stärkung des Bischofsamtes. Sie besteht allerdings auch nicht in der Vertiefung des Gegensatzes zwischen einer lehrenden und einer lernenden, einer befehlenden und einer gehorchenden, einer beratenden und einer entscheidenden Kirche. Die katholische Kirche des dritten Jahrtausends braucht vielmehr neue Formen der Leitung; sie braucht mehr Transparenz und Kontrolle, mehr Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte der "Laien", also des Kirchenvolkes. Beides zusammen zu entwickeln, das bischöfliche Leitungsamt und die Beteiligung des Kirchenvolkes, ist ein Proprium des Katholischen im Unterschied sowohl zur Orthodoxie als auch zum Protestantismus. Das Bischofsamt dadurch wahrzunehmen, dass Partizipation garantiert wird, ist die episkopale Leitungsaufgabe überhaupt; es ist auch seine einzige Chance.
Gefragt sind Modelle wie jenes, das Walter Kasper als Bischof von Rottenburg-Stuttgart selbst kennengelernt und nicht nur zu schätzen, sondern auch zu nutzen gewusst hat: Der Bischof entscheidet über den Haushalt, an dem alle wesentlichen Struktur- und Personalfragen hängen, nicht einsam, sondern gemeinsam mit dem Diözesanrat, der die Diözese repräsentiert und dem u.a. Priester, Diakone und gewählte Dekanatsräte angehören. Der Bischof braucht eine Mehrheit; wenn er sie nicht findet, gibt es Schlichtungsverfahren; als ultima ratio stünde dem Bischof der Weg nach Rom offen. So weit ist es seit Bestehen des Rottenburger Modells nie gekommen: weil das Verfahren für die Qualität der Beschlüsse sorgt. Weder hat die Autorität des Bischofs dadurch abgenommen, dass er sich in synodale Beratungs- und Entscheidungsverfahren hat einbinden lassen, noch sind die Beschlüsse durch die Beteiligung von Betroffenen schlechter geworden. Im Gegenteil.
In vielen deutschen Diözesen laufen derzeit Prozesse ab, die mit dem Rottenburger Modell vor Augen die bestehenden Beratungs- zu Beratungs- und Entscheidungsgremien weiterentwickeln. Kein einziger dieser Prozesse läuft gegen den Bischof oder an ihm vorbei. Jeder folgt der Maxime: Eher weniger Gremien, die eher mehr zu sagen haben. Keine einzige Entscheidung wird gegen das Votum des Bischofs getroffen werden können, aber jede kann sich auf eine breite Beteiligung stützen. Die Konkordate bleiben unberührt. Das Kirchenrecht bleibt in Geltung. Wie es in der Synthese, dem Zwischenbericht der Weltsynode, angeregt wird, werden Bischöfe sich verpflichten, regelmäßig Rechenschaft abzulegen. Die Wirkung wird sein, dass die Legitimität und die Akzeptanz des Bischofsamtes ebenso gesteigert werden wie die Qualität der Beschlüsse und die Bereitschaft der Gläubigen, sich zu beteiligen.
In Lateinamerika gibt es bereits Synodale Räte – mit dem Segen von Rom
Auf der Bundesebene gibt es eine ähnliche Entwicklung. Bereits jetzt wird die "Gemeinsame Konferenz" von der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken getragen, damit regelmäßig wichtige politische und kirchliche Themen beraten werden. Der Synodale Ausschuss ist der nächste Schritt. Er hat sich im November 2023 konstituiert; er ist in der Vollversammlung des ZdK mit überwältigender Mehrheit bejaht worden; er muss von der Vollversammlung der Bischofskonferenz im Frühjahr noch beschlossen werden, damit er seine Arbeit aufnehmen kann.
Er hat nicht zuletzt die Aufgabe, für die Bundesebene eine Satzung für eine Synodalversammlung zu entwickeln, die gemeinsame Verantwortung für grundlegende Fragen des Haushaltes, der pastoralen Planung und personeller Entscheidungen übernimmt. In Lateinamerika gibt es das schon, mit päpstlichem Segen. Deutschland bietet die besten Voraussetzungen, eine Form nachhaltiger Synodalität zu entwickeln, die für die Zukunft der Kirche entscheidend ist. Rom wird dafür gewonnen werden, wenn die Karten offen auf dem Tisch liegen.
Im Brief der drei Kardinäle Parolin, Ladaria und Ouellet – zwei von ihnen nicht mehr im Amt – wird davor gewarnt, Strukturen auf Orts- und Bundesebene zu schaffen, durch die ein Bischof weisungsgebunden wäre oder unter politischen Druck gesetzt würde und die Bischofskonferenz zu einer untergeordneten Beschlussinstanz würde. Das Verb, das im Brief am häufigsten auftaucht, heißt allerdings, es "scheine" so. Wie es tatsächlich ist, wird gezeigt werden, entsprechend der Beschlusslage, entgegen allen Verdächtigungen und Diffamierungen, von denen auch die katholische Kommunikationsblase voll ist.
Die Kritik an den bisherigen Synodalversammlungen in Deutschland, dass auch "Laien" entscheiden dürften, fällt nach der Entscheidung des Papstes, die Weltsynode auch mit "Laien" zu besetzen, in sich zusammen.
Die Bischofskonferenz ist die Trägerin der Synodalversammlung, nach eigenem Beschluss zusammen mit dem ZdK. Die Kritik an den bisherigen Synodalversammlungen in Deutschland, dass auch "Laien" entscheiden dürften, fällt nach der Entscheidung des Papstes, die Weltsynode auch mit "Laien" zu besetzen, in sich zusammen. Die Rechte der Bischöfe sind auf dem Synodalen Weg in Deutschland gesichert. Viel wichtiger ist die Verständigung auf das Zukunftsprojekt: systemische Konsequenzen aus den systemischen Dimensionen des Machtmissbrauchs zu ziehen und die Ressourcen für eine aktive Mitarbeit in der katholischen Kirche besser zu nutzen.
Gegenwärtig gibt es an verschiedenen Orten der Welt synodale Prozesse, die zeigen, dass die katholische Kirche ihr Verfassungsproblem erkannt hat und lösen will. Die Weltsynode wird daran gemessen werden, wie sie diese Prozesse zulässt und fördert, zusammenführt und weiterentwickelt. Sie wird daran gemessen werden, wie sie maßgeschneiderte Modelle vor Ort mit rechtlichen Leitplanken versieht, die das Bischofsamt tiefer im Kirchenvolk verwurzeln, und wie sie eine Qualifizierungsoffensive startet, um den Glaubenssinn des Gottesvolkes zu stärken, die aktive Teilhabe am kirchlichen Leben – auf allen Ebenen.