Eine uralte Tradition
Bei einem Besuch in der Benediktinerabtei St. Lambrecht in der Steiermark kann man es erleben: In einem weiten, barocken Raum sitzen etwa 15 Leute über ein Brett gebeugt und malen. Mit großem Eifer arbeiten sie an einer Ikone. Die meisten der entstehenden Ikonen haben schon ein Gesicht und „schauen“ bereits. Gemalt wird auf ein Holzbrett, das mit einem Leinen und dann mit einer Masse aus Kreide und Klebemittel überzogen und dann glatt gerieben wurde. Als Vorlage wird eine alte Ikone ausgesucht, wie man sie in Kalendern oder Büchern finden kann. Das Vorbild wird auf das Brett aufgetragen, dann entsteht der Goldhintergrund, und schließlich wird in vielen genau angegebenen und vorgezeigten Schritten das Bild gemalt. Diese Schritte entsprechen einer uralten, festgeschriebenen Tradition. Gemalt wird mit Farben, die man selber immer neu zubereitet, indem man Pigmente (also Farbe in Pulverform) mit Eidotter vermischt. Allein schon die Verwendung möglichst natürlicher Mittel, das eigene Bereiten der Farben, dieser physische Kontakt mit der Natur, tut dem Menschen gut und bringt ihn unserer Erde und ihren Materialien nahe.
Suche nach ursprünglicher Kraft
Der Weg vom Holzbrett bis zu jenem Bild, das man freudig, nicht ohne Stolz und mit gewisser Ehrfurcht in den Händen hält, ist spannend: voller nicht nur maltechnischer, sondern auch sehr persönlicher Erfahrungen. Da ist ein Werden, ein Ringen und Reifen geschehen, das im besten Sinn als echtes spirituelles Erlebnis bezeichnet werden kann. Dazu einige Zeugnisse von Teilnehmern: „Was ich erlebt habe, geht über Ikonen weit hinaus. Es war eine echte Lebensschu le. Unvorstellbares ist mir passiert, weit mehr, als ich erwartet habe.“ Ein anderer: „Für mich waren es Exerzitien, eine Vertiefung meiner Jesusbeziehung. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Frieden gespürt.“ Eine junge Ikonenmalerin sagt: “Ich bin auf das Ikonenmalen gekommen, weil ich auf der Suche bin nach mehr ursprünglicher Kraft in der Kirche, nach dem ursprünglichen Feuer, nach Spiritualität und Mystik. Ich liebe es, am Abend meine Ikone einfach zu betrachten, vor ihr ruhig zu werden und ich bekomme durch diese Betrachtung, durch das Schauen Kraft. Es ist für mich wortloses, ganzheitliches Gebet.“
Ein Weg der Selbsterkenntnis
Ikonenmalen als ein spirituelles Erlebnis, das meint konkrete Erfahrungen, die beim Malen einer Ikone gemacht werden: Gesunde Spiritualität hat immer zu tun mit echter Selbstfindung, mit Zusich- Kommen, mit Selbsterkenntnis. Immer wieder machen wir bei den Kursen folgende Erfahrung: Bei den ersten Schritten geht es rasch voran, das Übertragen des Vorbildes, das Vergolden, die ersten Malschritte, all dies geht eigentlich ohne Schwierigkeiten. Dann aber, wenn es um die Falten geht, Schattierungen, vor allem beim Gesicht, bleibt man stecken, kann nicht mehr weiter und erfährt seine Grenzen. Diese dann ehrlich anzuerkennen, sich helfen zu lassen, zuzulassen, dass man angewiesen ist auf Hilfe, all dies ist für manche gar nicht leicht und es bedeutet einen großen Schritt voran, sich seiner Angewiesenheit bewusst zu werden, ohne zu resignieren oder aufzugeben. Auch in anderer Weise erkennt man sich selbst: Ein Hang zu Schlampigkeit, zu Ungenauigkeit kann zum Vorschein kommen, da die Gestaltung der Flächen und alle weiteren Schritte sehr viel Genauigkeit und Aufmerksamkeit erfordern. Ebenso kann Übergenauigkeit, Perfektionismus und Ängstlichkeit an den Tag treten und zum Hindernis werden. Mut ist notwendig. Das zu erlernen, mit Schwung und Vertrauen weiterzumachen, fällt manchem gar nicht leicht. Nicht selten