Zusammenfassung
Sexueller Missbrauch ist ein Thema, das heute unter anderen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Voraussetzungen diskutiert wird als in der Bibel. Allein ein Rückblick auf die vergangenen zwölf Jahre zeigt, wie sehr sich Begrifflichkeiten, öffentliches Bewusstsein, aber auch rechtliche Rahmenbedingungen geändert haben. Das antike Verständnis von Sexualität, Beziehungen und Ehe ist ein völlig anderes als heute. Es gilt, diesen Unterschied im Blick zu behalten, wenn das Alte Testament im Hinblick auf das Thema Sexualität befragt wird. Dennoch plädiert dieser Beitrag dafür, das Alte Testament nicht verschämt beiseitezulassen, wenn über sexuellen Missbrauch nachgedacht wird. Es erzählt ungeschönt von Phänomenen, die heute mit den Begriffen sexueller Missbrauch, sexuelle Gewalt und sexualisierte Gewalt belegt sind. Zudem erzählt das Alte Testament nicht nur, es enthält auch moralische Bewertungen – direkte oder indirekte. Es macht die Opfer sichtbar und verleiht ihnen Handlungsfähigkeit. Es setzt einen Kontrapunkt zum Missbrauch, der aus Menschen Objekte macht, der auf ihr Schweigen und auf ihre Scham setzt.