Jahre prägen unser Leben, sie ordnen unsere Zeit. Das Lebensjahr oder das Schuljahr in unserer Biographie tun das in anderer Weise als zum Beispiel das Wirtschaftsjahr im Steuer- oder Handelsrecht für die Gesellschaft. Aber dass wir unser Leben in Jahren rechnen und so die fließende Zeit übersichtlicher machen, ist uns selbstverständlich. Unsere ganze Kultur ist geprägt davon.
Dahinter steckt eine lange Tradition. Die alten Kulturen beziehen sich auf die Natur, wenn sie die Zeit ordnen. Islam oder Judentum berechnen ihre Zeit bis heute nach dem Wechsel der Mondphasen. Und das chinesische Jahr deutet die Zeit im Blick auf die fünf Elemente und die Harmonie des Lebens.
Das christliche Kirchenjahr gehört ebenfalls zu den großen Traditionen. Es beginnt am 1. Adventssonntag (gemäß dem verbreiteten mittelalterlichen Jahresanfang an Weihnachten). Und es endet (in der katholischen Tradition) mit dem Christkönigssonntag bzw. (in der evangelischen Tradition) mit dem Totensonntag. Es ist geprägt von der Abfolge religiöser Feste und Feierlichkeiten. Es bezieht alles auf die Heilsgeschichte, die sich inmitten der Zeit, in der Geschichte Jesu Christi ereignet hat. Eigentlich jeden Sonntag, aber in ganz besonderer Weise in der Weihnachts- dieser Geschichte erinnert. Aber auch der Bezug auf die Natur ist wichtig. Die vier Jahreszeiten prägen immer noch den Rhythmus eines Jahres. Und Frühling, Sommer, Herbst und Winter geben auch den christlichen Festen eine besondere Farbe, oft genug auch eine besondere Bedeutung. Die kirchlichen Feste greifen immer wieder den natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten auf und verbinden so unser Leben im Verlauf eines Jahres mit der Natur und mit der Heilsgeschichte.
Heute folgt die Einteilung unseres Alltags und des Lebens – des Einzelnen wie der Gesellschaft – nicht mehr kirchlichen Festen. Sie folgt allerdings auch nicht mehr den natürlichen Jahreszeiten. Unsere Zeit ist schneller, hektischer, vernutzter.
Glaubt man Umfragen, dann wissen viele heute gar nicht mehr, was an Pfingsten gefeiert wird, was der Sinn von Fronleichnam ist oder dass die Fastenzeit etwas anderes ist als die Brigitte-Diät. Das ist nicht nur ein Traditionsbruch. Es ist auch schade. Wer das Kirchenjahr bewusst mitfeiert, wer die großen Feste als Inseln im reißenden Strom der schnellen Zeit begreift, erfährt etwas, was auch der Seele gut tut: Leben ist mehr als der immer wiederkehrende Wechsel zwischen Arbeitszeit und Freizeit, mehr als das, was uns eine platte „Zeit-ist- Geld“-Mentalität weismachen will. In den Geschichten von der Entstehung und vom Sinn der Feste im Jahreskreis mit seinem Reichtum von Bräuchen und Traditionen wird das lebendig und anschaulich.
Das Verstehen und die bewusste Mitfeier des Kirchenjahrs lässt eine andere Zeit spüren. Es deutet in einem immer wiederkehrenden Rhythmus unser Leben und Sterben. Es spricht von einem Glauben, den die eine reiche Tradition ausgeformt hat. Das gibt der Zeit Sinn.