gibt es beim Malen eine Phase der Entmutigung. Man meint, aufgeben zu müssen, erfährt sich als überfordert und am Ende. Dies ist dann die Stunde einer Entscheidung. Es ist dann notwendig, sich selber loszulassen, sich selber und dieses Bild in die Hände eines Anderen, Größeren zu legen. Dies muss man sehr konkret und bewusst tun. Als Hilfe dazu biete ich immer das sog. „Jesusgebet“ an, eine ostkirchliche Frömmigkeitsform, die der Ikone genau entspricht. So sagte einmal ein Teilnehmer am Schluss des Kurses (die meist am Montag beginnen und am Samstag Vormittag enden): „Montag, Dienstag ging gar nichts. Erst am Mittwoch nach dem Jesusgebet, da war es, als wenn in mir ein Fenster aufgeht und mir alles eingibt.“ Durch ein Tief hindurchgehen, ohne aufzugeben, auch nicht nur irgendwie weiterzumachen, sondern so hindurchzugehen, dass man daran reift und frei wird vom Druck, unbedingt etwas fertig zu bringen, wo man sich einübt in Vertrauen, dass da noch jemand ist, dem ich alles überlassen kann, das hat gewiss etwas mit spiritueller Schule zu tun.
Spirituelle Ordnung
Schließlich eine Woche lang am selben Bild zu arbeiten, das Vorbild immer wieder anschauen, das hat auch etwas mit Hingabe zu tun. Diese Hingabe ist bei den Malern in einer oft berührenden Weise festzustellen – in einer Ernsthaftigkeit und inneren Anteilnahme. Wenn nun diese Hingabe einem Bild gilt und einer Darstellung, die ihrem Wesen nach Ruhe und Frieden ausstrahlt, dann wird diese Ruhe irgendwann das Herz des Malenden erreichen. Diese Hingabe an das Eine erweist sich so als eine Art von Therapie für den modernen Menschen, der heute von einer solchen Fülle von Eindrücken und oft beunruhigenden Bildern auf den Straßen, in den Medien überschüttet und innerlich zerrissen wird. Malen wird zur Therapie der inneren Sammlung und der Ruhe. Ein weiterer Schritt auf dem spirituellen Weg ist die Erfahrung des „Sich-Führen-Lassens“. Ikonenmalen ist kein beliebiges Malen nach eigenem Einfall und Geschmack, sondern ein Sich-Einfügen – in eine uralte Methode der Darstellung Christi, seiner Mutter, heiliger Gestalten und Szenen der Hl. Schrift und vom Inhalt der großen christlichen Feste. In der Praxis heißt dies: Der Malschüler muss sich führen lassen, jeder einzelne Schritt wird vorgegeben und gezeigt. Dies setzt Geduld voraus, auch eine gewisse Art von Demut. Man muss warten lernen, bis der Kursleiter für mich Zeit hat, man muss sich einfügen in eine bewährte und irgendwie spirituelle Ordnung. So erfährt man dann ein allmähliches Werden des Bildes ohne Hektik und Druck.
Angeschaut von einem Gegenüber
Diese Art des Malens geht zurück auf eine Überzeugung ostkirchlicher Kultur: Die Darstellung Christi, seiner Mutter und Heiliger geschieht mit besonderer Würde, ist geprägt von höchster Anerkennung und Verehrung und von besonderer Nähe zu den dargestellten Personen. Das drückt sich dadurch aus, dass man eben genau diese Bilder, möglichst getreu in den alten und geheiligten Malweisen, für heute weitergibt. Daraus ergibt sich, dass der Malende durch Meditation und Gebet, durch aufmerksames Hinschauen auf seine Vorlage, solange, bis er sie irgendwie in sich trägt, auf diese Weise in eine Nähe z.B. zu Christus kommt, aus der heraus er dann erst wirklich Christus darstellen kann. Christus wird dann für ihn zu einem wirklichen Gegenüber, einem Du, das er anschaut oder noch mehr, von dem er selber angeschaut wird. Wenn dieser Schritt gelingt, dass sich der Maler von seinem Bild, von seinem Christus, von der Mutter Gottes als angeschaut erfährt, dann ist vielleicht der entscheidende spirituelle Schritt beim Ikonenmalen getan.