Es ist ein altes spirituelles Bild, dass unser Leben eine Reise ist. Am Anfang treten wir durch eine Tür ins Unbekannte. Am Ende wieder. Auch als Pilgerfahrt wird es beschrieben, oder als Wanderschaft: Im Tod endet sie. Wer den Tod vor Augen hat, lebt nicht unbedingt spirituell. Vielleicht wird er in sein endliches Leben hineinpacken wollen, was nur gerade geht, immer high speed. Nicht die „ewige Heimat“ im Blick, sondern den Genuss hier und jetzt, möglichst umwegfrei. Bloß nichts verpassen. Andere werden im Gegensatz dazu fragen, was wirklich gut und wichtig, was das eigentliche Ziel ist in diesem kurzen, flüchtigen Dasein. Innehalten gehört zum spirituellen Weg.
Die Religionen, so unterschiedlich sie sind, sprechen vom Weg, wenn sie auf die Frage nach dem guten und rechten Leben antworten. Juden nennen ihre rechtliche Auslegungstradition Halacha („der zu gehende Weg“), die Muslime Scharia („der gerade Weg zur Tränke“), der Buddha lehrt den achtfachen Pfad zur Überwindung des Leidens, und das frühe Christentum bezeichnet sich schlicht als „der Weg“. Bei Matthäus (7, 13-14) gibt es die Unterscheidung zwischen dem breiten Weg, den viele gehen und der ins Verderben und dem engen Weg, der zum Leben führt. Er „ist schmal und nur wenige finden ihn.“
Man muss sich entscheiden. Aber es gibt nicht nur einen Weg. Der Mystiker Johannes Tauler sagt: „So ungleich die Menschen sind, so ungleich sind auch ihre Wege zu Gott: was des einen Leben wäre, das wäre des andern Tod.“
„Warum steigt ihr auf die Berge?“, fragt der Erzähler in Ludwig Hohls Erzählung „Bergfahrt“. Die Antwort: „Um dem Gefängnis zu entrinnen.“ Nicht erst auf dem Gipfel, schon unterwegs kann man da etwas erfahren über das Ziel. „Spiritualität besteht für mich darin, der Spur meiner eigenen Lebendigkeit zu folgen, meiner Sehnsucht zu trauen, ihr auf den Grund zu gehen,“ sagt Anselm Grün. Er ist überzeugt: Auf diesem Grund begegnen wir Gott. Und wenn er davon spricht, was ihn erfahrbar macht, fallen Begriffe wie Weite, Freiheit, Liebe, Lebendigkeit, Ganzwerden. Das hat biblische Wurzeln: „Suchet mich, so werdet ihr leben“, heißt es beim Propheten Amos (5,4).
Jeder sucht, auch wenn das Ziel noch im Dunkel liegt, seiner Sehnsucht entsprechend. Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt. Aber es gibt in der Tradition bewährte Praktiken und Übungswege, die Geist, Seele und Sinne ansprechen, die den Körper und die Gemeinschaft einbeziehen. Und es gibt auf diesen Wegen Erfahrungen, die das Ziel erhellen. Im Gespräch mit dem Religionswissenschaftler Bernhard Uhde wird klar, was religionsübergreifend das Verbindende spiritueller Haltung ist und auch, was diese inneren Wege unterscheidet. Die Beiträger dieses Themenheftes sind solche Wege selber gegangen. Sie geben weiter, was sie erfahren haben.
Reise und Weg – es sind Bilder. „Gib das Reisen auf, und du wirst ankommen“, sagt Anthony de Mello. Und Angelus Silesius nicht viel anders: „Christ, schätze dir die Reis in Himmel nicht so weit; der ganze Weg hinein ist keines Schrittes breit.“ Wohin der Weg auch führt – er verwandelt den, der ihn geht.