Hat Papst Franziskus den christlichen Wahrheitsanspruch infrage gestellt? Man sollte nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Die Metapher von Religion als Sprache hatte Stärken und Schwächen. Die Absicht des Papstes war es, für eine offene und wertschätzende Atmosphäre im Dialog zu werben.

Papst Franziskus überrascht – immer wieder einmal. So zuletzt mit seiner Ansprache vor jungen Menschen auf seiner Asien-Reise im Catholic Junior College in Singapur am 13. September dieses Jahres. Darin vergleicht er die verschiedenen Religionen mit unterschiedlichen Sprachen. Das ist ein klassischer Topos der pluralistischen Religionstheologie. So wie man nicht sagen kann, Deutsch sei eine wahre und Französisch eine falsche Sprache, so könne man auch nicht sagen, die eine Religion sei wahr und die andere falsch. Alle Religionen seien Wege zur Wahrheit, so wie alle Sprachen einen Zugang zur Wirklichkeit erschließen und der Verständigung dienen. Bis vor Kurzem wurden katholischen Theologen, die diese These vertraten, die kirchliche Lehrerlaubnis verweigert oder entzogen. Und jetzt hören wir diese Häresie aus dem Munde eines Papstes? Erste kritische Stimmen melden sich bereits zu Wort. Der emeritierte Weihbischof Marian Eleganti aus dem Bistum Chur hat sich auf seinem Blog kritisch dazu geäußert: "Kein Zugang zum Vater ohne Jesus Christus. Mission ist ein Auftrag Jesu".

Was genau hat der Papst gesagt? Schauen wir uns den Ausschnitt aus seiner Rede an:

Eines der Dinge, die mich an euch jungen Menschen hier am meisten beeindruckt haben, ist eure Fähigkeit zum interreligiösen Dialog. Und das ist sehr wichtig, denn wenn ihr anfangt zu streiten, "Meine Religion ist wichtiger als deine...", "Meine ist die wahre, deine ist nicht wahr...", wohin führt das? Wohin? Antwortet mir jemand, wohin? [Jemand antwortet: "Zerstörung"]. So ist es. Alle Religionen sind ein Weg, um zu Gott zu gelangen. Sie sind ̶ ich mache einen Vergleich ̶ wie verschiedene Sprachen, verschiedene Idiome, um dorthin zu gelangen. Aber Gott ist Gott für alle. Und weil Gott der Gott für alle ist, sind wir alle Kinder Gottes. "Aber mein Gott ist wichtiger als deiner!" Ist das wahr? Es gibt nur einen Gott, und wir, unsere Religionen sind Sprachen, Wege zu Gott. Einige sind Sikhs, einige Muslime, einige Hindus, einige Christen, aber es sind verschiedene Wege. Understood? Aber der interreligiöse Dialog der jungen Menschen erfordert Mut. Denn die Jugend ist das Lebensalter des Mutes, aber du kannst mit diesem Mut Dinge tun, die nicht hilfreich sind. Du kannst mit diesem Mut aber auch vorwärtsgehen und mit anderen in Dialog treten.

Die Art und Weise, wie der Papst hier – und auch sonst oft – spricht, zeigt: Wir dürfen seine Worte nicht auf die akademische Goldwaage legen. Seine beiden Vorgänger, Johannes Paul II. und Benedikt XVI., waren exzellent ausgebildete Theologieprofessoren, bevor sie ins bischöfliche Amt gewechselt sind, und hatten die Möglichkeit, sich intensiv mit theologischen Fragen und der kirchlichen Lehre zu befassen. Papst Franziskus stammt aus einem anderen Milieu. Seine Ansprachen, insbesondere vor jungen Leuten, sind, wie die des Propheten Maleachi, oft dialogisch aufgebaut. Seine Wortwahl in Interviews ist oft spontan und intuitiv, manchmal treffend und erhellend, bisweilen auch einmal daneben und verwirrend. Vielen gefällt das.

Der Papst will junge Leute zum interreligiösen Dialog ermutigen. Wer in einen solchen Dialog mit der Einstellung: "Meine [Religion] ist die wahre, deine ist nicht wahr" einsteigt und sie durch Worte oder Körpersprache zum Ausdruck bringt, wird nicht weit kommen.

Die Metapher von Religion als Sprache hat ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen. Der Papst will junge Leute zum interreligiösen Dialog ermutigen. Wer in einen solchen Dialog mit der Einstellung: "Meine [Religion] ist die wahre, deine ist nicht wahr" einsteigt und sie durch Worte oder Körpersprache zum Ausdruck bringt, wird nicht weit kommen. Da hat der Papst recht. Ich muss gewisse Urteile, ohne ihren Wahrheitsgehalt zu leugnen, erst einmal zurückstellen, im Sinne der Epoché Edmund Husserls einklammern, um wirklich offen für mein Gegenüber zu sein, und mich auf das einlassen, was passiert. Das erfordert Mut. Auch da hat der Papst recht. Wie der gesamte Duktus seiner Rede erkennen lässt, geht es ihm nicht um die Relativierung des christlichen Wahrheitsanspruchs, sondern um eine offene und wertschätzende Atmosphäre des Dialogs. Diese Seite betont er.

Wahrheit im Singular

Der Papst spricht aber auch von der Wahrheit im Singular – ein Topos, der die Metapher von den vielen Sprachen relativiert. Es gibt also viele Sprachen und viele Religionen, aber nur eine Wahrheit; auch da hat der Papst recht: "Die Jugend ist mutig und die Jugend ist auf die Wahrheit aus", so beginnt seine Rede in Singapur. Viele Sprachen – eine Wahrheit, so könnte man den theologischen Gehalt seiner Rede zusammenfassen. Er ruft die Jugendlichen zu konstruktiver Kritik auf: "Hast du den Mut zu kritisieren und auch den Mut, dich von anderen kritisieren zu lassen?" Auch das gehört zum interreligiösen Dialog. Die Jugendlichen sollen ihre Komfortzonen verlassen, sich mutig in die Gestaltung der Gesellschaft einbringen und sich dabei nicht vor der Angst, auch einmal Fehler zu machen, lähmen lassen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, von konstruktiver Kritik zu lernen und seine Ansichten und Handlungen zu revidieren.

Der Papst hat keine Angst, auch einmal etwas Falsches zu sagen. Das kann die Diskussionen um seine Worte entspannen. Nicht alles, was er sagt, ist klug und vernünftig. Man muss ihm nicht in allem, was er sagt, zustimmen.

Katholiken haben oft Angst, den Mund aufzumachen. Oft höre ich von Kollegen den Rat: Sei vorsichtig! Aus der Angst, etwas Falsches zu sagen, entsteht die Schweigespirale. Ein mir befreundeter Benediktiner aus Rom sagte einmal: Der Papst hat keine Angst. Den Eindruck habe ich auch. Der Papst hat keine Angst, auch einmal etwas Falsches zu sagen. Das kann die Diskussionen um seine Worte entspannen. Nicht alles, was er sagt, ist klug und vernünftig. Man muss ihm nicht in allem, was er sagt, zustimmen. Seine Worte eröffnen Freiräume, die Dinge noch einmal gründlicher zu durchdenken und hin und wieder die Akzente anders zu setzten. Das scheint mir ein wichtiger Lernprozess zu sein, den Katholiken mit dem Amt des Papstes durchzumachen haben: "Ich wünsche euch jungen Menschen, dass ihr alle voll Hoffnung weitermacht und euch nicht zurückzieht!"

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